Professionalität von Körperpsychotherapie

Die Situation der Körperpsychotherapie

Methoden und Schulen der Körperpsychotherapie bzw. der Körperorientierten Psychotherapie sind in vielen Ländern Europas und der Welt ein Bestandteil der psychotherapeutischen Grundversorgung. In Deutschland führen sie noch ein Nischendasein. Dem deutschen Fachverband ist es bisher nicht gelungen, die Zulassungsbehörden davon zu überzeugen, dass die KPT eine wissenschaftlich fundierte und wirkungsvolle Methode ist. Manchmal endet die wissenschaftliche Erkenntnis offenbar an einer Landesgrenze.

EABP und DGK

Die EABP – „Europäische Assoziation für Körperpsychotherapie“ ist ein Dachverband verschiedener nationaler Fachverbände für KPT. Für Deutschland ist das die DGK – „Deutsche Gesellschaft für Körperpsychotherapie“. Innerhalb des Dachverbandes sind verschiedene Ausbildungsinstitute versammelt, die den anspruchsvollen Kriterien der EABP genügen.

Ziele der EABP

Die EABP ist ihrerseits Mitglied der EAP – „Europäische Assoziation für Psychotherapie“. Die EAP umfasst auch nahezu alle anderen psychotherapeutischen Methoden und strebt danach, dass die Psychotherapie ein eigenständiges und spezifisches Berufsbild wird. Das heißt, dass Medizin oder Psychologie zunächst keine Befähigung zur Psychotherapie vermitteln, sondern dass es dazu einer speziellen psychotherapeutischen Ausbildung bedarf. Die EAP hat dazu Ausbildungsrichtlinien verfasst.

Zertifikat

Die Fachverbände bieten Richtlinien für die Ausbildung, Berufsausübung und Berufsethik ihrer Mitglieder. Sie organisieren Fachtagungen und Konferenzen und vertreten ihre Mitlieder gegenüber Zulassungsbehörden. Weiter stehen sie auch als Vermittler bei möglichen Konflikten zur Verfügung. Turnusmäßig zertifizieren sie ihren Mitgliedern, dass diese den professionellen Richtlinien des Verbands gerecht werden.

Psychotherapie für Freiberufler und Studenten

Für wen kann es sinnvoll sein, seine Psychotherapie selbst zu bezahlen? Freiberufler*innen und Selbstständige unterliegen oft besonderen beruflichen Belastungen. Zeitaufwand und Einsatz lassen sich nicht gut planen und der Beruf dringt mitunter tief in die Privatsphäre ein. Diese Belastung kann, besonders bei Rückschlägen oder ausbleibendem Erfolg, zu schwierigen Gemütslagen führen, die sich evtl. zu einer depressiven Verstimmung vertiefen.
Alle Statistiken weisen darauf hin, dass Depressionen, das Burn-out Syndrom und andere psychische Erkrankungen ein ständig anwachsendes Phänomen darstellen. Dadurch ist die Grundversorgung durch Psychotherapeut*innen in einigen städtischen Räumen nur noch notdürftig und z. T. nur mit erheblichen Wartezeiten gewährleistet.

Privat versichert – ein Vorteil?


Selbstständige und Freiberufler*innen sind häufig privat krankenversichert. Das heißt zunächst, dass sie es leichter haben, einen freien Therapieplatz zu bekommen. Was allerdings die wenigsten wissen, ist, dass damit auch ein gewisses Zukunftsrisiko verbunden ist. Dieses besteht darin, dass sie bei einem Kassenwechsel entweder von der neuen Kasse gar nicht mehr aufgenommen werden oder einen erheblichen Risikozuschlag dafür bezahlen müssten. Eine kassenbezahlte Psychotherapie ist in der Krankenakte niedergelegt.
Es erscheint ein wenig verrückt – Menschen, die sich um ihre Gesundheit kümmern, werden von den Krankenkassen dafür bestraft! Auch wenn erwiesen ist, dass Menschen, die erfolgreich eine Psychotherapie abgeschlossen haben, eine messbar gesündere und zufriedenere Zukunft vor sich haben.

