Die Psychoanalyse erkundet Leiblichkeit

Leib und zwischenleibliche Resonanz

Bericht vom 14.11.23 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Prof. Dr. Timo Storck, Psychologischer Psychotherapeut, Psychoanalytiker, Psychologische Hochschule Berlin (PHB):

„Der Leib als Wahrnehmungsorgan in der Psychotherapie“

Herr Storck beginnt damit, dass er uns kurz erläutert, was er uns in seinem Vortrag nahebringen möchte. Nämlich, dass der Leib ein Wahrnehmungsorgan ist, das uns einen, wenn nicht den Zugang zur Welt ermöglicht. Er gibt uns seine Gliederung zum Thema:

1. Wahrnehmungsvorgänge können zwei „Richtungen“ haben (allgemeinpsychologisch)

2. Der Leib vermittelt das Erleben von Selbst und Anderem (entwicklungspsychologisch)

3. Psychosomatische Störungen lassen sich als eine Entleiblichung verstehen (psychopathologisch)

4. Die Arbeit mit der leiblichen Gegenübertragung ist ein Weg zur Symbolisierung verkörperter Zustände (behandlungstechnisch)

Leibliche Wahrnehmungsvorgänge haben zwei Richtungen

Der Begriff des Leibs im Unterschied zum Körper erscheint in der Philosophie mit der Phänomenologie. Prominent darin z. B. Edmund Husserl und in dessen Nachfolge und für den Leib besonders fruchtbar, Maurice Merleau-Ponty. Dieser Philosoph sprach vom Leib, der ich bin und dem Körper den ich habe. Dabei kommen beide Aspekt immer gemeinsam vor, haben gewissermaßen einen Doppelaspekt.

So ist es auch mit der Leibwahrnehmung, insbesondere mit der Berührung. Immer, wenn ich etwas oder mich selbst berühre, kommen mir zwei Wahrnehmungen ins Bewusstsein – das Berührte und z. B. meine Finger. Diese Betrachtungen sind auch für die psychotherapeutische Arbeit sehr wertvoll. Von Merleau-Ponty kommt auch der Begriff der Zwischenleiblichkeit, womit er beschreiben wollte, dass in personalen Begegnungen leibliche Erfahrungen gemacht werden, die sich von rein physikalischen Gegenständen unterscheiden.

Auch Sigmund Freud hat sich Gedanken zur Wahrnehmung bzw. dem Wahrnehmungsbewusstsein gemacht. Einige dieser Gedanken hat Freud als Zeichnungen zu Papier gebracht. Diese sind ein Teil seiner Wahrnehmungs- und Erinnerungstheorie. Die Wahrnehmung ist für Freud eine Art Kappe, die auf dem Psychischen quasi aufsitzt. Das BW betrachtet er als das Sinnesorgan zur Wahrnehmung psychischer Qualitäten (innere und äußere Reize). Dies schafft dann erst die Psychische Realität. Diese Überschneidung von Wahrnehmung und Gedächtnis führt zu Befriedigungserlebnissen, weil wir uns erinnern können, was wir schon früher als befriedigend erlebt haben.

Aus dieser Perspektive gewinnen wir körperliches Bewusstsein in  mehr oder minder großen Ausmaß. Dabei kann die Wahrnehmung, z.B. von bestimmten Affekten, gestört oder verzerrt sein. Diese Sichtweise ist in der Psychosomatischen Medizin und der Psychoanalyse gut bekannt. Herr Storck möchte aber die Perspektive umdrehen und untersuchen, wie das Leibliche die Wahrnehmung steuert.

2. Der Leib vermittelt das Erleben von Selbst und anderem.

Zur Verdeutlichung bekommen wir nun eine kurze Video Sequenz gezeigt. Es geht um eine typische Psychoanalytische Sitzung im „Couch-Setting“. Die Patientin wird von einer Schauspielerin dargestellt.

