Die Psychosomatik erkundet das Zuhören

Tiefes Zuhören als Intervention

Bericht vom Psychosomatischen Dienstags-Kolloquium „Körper – Seele – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg vom 15.05.18
Von Prof. Tilman Habermas: „Die Rolle des Zuhörers beim Erzählen: Eltern und Therapeuten“

Herr Habermas gehört der seltenen Spezies „Professor für Psychoanalyse“ an. Sein Vortrag soll allerdings weniger psychoanalytisch als vielmehr psychologischer Art sein. Er interessiert sich und forscht schon seit längerer Zeit über das Erzählen – insbesondere über Lebenserzählungen, mit deren Hilfe Menschen ihre Identität formen. Von der monologisierenden Form ist er inzwischen zur dialogischen fortgeschritten und nun forscht er seit neuestem über die Rolle des Zuhörers beim Erzählen.

Was ist eine Erzählung?

Herr Habermas stellt uns zunächst vor, was eine Erzählung ausmacht. Dazu erinnert er daran, dass Erzählungen etwas Alltägliches sind, dass sie ständig stattfinden und dabei auch verschiedene Funktionen erfüllen. Auf individueller Ebene bringt man seine Mitmenschen auf den neuesten Stand, was die eigenen Erlebnisse betrifft, sucht aber auch nach Teilhabe an den emotionalen Aspekten der Erzählung. Auf kollektiver Ebene geht es um kollektive Identitäten von Familiengeschichten, Firmengeschichten, bis hin zu nationalen Epen der Staatsgründung. Immer geht es dabei darum, eine gemeinsame Realität herzustellen. Aber Geschichten dienen auch der Unterhaltung, denn sie können die Zuhörer etwas lehren, können aber auch zu etwas verführen und von etwas überzeugen. Erzählungen dienen der Selbstdarstellung, sowie der Erklärung menschlichen Verhaltens, das sie rechtfertigen oder entschuldigen wollen.
Weiter besitzen Erzählungen eine innere Struktur, die einen strikten zeitlichen Ablauf aufweist, in dem nichts vertauscht werden darf. Außerdem gehört zu einer Erzählung eine Bewertung über das Erzählte. Erzählt werden in der Regel nur außergewöhnliche Vorkommnisse und zwar in folgender Reihenfolge. Zunächst kommt eine Ankündigung, dass nun etwas erzählt werde. Dann wird kurz der Hintergrund und der Kontext erläutert, darauf folgt die eigentliche Geschichte mit ihrer Komplikation. Weiter geht es mit den Handlungen, die daraufhin ausgeführt werden. Schließlich folgt das happy oder unhappy-end. Das Ende der Erzählung besteht dann meist aus „der Moral von der Geschichte“.

Die Rolle des Zuhörers

Welche Rolle spielen Zuhörer bei so einer Erzählung? Zunächst muss vereinbart werden, dass der/die Erzähler*in nun etwas erzählen darf. Der Erzähler darf nun seinerseits Interesse an seiner Erzählung erwarten. Dies wird durch Blickkontakt, Hmm-Lauten, Nicken und ähnliche Zeichen signalisiert. Zum Ende der Erzählung wird der/die Zuhörer*in einzelne Worte wiederholen, seine Bewertungen benennen (krass ey!) und evtl. mit einer eigenen, ähnlichen Geschichte aufwarten.
Eine spezielle Form der Erzählung ist die, des Sich-Anvertrauens mit einem Problem. Hier lässt sich ein Anteilnahme Muster erwarten. Die Zuhörer drücken aus, dass sie das Erzählte ebenfalls ungewöhnlich finden und dass sie dem Erzähler Glauben schenken. Sie bringen ihr Mitgefühl zum Ausdruck und explorieren die Erzählung weiter, sie trösten der Erzähler, zeigen sich solidarisch mit ihm/ihr und warten häufig mit Ratschlägen auf. Dabei gilt die Regel, dass je schwerwiegender das erzählte Ereignis war, sich die Zuhörer umso mehr zurückhalten.

Zuhörer gestalten Geschichten mit

Herr Habermas kommt nun zu seiner Kernthese, die lautet: „Zuhörende haben eine zwar wichtige, aber recht passive Rolle beim Erzählen. Es gibt jedoch Situationen, in denen sie eine wesentlich aktivere Rolle spielen. Und darunter sind sehr spezielle Situationen, in denen Zuhörende aktiv nicht nur die Geschichte mit-erzählen und verändern, sondern auch die Person des Erzählenden formen, indem sie aktiv zuhören und mit erzählen.“ Zwei solcher Situationen sind die Gespräche zwischen Eltern und ihren Kindern und die Situation von Therapeut und Patient. Beiden Fällen gemeinsam ist der Unterschied zwischen Sprecher/Hörer bezüglich der Autorität und der Kompetenz. Allerdings gibt es natürlich auch Unterschiede in den Situationen. Eltern haben einen Erziehungsauftrag, sie bringen Kindern bei, wie Erzählen funktioniert, wie die Erlebnisse zu verstehen sind und wie man richtig empfindet und reagiert. Therapeuten hingegen haben einen Therapieauftrag. Sie bringen Patienten bei, wie sie Erlebnisse und sich selbst verstehen können.