Diese Problematik kann natürlich auch Student*innen betreffen, für die noch ein weiteres Risiko problematisch werden kann. Falls sie nämlich eine Beamt*innen Laufbahn einschlagen möchten, habe sie nach einer „Kassentherapie“ damit evtl. Probleme.

Psychotherapie als Makel

Die Entscheidung, sich auf eine Psychotherapie einzulassen, fällt wohl den wenigsten Menschen leicht. Immer noch sind seelische Erkrankungen mit zahlreichen Vorurteilen und Ängsten belastet. Viele Betroffene versuchen es ohne Therapie und riskieren dabei Zusatzbelastungen wie Alkohol-, Sport-, Spiel- Sex- oder Medikamentensucht. Das Leiden vertieft sich und der Weg in eine Therapie erscheint immer schwieriger. Die allerwenigsten psychischen Erkrankungen erledigen sich aber von selbst.
Wenn sich ein Mensch nach vielen inneren Kämpfen dann doch zu einer Therapie entschließt, sucht er/sie natürlich zunächst die dafür zuständigen Institutionen auf – Ärzt*innen, Kliniken, Psychiater*innen, Psychologische Psychotherapeut*innen. Hier wissen wenige Betroffene, dass es auch alternative Angebote gibt. Es gibt zahlreiche hochprofessionelle Psychotherapeut*innen, die auch in Berufsorganisationen gelistet sind, die aber keine Kassenzulassung besitzen.

Wer macht Psychotherapie ohne Kassenzulassung?

Der Grund dafür ist das deutsche Psychotherapiegesetz, das nur ganz bestimmte Methoden als wissenschaftlich anerkennt, für die die Kassen auch bereit sind zu bezahlen. Die wissenschaftliche Anerkennung endet an der Landesgrenze und zahlreiche Methoden sind in anderen Ländern durchaus wissenschaftlich anerkannt und besitzen dort sogar eine Kassenzulassung.
Ebenfalls wenig bekannt ist der Umstand, dass Psychotherapien unabhängig vom angewandten Verfahren wirksam sind. Es gibt nach dem derzeitigen Stand der Psychotherapieforschung keine messbaren Unterschiede zwischen kassenanerkannten und nicht anerkannten Therapiemethoden.
Es sprechen also gute Gründe dafür, eine selbst bezahlte Psychotherapie in Erwägung zu ziehen.


• Die Wartezeit auf einen Therapieplatz ist in der Regel kurz
• Die Auswahl an möglichen Therapeut*innen ist sehr viel größer
• Die Behandlung wird nicht in die offizielle Krankengeschichte aufgenommen

Wie gesagt, die Qualität der Therapie ist gleichwertig, falls der/die Therapeut*in Mitglied eines Fachverbandes ist, der auf geregelte und umfangreiche Ausbildung und Supervision achtet.
Der finanzielle Aufwand einer PT ist nicht unerheblich, aber auf keinen Fall unermesslich. Eine gelungene Psychotherapie ist ihr Geld unbedingt wert, denn wenn die Seele leidet, ist das Leben allzu schwer.

Ein Körper in der Psychotherapie?

Körperorientierte Psychotherapie kann auf eine recht lange Geschichte zurückblicken. In ihrer modernen Form schlug sie als „Seitentrieb“ der Psychoanalyse aus. Dies geschah bereits in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Von da an verzweigte sie sich dann rasch in verschiedene Seitenäste, die großteils noch heute Bestand haben.

Die wilden Anfangsjahre

In den wilden Achtundsechzigern erfreuten sich die energetischen Übungen und die Betonung des emotionalen Ausdrucks besonders großer Beliebtheit. Dies richtete sich auch und gerade gegen die als patriarchal und autoritär angesehene Psychoanalyse.Danach beruhigte sich die „Körperszene“ etwas und etliche einzelne Schulen begannen sich als „quasi hermetische Verfahren“ gegeneinander abzugrenzen. Ein Umstand, der die ohnehin geringe Anerkennung durch den psychotherapeutischen Mainstream noch vertiefte.Die Hypothesen und Modelle der meisten Schulen beriefen sich auf klinische Erfahrungen, Einzelfallstudien und tiefenpsychologische Theorien. Diese wurden oft angereichert um energetische Vorstellungen aus der indischen Tradition. Das lag an der Energie Metapher, die mit der KPT kompatibel erschienen. Leider klang (und klingt) das einfach wenig seriös.

