Die Psychosomatik erkundet Musik

Bericht vom 21.06.22 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Prof. Dr. Eckart Altenmüller, Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizin der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Sein Vortrag trägt den Titel: Wirkungen von Musik auf Körper und Seele: Neurobiologische und musikpsychologische Aspekte

Herr Altenmüller präsentiert zunächst die Gliederung:

  1. Musik ist universell
  2. Musik hören und machen als Prozess der Umwandlung von Unsicherheit
  3. Musik erzeugt Neuroplastizität und unterliegt Metaplastizität
  4. Es ist nie zu spät: auch mit 70 kann man Klavier lernen
  5. Aber manchmal kann zu viel Musik auch schlecht sein: Dystonie
  6. Ausblick mit Musik

Musik ist universell

Zum Punkt eins präsentiert uns Herr Altenmüller zwei Bilder. Das eine ist ein Foto von 2010, das einen San-Jungen mit einer sog. Mundharfe zeigt. Eine Saite, die mit dem Mund gehalten und gespannt wird und mit einer Art Bogen angeschlagen werden kann. Das andere Bild ist von einer Höhlenmalerei ca. 16 000 Jahr v.u.Z. Es zeigt einen Schamanen (mutmaßlich), der ebenfalls dieses Instrument bespielt und dazu tanzt. Musik hat also eine Verbindung zu Spiritualität, Bewegung, Raum und auch die Qualität des sich Versenkens beim Spiel.

Musik verbindet Menschen, denn nur Menschen haben überhaupt die Kapazität, Musik hören zu können (s.u.). Als Beispiel hören wir ein kleines spontanes Straßenkonzert, an dem uns der Vortragende erläutert, dass die Beteiligten nicht nur einen Rhythmus klatschen können, sondern auch noch, die Zukunft vorwegnehmend, den Rhythmus beschleunigen können und so die Musik auch direkt in Bewegung umsetzen.

Nun bekommen wir den Nachbau einer 18000 Jahre alten Knochenflöte zu sehen und zu hören. Die Löcher sind so gebohrt, dass die Tonhöhenskala dieser Flöte uns vertraut ist. Herr Altenmüller spielt kurz den „Bruder Jakob“ an und ein kleines Stück von Brahms. Allerdings müssen wir einschränkend berücksichtigen, dass wir nicht wissen können, ob die damaligen Menschen die Flöte auch so benutzt haben oder nicht vielmehr ganz andere Anblastechniken verwendet haben.

Was ist also Musik? Musik ist das, was eine hinreichend große Anzahl von Hörern als solche ansieht. Oder etwas technischer: Musik sind bewusst gestaltete, zeitlich strukturierte akustische Phänomene a) in sozialen Kontexten, die b) nicht sprachlich sind. Victor Hugo meinte dazu: „Musik drückt das aus, was nicht mit Worten gesagt werden kann, worüber es aber unmöglich ist zu schweigen.“

Das Wunder des Musikhörens

Wie werden Klänge zu Musik? Bevor aus den Schwingungen der Luft Musik entsteht müssen diese erst verarbeitet werden und das geschieht wesentlich im Gehirn. Es bedarf mindestens fünf Umschaltstellen bevor wir ein Hörerlebnis als Musik erkennen. Dabei spielt auch der Sehsinn eine Rolle, z.B. wenn wir sehen, dass der Vortragende zu seiner Querflöte greift, dann bereitet sich das Nervensystem schon auf Flötentöne vor.

Bereits ein einzelner Ton beinhaltet unglaublich viele Facetten und fordert unseren Hörsinn enorm heraus. Sofort ergibt sich auch die Frage: Was kommt als Nächstes? Dann hören wir einige Töne von Debussy. Vor allem die Zuhörer, die dieses Stück nicht kennen, müssen sich nun ziemlich anstrengen, denn es sind ungewohnte Töne. Herr Müller spielt und erläutert uns, was in uns vorgeht und wie sich nach und nach aus der Überforderung und Unsicherheit durch Lernen etwas Bekanntes bildet und wir uns wieder sicher fühlen können.

