Psychische Krankheit und Therapie

Psychische Krankheit ist etwas, das die wenigsten Menschen als wünschenswert erachten, denn ihr haftet immer noch ein gewisses Vorurteil an. Wer möchte schon als „Gaga“ oder „verrückt“ gelten?
Dabei können derzeit (Jan. 22) 26 % der Bevölkerung depressive Symptome vorweisen. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe seines Lebens eine Angsterkrankung zu entwickeln, liegt bei 25 %. Jährlich erkranken etwa 27,8 % der Bevölkerung, von denen aber nur 18,9 % eine Therapie aufsuchen. Das liegt wohl auch mit daran, dass so manche Betroffene ihre Erkrankung gar nicht bemerken. Sie schieben ihre ungute Befindlichkeit auf die die Tagesform, denken sich, dass es schon vorübergehen wird oder wollen sich nicht so anstellen.
Ein weiterer Aspekt, der psychische Krankheiten sehr unheimlich erscheinen lässt, ist, dass sie so irrational erscheinen. Eine Depression oder eine Angststörung entzieht sich einer vernünftigen Erklärung. Der Verstand weiß es eigentlich besser- „Ich müsste nicht so antriebslos oder ängstlich sein, denn es gibt keinen Grund dafür.“ Aber trotzdem finden die Betroffenen dadurch keinen Ausweg aus ihrem Zustand.
Die „psychische Erkrankung“ ist ein relativ modernes Phänomen. Im Zuge der Aufklärung hat sich ein objektivierendes Verhältnis zwischen Menschen und Erscheinungen herausgebildet. Die Erscheinungen der Welt sollen alle kausal erklärbar werden, erst dann gelten sie als objektiv. Für den Fall des psychischen Erlebens ist das nun eine unmögliche Forderung, denn psychisches Erleben ist Subjektivität in Reinform. Daraus rührt auch das Dilemma der Psychotherapieforschung. Das, was als Goldstandard der Wissenschaft gilt, die sog. „randomisierte Doppel-Blind-Studie“, ist für psychische Krankheiten undurchführbar. So kann diese Wissenschaft nur von beschreibenden Diagnosen ausgehen und beobachten, wie sich durch die Psychotherapie die Situation verändert. Es ist kaum möglich, kausale Wirkfaktoren zu identifizieren, allenfalls die Erfolgsquote kann herangezogen werden.

Psychotherapieforschung

Immerhin hat die Psychotherapieforschung herausgefunden, dass Psychotherapie wirken kann. Es gibt inzwischen auch gute Hinweise auf begünstigende Faktoren, von denen einige als Schulen spezifisch gelten und andere als unspezifisch. Zu den unspezifischen Faktoren zählen die „Therapeutische Allianz“ und in weiteren Sinn die Qualität der Beziehung. Die Art bzw. die Schule der Psychotherapie spielen hingegen kaum eine Rolle.
Die Psychotherapieforschung hat auch herausgefunden, dass Therapien scheitern können, ja manchmal sogar schaden. Aber auch hier ist es sehr unklar, was die Gründe dafür sein können.

Körperpsychotherapie

Auch die Körperpsychotherapie ist kein Allheilmittel. Sie kann wie alle anderen Verfahren erfolgreich sein und auch scheitern. Was sie allerdings von fast allen anderen Methoden unterscheidet, ist, dass sie nicht ausschließlich sprachlich in Beziehung tritt. Die Begegnungen, die mit dem Körper bzw. leiblich stattfinden, erreichen eine andere Ebene. Diese findet in einem phänomenalen Raum statt, in dem die Subjekt-Objekt-Perspektive keine Rolle spielt. In diesen atmosphärischen Interaktionen, dem Raum der sog. „Zwischenleiblichkeit“, können Aspekte gefunden werden, für die es bis dahin keine Sprache gab.

Mentalisierung

Damit ich mit etwas umgehen kann, muss ich es benennen können. Erst dann und nur so kann sich ein Bewusstsein mit einer Erscheinung befassen. Wenn Peter Fonagy behauptet, dass „mentalisieren“ der Wirkfaktor schlechthin für die Psychotherapie ist und weiter, dass die Fähigkeit zu Mentalisieren in den ersten Lebensjahren erworben wird, dann hat die Körperpsychotherapie die geeigneten Mittel, um diese Fähigkeit zu schulen.

Als Körperpsychotherapeut bin ich ein wenig in der Zwickmühle. Einerseits ist mir wichtig, auf dem Stand der aktuellen Forschung zu sein und deren Ergebnisse auch in meine Arbeit einzubeziehen. Andererseits arbeite ich auch phänomenologisch und dann behandle ich nicht Depressionen oder Ängste, sondern arbeite mit Menschen, die an sich und ihrem Welterleben leiden. Für diesen Teil der Arbeit muss ich auf naturwissenschaftliche Hilfe verzichten, aber ich gewinne dafür einen wirkungsvollen Zugang zu dem Menschen, der sich meiner Behandlung anvertraut.