Neue Entwicklungen

Erst als gegen Ende des letzten Jahrhunderts aus den Einsichten, die aus der Baby- und Kleinkindforschung und der Bindungstheorie gewonnen wurden, als auch verschiedene neue neurologische Kenntnisse erreicht wurden, gewann die KPT wieder etwas mehr Renommee. Auch die verschiedenen Schulen hatten sich wieder einander zugewandt und tauschten sich mehr über ihre Erkenntnisse, Techniken und Prinzipien aus. In Deutschland gründete sich die „Deutsche Gesellschaft für Körperpsychotherapie“.

Ohne Körper keine Psyche


Was hat es nun auf sich mit dem Körper in der Psychotherapie? Zunächst einmal gilt es festzustellen, dass wir so etwas wie psychisches Erleben ohne einen Körper gar nicht haben könnten. Die körperliche Existenz und deren reale biologischen Prozesse stellen die Grundlage von allen höheren Funktionen der Psyche dar. Das gilt gleichermaßen für die sog. normalen/gesunden bist zu den sog. kranken Erscheinungen.
Der ganze Prozess der psychischen Funktionen, einschließlich der „bewusst“ genannten, ist immer ein Dreiklang von körperlicher Organisation, emotionaler Bewertung und kognitiver Benennung. Man könnte auch sagen, dass, wenn zwischen diesen drei Aspekten ein Missklang entsteht, so etwas wie ein Symptom beobachtbar ist, bzw. erlebt wird.
Die Geschichte dieser psychischen Organisation ist die Biografie eines Menschen und zwar ab dem Beginn der körperlichen Existenz. Bereits im Mutterleib und noch mehr in der vorsprachlichen Zeit der Bindungsprägung sprießen die zarten Wurzeln dessen, was wir später psychisches Erleben nennen, die Grundlagen unseres Selbst- und Welterlebens. Das ist die Geschichte, die wir uns und anderen darüber erzählen, wer und wie wir sind. Auf diesen Grundlagen verläuft der Weg, der weiteren Entwicklungs- und Reifungsschritte bis zum Erwachsen-Sein.

Besondere Qualität der KPT


Es hat sich herausgestellt, dass zahlreiche Hypothesen der „älteren“ KPT zutreffend sind und sich heute empirisch gut belegen lassen.
Die ersten Stufen der psychischen Entwicklung sind vorsprachlich, aber in Handlungs- und Beziehungsroutinen durchaus noch erreichbar. Genau hier liegen die besonderen Möglichkeiten von körperorientierter Psychotherapie. Mit ihnen kann das Erleben und die Erfahrungen dieser Zeit erreicht werden und in der therapeutischen Beziehung, können neue Lernerfahrungen entstehen.
Dadurch wird die KPT nicht zur „Wundermethode“. Was sie zur Verfügung stellen kann, ist ein tiefes Verständnis der vorsprachlichen Entwicklungen. Diese sind häufig ein Anlass für spätere Störungen. Allerdings haben die Betroffenen bereits ihren Umgang damit gefunden und das alleinige Wissen um z.B. einen beeinträchtigten Berührungsdialog führt noch nicht automatisch zu einer Verbesserung des Befindens.
Deshalb sind die Verfahren der Körperpsychotherapie in aller Regel Langzeittherapien. Auch damit entsprechen sie dem Stand der aktuellen Psychotherapieforschung, die unter anderem zur Erkenntnis gekommen ist, dass die Rückfallquote von kürzeren Therapien enorm hoch ist.


Eine Körperorientierte Psychotherapie ist also besonders dann geeignet, wenn Betroffene mit rein sprachlichen Methoden nicht weiterkommen. Wenn das Gefühl vorherrscht, mit dem eigenen Körper nicht zurechtzukommen. Wenn es keine Wahrnehmung der Körpersignale gibt oder diese nicht verwertbar erscheinen. KPT kann die Verbindungen zwischen Empfindungen, Gefühlen und Bewusstsein unterstützten und die biografischen Erfahrungen zu einer stimmigen Geschichte des Selbst integrieren.