Eltern-Kind Gespräch

Ein kleiner Exkurs zur Eltern-Kind Situation verdeutlicht, das Vorschulkinder vor allem das Erzählen an sich erlernen, während Jugendliche beim Erzählen lernen, ihre Emotionen zu bewältigen. Das lässt sich anhand eines drei-phasigen Modells darstellen, auf dessen erster Stufe das Kind eine Fähigkeit noch nicht besitzt, aber einen fähigen Elternteil. Auf der zweiten Stufe übt das Kind die Fähigkeit in Zusammenarbeit mit dem Elter ein, um auf der dritten Stufe, die autonome Fähigkeit entwickelt hat.
Die Art und Weise, wie Eltern auf die Erzählungen der Vorschulkinder eingehen, hat durchaus Folgen für die Entwicklung der Erzählfähigkeit, die Gedächtnisleistung, die Fähigkeit andere Perspektiven einnehmen zu können und sogar die Bindungsqualität. Eltern können ihre kleinen Kinder durch Fragen unterstützen. Das geht mit geschlossenen Fragen, sog. W-Fragen oder mit offenen Fragen und durch die Auswertung des Erzählten.
Ab dem etwa neunten Lebensjahr können Kinder bereits recht gut erzählen. Trotzdem können Eltern auch hier noch hilfreich sein, indem sie vor allem dabei helfen, die emotionalen Aspekte des Erzählten zu integrieren.

Gefühle und Bedeutungen von und in Erzählungen

Es folgt ein Beispiel einer solchen Unterhaltung zwischen Mutter und Kind. Herr Habermas arbeitet daran heraus, dass die Mutter die zeitliche Perspektive erweitert, indem sie an ähnliche Situationen erinnert, dadurch die Gefühle verstärkt und einen Lerneffekt aus der Geschichte entstehen lässt. Die Mutter ergänzt und verändert auch die Motive der Beteiligten und stellt alternative Erklärungen zur Verfügung. Sie verallgemeinert die Situation und bietet einen Abstand zur Erfahrung. Auch die Umdeutung des Erlittenen wird aus der Passivität in die Aktivität uminterpretiert. Andere Möglichkeiten bestehen noch darin, die Persönlichkeit der Beteiligten als Erklärung anzunehmen. Das wären z.B. biografische Empfindlichkeiten, die eine Rolle spielen könnten und überhaupt kann die Persönlichkeiten durch biografische Erfahrungen erklärt werden.
Insgesamt geht die Mutter weniger auf die Ereignisse und Handlungen ein, als vielmehr auf die Motive und die Bewertungen, indem sie darauf abhebt, warum die Beteiltigten so gehandelt haben und wie das zu bewerten ist?

Therapeut-Patient Gespräch

Ähnlich den Eltern haben Therapeuten „die Aufgabe, die Fähigkeiten der Klienten zu verbessern, insbesondere ihre Fähigkeiten zur Introspektion, Reflexion und Bewältigung von kritischen Erlebnissen.“
Anders als Eltern haben Therapeut*innen die erzählten Ereignisse nicht miterlebt Sie haben acuh keine erzieherische Aufgabe. In der Regel dürfen sie (kaum) werten, denn sie sollen auf das Erleben des Patienten fokussieren, allerdings dürfen sie die Motive in Frage stellen und deuten.
Herr Habermas geht nun der Frage nach, welche Rolle das Erzählen in psychodynamischen Therapien spielt. Zunächst stellt er fest, dass es nicht so sehr darum geht, falsche Geschichten zu zerlegen oder das Patient*innen nur frei assoziieren. So gut wie immer finden die Mitteilungen der Klienten eine Erzählform für ihre Anliegen. Dazu stellt Herr Habermas folgende These auf: „Psychodynamische Psychotherapie lässt sich beschreiben als Arbeit am Erzählen, mit dem Ziel, dass möglichst alle relevanten Perspektiven eingeschlossen werden.“

