Die Psychosomatik erkundet Mitgefühl und Meditation

Bericht vom 31.05.22 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Dr. Corina Aguilar-Raab: „Achtsamkeits-, Mitgefühls- und Mediationsbasierte Interventionen in der Psychotherapie“

Frau Aguilar-Raab forscht an und arbeitet mit den Themen, die sie uns in ihrem Vortrag vorstellen möchte. Zur Einführung bietet sie eine geführte Meditation an.

Auf der Basis dieser Erfahrung möchte sie uns darauf hinweisen, dass die innere Haltung mitentscheidet, wie ich eine Situation bewerte. Insgesamt sei das Feld der Meditationsbasierten Interventionen viel zu groß, um es in der Kürze der Zeit zu erläutern. Sie möchte uns vermitteln, was sich hinter Achtsamkeitsbasierten Interventionen verbirgt und auch etwas zur Wirksamkeit dieser Methoden.

Überblick:

Allgemeine Einführung: Meditationsbasierte Interventionen im klinischen Bereich

Achtsamkeitsbasierte Interventionen

Mitgefühlsbasierte Interventionen

Zusammenfassung, Perspektiven und Diskussion

Allgemeine Einführung

Wir sehen zunächst eine Folie mit der Überschrift: Kontemplative Praktiken im klinischen Kontext. Darunter finden sich die zu hinterfragenden Themen:

Entspannung vs. Kultivierung von sozio-emotionalen (ethischen) Aspekte als übende Verfahren

Körpereinbezug

Säkularität – Zielhorizont

Methode – Zustand

Transdiagnostik

Schulen-übergreifend

Beziehung

Patient*innen

Therapeut*innen

Patient*innen und Therapeut*innen

Psychotherapie: Outcome Prozess

Es geht im klinischen Setting nicht um Wohlbefinden und/oder Entspannung, obwohl sich beide Befindlichkeiten häufig einstellen. Es geht auch nicht darum, irgendwelche spirituellen oder religiösen Ideen anzuhängen, sondern eher darum, innere Qualitäten zu pflegen, seine Persönlichkeitseigenschaften kennenzulernen und evtl. zu überarbeiten. Tatsächlich spielen dabei Werte, also ethische Fragen, eine wichtige Rolle – also ob es mir möglich ist, in Übereinstimmung mit meinen Werten zu leben. Gerade in einer Klinik können die großen Lebensfragen auftauchen, also: Wieso passiert mir das? Warum geht es mir so und anderen nicht? …

Sie erwähnt ihre systemische Perspektive, aus der heraus sie immer nach dem Kontext einer Erfahrung fragt. Es braucht einen Horizont und einen Rahmen für das, was ich tue und für das Ziel, an das ich gelangen will.

Meditation und Psychotherapie

Meditation und Achtsamkeit in der Psychotherapie wirft viele Fragen auf. Was wird da gemacht? Ist es im Prozessverlauf? Welche Methoden kommen zum Einsatz? Auf welchen Zustand möchte ich evtl. hinaus? Was ist nachhaltig? …

Es wurden bereits zahlreiche klinische Studien zur Wirkung von Achtsamkeit an vielen Menschen mit allen möglichen Diagnosen erforscht. Aber eine Grundfrage nämlich: Was wirkt eigentlich für wen, wann, wie genau? Also die Grundfrage von Passung oder Individualisierung ist noch weitgehend unbeantwortet. An dieser Stelle plädiert sie für ein Methoden-übergreifendes Vorgehen.

Nun wirft sie noch einen Blick auf Bindung, Beziehung und therapeutische Allianz und die Frage, was diese Allianz befördern kann. Gerade wenn psychotherapeutische Interventionen und Achtsamkeitselemente verwendet werden, entsteht die Frage, wie beides zusammenwirkt und welche tieferen Prozesse damit einhergehen. Wir befinden uns also in einem hochdynamischen Forschungsfeld, das uns noch viele Erkenntnisse verspricht.

Achtsamkeitsbasierte Interventionen

Achtsamkeit ist eine besondere Form der Aufmerksamkeitslenkung, die möglichst nicht wertend und akzeptierend durchgeführt wird. Dabei verbleibt die Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Augenblick. Bei regelmäßigem Üben ergibt sich dann eine verkörperte Erfahrung, die womöglich zu einer Veränderung der inneren Haltung führt, die sich positiv auf die Lebensqualität auswirken kann.