Mehr zum Thema gibt es hier und hier

Dimensionen der Selbstwahrnehmung in der Körperpsychotherapie

Selbstwahrnehmung als Mittel der Körperpsychotherapie

Eugene Gendlin, der Begründer des „Focussing“ hat erforscht, welche Merkmale Patienten aufweisen, die von einer Psychotherapie profitieren konnten. Sein Ergebnis war, dass es Menschen waren, die ihre Körpersignale differenziert wahrnehmen und für sich verwenden können. Damit lenkte er die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Psychotherapie auf die Selbstwahrnehmung, insbesondere auf die des Körpers.

Körperwahrnehmung und Ich-Struktur

Heute ist die Selbstwahrnehmung ein Aspekt (von sechs) der sogenannten „Ich-Struktur“, die im Diagnosemanual der „Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik“ (OPD) verwendet wird. Die sog. „Struktur Achse“ im OPD wurde maßgeblich von Gerd Rudolf mitentwickelt. Er definiert (Ich)Struktur so: „Struktur ist definiert als die Verfügbarkeit über psychische Funktionen, welche für die Organisation des Selbst und seine Beziehungen zu den inneren und äußeren Objekten erforderlich sind.“
Das Selbst versteht sich hier als das „Ich“, welches sich selbst betrachtet, selbst wahrnimmt und bewertet, und so zum „Selbst“ wird. Das „Ich“ wiederum kann als zentrale Organisation des psychischen Erlebens verstanden werden, das sich auch nach außen orientiert und handelt.

Damit erweitert sich die Selbstwahrnehmung über die Körperlichkeit hinaus. Es geht um die Fähigkeiten zur Selbstreflexion, zur Schaffung eines Selbstbilds, dem Aufrechterhalten einer Identität, um die Fähigkeit der Gefühlsunterscheidung und um das Körperselbst.

Die Körperpsychotherapie folgt schon lange der Spur von Freuds Ausspruch: „Das Ich ist in erster Linie ein körperliches.“ Die KPT verfolgte diese Spur bis in die frühen Entwicklungsphasen des Ichs sogar bis in die vorgeburtliche Zeit zurück. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie sich die Körperstruktur in den Beziehungserfahrungen entwickelt und welche charakteristischen psychischen Merkmale daraus entstehen.

Entwicklung der Körperlichkeit

Dieses Vorgehen wurde auch in der Theorie der Strukturentwicklung gewählt. Die Bedürfnissituation des Kindes ist bei Rudolf – Nähe und Kommunikation während der ersten drei Lebensmonate (nachgeburtlich), Bindung während des ersten und zweiten Lebensjahres, Autonomie im dritten und vierten Lebensjahr, und Identität während des fünften und sechsten Lebensjahres.

Kinder machen während ihres Heranwachsens Erfahrungen mit ihren Eltern. Ihre Bedürfnisse nach Nähe und Kommunikation, nach Bindung, Autonomie und Identität werden mehr oder weniger passend beantwortet. Den Kindern bleibt keine andere Wahl, als sich an diese Angebote anzupassen. Abgesehen von genetischen Anlagen formen diese Erfahrungen die Ich-Struktur, bzw. die strukturellen Fähigkeiten.

Frustrierte Bedürfnisse fühlen sich frustrierend an – schmerzlich, ärgerlich, traurig usf. Da die Bedürfnisse nicht benannt werden können, ist es schwierig, sie einzufordern. Da die Eltern die Bedürfnisse nicht erkennen, werden sie auf die geäußerten Gefühle mit Unverständnis reagieren, was die Frustration noch erhöht. Den meisten Kindern bleibt keine andere Wahl, als ihre Gefühle zu verstecken und zu lernen, sie zu ignorieren. Damit schränken sie allerdings ihre Selbstwahrnehmung erheblich ein.

