Die Psychosomatik erkundet Systemische Therapie

Systemische Welt

Bericht vom 02.05.23 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Elisabeth Wagner Dr., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, Lehrtherapeutin für systemische Familientherapie, Lehranstalt für Systemische Familientherapie Wien: „Wohin entwickelt sich die Systemische Therapie?“

Frau Wagner erläutert uns den roten Faden ihres Vortrags:

Kontext meiner persönlichen Erfahrung

Kontext Untersuchung der Wirksamkeit systemischer Therapie

Kontext Psychotherapieforschung – Äquivalenzparadoxon, allgemeine Wirkfaktoren

Entwicklung der Systemischen Psychotherapie – gestern – heute – morgen

Veranschaulichung des „spezifisch Systemischen“ anhand zweier Fallgespräche

Synergetik als neue Metatheorie

Persönliche Erfahrung

Wir erfahren, dass Frau Wagner Psychiaterin und Lehrtherapeutin für Systemische Therapie in Österreich ist. Dort ist die Therapielandschaft wesentlich bunter als in Deutschland und nun folgen einige spezifisch österreichische Details zu zugelassenen PT Verfahren und zur Zulassung als Psychotherapeut*in dort.

In Deutschland wurde 2008 die SysT als PT Verfahren anerkannt. Sie sieht sich folgendermaßen: „Systemische Therapie und Beratung wird als transdisziplinärer und multiprofessioneller Ansatz verstanden, womit man sich bewusst von der berufsständischen Einengung des psychotherapeutischen Professionalisierungsprozesses auf den „psychologischen Psychotherapeuten“ absetzt.“

Kontext Untersuchung der Wirksamkeit systemischer Therapie

Psychotherapie ist wirksam und in großen Studien hat sich herausgestellt, dass alle Therapieverfahren ähnlich wirksam sind. Dieser Umstand ist als Äquivalenzparadox bekannt – auch Dodo Effekt genannt (wenn alle gewonnen haben, brauchen auch alle einen Preis).

Frau Wagner plädiert dafür, dass man mit der günstigsten Therapie beginnen könnte. Das kann auch heißen, dass der am schnellsten verfügbare Therapieplatz vergeben werden kann.

Sie macht uns mit einiger Beispielen vertraut, bei denen solche Strategien sehr erfolgreich waren.

Das Äquivalenzparadoxon

Gibt es nun noch weitergehende Schlussfolgerung aus dem Äquivalenzparadoxon? Z.B. die Frage: Wohin sich die PT entwickeln sollte? Hier gibt es den Gedanken, dass sich die Psychotherapie vereinheitlichen könnte (s.u.).

Oder wäre es nicht sinnvoller, störungsspezifische PTen zu fördern. Es gibt allerdings bereits zahlreiche Störungsspezifische Ansätze für z.B. affektive Erkrankung 32 verschiedene – muss ein Therapeut die dann alle erlernen?

Frau Wagner legt Wert darauf, dass SysT keine „Störungen“ behandelt. Der „Gegenstand“ von systemischer Therapie ist das subjektive Leid und der individuelle Veränderungswunsch. Dieses subjektive Leid kann die Form einer psychiatrisch klassifizierbaren Störung annehme, muss es aber nicht.

Aktuell wird aber trotzdem versucht die Systemische Sichtweise mit Störungsspezifischer Therapie zu integrieren.

Weitere Schlussfolgerungen: Allgemeine Psychotherapie?

Der Psychotherapieforscher K. Grawe meint, dass sich Wirkfaktoren identifizieren lassen und dass unterschiedliche Schulen, unterschiedliche Wirkfaktoren nutzen. Er sieht die Zukunft so, dass alle Wirkfaktoren schulübergreifend realisiert werden sollen. Therapieschulen seien ein ohnehin überholtes Konzept.