Techniken therapeutischen Zuhörens

Zum Beleg der These will er beschreiben, wie Therapeuten aktiv zuhörend die Erzählungen vervollständigen. Dazu erläutert er vorab die klassischen Interventionen der psychoanalytischen Ichpsychologie. Diese bestehen aus Klärung der unklaren und fehlenden Teile, gefolgt vom Konfrontieren mit Fehlendem, mit Inkonsistentem, mit Auffälligkeiten und dem Deuten von z.B. Ängsten und abgewehrten Motiven, sowie der Emotionen. Wie beziehen sich nun diese Interventionen auf Geschichten?
Dazu bekommen wir noch zwei Gesprächsausschnitte vorgeführt, in denen die Anwendung der Interventionen die Geschichten vervollständigen, und dadurch die Emotionen und Motive geklärt werden. Daraus leitet Herr Habermas ab, auf welche Teile der Geschichte sich Therapeuten bevorzugt beziehen. Es sind verschiedene Teile, die aber immer mit Emotionen zu tun haben. Es geht dabei um Emotionen, die ein Motiv für Abwehr sein können.

Und die Moral von der Geschichte?

„Erzählungen sind ein zentrales Medium um Handlungen und Emotionen von Menschen zu verstehen.
Deshalb ist das Erzählen mit Eltern so wichtig für das Erlernen sozio-kognitiver und sozio-emotionaler Fähigkeit
Deshalb ist das Erzählen mit Therapeuten so wichtig für das Verstehen neurotischer Verzerrungen und Unglücks.“

Die Psychosomatik erforscht das Zusammenspiel von Genen und Umwelt

Gene oder Umwelt?

Bericht vom Psychosomatischen Dienstags-Kolloquium „Körper – Seele – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg vom 08.05.18 Von Dr. med. Derek Spieler:            „Nature or Nurture – Ausgewählte Aspekte zur Genetik und Epigenetik seelischer Erkrankungen“

Einstimmung

Herr Spieler beginnt seinen Vortrag mit einem Bild von René Margritte, das den Betrachter verwirrt, weil nicht zu bestimmen ist, ob es darauf Tag oder Nacht ist. Ähnlich, so Herr Spieler, geht es der Medizin mit der Frage nach genetischen oder umweltbedingten Krankheitsgeschichten. Bereits der Titel des Vortrags sei eine Provokation, weil das „Oder“ ein „entweder – oder“ nahelegt, das keinesfalls gegeben sei. Immer gibt es eine genetische Disposition, die immer in einer Interaktion, mit einer ebenfalls immer gegenwärtigen Umwelt, steht. Als Metapher bietet er den Segen von Thetis für ihren Sohn Achilles an. Sie hält ihn in den Fluss Styx, um ihn unverwundbar zu machen, aber sie muss ihn dabei an der Ferse festhalten, so dass er an dieser Stelle verwundbar bleibt. Eine seriöse Schätzung lautet im Moment, dass zu ca. 20% Gene am Krankheitsgeschehen beteiligt sind, und der Rest durch die Lebensweise bestimmt wird.

Genetische Einflüsse

Seit das menschliche Genom im Jahr 2001 vollständig sequenziert wurde, hat die Erforschung genetischer Krankheitsursachen einen gewaltigen Aufschwung erfahren. In breit angelegten Studien kam heraus, dass etwa jedes tausendste Basenpaar (von 3,3 Milliarden) Variationen aufwies. Nun konnte erforscht werden, welche Variationen mit bestimmten Erkrankungen assoziiert sind. Dazu wurden große Gruppen von Betroffenen (am Beispiel von Depressionen und Schizophrenie) mit Gruppen unauffälliger Menschen verglichen und auf diese Art festgestellt, an welchen Stellen die Erbsubstanz verändert war. Für die Depressionen und die Schizophrenie zeigte sich, dass es 44 bzw. 108 auffällige Veränderungen im Genom gab.
Mit diesem Vorwissen wurde es nun möglich, die Betroffenen auch mit bildgebenden Verfahren zu untersuchen. So konnte erforscht werden, wie die veränderten Gene sich auf Bau und Funktion des Nervensystems auswirken. Eine spezielle Veränderung lässt sich recht eindeutig mit dem „Anterioren Cingulären Cortex“ dem ACC in Verbindung bringen, eine Gehirnstruktur, die an emotionalen Bewertungen und Gedächtnisfunktionen beteiligt ist.

Umwelteinflüsse

Es ist bekannt, dass Menschen, die in Städten wohnen, ein höheres Risiko tragen, an einer Schizophrenie zu erkranken, als Menschen, die in ländlichen Regionen leben. Dieses Risiko steigt mit der Größe der Stadt und mit der Anzahl von Jahren, die man insbesondere als Kind in der Stadt verbracht hat. Auch hier konnte mit bildgebenden Verfahren aufgeklärt werden, welche Auswirkungen die Stressoren einer Großstadt auf Funktion und Bau des Nervensystems hat. Zum Einen verändert sich die Funktion des Angstzentrums, der Amygdala und zum Anderen konnten auch Veränderungen am ACC festgestellt werden. Hier treffen sich also die Auswirkungen angeborener und erworbener Merkmale.