Der Preis der Abwehrmanöver

Dass abgewehrte Gefühle, ja Abwehrmechanismen überhaupt, auch einen körperlichen Aspekt besitzen hat schon Wilhelm Reich aufgedeckt. Diese körperlichen Möglichkeiten sind vegetativ und/oder muskulär, teils autonom und teils willentlich. Als erfolgreiche Möglichkeit, sich der schlechten Gefühle zu entledigen, werden sie in das Selbstsystem fest eingebaut. Sie werden zur Gewohnheit, zur Routine und erscheinen im Lauf der Zeit als charakteristisch für die Person.

Jeder dieser körperlichen Aspekte der Abwehr hat auch emotionale und mentale Aspekte. Die Gefühle werden in diesem Bereich unklar, undifferenziert oder unangemessen – sie können nicht mehr handlungsleitend sein. Zu vielen dieser Aspekte gibt es Skriptsätze, Überzeugungen, die erklären, warum dieser Umgang mit einer Situation der einzig richtige sein muss.

Therapeutische Möglichkeiten der KPT

Die KPT hat mehrere Möglichkeiten entwickelt, wie sich ein Zugang zu neuen Körpererfahrungen herstellen lässt, bzw. wie mit Hilfe des Körperselbst die anderen Aspekte der Ich-Struktur gestärkt werden können.

Körperreisen führen die Aufmerksamkeit in verschiedene Körperbereiche. Beginnend mit Körperzonen – die Arme, die Brust, die Beine etc. lassen sich diese Reisen nach und nach vertiefen und differenzieren – der Beugemuskel des Arms, das Ellbogengelenk, die Rippen etc. Es ist sogar möglich mit der Achtsamkeit verschiedene Gewebe zu unterscheiden – Muskeln, Gefäße, Nerven, Knochen usw.

Angeleitete Bewegungen achtsam begleiten. Hier bekommen Klient*innen z.B. die Anweisung, ihre Hand zur Faust zu ballen und diese wieder zu lösen. Die verschiedenen Qualitäten von Anspannung und Entspannung, Beugung und Streckung, Schließung und Öffnung, Aktivität und Passivität sowie die Pulsation lassen sich auf sehr viele Kontexte ausweiten.

Berührungen vermitteln Körperempfindungen im Kontakt. So können Kontakt Qualitäten von Intensität, Geschwindigkeit, Richtung, Rhythmik erfahren und erforscht werden.
Interaktionen wie Tauziehen, Rücken an Rücken gegeneinander schieben, halten oder gehalten werden u.v.m. bringen Erfahrungen von Kraft in Kontakt, Erlebnisse von mitmenschlichem Halt und Zuverlässigkeit.

Behandlungen verschiedenster Art vermitteln neben der spezifischen Behandlungsabsicht die Erfahrung von einfühlsamer mitmenschlicher Interaktion.

Im Austausch über die Erfahrungen lassen sich Stimmungen und Gefühle identifizieren, die das Selbstbild der Klient*innen bereichern und nuancenreicher machen. Die Verbindung von aktiver Bewegung mit Emotionen unterstützt die differenzierte Wahrnehmung der Gefühle. Das Gespräch unterstützt auch die Reflexionsfähigkeiten und erweitert sie sogar. Alle diese Aspekte unterstützen auch den therapeutischen Prozess im Ganzen, der zu einer klareren Identität führt.

Kriegsenkel

Kriegsenkel

– oder der lange Schatten des großen Kriegs

Nicht wenige Autoren betrachten den Verlauf des letzten Jahrhunderts als die Zeit eines „Großen Kriegs“. Beginnend mit dem ersten Weltkrieg 1914 und endend erst mit der Auflösung der Sowjetunion 1989. Das wären 75 Jahre Krieg gewesen, ein dreiviertel des letzten Jahrhunderts mit Abermillionen Toten und beispiellosen Verbrechen. Zurück blieben die Überlebenden und Nachfahren von Tätern, Mitläufern und Opfern sowohl auf Sieger- als auch auf Verliererseite.
Dass in Kriegen traumatische Erfahrungen gemacht werden können, die lange nachwirken, ist spätestens seit dem Vietnamkrieg belegt. Dass traumatische Erfahrungen auch auf die Folgegenerationen wirken können, erschien als These immer plausibel, inzwischen gilt auch dieser Umstand als gesichert.
Deutsche Kriegskinder und –Enkel müssen nicht nur mit ihren persönlichen Traumen und Verlusten leben, sondern auch mit der Scham des Verlierers und der kollektiven Schuld an den Verbrechen des Nazi Regimes. Was zählt schon das familiäre oder persönliche Leid angesichts dieser Ungeheuerlichkeiten?