 Im Video „wimmelt“ es nur so von leiblichen Befindlichkeiten und Interaktionen – Bedürftigkeiten, Kuscheln, Küssen usw. Therapeutisches Thema wie Abstandsregulation oder die Unterscheidung von Selbst und anderem.

Auch bei diesem Thema mischen philosophische Betrachtungen mit. Da gibt es zum einen Plato, dessen Meinung über Körperliches eher geringschätzig war. Ganz im Gegensatz zu Aristoteles, der die Seele als Form des Leibes betrachtet hat und die Seele als durchformt vom Leib.

Neuere phänomenologische Philosophen im deutschsprachigen Raum wären z. B. Helmuth Plessner oder Thomas Fuchs u. a. Alle unterscheiden den subjektiven Leib vom objektiven Körper.  Sie kommen auch zu dem Schluss, dass der Leib der primäre Zugang zur Welt überhaupt darstellt.

Noch aktuellere Betrachtungen wären Theorien zum „Embodiment“, die derzeit En Vogue sind.

Ein berühmtes Zitat von Freud dazu lautet: „Der eigene Körper und vor allem die Oberfläche desselben ist ein Ort, von dem gleichzeitig äußere und innere Wahrnehmungen ausgehen können. Er wird wie ein anderes Objekt gesehen, ergibt aber dem Getast zweierlei Empfindungen, von denen die eine einer inneren Wahrnehmung gleichkommen kann. Es ist in der Psychophysiologie hinreichend erörtert worden, auf welche Weise sich der eigene Körper aus der Wahrnehmungswelt heraushebt. Auch der Schmerz scheint dabei eine Rolle zu spielen und die Art, wie man bei schmerzhaften Erkrankungen eine neue Kenntnis seiner Organe erwirbt, ist vielleicht vorbildlich für die Art, wie man überhaupt zur Vorstellung seines eigenen Körpers kommt. Das Ich ist vor allem ein körperliches, es ist nicht nur ein Oberflächenwesen, sondernd selbst die Projektion einer Oberfläche.“ (Freud 1923b, S.253)

Und weiter. „Das heißt, das Ich leitet sich letztlich von körperlichen Gefühlen ab, hauptsächlich von solchen, die auf der Körperoberfläche entstehen. Es könnte deswegen als eine psychische Projektion der Körperoberfläche angesehen werden und nicht nur wie wir oben gesehen haben, als Darstellung der Oberfläche des psychischen Apparates.“

Daraus folgert Herr Storck, dass der Leib nicht nur Wahrnehmungsorgan des Psychischen ist, sondern jegliches Selbst-Erleben formt. Damit wird das Selbst zu einem zwischenleiblichen Phänomen. Es bildet sich aus den Erfahrungen von Berührungen an der Hautgrenze, als Unterschied zwischen Selbst und Nicht-Selbst. Dabei verinnerlicht das Selbst-Erleben die Kontur der Körperoberfläche und Repräsentiert den Körper als erste Form des Selbst.

Herr Storck spekuliert noch darüber, wie der Begriff des „Triebs“ bei Freud als Grenzbegriff zwischen Psyche und Soma aktualisiert werden könnte.

3. Psychosomatische Störungen lassen sich als eine Entleiblichung verstehen

Alles ist psychosomatisch, denn alle Patient*innen bringen ihre Körper mit in die Therapie. Die alten Konzepte von spezifischen Krankheitspersönlichkeiten führen nach Ansicht des Vortragenden nicht weiter. Tatsächlich erscheinen die Psychodynamischen Phänomene als äußerst diffus. Das könnte aber gerade ein verwertbares Indiz darstellen. Theoretisch ließe sich das sowohl triebtheoretisch als auch objektbezogen gut begründen. Im ersten Fall fände so etwas wie Seele-Körper-Dissoziation statt, im zweiten Fall würde der Körper eine unzuverlässige Bezugsperson repräsentieren.