Frau Wagner denkt allerdings, dass Multiperspektivität dem Gegenstand des Psychischen angemessen ist! Es geht vielmehr um ein adäquates Verständnis der Heterogenität von therapeutischen Blickwinkeln. Sie meint, dass psychisches Funktionieren nicht in einem Konzept umfassend darstellbar ist. Jedes Modell gibt den Blick auf gewisse Zusammenhänge frei und lässt andere im Dunkeln

Die multiperspektivische Sicht verspricht Erkenntnisgewinn gerade durch die Einnahme verschiedener Perspektiven. Der Perspektivwechsel ermöglicht es auch, die impliziten Setzungen der eigenen Methode in den Blick zu bekommen.

Es scheint also hilfreich, über den Rand der eigenen Therapierichtung hinaus zu schauen. Dann lassen sich Ähnlichkeiten der Schulen feststellen und ebenso widersprüchliche Grundannahmen und voneinander abweichende therapeutische Haltungen. Nicht alles kann dabei übersetzt werden, aber die Vorteile überwiegen doch.

Aktuelle Entwicklungen Systemischer Therapie.

Due Effekte unterschiedlicher PT-Methoden sind ähnlicher, als die ihnen zugrundeliegenden Theorien. Es müssen als auch unspezifische und allgemeine Wirkfaktoren Bedeutung haben.

Zu diesen zählen:

  • Positive Erwartungshaltung bekämpft Demoralisierung (sozial legitimierter Kontext verspricht qualifizierter Hilfe)
  • Angebot einer vertrauensvollen, emotional unterstützenden Beziehung
  • Plausibles Erklärungsschema für die Problematik und nachvollziehbares Therapierational für die Lösung
  • In Übereinstimmung mit dem Erklärungsschema und therapeutische „Rituale“, die zu neuen Einsichten, Einstellung- und Verhaltensänderungen führen

Die „allgemeinen Wirkfaktoren nach K. Grawe:

  • Klärungsperspektive
  • Bewältigungsperspektive
  • Ressourcenperspektive
  • Problemaktualisierung

Heutzutage gilt für viele Therapiemethoden, dass sie sich methodenfremder Konzepte bedienen, bzw. Techniken integrieren. Z.B. Mentalisierung für die Tiefenpsychologien oder Schematherapie in der Verhaltenstherapie. Die allgemeinen Wirkprinzipien werden also zunehmend realisiert.

Das Modell der allgemeinen Wirkfaktoren bietet sich auch als Reflexionstool an. Es ist damit möglich, Priorisierungen und Marginalisierungen einzelner Wirkfaktoren in einer Methode kritisch zu betrachten.

Es kann auch dazu dienen, die Verständigung zwischen den Therapieschulen zu erleichtern.

Sie ist allerdings nicht als „Supertherapie“, die alle anderen Therapiemethoden ablöst, gedacht, sondern als eine „Rahmentheorie“ innerhalb derer sich die verschiedenen Traditionen verorten können.

Damit wird eine gemeinsame Reflexionsbasis für mehrere Therapiemethoden geschaffen, auf der die Reflexion konkreter therapeutischer Prozesse stattfinden kann.

Geschichte des Systemischen Therapie(n)

Wir erfahren, dass es die „Systemische Therapie“ nicht gibt. Es gibt „Keine einheitliche, inhaltlich konsistente Arbeitsphilosophie, sondern eine Vielzahl von Konzepten und theoretischen Modellen, die gemeinsame Grundorientierungen und -haltungen aufweisen.“ Und: Zwischen den einzelnen systemischen Konzepten bestehen teilweise theoretische Unvereinbarkeiten.

Das gilt aber ebenso für psychodynamische Ansätze und für die Verhaltenstherapie, die sich ebenfalls zu sehr unterschiedlichen Verfahren ausdifferenziert haben.

Die Entwicklungsgeschichte der SysT beginnt mit z.B. mit Virginia Satir und der Einführung des Systembegriffs. Sie setzt sich mit dem Prinzip der Zirkularität von kommunikativen Prozessen fort. Konzepte der Kybernetik und Feedbackschleifen werden kommunikativ begründet.

Dann kam es zur „Konstruktivistischen Wende“. Begriffe wie „Nicht-Instruierbarkeit“ oder „bescheidene Expertenschaft werden eingeführt. Die soziale Systemtheorie von Luhmann wird berücksichtigt.