Gene und Trauma

Eine weitere Gehirnstruktur, der Hippocampus, der eine zentrale Rolle für das Gedächtnis und die Alzheimer Demenz spielt, konnte mit diesen neuen Methoden ebenfalls erforscht werden. So gibt es Genvarianten, die ein großes Volumen für diese Struktur begünstigen und die Gefahr von Alzheimer mindern. Wenn Menschen nun traumatische Erfahrungen machen, kann im ungünstigsten Fall das Volumen des Hippocampus abnehmen. Je nach Vorgeschichte können manche Menschen aber auch an diesen Erfahrungen wachsen, bzw. wächst das Volumen des Hippocampus sogar an.

Epigenetik

Diese noch recht junge Disziplin handelt von der Regulation der Gentätigkeit abhängig von den Umwelterfahrungen. Eine Art dieser Regulation besteht in der sog. Methylierung des Cytosins. Eine solche Methylierung dämpft die Aktivität des betroffenen Basenpaars, was für sich kein Problem darstellt. Auch hier war es mit Hilfe der Sequenzierung möglich, die Methylierung in Abhängigkeit von den Lebensumständen zu erfassen. Herr Spieler nennt als Beispiel die Alkoholabhängigkeit, von der inzwischen bekannt ist, dass sie ein typisches Methylierungsmuster erzeugt, das nun wiederum zur sicheren Diagnose verwendet werden kann. Ein weiterer Forschungssektor in diesem Bereich ist die Auswirkung von Depressionen der Mutter auf das Baby. Auch hier konnte mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Zusammenhang aufgedeckt werden.

Fazit

Wie auch immer unsere genetische Ausstattung aussieht, wir können nichts an ihr ändern. Wir können aber darauf achten, wie wir unser Leben führen und Herr Spieler ist der Ansicht, dass die Lebensführung die wichtigste Rolle für die Krankheitsvorsorge darstellt.

Ich war sehr zufrieden mit diesem klar gehaltenen Vortrag, der mit wenigen Folien auskam.

Die Psychosomatik entdeckt die Neurobiologie

Bericht vom Psychosomatischen Dienstags-Kolloquium „Körper – Seele – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg vom 17.04.18 Von Prof. Dr. Grit Hein:                          „Was uns antreibt – Über die Neurobiologie sozialer Motive“

Frau Hein beginnt ihren Vortrag damit, dass sie uns die Gedanken bekannter Denker zum Thema „Motivation“ präsentiert z. B. Leonardo da Vinci: „Motive sind die treibende Kraft des Lebens“; Thomas Mann: „Motive verstehen heißt menschliches Verhalten verstehen“; Immanuel Kant: „Eine Handlung ist dann wesentlich gut, wenn die Motive des Handelnden gut sind, unabhängig von den Auswirkungen.“

Theorien zur Motivation

Wo Künstler, Schriftsteller und Philosophen ein Thema bedenken kann die Wissenschaft der Psychologie nicht zurückstehen. Im Verlauf der Psychologiegeschichte wurden etliche Motivationstheorien entwickelt, die verschiedene Schwerpunkte gesetzt haben. So die Theorie von Henry M. Murray, der Motive als stabile Persönlichkeitseigenschaften ansah und die von den Grundbedürfnissen nach Kontrolle und Zugehörigkeit charakterisiert sind.
Dieser Ansatz wurde von David McClelland weiter ausdifferenziert in die Grundmotive von Zugehörigkeit, Macht und Leistung, denen jeweils Wünsche und Befürchtungen entsprechen, die das menschliche Verhalten beeinflussen.
Relativ bekannt ist die Maslow’sche Bedürfnispyramide mit ihren Defizitbedürfnissen und ihren Wachstumsbedürfnissen – in der Folie der Vortragenden „Unstillbare Bedürfnisse“ genannt. Maslow ordnete physiologische Bedürfnisse, Sicherheitsbedürfnisse und soziale Bedürfnisse als Grundlagen, die erfüllt sein müssen an. Sie bilden die Basis der Pyramide und ihre Nichterfüllung motiviert die Betroffenen maximal. Erst wenn diese Grundlagen gewährleistet sind kann ein Mensch nach Maslow sich um Geltung und Selbstverwirklichung kümmern.
Eine weitere Betrachtung unterscheidet zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation. Intrinsisch entstehen Neugier und emotionale Anreize, sowie Erfolgserwartungen; Extrinsisch wir positive Verstärkung in Form von Belohnungen oder negative Verstärkung im in Form von Zwang erfahren.

Sind Motive änderbar?

