Die Psychoanalyse erkundet Leiblichkeit

Leib und zwischenleibliche Resonanz

Bericht vom 14.11.23 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Prof. Dr. Timo Storck, Psychologischer Psychotherapeut, Psychoanalytiker, Psychologische Hochschule Berlin (PHB):

„Der Leib als Wahrnehmungsorgan in der Psychotherapie“

Herr Storck beginnt damit, dass er uns kurz erläutert, was er uns in seinem Vortrag nahebringen möchte. Nämlich, dass der Leib ein Wahrnehmungsorgan ist, das uns einen, wenn nicht den Zugang zur Welt ermöglicht. Er gibt uns seine Gliederung zum Thema:

1. Wahrnehmungsvorgänge können zwei „Richtungen“ haben (allgemeinpsychologisch)

2. Der Leib vermittelt das Erleben von Selbst und Anderem (entwicklungspsychologisch)

3. Psychosomatische Störungen lassen sich als eine Entleiblichung verstehen (psychopathologisch)

4. Die Arbeit mit der leiblichen Gegenübertragung ist ein Weg zur Symbolisierung verkörperter Zustände (behandlungstechnisch)

Leibliche Wahrnehmungsvorgänge haben zwei Richtungen

Der Begriff des Leibs im Unterschied zum Körper erscheint in der Philosophie mit der Phänomenologie. Prominent darin z. B. Edmund Husserl und in dessen Nachfolge und für den Leib besonders fruchtbar, Maurice Merleau-Ponty. Dieser Philosoph sprach vom Leib, der ich bin und dem Körper den ich habe. Dabei kommen beide Aspekt immer gemeinsam vor, haben gewissermaßen einen Doppelaspekt.

So ist es auch mit der Leibwahrnehmung, insbesondere mit der Berührung. Immer, wenn ich etwas oder mich selbst berühre, kommen mir zwei Wahrnehmungen ins Bewusstsein – das Berührte und z. B. meine Finger. Diese Betrachtungen sind auch für die psychotherapeutische Arbeit sehr wertvoll. Von Merleau-Ponty kommt auch der Begriff der Zwischenleiblichkeit, womit er beschreiben wollte, dass in personalen Begegnungen leibliche Erfahrungen gemacht werden, die sich von rein physikalischen Gegenständen unterscheiden.

Auch Sigmund Freud hat sich Gedanken zur Wahrnehmung bzw. dem Wahrnehmungsbewusstsein gemacht. Einige dieser Gedanken hat Freud als Zeichnungen zu Papier gebracht. Diese sind ein Teil seiner Wahrnehmungs- und Erinnerungstheorie. Die Wahrnehmung ist für Freud eine Art Kappe, die auf dem Psychischen quasi aufsitzt. Das BW betrachtet er als das Sinnesorgan zur Wahrnehmung psychischer Qualitäten (innere und äußere Reize). Dies schafft dann erst die Psychische Realität. Diese Überschneidung von Wahrnehmung und Gedächtnis führt zu Befriedigungserlebnissen, weil wir uns erinnern können, was wir schon früher als befriedigend erlebt haben.

Aus dieser Perspektive gewinnen wir körperliches Bewusstsein in  mehr oder minder großen Ausmaß. Dabei kann die Wahrnehmung, z.B. von bestimmten Affekten, gestört oder verzerrt sein. Diese Sichtweise ist in der Psychosomatischen Medizin und der Psychoanalyse gut bekannt. Herr Storck möchte aber die Perspektive umdrehen und untersuchen, wie das Leibliche die Wahrnehmung steuert.

2. Der Leib vermittelt das Erleben von Selbst und anderem.

Zur Verdeutlichung bekommen wir nun eine kurze Video Sequenz gezeigt. Es geht um eine typische Psychoanalytische Sitzung im „Couch-Setting“. Die Patientin wird von einer Schauspielerin dargestellt.

 Im Video „wimmelt“ es nur so von leiblichen Befindlichkeiten und Interaktionen – Bedürftigkeiten, Kuscheln, Küssen usw. Therapeutisches Thema wie Abstandsregulation oder die Unterscheidung von Selbst und anderem.

Auch bei diesem Thema mischen philosophische Betrachtungen mit. Da gibt es zum einen Plato, dessen Meinung über Körperliches eher geringschätzig war. Ganz im Gegensatz zu Aristoteles, der die Seele als Form des Leibes betrachtet hat und die Seele als durchformt vom Leib.