Beide Zugänge lassen sich in einem Modell zusammenführen. Dies wurde von Armando Ferrari durchgeführt. Das Modell bietet zwei Achsen – Individuum-Umwelt und Psyche-Soma. Bei bekömmlicher Entwicklung entsteht so ein quasi dreidimensionaler Raum von Erleben. Nun ist es so, dass Veränderungen auf der einen Achse auf die andere Achse einwirken. Dass also Störungen im Verhältnis von Individuum-Umwelt zu Störungen des Verhältnisses Psyche-Soma führen. Diese Störung führt wiederum zu Störungen der anderen Dimension und so kann der Erlebnisraum auf eine Zwei- oder gar Eindimensionalität einschrumpfen.

Für Betroffene entsteht so ein Beziehungserleben, das zwischen Verschmelzung und Isolation pendelt. Das erschwert es, sich als eigenständiges Wesen wahrzunehmen. Sich in Kontakt fühlen ist dann nur möglich, wenn wir einander völlig gleich sind, andernfalls erscheint der Eindruck, verlassen zu sein.

Herr Storck präsentiert uns nun ein Fallbeispiel. Es geht dabei um eine Frau, die über Schmerzen klagt, die durch den ganzen Körper wandern. Er erläutert kurz die Biografie der Patientin und stellt uns dann einen Ausschnitt aus dem Thematischen Apperzeptionstest vor. Es geht bei diesem Test darum, eine Geschichte zu einer Abbildung zu erfinden.

Beispielhaft wird an den Antworten der Patientin deutlich, dass sie eine Vorstellung entwickelt hat, dass körperliches Leiden und die Anfälligkeit des Körpers die Seele verunreinigen. Dass also Seele und Körper eher voneinander getrennt sind und auch unterschiedliche Werte aufweisen.

Die Schmerzen lassen sich als Prothese verstehen, mit deren Hilfe sie ihren Körper ganz wahrnehmen kann. Allenfalls, wenn die Patientin von Wasser umgeben ist, hat sie keine Schmerzen und Herr Storck nimmt an, dass sie mit Hilfe des Wassers, das sie vollständig umgrenzt, ihren Körper spüren kann und dann die Schmerzen nicht braucht.

4. Die Arbeit mit der leiblichen Gegenübertragung ist ein Weg zur Symbolisierung verkörperter Zustände

Herr Storck möchte nicht nur über das „Herumdoktern“ an unseren Patient*innen berichten, sondern auch darauf eingehen, wie Therapeut*innen ihren eigenen Leib in der Therapie einsetzten können.

Dazu möchte er auf die Übertragungsbeziehung und die Übertragungsdynamik eingehen. Übertragung, als zentrales Element der Psychoanalytischen Therapie kann als Übertragungsneurose betrachtet werden. Innerhalb dieses Beziehungsmodus können Affekte auftreten und dann auch erfolgversprechend analysiert werden.

Darüber hinaus gibt es auch Übertragungspsychosen und Übertragungsmuster von Persönlichkeitsstörungen, auf die Herr Storck jetzt aber nicht eingehen möchte.

Relativ neu ist die Formulierung einer Übertragungspsychosomatose, in der körperliche Symptome als Regulation in der Beziehung verstanden werden. Herr Storck vermutet auch hierbei das Beziehungsdilemma zwischen Isolation und Verschmelzung.

Aber gibt es so eine Form der Übertragung überhaupt? Herr Storck bejaht das und führt an, dass Therapeut*innen sehr vertraut mit dem Phänomen sind, dass sich, in der Arbeit mit Psychosomatik Patienten, der eigene Leib öfter meldet – z.B. mit einem Zwicken oder einer gewissen Übelkeit.

Das Beziehungsthema macht sich häufig als Scheu bemerkbar, z.B. auf Unterschiede voneinander hinzuweisen oder auch als ein gewisser Druck, Gleichheit herzustellen.