Zu unterscheiden wären zwei Grundformen: Die Fokus Aufmerksamkeit und die Offene Wahrnehmung. Fokus Aufmerksamkeit übt, seinen Geist auf einem gewählten Objekt zu halten. Auch wenn die Aufmerksamkeit wandert, sie immer wieder zum Objekt zurückzubringen. Damit können Klient*innen die Fähigkeit erwerben, z. B. ihren Grübeleien zu entkommen.

Offene Wahrnehmung umschreibt die Fähigkeit der Selbstdistanzierung, also sich gewissermaßen beim Leben und Erleben zuzusehen, ohne sich auf die emotionalen Komponenten des Geschehens einzulassen. Dabei geht es nicht darum, den Geist leer werden zu lassen, sondern die Unterscheidungsfähigkeiten für innere Zustände zu verfeinern.

Achtsamkeit

Frau Aguilar-Raab versteht das als einen erweiterten Bezugsrahmen, der sich auf diese Art entwickeln kann. Dazu bietet sie uns ein Zitat an: „Achtsamkeit ist eines der zentralen Dinge, die uns helfen, unseren Werten treu zu bleiben und entsprechend zu handeln, während der Umstand, „uns selbst zu vergessen“, häufig die Ursache dafür ist, unser Handeln nicht auf unsere Werte abzustimmen.“ Somit kann Achtsamkeit uns dabei helfen, unseren inneren Kompass wiederzufinden und ihn auch zu nutzen.

Offene Wahrnehmung ist Meta-Denken, also Denken über das Gedachte aus der Beobachterposition. Die Fähigkeit zum Meta-Denken verhilft uns zu Orientierung und Selbstklärung unserer Motive, Ziele und Handlungen sowohl im Selbstumgang als auch im sozialen Kontext.

Wirksamkeit von Achtsamkeit

Es gibt bereits etliche Studien und Veröffentlichungen zur Wirksamkeit von Achtsamkeit – ihre Anzahl ist noch am Wachsen. Es zeigen sich positive Effekte ab, allerdings sind zahlreiche Studien methodisch fragwürdig.

Auch und vor allem können Menschen in helfenden Berufen von Achtsamkeit profitieren, denn sie sind überdurchschnittlich häufig von Burn-out, Depression bis hin zur Suizidalität betroffen. In diese Gruppe zeigte die Pflege von Selbstmitgefühl große Wirkung.

Gruppensettings, die über 10-12 Wochen gehen und noch einen Intensivtag bieten, schneiden dabei am besten ab. Als Quintessenz ergibt der derzeitige Forschungsstand die Wirkmechanismen:

Aufmerksamkeitsregulation

Emotionsregulation

Selbstwahrnehmung (auch Körpergewahrsein)

>Selbst und Co-Regulation

Der Aspekt der Regulation steht also im Zentrum des Achtsamkeitstrainings bzw. deren Praxis. Dabei geht es nicht darum, negative Erfahrungen, Gefühle etc. zu vermeiden, sondern angemessen mit ihnen umgehen zu können.

Mitgefühlsbasierte Interventionen

Zur Einführung in diesen Themenkreis bietet uns die Vortragende einige Begriffsdefinitionen. Der ursprüngliche Begriff „empatheia“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Leidenschaft“. Die phänomenologische Definition umschreibt Empathie mit Einfühlungsvermögen und meint damit eine Antwort auf unmittelbar wahrgenommenen, vorgestellten, erschlossenen Zustand in einem anderen.

Empathie wird in psychodynamischer Sichtweise operationalisiert, d.h. als Grundelement der Persönlichkeit betrachtet, welches mehr oder weniger ausgeprägt sein kann. Dabei umfasst Empathie mehr als nur Gefühle, sie beinhaltet auch Gedanken über den anderen, ein sich in den anderen hineindenken. Es gibt eine Reihe von Konzepten, die sich mit dieser Fähigkeit auseinandersetzen, auch die neuronale Grundlagenforschung ist damit befasst. Frau Aguilar-Raab bringt es mit dem Resonanz Begriff auf den Punkt, also mit jemandem in Resonanz kommen.

Mitleid hingegen ist die übertriebene Identifikation mit dem Schmerzlichen und Leidvollen. Hier verlieren wir den therapeutischen Bezugsrahmen und damit die therapeutische Wirksamkeit.

Es kommt also darauf an, Mitgefühl zu kultivieren. Das definiert sie folgendermaßen: „Sensitivität gegenüber Leiden in uns und in anderen mit dem Wunsch, dieses zu lindern und zu verhindern.“ Mitgefühl hat fünf Komponenten (affektive, kognitive, motivationale und behaviorale).