Die Lieblingstheorie von Frau Hein ist allerdings die von Kurt Lewin, der Motive als veränderbar ansieht. Für ihn reflektieren Motive das ultimative Ziel von Individuen, was sich für Verhaltensvorhersagen nutzen lässt. Weiter behauptet er, dass Motive aktivierbar und situativ veränderbar sind, was dann die Basis für Interventionen darstellt.
Das Problem der Psychologie mit den Motiven ist, dass sie nur schwer erfassbar sind. Motive sind privat und nicht beobachtbar. Darüber hinaus können unterschiedliche Motive zu gleichem Verhalten führen. Als Beispiel sehen wir ein Foto von zwei Männern, die eine Couch tragen. Einer von ihnen zieht um, der andere hilft. Hilft er weil er Empathie zeigen möchte? (Hier mit dem Ziel des Wohlergehens des anderen verbunden), oder hilft er aus Reziprozitätsgründen? (mit dem Ziel einen Gefallen zu erwidern)

Forschung in der Röhre

Frau Hein möchte uns darüber aufklären, mit welchen Tricks sie diesen Fragen nachforscht. Aber zuvor gibt sie uns eine Einführung in die nicht-invasiven Techniken der Neurobiologie. Sie selbst forscht am häufigsten mit der „fMRT“, der funktionellen Magnetresonanztomografie. Ihre Begeisterung für diese technischen Möglichkeiten sind ihr anzumerken, denn sie ermöglichen ein „nicht-invasives Maß, welches Denken, Fühlen, Wahrnehmen und Handeln abbilden kann“ (dem philosophisch Halbgebildeten sträuben sich die Haare bei solchen Formulierungen). Eine neue Variante der Technik ist, dass nun nicht nur bunte Bilder von Gehirnregionen gezeigt werden können, sondern auch welche Gehirnbereiche, in welchen zeitlichen Mustern miteinander interagieren. Genau dies ermöglicht nämlich erst die Unterscheidung von Empathie und Reziprozität in der Gehirntätigkeit.

Im sogenannten „interaktiven Paradigma“ – was so viel heißt, dass der Proband in der Röhre liegt, aber die Hände von Mitmenschen sehen kann, die neben der Röhre sitzen – werden nun Versuche mit sozialen Gefühlen gemacht. Die derzeit beliebten Spiele der Neuroforschung haben häufig damit zu tun, wie Geldbeträge aufgeteilt werden. Für die meisten Menschen ist eine Teilung von vierzig zu sechzig Prozent akzeptabel (d.h. sie nehmen die vierzig Prozent, weil sonst das Geld weg wäre). Dies wird nun kombiniert mit einem bekannten Phänomen, der Empathie Einschränkung gegenüber Out-Group Mitgliedern – Menschen sind in aller Regel empathischer mit Mitglieder der eigenen Gruppe.

Empathie ist erlernbar

Außerdem ist die Möglichkeit bekannt, Empathie und/oder Reziprozität zu induzieren, also von außen herbeizuführen. Empathie in der Form, dass vor dem Teilungsversuch Bilder des später zu Begünstigendem gezeigt werden, wo dieser Schmerz empfindet. Wer einen leidenden Menschen sieht, ist eher geneigt, ihm Empathie entgegenzubringen. Reziprozität lässt sich so induzieren, dass derjenige, der das Geld aufteilen darf ein Bild sieht, auf dem sein Spielpartner Geld dafür bezahlt, damit dem Verteiler kein Schmerz zugefügt wird.

Mit herkömmlicher fMRT lassen sich keine Unterschiede zwischen diesen beiden Motiven feststellen. Erst wenn das „Dynamic Causal Modelling“ verwendet wird, dass die räumliche und zeitliche Verteilung der Gehirnprozesse zeigt, werden die Unterschiede sichtbar.
Frau Hein berichtet von einem Experiment in Zürich, in dem Schweizer und Bosnier (In-Group/Out-Group) so miteinander interagieren mussten, dass sie lernen konnten, auch den Out-Group zugehörigen ein identisches Maß an Empathie und Reziprozität aufbringen konnten – Vorurteile lassen sich verlernen!

Zukunftsaussichten

In ihren Abschlussworten betont sie, dass diese Methodik noch sehr am Anfang steht und dass sie bis auf weiteres keinesfalls die Möglichkeit eröffnen wird, Motive zu entlarven. Die Wirklichkeit ist enorm komplex und maschinelles „Mind-Reading“ liegt noch in weiter Ferne, falls es überhaupt möglich ist.
Einen Anwendungsbereich sieht sie jedoch für die klinische Psychologie zur Darstellung und Diagnostik von „motivationalen Defiziten“ bei psychischen Erkrankungen.
Abgesehen von der etwas langatmigen Technikerklärung war es ein recht interessanter Vortrag für mich. Wieder einmal dachte ich, dass der Zugang technischer Möglichkeiten zur Psyche eine recht zweischneidige Angelegenheit ist. Sie gewährt einerseits mehr Verständnis für die neuronalen Prozesse der Psyche, mit der Gefahr, diese auf neuronale Tätigkeiten zu reduzieren. Sie eröffnet andererseits auch Möglichkeiten der Beeinflussung, über deren möglichen Missbrauch, sich die Zunft scheinbar wenig Gedanken macht.