Herr Storck möchte einen genaueren Blick auf die körperlichen Reaktionen werfen und betrachtet dazu die besondere Form der „Projektiven Identifikation“ – sog. ein Abwehrmechanismus, der alles andere als einfach zu erläutern ist. Er möchte uns sein Verständnis dieser Dynamik nahebringen.

Zunächst ist es so, dass der Patient einen unliebsamen Selbstanteil auf den Therapeuten projiziert, ihn also im Gegenüber erlebt. Dies ist zunächst ein rein innerer Prozess. Beispielsweise fühlt sich der Patient gereizt, erlebt aber die gereizte Stimmung als vom Therapeuten ausgehend.

Diese Stimmung färbt natürlich die Kommunikation und Interaktion zwischen Patient und Therapeut. In der Folge wird der Therapeut sich zunehmend gereizt fühlen und zunächst nicht unterscheiden können, woher dieses Gefühl stammt. Er identifiziert sich nun mit diesem Affekt. Erst in einem weiteren Schritt, wird es dem Therapeuten möglich, diese Gereiztheit als eine Art Antwort an den Patienten zu verstehen. Dann wird es möglich, das reflektierte Gefühl dem Patienten in sprachlicher Form wieder anzubieten.

Herr Storck möchte mit zwei Aufforderungen enden. Zum einen plädiert er dafür, dass Therapeuten ihre Leibwahrnehmung zur Verfügung stellen, um es den Patient*innen zu ermöglichen ihre Leibwahrnehmungen besser wahrnehmen zu können.

Weiter fordert er dazu auf, so etwas wie „mentalisierte Alterität“ anzubieten. Also versprachlichte Formen des Anders-Seins, die als nicht bedrohlich erlebt werden können. Anders sein muss dann nicht mehr als Bedrohung der Beziehung erlebt werden.

Dieser dichte Vortrag lässt das Herz eine Körperpsychotherapeuten durchaus höher schlagen und auch das Auditorium ist sehr davon angetan.

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Die Psychosomatik erkundet Schmerz und Subjekt

Der Schmerz und das Ich

„Schmerz und Subjekt – Medizinisch anthropologische Überlegungen“

Bericht vom Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg, Vortrag von: Dr. med. Johannes Picht, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Psychoanalyse, Schliengen

Einleitung

„Ärzte und Therapeuten sollten sich mit dem Schmerz besonders gut auskennen, da es eine ihrer ersten und vornehmsten Aufgaben ist, Schmerz zu lindern.“ Geht es dabei um Wissen über den Schmerz, oder das Wissen vom Schmerz? Dies ist ein Unterschied, denn vom Schmerz weiß nur, wer ihn erfahren hat. Das ist der Patient und der Therapeut muss ihm glauben, bzw. kann er sich evtl. auf eigene Schmerzerfahrungen stützen. Glauben ist dabei nicht gleichbedeutend wie für-wahr-halten.
Schmerz zu objektvieren stößt an eine Grenze, denn Schmerz ist kein Befund und keine Untersuchung kann den Abgrund zwischen dem Befund und dem Leiden überbrücken. Die Schmerzen seien subjektiv, heißt es. Wer aber ist das Subjekt und was hat es mit dem Schmerz zu tun? Er Psychoanalytiker ist kein Arzt. Er muss auf den Schmerz hören können – was macht er dabei, wie macht er das? Das Subjekt hat Schmerzen. Der Arzt macht sich auf die Suche nach der Schmerzursache. Der Schmerz kommt in dieser Betrachtung quasi von außen zum Subjekt. Wie ist das Verhältnis von Schmerz und Subjekt? Herr Picht formuliert folgende These: „Der Schmerz konstituiert und vernichtet das Subjekt.“ Medizinisch wird die Bewältigung des Schmerzes versucht. Aber. das sog. „Subjekt“ ist gegen das verbreitete Alltagsverständnis ein sozial konstruiertes. Das will uns der Vortragende in einigen Punkten erläutern.