Die Traumen der Kriegskinder

Aus der Perspektive des „Großen Kriegs“ waren die Kriegskinder von heute wohl nicht selten ebenfalls schon Kriegsenkel. Ihre Eltern hatten z. T. schon den ersten Weltkrieg als Kinder erleben müssen. Und auch falls das nicht der Fall war, gab es schon vor dem Faschismus eine „Schwarze Pädagogik“, die darauf ausgerichtet war, den Willen der Kinder zu brechen, um sie zu gehorsamen Wesen zuzurichten.
Auch diejenigen Kriegskinder, die diese Vorbelastung nicht trugen, wurden von faschistischen Erziehungsidealen berührt, erlebten Verluste, mussten fliehen, erlebten sexuelle Gewalt, wurden ausgebombt, standen hungrig und frierend in den Trümmern ihrer Heimat oder hatten ihre Heimat ganz verloren.
Dazu mussten sie lernen anzuerkennen, dass Deutschland nicht nur den Krieg verloren, sondern auch noch ein Jahrtausendverbrechen verübt hatte. Diese Ausgangssituation ließ wenig Entwicklungsspielraum zu. Befindlichkeiten durften keine Rolle spielen angesichts der alltäglichen Herausforderungen des Weiterlebens nach dem Krieg. In großem Umfang mussten die Verletzungen, Verluste und Traumen verdrängt, verleugnet und abgespalten werden.
Nicht erst mit dem Beginn des Wirtschaftswunders wurden die Schrecken der Kindheit mit Arbeit zugedeckt. Aber ab den fünfziger Jahren stand zusätzlich noch der Konsum als Pflaster zur Verfügung. Die Zeit des Mangels hatte ein Ende und der fromme Wunsch, dass damit die Vergangenheit vorbei sei, war weit verbreitet. In der wachsenden Sicherheit wurden viele Familien gegründet, in denen bald auch Kinder zur Welt kamen.

Die Kindheit der Kriegsenkel

Die allermeisten jungen Eltern wollten sicher das Beste für ihre Kinder. Leider wussten damals viele junge Eltern nicht, wie das zu vermitteln gewesen wäre. Die Variationen von Eltern-Kind Beziehungen sind unüberschaubar. Aber einige typische Rahmen Geschichten lassen sich skizzieren.

Traumatische Belastungsstörung

Ein (oder beide) Elternteile leidet unter einer (in der Regel unentdeckten) Posttraumatischen Belastungsstörung. Sie können die körperliche Versorgung hinreichend bis gut leisten, die emotionale Versorgung ist hingegen eher problematisch. Körperliche Nähe und Schutz zu bieten fällt solchen Eltern schwer. Trost spenden, Ermutigungen aussprechen, mit Ärger und Trotz des Kindes umgehen zu können sind Interaktionen, die entweder eingefroren sind oder niemals selbst erfahren wurden.
Das Kind beobachtet sonderbares Verhalten, geistige Abwesenheit, emotionale Leere oder überbordende Emotionen bis hin zu Gewaltausbrüchen. Die Fähigkeit zu emotionaler Resonanz ist zumindest eingeschränkt, und nicht selten kommt noch eine Alkohol- oder sonstige Abhängigkeit ins Spiel.
Viele Betroffene sind nicht in der Lage, ihren Kindern Halt oder Orientierung zu vermitteln.
Wenn das ältere Kind die Vergangenheit anspricht, bekommt es entweder gar keine Antwort, die immer selben Geschichten oder einen völlig emotionslos vorgetragenen Bericht.
Die Kinder finden häufig die Lösung darin, sich selbst für das Geschehen schuldig zu fühlen. Ebenfalls recht häufig beginnen sie ihre Eltern zu beeltern, übernehmen Verantwortung nicht nur für den Haushalt, sondern sogar für die Stimmungen der Eltern oder des Elternteils. Dies ist ggfls. die Wiederholung des Elternschicksals – keine angemessene Kindheit durchleben zu können.