Diese Entwicklung führte dazu, dass das Theoretisieren über psychische Prozesse lieber vermieden wird. Alles, was bei Forschungen dieser Richtung herauskommen kann, sagt mehr über die Forschung aus, als über das Beforschte.

Was ist das Spezifische an zeitgenössischer SysT?

Sie ist wesentlich an der Lebenswelt orientiert. Es geht also um die Unterstützung bei der konstruktiven Auseinandersetzung mit anstehenden Lebensproblemen. Dabei werden nach Möglichkeit wichtige Andere mit einbezogen. Die Therapie ist ziel- und zukunftsorientiert. Sie richtet sich nach dem Auftrag der Patient*innen und verwendet möglichst deren schon vorhandenen Ressourcen. Dabei ist die Grundhaltung veränderungsoptimistisch geprägt. Die Bearbeitung belastender biographischer Erfahrungen tritt in den Hintergrund.

Frau Wagner schildert uns nun zwei Fallvignetten, die diese Aspekte gut illustrieren und im Anschluss bekommen wir noch einen Buchtipp für Angehörige psychische erkrankter Menschen „Psychische Störungen verstehen“ von Elisabeth Wagner

Synergetik als neue Metatheorie?

Für den Ausblick in die Zukunft nutzt Frau Wagner die Theorie nicht-linearer dynamischer Systeme. Dieser kompliziert klingende Begriff kommt aus der Theorie der Selbstorganisation. Diese ihrerseits soll erklären helfen, wie überhaupt etwas entstehen kann. In komplexen Systemen kann spontan Ordnung entstehen. Dieses Phänomen kann nun auf psychisches Erleben angewandt werden. Unser biologisches Da-Sein ist derart komplex, dass sich daraus eben psychische Erleben spontan ergeben kann.

Dieses kybernetisch-systemische Sichtweise hat Konsequenzen. So ist damit die Zukunft nicht voraussagbar und die Vergangenheit lässt sich aus der Gegenwart nicht erschließen. Ähnliche Ursachen können unterschiedliche Wirkungen haben und unterschiedliche Ursachen können ähnliche Wirkung haben.

Das ist der Preis, der für das Verlassen der kausalen Perspektive zu bezahlen ist.

Das liegt auch daran, dass Systemtheorie mit Psychotherapie zunächst nichts zu tun hat. Sie wurde in und für die Biologie, Chemie, Physik und Soziologie entwickelt. Sie ist eine Perspektive, die auf die Beziehungen schaut und dabei die verbundenen Elemente wenig berücksichtigt.

Aus dieser Tradition wird versucht, psychische Prozesse unter der Perspektive der Selbstorganisation zu verstehen. Psychische Vorgänge sind affektiv – kognitive Prozesse, eine Abfolge von sich wiederholenden bzw. sich selbst organisierenden Operationen.

Durch Aufschaukelungen und Feedbackschleifen können sich über diese Wechselwirkungen hoch dysfunktionale psychosoziale Muster ergeben, ohne dass dies auf eine bestimmte eindeutig zuordenbare Ursache zurückzuführen ist.

Probleme (psychische Störungen etc.) entstehen nicht als Folge von eindeutig identifizierbaren „Ursachen“ sondern als Resultat vielfältiger zirkulärer Prozesse in biologischen, psychischen und sozialen Systemen.

Dazu gibt es ein Gedankenexperiment von Gregory Bateson. Ein Kind hasst Spinat. Seine Mutter glaubt aber, dass Spinat sehr gesund ist. Nun verspricht sie dem Kind ein Eis als Belohnung fürs Spinatessen. Frage: Was müssten sie über dieses System wissen, damit sie vorhersagen können, dass das Kind später: Spinat lieben oder hassen wird, Eis lieben oder hassen wird und seine Mutter lieben oder hassen wird?

Nicht-Instruierbarkeit

Mit diesem Begriff wird ausgesagt, dass sich selbstorganisierende Systeme nicht vorhersehbar von außen beeinflussen lassen, also auch nicht psychische Systeme.

Das Ergebnis von Selbstorganisationsprozessen ist nur zum Teil ereignisabhängig, denn Ereignisse hinterlassen keinen „neuronalen Fußabdruck“. Erleben ist nicht zufällig, aber auch nicht determiniert durch Ereignisse.