1. Zum Begriff des Subjekts

Das Subjekt, erfahren wir zunächst, kann auf zweierlei Arten verstanden werden – als der Träger der Eigenschaft Schmerz (grammatikalisches Subjekt), und philosophisch betrachtet ist dieses Subjekt etwas Bleibendes. Und, das Subjekt ist auch der, der sagen kann: „Ich habe Schmerz.“ Denn der Mensch ist das Wesen, das Sprache und logisches Denken verwendet.
Das Subjekt der europäischen Aufklärung ist ein Kulturprodukt – Es verfügt über ein individuelles Ich, das mit Würde, Autonomie, Freiheit und Verantwortung ausgestattet ist. Es ist ein Subjekt der Vernunft mit Rechten und politischen Pflichten. Von ihm wird ein permanentes geschlossenes Identitätsbild gefordert. Es ist verantwortlich für sein sog. Inneres. Dabei muss ein autonomes Subjekt problematische Aspekte seines „Inneren“ vor sich selbst und vor anderen verbergen. Jede Erfahrung wird subjektiv, wird zu einer Erfahrung eines Subjekts. Wie können dann aber Erfahrungen überhaupt kommuniziert werden? Weil wir nicht nur Einzelwesen sind, sondern auch ähnlich wie andere. Zu einem autonomen Subjekt können wir erst durch die Anerkennung vonanderen werden.

2. Wer wird Subjekt?

Das Ich ist kein vorgegebener Zustand. Subjekt-Sein ist eine Eigenschaft, die erworben und verloren werden kann. Wem kommt diese Eigenschaft zu und wie geschieht das? Victor von Weizsäcker, ein Pionier der psychosomatischen Medizin, haderte mit diesem Begriff. Er plädierte für eine „Medizinische Anthropologie“ und formulierte: „Die Dinge der Seele (z.B. das Ich) kann man mit Begriffen, wie mit der Zuckerzange fassen und wegtun und trotzdem ist noch jemand da, der ruft. […] Das Ich-Märchen vom Menschen wird ein Ende finden.“ Herr Picht weist darauf hin, dass es das Subjekt-Märchen ist, das womöglich ein Ende finden wird.
Das Subjekt wird als gesunder Organismus betrachtet. Krankheiten und Schmerzen sind in dieser Betrachtung nichts anderes als vergängliche Eigenschaften. „Im Schmerz ist aber das enthalten, dass etwas nicht sein soll, was doch ist und dieser Widerspruch von sollen und Da-sein ist die eigentliche Wirklichkeit des Menschen als Kreatur.“ Der Mensch als Kreatur und als Geschöpf ist mit seinem Sollen auf die Zukunft ausgerichtet. Das er nicht so ist, wie er sein soll, macht sein Leben aus. Der Mensch ist in der Zeit, denn Menschen sind nicht zeitenthoben, also keine Bleibenden. Dabei wird „Sollen“ im Sinne von Werden verstanden, als Entfaltung der biologischen Anlage.

3. Subjekt und Umgebung

Das Subjekt wird Ich-haft gedacht. Die Ich-Anlage als biologische Anlage. Genauer betrachtet muss dieses Ich sich ständig neu aufbauen. Dabei ist es auf interaktionelle Bestätigung angewiesen – es benötigt einen sozialen Stoffwechsel.
Dagegen leistet das Ich Widerstand. Aber es gibt kein Ich ohne ein Du, denn es ist immer ein Du, das ein Ich erwartet, es erkennt und versorgt. Dabei ist das Du immer anders als das Ich. Es kann kein Ich geben, ohne schmerzlich erlittene Bedürfnisspannung. Es gäbe kein Ich, ohne den Schrecken der Differenz, denn ständige unmittelbare Bedürfniserfüllung könnte keine Subjektivität entstehen lassen. Dieser Zusammenhang wird vom Ich allerdings verleugnet, indem die Illusion von Autonomie aufgebaut und gehegt wird. Das Ich entwickelt einen Widerstand gegen die Abhängigkeit vom Du und doch bleibt das Subjekt unhintergehbar ein Produkt einer speziellen Beziehung.