Erkennen von Leiden

Universalität von Leiden verstehen

Empathie

Distress Toleranz

Motivation/Verhalten zu zeigen, das zur Linderung des Leidens beiträgt, was eben nicht Mitleid ist, das mit leidet ohne Voraussicht und aktiven Veränderungswunsch. Sie plädiert für die Kultivierung einer „inneren Weite“, die uns Toleranz für das Unangenehme bietet. Innere Weite gewährt Freiheitsgrade für das Fühlen, Denken und insbesondere das Handeln. Das ermöglicht es auch mit schweren Verlusten umgehen zu können.

Frau Aguilera-Raab berichtet uns von ihrer Ausbildung zum „Cognitive Based Compassion Training“ und erläutert uns kurz die Stufen dieser Ausbildung.

Erlernen von Achtsamkeit

Zunächst geht es darum, körperliche Sicherheit zu finden, denn diese ist die Voraussetzung schlechthin, wenn ich an einer Veränderung arbeiten möchte. Im zweiten Schritt geht es um die Übung selektiver Aufmerksamkeit, die Fokussierung und die Unterbrechung (Inhibition) von Gedanken. Weiter wird das Meta-Gewahrsein trainiert und damit De-automatisiert und De-Reaktivität gestärkt. Im vierten Schritt geht es um Selbstfürsorge, Selbstverantwortung und Selbstmitgefühl. Im fünften Schritt ist das Thema „Menschliche Gemeinsamkeit“, d.h. eine erweiterte Identifikationsmöglichkeit zu entwickeln. Der sechste Schritt dreht sich dann um Interdependenz, Nähe und Wertschätzung.

Wir bekommen noch weitere Modelle vorgestellt, die Mitgefühl von Mitleid unterscheiden bzw. ein Affekt-Regulations-Modell erklären. Letzteres umfass ein Antriebssystem, eine Fürsorge- und ein Alarmsystem, die mit typischen Gefühlen einhergehen und mehr oder weniger gut aufeinander abgestimmt sind.

Auch hier dürfen ein paar Evidenzen nicht fehlen und es gibt sie tatsächlich auch. Die Compassion-Focused Therapy führt zu mehr Selbstmitgefühl – weniger Grübeleien (Ruminationen), weniger Selbstkritik und vermehrter Resilienz gegenüber Psychopathologien, dank besserer emotionaler Selbstregulation.

Es folgt nun noch eine ausführliche Darstellung eines eigenen Forschungssettings mit Paaren. Die Ergebnisse sind mehrdeutig – es scheint genügend Zeit und Übung zu brauchen, bis die Methode befriedigende Wirkungen zeigt. Weiter, dass Mitgefühl, Mentalisierung und Empathie wichtige Wirkgrößen darstellen.

Sie schließt ihren Vortrag mit einem Zitat, das mutmaßlich von Viktor Frankl stammt: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktionen. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit“.

Ein sehr reichhaltiger und eloquent vorgetragener Input. Wer ihn sich ganz ansehen mag, kann das hier tun.

Die Psychosomatik philosophiert über Empathie

Empathie und Psychologie

Bericht vom Psychosomatischen Dienstags-Kolloquium „Körper – Seele – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg vom 05.06.18 Von Prof. Dr. phil. Thiemo Breyer: „Empathie – Grundlagenforschung und ethische Konsequenzen“

Herr Breyer möchte uns einen Einblick in die Komplexität des Empathie Begriffs geben. Empathie ist gewissermaßen das Thema der Stunde in Psychologie, Psychotherapie, Soziologie und auch der Philosophie. Diskutiert wird sowohl darüber, was Empathie ist, wie sie zustande kommt, was das jeweils bedeuten kann und ob sich daraus ethische Konsequenzen ziehen lassen.

Einführung

Zum Einstieg erzählt uns Herr Breyer eine kleine Geschichte, die als Vignette für Empathie Themen dienen soll.

Nach einem frustrierenden Arbeitstag kommt ein Mann mürrisch auf eine Geburtstagsparty. Die festlich heitere Stimmung dort steckt ihn an und seine Frustration verschwindet – er freut sich mit seinem Freund, der Geburtstag hat. Dann wird auch noch gemeinsam das Geburtstagslied gesungen. Dabei fällt dem Gast auf, dass ein anderer Gast nicht mitsingt. Er spekuliert über die Gründe, für dieses Verhalten. Ist der Nicht-Sänger schüchtern, hat er schlechte Laune, kann er vielleicht nicht singen? Aber in diesem Moment beginnt ein schon angetrunkener Gast an, in sehr schräger Tonlage mitzusingen. Einige Gäste fangen an zu kichern und der Mann bekommt selbst auch einen kaum zu beruhigenden Kicheranfall. Dabei sieht er, dass die Gastgeberin offenbar betroffen über das Verhalten des Betrunkenen ist. Er schämt sich ein wenig für diesen und überlegt, ob er die Gastgeberin trösten soll.