Psychosomatik und Sprache

Bericht vom Psychosomatischen Dienstags-Kolloquium „Körper – Seele – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg vom 06.02.18 von Carl Eduard Scheidt, Prof. Dr. MA – Uni Freiburg
„Sprechen über sich – Zur narrativen Konstruktion von Identität“

Sprechen und erzählen

Sprache ist für Menschen selbstverständlich. Wir benutzen sie ständig, um uns verständlich zu machen und zwar sowohl in unseren Gedanken als auch im Austausch mit anderen. Sprechen wird auch als soziales Handeln betrachtet. Wir appellieren damit, stellen etwas fest oder drücken unsere Gefühle damit aus.

Sprache ist auch das Medium der Erzählung und eine Erzählung hat eine raumzeitliche Struktur. Das umfasst einen Anfang, eine Mitte und einen Schluss. In der Mitte kommt es in der Regel zu Komplikationen und am Ende steht eine Bewertung oder Schlussfolgerung.

Eine Erzählung findet in der Gegenwart statt. Sie bezieht sich dabei auf etwas in der Vergangenheit. Das ‚erzählende Ich‘ der Gegenwart berichtet von dem ‚erzählten Ich‘ der Vergangenheit. In einem gewissen Sinn rekonstruiert das erzählende Ich sich selbst durch die Erzählung.

Traumatische Erfahrungen können diese Rekonstruktion empfindlich stören, denn die Erzählung kann uns helfen Gefühle und Umstände in unser Selbstbild zu integrieren.

Durch das Erzählen erweitern wir unser Weltwissen und pflegen dabei auch noch unsere Beziehung zum Zuhörer. Die erzählte Geschichte kann zu einem Teil unserer Identität werden.

Erzählung und Identität

Was aber ist nun Identität? Die Identität wird nicht mehr einfach als ‚dieses Ding‘ betrachtet, das eindeutig für sich existiert. Vielmehr ist die aktuelle Perspektive darauf die, dass sie konstruiert werden muss. Diese Konstruktion besitzt mehrere Dimensionen, die je nach Situation verwendet werden kann.

Wenn Menschen in existenziell umwälzende Situationen geraten, z.B. eine Krebserkrankung, der Ausbruch einer Psychose oder die Entdeckung der eigenen Homosexualität, wird das die bisherige Identität erschüttern.

In so einem Fall bekommen Erzählungen ganz neue Aufgaben. Sie müssen es schaffen, das Fortbestehen der Identität zu sichern. Es braucht neue Erzählungen für die Übereinstimmung mit sich selbst. Sie können auch dazu dienen, Anerkennung und soziale Resonanz zu fordern und manchmal dienen sie auch der Selbstrechtfertigung. Gerade wenn Schuldgefühle eine Rolle spielen, wird es wichtig, sich mit der Schuld erzählerisch auseinanderzusetzen, um so seinen Selbstwert zu schützen und auch die Gelegenheit zur Selbstreflexion zu nutzen.

psychische Aspekte

Wir hören nun einige Beispiele von biografischen Erzählungen. Herr Scheidt weist uns auf die verschiedenen Funktionen der Erzählung in diesen Geschichten hin.

Schon die Art und Weise, wie die Geschichte erzählt wird, enthält Beziehungsbotschaften. Dafür werden hauptsächlich körpersprachlichen Mittel eingesetzt.

Wichtig für die ‚Identitätsarbeit‘ sind die Bilder bzw. die Vorstellungen von Bildern, die andere sich von einem machen. Hier vermischen sich bewusste und unbewusste Inhalte. Meine Vorstellung davon, wie ich gerne wäre, muss in Einklang mit dem Bild gebracht werden, das sich andere von mir machen. Und auch meine Annahmen darüber, wie andere mich sehen, muss mit dem versöhnt werden, wie andere mich tatsächlich sehen.

Diese Erwägungen sind nicht spannungsfrei. Wenn die Person allerdings über ein stabiles Selbstbild verfügt und sich auch vorstellen kann, dass der andere ebenfalls über ein eigenes Erleben verfügt (TOM), stehen die Chancen gut, dass dieser Prozess gelingen wird.