4. Aus der Behandlung eines Schmerzpatienten

Herr Picht schildert uns die Begegnung mit Frau B. Sie ist etwa fünfzig Jahre alt, gebeugt, leidet unter heftigen Rückenschmerzen, die sie als unerträglich schildert. Herr Picht fühlt sich unter Druck gesetzt. Frau B bringt großes Vertrauen auf und kommt mit einer enormen Erwartungshaltung zu ihm. Sie ist Arbeiterin und will auch weiterarbeiten. Dann ist sie weg von der Familie. Sie will trotzdem Rente beantragen. Die Widersprüchlichkeit dieser Anliegen fällt ihr nicht auf. Sie beginnt die Stunden immer mit Klagen über ihre Schmerzen und den nachlässigen Hausarzt, der sich nicht wirklich um sie kümmert. Ihr Therapeut fühlt sich in großer Bedrängnis und er fühlt sich ohnmächtig. Der verstehende Ansatz ist für Frau B. nicht nutzbar. Sie sagt, sie habe kein eigenes Leben in ihrer Familie – ihr Mann sei ein religiöser Eiferer, ihre Tochter zwanghaft, ihr Sohn parasitär. Sie verlangt immer wieder zu wissen, was sie tun soll. Herr Picht wird dann manchmal ungeduldig und fordernd. Die Beziehung droht ihn zu überwältigen. Er hofft darauf, dass die therapeutische Beziehung für Frau B. die Erfahrung bringt, dass Beziehung als nicht überwältigend erfahren werden kann.

5. Der Schmerz und der Arzt

Was haben Schmerzen nun mit der Interaktion zu tun? Die erste Erfahrung mit Interaktion ist schmerzlich, denn es ist die Erfahrung der Differenz zum Du . Die Differenz führt zur Vereinzelung und diese gehört zum Wesen des Schmerzes. Der Schmerz ist ein Affekt, zu dem auch Unruhe gehört und Unruhe kann überlasten. An der Grenze zur Überlastung entsteht dann Angst. Das aufkeimende Ich versucht, diese Unruhe zu bewältigen, indem es  seinen Schmerz äußert – die Äußerung soll zur Beteiligung zwingen und wer sich beteiligt wird selbst unruhig. Das Bild der Schwester, die den weinenden Bruder tröstend berührt, ist ein Urbild therapeutischer Tätigkeit.
Die ärztliche Herangehensweise wäre die Betäubung, natürlich nicht, ohne die Ursache der Schmerzen zu kennen. Das ist aber gleichzeitig die Distanzierung vom Leiden. Die zu Ursachen kennen, ist keine Linderung.

Aus dieser Betrachtung ergeben sich zwei mögliche Wege. Zum einen eine Diagnose stellen – Schmerz als umschriebenes Ding zu verstehen. Das vergleicht Herr Picht mit einem Tempelbau mit Sakralbauten – Krankenhäuser, Kurkliniken, medizinisches Spezialistentum etc. In der Folge verleiht die Diagnose den Erkrankten eine Identität. Aus einem Innenleiden wird ein Außenleiden. Nicht selten entsteht ein Kampf mit den Schmerzen und dieser kann zu einem stillen, gegenseitigen Hass werden.

Oder zum anderen – Den Menschen aufnehmen und beharrlich daran arbeiten, die gemeinsame Unruhe zu transformieren. Daraus kann ein gemeinsame Narrativ entstehen, dass eine neue Identität, ein neues Selbstverständnis ermöglichen kann. Aber diese Transformation ist beunruhigend, ja beängstigend. Sie kann Patient*innen überfordern und nicht selten brechen sie ihre Therapie ab – so auch Frau B.