Merkmale von Empathie

Aus dieser Geschichte lassen sich typische, für die Empathie relevante, Phänomene betrachten:

  1. Die affektive Resonanz, die in Stimmungen und Atmosphären auftritt
  1. Das Ausdrucksverstehen, die Mitfreude an der Freude des Jubilars
  1. Die leibliche Synchronisation, das gemeinsame Singen
  1. Die Mentalisierung, das Nachdenken über Gründe von anderen
  1. Die Gefühlsansteckung, unwillkürliches Mitkichern
  1. Die stellvertretende Emotion, die Fremdscham für den Betrunkenen
  1. Die Simulation, imaginatives Hineinversetzen in die Gastgeberin

Diese Dimensionen von Empathie lassen sich kategorisieren als:

leiblich-körperliche

  • Resonant (Synchronisierung)
  • Expressiv (Ausdrucksverstehen)

affektiv-emotionale

  • Partizipierend (Mitfreude, Mitleid)
  • Stellvertretend (Fremdscham)
  • Invertierend (Schadenfreude, Neid)

kognitive

  • Inferentiell (Theoretisierung)
  • Imaginativ (Transposition)

Theorien zur Empathie

Dieses breite Spektrum von Empathie wird von den wenigsten Theorien eingefangen. Die meisten gängigen Theorien versuchen, sie aus einem Teil des Spektrums abzuleiten und so zu erklären. Es gibt Theorien zu angeborenem bzw. erlerntem Empathie Verhalten. Dann gibt es Simulationstheorien, die neuronale oder imaginative Prozesse bevorzugen. Eine weitere Möglichkeit spielen Phänomenologische Theorien, die sich auf Zwischenleiblichkeit und Expressivität stützen. Ganz aktuell sind Narratologische Theorien sehr beliebt, die auf explizite Erzählungen oder narrativen Erfahrungen setzen.

Herr Breyer versucht auf phänomenologischem Weg (als wie die Dinge von sich her erscheinen) auf den Grund zu kommen. Dazu beschreibt er zunächst die Grenzen von empathischen Dimensionen er benennt diese folgendermaßen:

  • Die leibliche-körperliche Dimension findet ihre Grenzen in der Resonanzfähigkeit, und der Vertrautheit mit dem Ausdruckssinn
  • In der affektive-emotionalen Dimension bestehen Grenzen im Gemütszustand, der Haltung und der Verbundenheit.
  • In der kognitiven Dimension schließlich werden Grenzen durch die Lebenserfahrung, die Vorstellungskraft und das Denkvermögen gesetzt.

Empathie und Ethik

Damit kommt Herr Breyer zum zweiten Teil seines Vortrags, dem ethischen Diskurs.

Er fragt danach, wie äußere Faktoren die Grenzen der Empathie mit beeinflussen oder gar stören können. Als Beispiel nennt er totalitäre Religionssysteme, die auch ein affektives Regime ausbilden. Wie kann unter solchen Umständen die Empathie wachgehalten werden, wenn so starke Einflüsse auf sie einwirken.

Mögliche Einflüsse gibt es zahlreiche. So können Wissens- oder Glaubensinhalte (kognitive Ebene) auf die Mitleidsfähigkeit einwirken; Mimische oder gestische Synchronie (leiblich-körperliche Ebene) können das Mitgefühl und die Kommunikationsbereitschaft beeinflussen; ebenso können extreme Gefühle die Urteilsfähigkeit trüben – usw. usf.

Empathie und Philosophie

Es folgt ein Ausflug in die Philosophiegeschichte und diese beginnt mit den Erwägungen aus Max Schelers Werk: „Wesen und Formen der Sympathie“. Darin benennt Scheler vier Dimensionen von affektiv-emotionaler Empathie.

  • Die Gefühlsansteckung (dyadisch bis massenhaft)
  • Das Nachfühlen (Verstehen ohne Mitfühlen)
  • Das Mitfühlen (Teilen des Gefühls des Anderen)
  • Die Liebe und der Hass („geistige Gefühle“)

Natürlich hatte Scheler viele Vorgänger, die sich mit dem Thema befasst haben. Wir erfahren von Immanuel Kant, der in Mitfreude und Mitleid zwar sinnliche Gefühle sieht, diese aber so verwendet wissen will, dass sie zur Pflicht der Mitmenschlichkeit verwendet werden.