Ein weiterer Aspekt ist der Einfluss des Hörers auf die Geschichte. Dies ist besonders bei Paaren relevant, die üblicherweise über eine Co-Konstruktion ihrer Beziehung erschaffen haben.

Wissenschaftliche Zugänge

Es gibt natürlich auch Forschungsergebnisse über die Wirksamkeit von Erzählen. Die Hypothesen zur Wirkkraft sind:

  • Auflösen von Blockaden
  • Kognitives Durcharbeiten
  • Selbstregulation
  • Soziale Integration
  • Selbstdarstellung

Vermutlich werden es individuelle Mischverhältnisse dieser Prozesse sein, die im Einzelfall wirken. Das wird auch durch neurowissenschaftliche Studien bestärkt.

Die Gender Forschung hat herausgefunden, dass sich männliche von weiblichen Erzählstilen unterscheiden. Dies ist wohlgemerkt der sozialen Konstruktion zu verdanken und nicht den Genen. Männliche Erzählungen orientieren sich bevorzugt an Fakten und sie schlussfolgern am liebsten. Frauen orientieren sich eher an Emotionen, deshalb fragen sie nach und deuten das Gehörte.

Dieser Befund lässt sich mit den entwicklungspsychologischen Theorien von Jaques Lacan und Daniel Stern vergleichen. Der erstere nimmt an, dass das Baby sich in einem psychischen Chaos befindet. Der andere sieht die heranwachsende Ordnung als Motor des psychischen Erwachens.

Erzählen und Krankheit

Es gibt etliche psychische Krankheitsbilder, in denen die Erzählfähigkeit eingeschränkt oder gehemmt ist.

  • Identitätsstörungen
  • Affektive Störungen
  • Persönlichkeitsstörungen

Sprechen und erzählen kann hier zu einer wertvollen Intervention werden. Wenn es z.B. in der Therapie zu Störungen des Erzählflusses kommt, kann das auf eine psychische Belastung hinweisen. Ebenso das plötzliche Verstummen oder die Weigerung, schmerzhafte Erfahrungen zur Sprache zu bringen.

Hier besteht die therapeutische Aufgabe darin, Wege anzubieten, wie das Unsagbare doch noch ausgedrückt werden kann.

Ich fand Herrn Scheidt beeindruckend in seiner Ruhe und Klarheit. Ich habe die Dichte und Konsistenz des Vortrags sehr genossen.

Die Psychosomatik erkundet Stess

Bericht vom Psychosomatischen Dienstags-Kolloquium „Körper – Seele – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg vom 05.12.17
Von Markus Heinrichs , Univ.-Prof. Dr. rer. nat., Lehrstuhl für Biologische u. Differentielle Psychologie, Institut für Psychologie, Uni Freiburg
„Was stresst, was schützt?“ Neue psychobiologische Perspektiven von Sport bis Berührung

Stress ist nicht nur ein Phänomen von dem immer mehr Mitmenschen eingeholt werden, er ist auch medial ständig präsent, wird problematisiert und durchleuchtet. Dabei ist Stress an sich eine durchaus sinnvolle biologische Einrichtung. Er signalisiert, dass der Organismus von den Belastungen überfordert und nicht mehr im Gleichgewicht ist. Er stellt eine erhöhte Menge an Energie im Körper bereit und er kann in Bedrohungssituationen auf eine „automatische“ Reaktion zurückgreifen.

Zuviel Stress

Erst wenn die Stressquellen nicht mehr aufhören wollen zu sprudeln wird das zum Problem. Der Gedanke: „Noch ein bisschen mehr wird schon nicht schaden“ führt unweigerlich zunächst zu einem Höhepunkt an Leistungsfähigkeit, um sich dann zwangsläufig in sein Gegenteil zu verkehren. Die Fehler nehmen zu und damit die Unzufriedenheit. Die Stimmung wird gereizt, ärgerliche Gefühle nehmen zu. Am Ende der Entwicklung entstehen psychosomatische Beschwerden.
Nahezu 60% der deutschen Mitmenschen geben an, manchmal (37%) bis häufig (20%) gestresst zu sein – am häufigsten die Sandwich Generation, die zwischen 36 – 45 Jahre alt ist. Es lässt sich ein Stadt – Land Gefälle der Betroffenen ausmachen, denn auf dem Land ist das Risiko für Stressempfinden deutlich geringer.