Schlussbemerkungen

In seiner Schlussbetrachtung führt Herr Picht noch einmal die verschiedenen Gedankengänge zusammen. Er postuliert für die Momente der Begegnung von Arzt und Patient den Moment der inneren Unruhe, der von beiden Beteiligten geteilt wird. Die Strategie der objektivierenden Diagnose stellt dann wieder eine Distanz zum Leiden her, die vor allem für den Helfer wichtig ist – die Krankheit wird zu einem benennbaren Ding, mit dem umzugehen ist.

Schmerz ist aber die Empfindung auf der Grenze zwischen Überwältigung und Distanz in der Interaktion. So verstanden, kann Schmerz als rudimentäre Subjektivität betrachtet werden, die sich in Beziehung zu einem Ich entwickeln mag und doch dabei stecken bleibt.
Ein sehr tiefgründiger Vortrag, den ich mir sicher noch einmal anhören werde.

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Die Psychosomatik erkundet Hypnosystemische Therapie

Hypnose und systemische Sichtweise

Bericht vom Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg, Vortrag von: Gunther Schmidt, Dr. med., Dipl. rer. pol., Ärztl. Direktor der SysTelios Privatklinik, Leiter des Milton Erickson Instituts Heidelberg: „Hypnosystemische Psychosomatik wie der Organismus und Symptome für die Gesundung genutzt werden können“

Einführung

Herr Schmidt beginnt seinen Vortrag damit, dass er uns eröffnet, mehr praxisorieniert zu berichten denn: „Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist in der Praxis größer als in der Theorie“. Aber so ganz ohne theoretischen Input kann und will er uns auch nicht entkommen lassen. Also beginnt er damit, die Psychosomatik kurz darzustellen. Zu dieser zählen Somatoforme Störungen, körperliche Erkrankungen unter Einbeziehung ihrer biopsychosozialen Faktoren, Konversionsstörungen, seelische Störungen, die mit körperlichen Missempfindungen einhergehen, Essstörungen und ein destruktiver Umgang mit der eigenen Gesundheit.

Psychosomatisches Problem-Erleben

Nun kommt er zur Dynamik der Organisation eines „psychosomatischen“ Problem-Erlebens. Üblicherweise kommen Betroffene wegen ihrer Beschwerden mit dem Wunsch zum Arzt, dieses unwillkürliche Leiden wegzumachen. Ihr eigener Umgang damit besteht in einem Kampf gegen das Leiden, was meistens dazu führt, dass das Leiden sich verschlechtert, aber zumindest bestehen bleibt.

Neurologische Hintergründe

Das liegt daran, dass unser neurologisches System entwicklungsgeschichtlich aus drei Gehirnen besteht – die Großhirnrinde, das limbische System und das Stammhirn. Letzteres wird gerne als Reptilienhirn bezeichnet, das mittlere als Säugetierhirn und nur die Großhirnrinde ist dem Bewusstsein zugänglich. Der Lösungsweg, den die Hypnosystemische Therapie einschlägt, ist, differenziertes, systematisches Wissen darüber zu gewinnen, wie man auch bewusst willentlich Unwillkürliches in eine gewünschte Richtung beeinflussen kann. Die unwillkürlichen Hirnregionen reagieren dabei immer schneller als die bewusste und willkürliche Großhirnrinde.

Hypnosystemik – ein Meta-Konzept

Nun erfahren wir etwas über die Wurzeln der Hypnosystemik. Die eine Wurzel gründet in der systemischen Familientherapie, die andere auf dem Acker der Hypnotherapie nach Milton Erickson. Das Weltbild dahinter ist der (radikale) Konstruktivismus, der von Protagonisten wie Paus Watzlawick, Humberto Maturana und Niklas Luhmann vertreten wird. Diese systemische Perspektive betrachtet Beziehungen, bzw. Interaktionen und Muster und deren Wechselwirkungen in einem Kontext. Die Familientherapie hatte sich auf die Kontexte spezialisiert, und Milton Erickson auf die inneren, psychischen Prozesse. Beide zusammen helfen, die Entstehung und Aufrechterhaltung von Problemen, sowie der gezielten, wirksamen Veränderung von Problem-Mustern anzugehen.