Neuere phänomenologische Philosophen im deutschsprachigen Raum wären z. B. Helmuth Plessner oder Thomas Fuchs u. a. Alle unterscheiden den subjektiven Leib vom objektiven Körper.  Sie kommen auch zu dem Schluss, dass der Leib der primäre Zugang zur Welt überhaupt darstellt.

Noch aktuellere Betrachtungen wären Theorien zum „Embodiment“, die derzeit En Vogue sind.

Ein berühmtes Zitat von Freud dazu lautet: „Der eigene Körper und vor allem die Oberfläche desselben ist ein Ort, von dem gleichzeitig äußere und innere Wahrnehmungen ausgehen können. Er wird wie ein anderes Objekt gesehen, ergibt aber dem Getast zweierlei Empfindungen, von denen die eine einer inneren Wahrnehmung gleichkommen kann. Es ist in der Psychophysiologie hinreichend erörtert worden, auf welche Weise sich der eigene Körper aus der Wahrnehmungswelt heraushebt. Auch der Schmerz scheint dabei eine Rolle zu spielen und die Art, wie man bei schmerzhaften Erkrankungen eine neue Kenntnis seiner Organe erwirbt, ist vielleicht vorbildlich für die Art, wie man überhaupt zur Vorstellung seines eigenen Körpers kommt. Das Ich ist vor allem ein körperliches, es ist nicht nur ein Oberflächenwesen, sondernd selbst die Projektion einer Oberfläche.“ (Freud 1923b, S.253)

Und weiter. „Das heißt, das Ich leitet sich letztlich von körperlichen Gefühlen ab, hauptsächlich von solchen, die auf der Körperoberfläche entstehen. Es könnte deswegen als eine psychische Projektion der Körperoberfläche angesehen werden und nicht nur wie wir oben gesehen haben, als Darstellung der Oberfläche des psychischen Apparates.“

Daraus folgert Herr Storck, dass der Leib nicht nur Wahrnehmungsorgan des Psychischen ist, sondern jegliches Selbst-Erleben formt. Damit wird das Selbst zu einem zwischenleiblichen Phänomen. Es bildet sich aus den Erfahrungen von Berührungen an der Hautgrenze, als Unterschied zwischen Selbst und Nicht-Selbst. Dabei verinnerlicht das Selbst-Erleben die Kontur der Körperoberfläche und Repräsentiert den Körper als erste Form des Selbst.

Herr Storck spekuliert noch darüber, wie der Begriff des „Triebs“ bei Freud als Grenzbegriff zwischen Psyche und Soma aktualisiert werden könnte.

3. Psychosomatische Störungen lassen sich als eine Entleiblichung verstehen

Alles ist psychosomatisch, denn alle Patient*innen bringen ihre Körper mit in die Therapie. Die alten Konzepte von spezifischen Krankheitspersönlichkeiten führen nach Ansicht des Vortragenden nicht weiter. Tatsächlich erscheinen die Psychodynamischen Phänomene als äußerst diffus. Das könnte aber gerade ein verwertbares Indiz darstellen. Theoretisch ließe sich das sowohl triebtheoretisch als auch objektbezogen gut begründen. Im ersten Fall fände so etwas wie Seele-Körper-Dissoziation statt, im zweiten Fall würde der Körper eine unzuverlässige Bezugsperson repräsentieren.

Beide Zugänge lassen sich in einem Modell zusammenführen. Dies wurde von Armando Ferrari durchgeführt. Das Modell bietet zwei Achsen – Individuum-Umwelt und Psyche-Soma. Bei bekömmlicher Entwicklung entsteht so ein quasi dreidimensionaler Raum von Erleben. Nun ist es so, dass Veränderungen auf der einen Achse auf die andere Achse einwirken. Dass also Störungen im Verhältnis von Individuum-Umwelt zu Störungen des Verhältnisses Psyche-Soma führen. Diese Störung führt wiederum zu Störungen der anderen Dimension und so kann der Erlebnisraum auf eine Zwei- oder gar Eindimensionalität einschrumpfen.

Für Betroffene entsteht so ein Beziehungserleben, das zwischen Verschmelzung und Isolation pendelt. Das erschwert es, sich als eigenständiges Wesen wahrzunehmen. Sich in Kontakt fühlen ist dann nur möglich, wenn wir einander völlig gleich sind, andernfalls erscheint der Eindruck, verlassen zu sein.

Herr Storck präsentiert uns nun ein Fallbeispiel. Es geht dabei um eine Frau, die über Schmerzen klagt, die durch den ganzen Körper wandern. Er erläutert kurz die Biografie der Patientin und stellt uns dann einen Ausschnitt aus dem Thematischen Apperzeptionstest vor. Es geht bei diesem Test darum, eine Geschichte zu einer Abbildung zu erfinden.