Eine Bahnung vollzieht sich im Hinblick auf das Erleben nicht auf die Ereignisse. Psychische Störungen können als Reproduktion problematischer Zustände verstanden werden. Damit ist die Vergangenheit nicht Ursache sondern die Wiederholung ist die Ursache.

Es scheint dann sinnvoller auf die mit der „Erlebnisverarbeitung“ assoziierten psychischen Prozesse zu schauen und weniger auf Erlebnisse an sich. Welche Muster der Selbstorganisation haben sich im psychischen System etabliert?

Das ist gar nicht so verschieden von anderen Perspektiven, in denen ähnliche Überlegungen angestellt werden. Z.B.:

Psychodynamische Therapie: Abwehrmechanismen, Strukturelle Beeinträchtigungen

Oder Verhaltenstherapie: dysfunktionale Überzeugungen, problematische Denkstile, Schemakonformes, schemavermeidendes oder überkompensierendes Verhalten

Systemische Therapie: Aufmerksamkeitsfokussierung, Ressourcenaktivierung, „Problemgesättigte Narrative“, dysfunktionale FDV-Programme

Ein sehr dichter und inhaltvoller Vortrag ist zu Ende – ich fand ihn sehr bereichernd.

Hier geht’s zum Vortrag:

Die Psychosomatik erkundet Systemische Therapieansätze

Systeme bestimmen unser Leben

Bericht vom Psychosomatischen Dienstags-Kolloquiums „Körper – Seele – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg vom 22.10.19, von Jochen Schweitzer-Rothers, Heidelberg: „Heilung als Gemeinschaftsleistung“

Einleitung

Zum Einstieg bietet uns Herr Schweitzer vier Thesen an:
1. Die Entwicklung psychischer Störungen ist eine Gemeinschaftsleistung und ihre Heilung ebenfalls
2. Mehrpersonen-Therapiesettings fördern schnellere und nachhaltigere Veränderungen
3. Auch Einzeltherapien geschehen inmitten systemischer Kontexte, deren Nutzung sich lohnen könnte
4. Heilung ist auch eine politische Gemeinschaftsleistung

Dann bekommen wir die Struktur des heutigen Vortrags vorgestellt:
1. Kultur, Soziale Systeme, Psychotherapie: Therapie-Kulturen
2. Heilung als Gemeinschaftsleistung: Gute Gründe und Formen
3. SYMPAthische Psychiatrie
4. Systemische Therapie bei Sozialer Angst
5. Mehr-Familien-(Gruppen)-Therapie
6. Heilung als Gemeinschaftsleistung und die deutschen Psychotherapierichtlinien
7. Therapie und Politik: Zwischen Neutralität und Positionierung

Die Systemische Perspektive

Herr Schweitzer erläutert uns also zunächst den Begriff der „Kultur“. In seiner Ursprungsbedeutung bedeutet er Ackerbau, Pflege, Bearbeitung, also alles, was der Mensch gestaltend hervorbringt. Daraus haben sich bis heute zahlreiche andere Bedeutungsnuancen entwickelt, z.B. die „Normen“ einer „Hochkultur“, die Sprachspiele, bzw. Diskurse, die Praxis (Habitus) und auch das, was verbindet oder trennt, wie das bekannte Paar Leitkultur vs. Multi-Kulti.

Psychotherapie als Kulturform

Psychotherapie kann als Sub-System einer Kultur angesehen werden und auch PT kennt unterschiedliche Kulturen. Aus systemischer Sicht lassen sich vier Aspekte untersuchen:

Psychotherapie als:
1. Diskurs: Wer kommt zu Wort? Wessen Ideen setzen sich durch?
2. Habitus: Was wird getan? Was unterlassen? Welches Verhalten ist angemessen?
3. Norm: Wird eine Leitkultur angestrebt (Richtlinienverfahren) oder ist Multi-Kulti möglich?
4. Kulturelle Praxis: Wer soll wobei mitmachen? Wie oft, lange, regelmäßig und wo?