Neuroplastizität

Nun bekommen wir einige Bilder gezeigt, die demonstrieren, dass die Gehirne von Musikern sich von denen von Nicht-Musikern unterscheiden. Musikergehirne haben in den relevanten Gehirnarealen z. B. sensorische und motorische Regionen oder dem Kleinhirn mehr Nervenzellen als Nicht-Musiker. Das konnte nur bei Männern nachgewiesen werden, weil weibliche Gehirne sich während des Hormonzyklus stärker verändern. Es wurden auch nur klassische Musiker untersucht, weil sich deren Karrieren stark ähneln – früher Beginn, ähnliche Fertigkeiten und Repertoires. Herr Altenmüller umschreibt das damit, dass das Gehirn kristallin gewordene Lebensereignisse zeigt.

Eine weitere Studie aus Spanien zeigt vor allem den Unterschied, den ein früher (4-6 Jahre) und ein späterer (etwa 8 Jahre) Beginn für das Musizieren und das Gehirn bedeutet. Einige Gehirnregionen sind vergrößert, andere verkleinert, was daran liegt, dass diese Regionen so früh optimiert worden sind. Dieses Phänomen wird Metaplastizität genannt. Der frühe Beginn lässt sich niemals mehr aufholen, aber man kann immer noch ein sehr guter Musiker werden.

Nun eine Studie, die zeigt, dass Neuroplastizität nicht endet, sondern auch im höheren Lebensalter wirksam wird. Herr Altenmüller stellt uns ausgiebig das Design der Studie vor. Es besteht aus zwei Gruppen, die jeweils ein Jahr lang eine Gruppe Klavierunterricht bekommt und die andere theoretische Hintergründe von Musik erlernt. Es wird ausgiebig getestet, z. B. das Hörvermögen und auch gescannt und zwar davor in der Mitte und danach.

Die Ergebnisse sind recht eindrucksvoll. Beide Gruppen hören nach Ablauf des Jahres besser. Am besten schneiden Frauen ab, die Klavier geübt haben, sie hören auf dem linken Ohr erheblich besser als zuvor. Die Gehirnscans zeigen, dass die Musikergruppe auch mehr Gehirnmasse in verschiedenen Bereichen des Gehirns zugelegt hat. Also: Musik lernen lohnt sich auch im Alter noch und die Gehirne von Musiker*innen sind im Schnitt fünf Jahre jünger als die ihrer nicht-musizierenden Altersgenoss*innen.

Musikerdystonie

Unter Musikerdystonie versteht man eine Verschlechterung der feinmotorischen Kontrolle lang geübter Bewegungen beim Instrumentalspiel. Ca. 1-2% aller Musiker sind davon betroffen. Wir sehen verschiedene Beispiele von einem Gitarristen, dessen einer Finger ihm nicht mehr gehorcht und einen Hornisten, dem das Anblasen nicht mehr gut gelingt.

Die Dystonie tritt im mittleren bis höheren Lebensalter auf, seltener in jungen Jahren. Die Risikofaktoren sind in der Grafik aufgelistet. Die Musikmedizin versucht natürlich den Betroffenen zu helfen. Dazu werden u.a. Aufnahmen im Kernspin gemacht, während der Musiker sein Instrument spielt. Die Vorstellung war, dass damit eine Art Feedback-Training möglich wird. Allerdings gelang das nicht. Dystonie ist eine kontextgebundene und aufgabenspezifische Erkrankung und die wenigen Muskelspindeln der Zunge lassen keine Rückmeldungen entstehen – wir merken in aller Regel nicht, was wir gerade mit der Zunge machen.

Ein wesentlicher Risikofaktor stellt eine frühe Traumatisierung dar. Das kann Scheidung der Eltern sein, Vernachlässigung oder unverhältnismäßige Strafen. Die Kinder haben dann keine Möglichkeit, ein stabiles Stressmanagement zu erwerben.

Zum Abschluss berichtet Herr Altenmüller von den vier Apokalyptischen Reitern von Musikererkrankungen. Er bedauert, dass er nicht schon sehr viel früher erkannt hat, wie wesentlich diese Reiter für Krankheitsausbruch und -Verlauf sind. Es sind die Wut auf sich selbst beim Fehlermachen. Die Scham vor den Kolleg*innen, dass sie es nicht merken sollen. Das Schuldgefühl, sich selbst überlastet zu haben und die Angst seinen Beruf aufgeben zu müssen.

Zum Abschluss spielt uns der Dozent noch einmal das Stück „Syrinx“ von Debussy vor und einmal mehr dürfen wir seine Kunstfertigkeit an der Querflöte bewundern.

Hier geht es zum Vortrag,

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