Beispielhaft wird an den Antworten der Patientin deutlich, dass sie eine Vorstellung entwickelt hat, dass körperliches Leiden und die Anfälligkeit des Körpers die Seele verunreinigen. Dass also Seele und Körper eher voneinander getrennt sind und auch unterschiedliche Werte aufweisen.

Die Schmerzen lassen sich als Prothese verstehen, mit deren Hilfe sie ihren Körper ganz wahrnehmen kann. Allenfalls, wenn die Patientin von Wasser umgeben ist, hat sie keine Schmerzen und Herr Storck nimmt an, dass sie mit Hilfe des Wassers, das sie vollständig umgrenzt, ihren Körper spüren kann und dann die Schmerzen nicht braucht.

4. Die Arbeit mit der leiblichen Gegenübertragung ist ein Weg zur Symbolisierung verkörperter Zustände

Herr Storck möchte nicht nur über das „Herumdoktern“ an unseren Patient*innen berichten, sondern auch darauf eingehen, wie Therapeut*innen ihren eigenen Leib in der Therapie einsetzten können.

Dazu möchte er auf die Übertragungsbeziehung und die Übertragungsdynamik eingehen. Übertragung, als zentrales Element der Psychoanalytischen Therapie kann als Übertragungsneurose betrachtet werden. Innerhalb dieses Beziehungsmodus können Affekte auftreten und dann auch erfolgversprechend analysiert werden.

Darüber hinaus gibt es auch Übertragungspsychosen und Übertragungsmuster von Persönlichkeitsstörungen, auf die Herr Storck jetzt aber nicht eingehen möchte.

Relativ neu ist die Formulierung einer Übertragungspsychosomatose, in der körperliche Symptome als Regulation in der Beziehung verstanden werden. Herr Storck vermutet auch hierbei das Beziehungsdilemma zwischen Isolation und Verschmelzung.

Aber gibt es so eine Form der Übertragung überhaupt? Herr Storck bejaht das und führt an, dass Therapeut*innen sehr vertraut mit dem Phänomen sind, dass sich, in der Arbeit mit Psychosomatik Patienten, der eigene Leib öfter meldet – z.B. mit einem Zwicken oder einer gewissen Übelkeit.

Das Beziehungsthema macht sich häufig als Scheu bemerkbar, z.B. auf Unterschiede voneinander hinzuweisen oder auch als ein gewisser Druck, Gleichheit herzustellen.

Herr Storck möchte einen genaueren Blick auf die körperlichen Reaktionen werfen und betrachtet dazu die besondere Form der „Projektiven Identifikation“ – sog. ein Abwehrmechanismus, der alles andere als einfach zu erläutern ist. Er möchte uns sein Verständnis dieser Dynamik nahebringen.

Zunächst ist es so, dass der Patient einen unliebsamen Selbstanteil auf den Therapeuten projiziert, ihn also im Gegenüber erlebt. Dies ist zunächst ein rein innerer Prozess. Beispielsweise fühlt sich der Patient gereizt, erlebt aber die gereizte Stimmung als vom Therapeuten ausgehend.

Diese Stimmung färbt natürlich die Kommunikation und Interaktion zwischen Patient und Therapeut. In der Folge wird der Therapeut sich zunehmend gereizt fühlen und zunächst nicht unterscheiden können, woher dieses Gefühl stammt. Er identifiziert sich nun mit diesem Affekt. Erst in einem weiteren Schritt, wird es dem Therapeuten möglich, diese Gereiztheit als eine Art Antwort an den Patienten zu verstehen. Dann wird es möglich, das reflektierte Gefühl dem Patienten in sprachlicher Form wieder anzubieten.

Herr Storck möchte mit zwei Aufforderungen enden. Zum einen plädiert er dafür, dass Therapeuten ihre Leibwahrnehmung zur Verfügung stellen, um es den Patient*innen zu ermöglichen ihre Leibwahrnehmungen besser wahrnehmen zu können.

Weiter fordert er dazu auf, so etwas wie „mentalisierte Alterität“ anzubieten. Also versprachlichte Formen des Anders-Seins, die als nicht bedrohlich erlebt werden können. Anders sein muss dann nicht mehr als Bedrohung der Beziehung erlebt werden.

Dieser dichte Vortrag lässt das Herz eine Körperpsychotherapeuten durchaus höher schlagen und auch das Auditorium ist sehr davon angetan.

Hier geht es zum Vortrag