Systemische PT-Kultur

Herr Schweitzer erläutert uns nun, wie systemisch orientierte „Kollektive Psychotherapie-Kulturen“ diese Aspekte angehen.

1. Diskurse: Patienten, Angehörige, Freunde, Kollegen, Nachbarn, Mitbehandler … können zu Wort kommen. Die Therapeutin glaubt ihnen allen – er/sie ist allparteilich
2. Habitus: Es wird nicht nur gesprochen, sondern auch gehandelt, verhandelt, erprobt, gespielt, getröstet
3. Normen: Unterschiedliche Settings werden zielabhängig kombiniert: Einzel-, Paar-, Familien-, Kinder/Eltern-, Lehrer-Gespräche
4. Kulturelle Praxis: Therapie kann in der Praxis, Zuhause, in der Schule, der Firma, auf dem Spielplatz … stattfinden. Ort, Frequenz, Dauer und Sitzungszahl hängen von Ziel und Kontext ab

Diese Art der Herangehensweise ergibt sich aus der Einsicht, dass Menschen einen Großteil ihrer Probleme nicht alleine lösen können. Vor allem dann nicht, wenn ihnen allzu viele Ressourcen fehlen, wenn sie mit anderen verstrickt oder von ihnen abhängig sind oder sie zwar gute Ideen haben, diese aber nicht alleine umsetzen können.

Wir erfahren noch etwas über den Unterschied zwischen Systemen und Netzwerken. Systeme haben eine Grenze, Netzwerke nicht. Trotzdem sind beide Beziehungsgeflechte, erstere selbstbezügliche, letztere offene.

Einige Techiken der Systemischen Praxis

Als nächstes bekommen wir einige Techniken näher erläutert, z.B. eine „Ökosystem-Landkarte“, auf der Patient*innen verschiedene Personen in ihrer relativen Nähe zu sich darstellen können. Auf so einer Karte können auch hilfreiche oder ängstigende Aspekte eingetragen werden.

Dann geht es mit einem kleinen Ausflug in die Geschichte der „Ökosystemischen Tradition“ weiter. Bereits 1960 gab es erste Ansätze, die aber in den achtziger Jahre wieder ein wenig versandet sind. Herr Schweitzer mutmaßt, dass das mit der neoliberalen Politikwende zu tun hatte.

Herr Schweitzer beendet diesen Teil mit einem kleinen Überblick über die aktuellen therapeutischen Formen dieses systemischen Ansatzes. Da gibt es: Multifamilientherapie, Multisystemische Therapien, Elterncoaching, Aufsuchende Familientherapie, Gemeinwesen orientierte Familientherapie, Linking Human Systems.

SYMPA

Der Vortragende erläutert nun etwas ausführlicher die „SYMPA“ die Systemtherapeutische Methoden psychiatrischer Grundversorgung. Diese setzt auf die folgenden Prinzipien:

1. Weiter Familienbegriff: „Existenzielle Bezugssysteme“
2. Kooperationsangebot: Angehörige als Mitbehandler oder/und als Mitbehandelte
3. Kontextuelles Fallverstehen: Symptome im Beziehungskontext als verständlich, zuweilen „sinnvoll“ anerkennen, eine „Störung als Gemeinschaftsleistung“ betrachten
4. Ressourcen- und Lösungsorientiert: (Er)finden von Lösungen ist wichtiger als Ergründen von Ursachen
5. Systemische Selbstreflexion: sich beim Zusammenarbeiten beobachten und daraus lernen

Systemische Praxis in der Psychiatrie

Wir sehen ein Diagramm des Behandlungsschemas der „Systemischen Akutpsychiatrie“, woraus die hohe Transparenz für alle Betroffenen ersichtlich wird. So sind sogar in der Supervision die Patient*innen und Angehörigen mit anwesend und sie können sogar bei der Verfassung des Arztbriefs mitarbeiten.
Der Vortragende beschließt diesen Teil mit statistischen Belegen für die Wirksamkeit dieses Ansatzes.