Stressoren

Die stärksten Stressoren sind ansonsten: Zu viel Arbeit, Termindruck und Hetze sowie Störungen bei der Arbeit. Frauen haben öfter den Eindruck, dass Stress sie in ihrem Privatleben beeinträchtigt und der Zusammenhang von Stressempfinden und vermehrten Gesundheitsbeschwerden ist statistisch eindeutig. Zu diesen Gesundheitsbeschwerden gehören eindeutig auch psychische Erkrankungen wie die Depression, deren Auftreten sich zwischen 1997 und 2012 mehr als verdoppelt hat.
Als Beispiel für den eindrücklichen Zusammenbruch zitiert Herr Heinrichs den Fußballtrainer Ralf Rangnick, der massiv unter einer Stresserkrankung gelitten hat.
Dann wird das Auditorium über die „Vermessung“ des Stress informiert. Das ist möglich mit dem „Trierer Stresstest“, der ein standardisiertes Verfahren bietet, das sozialen und körperlichen Stress berechenbar macht. Nebenbei erfahren wir auch, dass es in Freiburg eine Ambulanz für stressbedingte Erkrankungen gibt. Dort gibt es eine Stress Diagnostik und ebenso therapeutische Angebote im Einzel- und Gruppensetting.  Außerdem wird an einem Internet-basierten Verfahren geforscht, das bereits sehr positiven Ergebnisse vorweisen kann.

Was hilft gegen Stress?

Der zweite Teil des Vortrags befasst sich mit der Frage: Was vor Stress schützen kann? Grundlegend sieht es so aus, dass Menschen einen gewissen Grad an Grundanspannung aufbauen. Wenn diese eher hoch ist und die alltäglichen Belastungen von Haushalt, Arbeit, Geldsorgen, Versorgung anderer etc. noch hinzukommen, kann es leicht geschehen, dass die Schwelle zu negativen Emotionen überschritten wird. Die Balance von Anstrengung und Erholung ist aus dem Lot und nun müssten neue Maßnahmen ergriffen werden, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Die Methoden der Wahl sind: Körperliche Fitness, Stressmanagement und positive soziale Interaktionen.
Erforscht ist z.B. der Effekt von Ausdauersport und das Ergebnis ist eindeutig. Sportlich fitte Menschen sind widerstandsfähiger als weniger fitte.
Stressmanagement wird von Herrn Heinrichs und seinem Team mit dem Internetangebot „iCope“ erforscht. Dieses bietet ein sechswöchiges Programm an, für das die Nutzer*innen einiges tun müssen. Wenn sie es dann getan haben, schneiden sie in allen Belangen der Stressmessung deutlich besser ab als Menschen, die z.B. nur Entspannungsübungen oder gar nichts gemacht haben.

Der Superschutz gegen Stress

Der kraftvollste Schutzfaktor gegen Stress (und alle anderen Krankheiten) ist allerdings die positive soziale Interaktion. Hier kommt nun das Hormon „Oxytocin“ ins Spiel. Es aktiviert unter anderem das Belohnungszentrum im Gehirn und beruhigt die Angstreaktion.
Seit das bekannt geworden ist, wird Oxytocin als Nasenspray eingesetzt. Seine Wirkung ist gut messbar, aber es ist kein Allheilmittel, das z. B. soziale Interaktion ersetzen könnte. Immerhin erleichtert es die Anbahnung von sozialen Kontakten.
Die Schutzkraft sozialer Kontakte wurde natürlich auch schon erforscht, ebenfalls mit Hilfe des Trierer Stresstests. Dieser wurde an Probanden ohne vorherige Begleitung, mit Begleitung durch einen fremden Menschen und mit Begleitung des Lebenspartners durchgeführt. Das verblüffende Ergebnis: Männer profitieren maximal davon, wenn sie von ihrer Frau vorbereitet werden – bei Frauen hingegen erhöht sich der Stress bei diesem Setting maximal. Das Beste, was Männer für ihre Frauen tun können ist: Schweigen und ihr den Nacken und die Schultern massieren.
Es folgt noch ein kurzer Ausflug zum Thema Oxytocin und Autismus Forschung, in der sich zwar ein Effekt feststellen lässt, aber kein Durchbruch in Sicht ist.

Schlussfolgerungen und offene Fragen

Zum Abschluss räumt Herr Heinrichs ein, dass die Verhaltenstherapie bislang noch wenig auf den Körper geschaut hat und dass die Schulmedizin in weiten Teilen noch nicht das seelische Empfinden mit berücksichtigt. Auch er plädiert für das „bio-psycho-soziale Modell“, das einfach besser abbilden kann, wie Krankheit entsteht und was Gesundheit unterstützt.
Der Beifall für Herrn Heinrichs ist ausgiebig.
Die Frage, die mir offen blieb war, ob es nicht problematisch werden kann, wenn die Menschen sich an immer stressigere berufliche Situationen anpassen müssen, oder ob der Gedanken daran, den Stress am Arbeitsplatz zu verringern nicht auch einen Gedanken wert wäre. Aber das ist wohl nicht das Terrain von Psychotherapeuten und Ärzten.