Arthur Schopenhauer, gewissermaßen der deutsche Pionier der Mitleidsethik, sieht im Mitleid bereits den Impuls zu helfen am Werk. Er möchte Mitleid als „wirkliche Basis“ von „freier Gerechtigkeit und echter Menschenliebe“ definieren.

Empathie im sozialen Sinn wurde von J.J. Rousseau betrachtet und sein ernüchternder Befund ist, dass das Mitgefühl mit der Entfernung abnimmt. Wohingegen Aristoteles feststellte, dass Leiden, das uns zu nahekommt, ebenfalls dem Mitgefühl abträglich sei. Aristoteles sieht im Mitgefühl eine Art Schmerz.

Eine andere Variante kommt aus der Stoa. Deren Vertreter Cicero befürwortet eine kühle Variante von Mitleid – natürlich ist es gut, den Leidenden zu helfen, aber mit-Leiden würde das Leid nur vergrößern und das erscheint unvernünftig.

Neuere Philosophie

Max Scheler kommt noch einmal zum Zuge. Er kam zu der Einsicht, dass Mitgefühl in all seinen Formen „prinzipiell wertblind“ ist, denn man könnte ja auch Mitfreude mit jemandem haben, der sich an seiner Bosheit erfreut.

Die zeitgenössische Forschung von z.B. Michael Tomasello versucht zu zeigen, dass Mitgefühl und Altruismus evolutionäre Entwicklungen und damit angeboren sind. Als Beleg sehen wir einen kleinen Film, in dem sehr kleine Kinder ziemlich tollpatschigen Erwachsenen spontan zur Hilfe kommen.

Die amerikanische Philosophin Marta Nussbaum stellt ernüchternd fest, dass Empathie zum Guten oder zum Bösen verwendet werden kann. Ihr Beispiel ist der Folterknecht, der sich seines Mitgefühls bedient, um möglichst große Schmerzen zuzufügen.

Empathie und Kognitionswissenschaft

Einen anderen kritischen Aspekt von Empathie sieht Fritz Breithaupt. Er stellt fest, dass mit der Empathie eine Parteinahme erfolgt, die durch Erzählstrategien legitimiert wird. Die Formen dieser Parteinahme können strategisch dem Eigennutz dienen. Das kann z.B. judikativ erfolgen, mit einer Beurteilung darüber ,wer Recht hat. Es funktioniert aber auch selbst-reflexiv, indem die eigene Position begründet wird. Dies führt ihn zu der Theorie, dass ein Mechanismus der Narration Empathie erlaubt und auch, dass Narration nur auf der Basis einer entwickelten Empathie Fähigkeit möglich ist.

Breithaupt hat auch sog. Empathie Blockaden erforscht. Er stellt fest, dass nicht alle Menschen auf narrative Empathie Angebote eingehen. Dies ist vom Bildungsgrad und der persönlichen Erfahrung abhängig. Weitere Einflüsse bestehen in der Situationsbedingtheit, z.B. in Schuldzuweisungen, sonstigen Attributionen und Gruppenzugehörigkeiten.

Strategien um Empathie Blockaden zu rechtfertigen wären z.B. die Rückwendung der Empathie auf sich selbst: >Ich habe so gelitten, als ich dieses Unrecht begehen musste< oder noch perfider, die Strategie der Dehumanisierung des Anderen: >das ist gar kein richtiger Mensch<. Damit kommt Herr Breyer zum Resümee seines Vortrags.

Fazit

  • Es gibt eine Vielzahl von Empathie Konzepten und –Definitionen
  • Die phänomenologische Struktur von Empathie ist leiblich, affektiv und kognitiv
  • Auf jeder Ebene kann Empathie auch begrenzt sein
  • Es gibt eine Vielzahl von Bewertungen von Empathie in ethisch-moralischer Hinsicht (positiv wie negativ)
  • Es gibt relevante Wechselwirkungen zwischen den Ebenen
  • Relevant ist auch der Umgang mit Empathie
  • Es lässt sich ein antagonistisches Wechselspiel von prosozialen und antisozialen, altruistischen und egoistischen Tendenzen feststellen
  • Empathie entwickelt ihr Sein in einem Spannungsfeld von kooperativen und kompetitiven Strategien
  • Es gibt eine Strukturanalogie zwischen dem ethischen Problem der Empathie und der menschlichen Freiheit allgemein
  • Empathie zu kultivieren ist eine mögliche Emanzipation. Perspektivenflexibilität istr besser als Solipsismus.

Am Ende des Vortrags fühle ich mich etwas erschlagen von der Fülle von Informationen.