Gering integrierte Ich-Struktur

Ein (oder beide) Elternteile haben teilweise gering integrierte Ich-Strukturen. Ich-Strukturen werden wesentlich während der ersten sechs Lebensjahre ausgebildet. Dazu zählen die Fähigkeiten zur Selbstwahrnehmung und Selbststeuerung, die Fähigkeit andere Menschen mit ihren Eigenheiten und Bedürfnissen wahrzunehmen, die Fähigkeiten zu kommunizieren, das psychische Gleichgewicht aufrecht erhalten zu können und die Fähigkeiten zur Bindung.
Auch wenn die Ich-Strukturen brüchig sind, gelingt den Betroffenen meist mit der Zeit eine Art von Organisation. Diese Organisation hat die Eigenart, dass sie sehr rigide erscheint, keine Abweichung von einem Sollwert tolerieren kann, einiges aus der Wahrnehmung ausschließt und als einzige Möglichkeit überhaupt zählt, wie das Leben zu bewältigen sei. Je nach Ausprägung sind die Eltern nicht oder nur schwer dazu in der Lage, ihren Kindern ein Beziehungsangebot zu machen, das die Entwicklung von Ich-Strukturen fördern würde.
Je nach Strukturbereich fühlen sich die Kinder unsicher im eigenen Körper, können z.B. seine Freuden nicht genießen; haben Schwierigkeiten damit, andere Meinungen und Ansichten wahrzunehmen und gelten zu lassen; weiter fällt die Impulskontrolle schwer und/oder sie können sich nur schwer selbst beruhigen; häufig fällt es schwer, Beziehungen und Bindungen einzugehen; und sich angemessen kommunikativ zu verhalten. Begleitet ist dieses Selbsterleben häufig mit einem mehr oder weniger subtilen Schuldgefühl oder gar der Hypothese, kein Recht zur Existenz zu besitzen.
Solche Einschränkungen schlagen auf den Selbstwert, auf die Selbstwirksamkeit und damit auf die Lebensqualität durch. Als Jugendliche fühlen viele sich einsam und fremd auf der Welt, haben vielleicht den Eindruck auf dem falschen Planeten geboren zu sein. Die Suche nach einer passenden Identität kann sich schwierig gestalten.

Großeltern als Täter*innen

Die Großeltern oder Familienangehörigen waren NS Täter*innen oder haben mit dem System sympathisiert. Die Eltern sind meist unbewusst in die Schuld und Scham der Großeltern verstrickt. Es gibt einen niemals benannten und doch immer fühlbaren Bereich eines Tabus. Was versteckt wurde soll für immer verborgen bleiben, auch nicht durch Kinder oder Kindeskinder ausgeplaudert werden. In dieser Konstellation gerät das Leben zur Fassade. Alle sollen glücklich aussehen, Gutes tun und niemals die Beherrschung verlieren.
So eine Atmosphäre ist eine große Herausforderung für ein heranwachsendes Kind. Es erlebt häufig eine Dissonanz zwischen seiner Wahrnehmung einer Situation und deren Erklärung durch die Eltern. Nichts scheint so zu sein, wie es sich anfühlt. Besonders Gefühlswertungen werden maskiert, wegrationalisiert und ein häufiger Satz lautet: „Das bildest Du Dir nur ein.“ Die Enkel haben kaum eine Wahl, sie müssen sich auf diese Welterklärungen einstellen und allmählich gewöhnen sie sich auch daran und höchstens ein subtiles Unbehagen bleibt erhalten.