SMILE

Nun lernen wir noch „SMILE“ kennen, das sind „Systemisch inspirierte Methoden für die Interaktion und Lösung von Eskalationsmustern“. Diese Herangehensweise betrachtet sowohl die Interaktionsmuster zwischen Helfern und Patient*innen, als auch die zwischen den Helfern. Dabei wird auf die Haltung der Beteiligten geachtet, ebenso auf deren Kontakt und Kommunikation und das alles unter Berücksichtigung des Kontexts. So wird es erleichtert, Eskalationen zu vermeiden bzw. zu entschärfen oder falls sie schon stattgefunden haben, sie aufzuarbeiten.

Zu jedem Aspekt stellt das „Multi-Helfersystem“ einige Strategien vor. Am Beispiel der Haltung lauten diese:
• „Das Wir gewinnt.“ Andere Helfer mit ins Boot holen.
• „Mit Kompass zum Ziel.“ Entscheidungen zum Wohl des Betroffenen ausrichten
• „Manchmal liegen Welten dazwischen“ Unterschiede zwischen Familie, Heim und Psychiatrie akzeptieren.
• „Das schaffen wir schon!“ Stärken und Erfolge im Blick behalten.

Es gibt auch noch ein Systemisches Therapiemanual für sozial ängstliche Menschen. Darin werden Gespräche mit den Patient*innen und den Angehörigen, sowie in Gruppen von Betroffenen geführt. Verschiedene Techniken kommen zum Einsatz, z.B. sich in der Gruppe zeigen und voneinander lernen oder auch angstfördernde Glaubenssätze zu dekonstruieren. Ebenfalls hilfreich ist die grafische Darstellung von Unterstützungs- und Angstnetzwerken.

Zum Thema der Mehr-Familien-(Gruppen)-Therapie zeigt uns Herr Schweitzer einen kurzen Film, bzw. einige Bilder daraus. Familienszenen werden an heiklen Stellen angehalten, die stellvertretenden Spieler*innen frieren gewissermaßen ein. Die Zuschauer der Szene dürfen nun die Haltungen der Spieler*innen verändern, was häufig zu sehr hilfreichen Lösungen führt.

Systemische Therapie und Ethik

Zum Thema der Psychotherapierichtlinien lernen wir die sieben Grundwerte der DGSF kennen.
1. Frieden und Gewaltfreiheit
2. Freiheit von … und Freiheit zu …
3. Gleichheit und Gerechtigkeit
4. Geschwisterlichkeit und Solidarität
5. Teilhabe: Partizipation und Inklusion
6. Ausgleich – ökosystemische Balance
7. Informationelle Selbstbestimmung

Systemische Therapie und Politik

Darauf folgt zum Abschluss die Betrachtung von Therapie und Politik – Zwischen Neutralität und Positionierung. Auf die Fragestellung:

„Wie können Systemische Therapeut*innen und Berater*innen gesellschaftspolitisch handeln?“

gibt es folgende Vorschläge:

Individuell: Indem sie als Praktiker*innen ihren Klient*innen helfen
• Die politischen Kontexte ihrer Probleme zu verstehen
• Sich gegen als ungerecht Erlebtes systemkompetent zu wehren
• Und sich Bündnispartner zu suchen

Kollektiv: indem sie in ihren Verbänden
• Schlechte Zustände deutlich benennen
• Auf Verbesserung schlechter Lebensbedingungen ihrer Klient*innen drängen
• Auf Verbesserung eigener schlechter Arbeitsbedingungen drängen

Auf die Frage: „Wie kann eine politisch reflektierte Therapie- und Beratungspraxis aussehen?“ Gibt es folgende Vorschläge:
1. Reflektierte Parteilichkeit: Wie viele Veränderungsunterstützung wünscht der Klient?
2. Mit dem Klienten die politischen Kontexte seiner Probleme erkunden
3. Ermutigen, sich auf eigene Werte und Widerstandskräfte zu besinnen
4. Wo und wie kann der Klient sich gegen Ungerechtes wehren?
5. Welche Verbündeten können ihn unterstützen?
6. Wie kann er die Risiken eines mutigeren Vorgehens begrenzen?
7. Dranbleiben: ggf. langfristige niederfrequente Beratung durchhalten, evtl. auch praktische Hilfe (Mitgehen)