Großeltern als Opfer

Großeltern oder Familienangehörige gehören zu den Opfern des NS-Regimes. Diese Konstellation kann ebenfalls in ein Tabu Szenario führen. Ein anderer möglicher Weg liegt darin, den Kindern, bzw. Enkeln den Auftrag zu erteilen, für Gerechtigkeit zu sorgen. Kampf um die Anerkennung des erlittenen Unrechts, evtl. Entschädigung und Wiedergutmachung zu fordern bis dahin Rache zu üben. Diese Aufträge werden zu einem so frühen Zeitpunkt des Lebens empfangen, dass sie einerseits nicht abgelehnt werden können und andererseits eine absolute Überforderung darstellen.
Der unmöglich zu erreichende Erfolg führt in Richtung Überforderung und Minderwertigkeitsgefühl. Egal was erreicht wird, es ist nie genug und daran fühlen sich die Betroffenen schuldig.

Rebellion oder Anpassung

Wie gingen die Kriegsenkel mit ihrer Situation um? Auch hier sind die Möglichkeiten zahlreich und unüberschaubar, aber auf eine Achse zwischen Unterwerfung, Kapitulation und Anpassung zu Widerstand, Trotz und Rebellion lassen sich wohl viele der Lösungen unterbringen. Beide Richtungen bewirken Verdienste und kosten einen Preis. Die Anpassung sorgt für Ruhe, unterwirft sich der herrschenden Strömung und kann mit wenig Aufwand im Strom mitschwimmen und erfolgreich sein. Der Preis dafür mag in der Aufgabe des eigenen Impulses liegen, im Verzicht darauf, eine eigene Position zu entwickeln und einen eigenen Sinn zu finden.
Diesen Eigensinn bewahren die Rebellen. Der Preis, den Rebell*innen zu zahlen gewärtig sein müssen, ist, dass es schwierig wird, sich in soziale Strukturen einzubringen, mit Autoritäten zurechtzukommen, sich in übergeordnete Sinnstrukturen einzubringen und es womöglich schwer damit haben, im sozialen Feld erfolgreich zu sein.

Was bringt eine Gesprächsgruppe?

Kriegsenkel sind aktuell zwischen fünfzig und fünfundsechzig Jahre alt. Sie haben ihre Leben bis hierher gemeistert, haben Berufe erlernt und üben sie noch aus, haben Beziehungen geführt und führen sie noch immer, Kinder wurden groß gezogen und die großen und kleinen Dramen eines Menschenlebens wurden kennengelernt.
Manche von ihnen kennen ungute Gefühle, kennen Situationen, die sie mit aller Kraft vermeiden wollen, kennen vielleicht auch Orte von Schmerz, von Unsicherheit, Angst, Scham oder Hass. In der Regel Gefühle, die nur oberflächlich erklärt werden können. Andere kennen auch hartnäckigere Störungen der Befindlichkeit, die in ihrer Ausprägung verschieden sein können, aber einen wiederkehrenden Charakter aufweisen.
Ein Grund dafür können die oben geschilderten Belastungen sein. Die Probleme, die in der Kindheit aufgenommen wurden, wurden immer nur abgewehrt und verdrängt, aber niemals bewusst gemacht und bearbeitet. Nicht selten gibt es so etwas wie ein Sprechverbot für schwierige Themen – nicht sprechen dürfen wird zu nicht sprechen können über das, was belastet. Die Erfahrung von kommunikativer Leere und emotionalem Vakuum sind wohl typisch für Kriegsenkelgeschichten.
Eine Gruppe bietet einen speziellen, geschützten Raum zum Sprechen an. Eine Gesprächsgruppe bietet eine Gelegenheit, der Sprachlosigkeit zu entrinnen, die Möglichkeit die eigene Geschichte erzählend kennenzulernen, und die fehlenden oder unklaren Teile davon zu identifizieren und auf diese Art Kohärenz und Verständnis für sich zu finden.

Wozu therapeutische Begleitung?

Betroffene Kriegsenkel*innen fühlen sich teilweise sehr verletzlich und je nach Geschichte können die mit ihr verbundenen Gefühle sehr heftig sein. Eine therapeutische Begleitung strukturiert und moderiert die Begegnung so, dass sie Schutz und Halt bieten kann.
Ein therapeutischer Blick kann auch dabei helfen, Verbindungen zu entdecken, Zusammenhänge zu sehen, die dem Erleben einen neuen Sinn geben, und so auch neue Handlungsmöglichkeiten entdecken können.