Hypnose

Wir erfahren, dass die Bilder, die häufig zum Thema Hypnose auftauchen – Bühnen Hypnose, Trance Induktion etc. nichts mit der klinischen Hypnose zu tun haben. Darin wird unter Hypnose das systemische Arbeiten mit unwillkürlichen Prozessen mit Hilfe der Aufmerksamkeitsfokussierung verstanden. Es geht darum unwillkürliche (intuitive) Prozesse mit willkürlich-bewussten, kognitiven Prozessen abzustimmen.
Dies drückt sich auch in den typischen Interventionen aus, in denen es beispielsweise heißt: „Es geschieht ganz unwillkürlich, wie von allein …“ In dieser Arbeit kann so etwas wie Trance Phänomen entstehen. Ganz ähnlich, wie auch die Leidenssituation als eine Art Problem-Trance verstanden wird.

Basis-Prämissen hypnosystemischer Konzepte

So eingeführt, fasst nun Herr Schmidt zusammen, wie die hypnosystemische Sicht auf das Symptom/Problem Erleben aussieht. Jedes Erleben ist demnach ein Teil und Ausdruck von Interaktionen (Mustern, Netzwerken). Es gibt darin immer mehrere Beteiligte, die miteinander zirkulär interagieren und nicht kausal. Es kommt also zu Wechselwirkungen, wie sie für die Kommunikation typisch sind und sie finden immer in einem Kontext statt. Erleben wird konstruktivistisch so verstanden, dass es immer von innen heraus erzeugt wird. Die Beteiligten haben dabei Erwartungen von Erwartungen an andere Beteiligte, und zuguterletzt findet das alles in multiplen Kontexten und Interaktions-Netzwerken mit (quasi) multiplen Ichs statt. Das implizite Ziel aller hypnotischen Interventionen zielt auf die Erhöhung der Selbstwirksamkeit des Patienten ab.

Wechselwirkungen zwischen Systemen

Auf der Grundlage des bio-psycho-sozialen Modells bringt uns Herr Schmidt noch einmal die drei Systeme nahe, die miteinander interagieren. Da ist das körperlich-biologische System, das psychische System und das soziale System. Aus systemischer Sichtweise sind die jeweils anderen Systeme Umwelten. Jedes System ist ausschließlich damit befasst sich selbst zu reproduzieren (Autopoiese) und die Komplexität der Umwelten zu reduzieren. Das psychische System repräsentiert dabei Aspekt des biologischen und des sozialen Systems, allerdings niemals vollständig.

Es gibt kein Problem

Zu diesem Unterpunkt erfahren wir zunächst, dass es kein Problem an sich gibt. Was Problem genannt wird, ist vielmehr die im Moment gestalteten Wahrnehmungsprozesse und Konstruktionen der „Realität“, des Beobachters. Probleme und Lösungen sind also Ausdruck selbst gemachter Musterbildungen, die in selbstrückbezüglichen Wechselwirkungen aufeinander einwirken. So werden die jeweiligen Muster immer wieder stabilisiert und womöglich sogar aufgeschaukelt. Dazu passt auch das Credo des Konstruktivismus, dass wir zwar unser Leben nicht selbst erzeugen, aber unser Erleben.

Neuropsychologie

Die Hypnosystemik bedient sich auch neuerer Konzepte der Neurobiologie und Neuropsychologie. Daraus entsteht dann das Modell, dass jede emotional geladene Episode viele Elemente möglichen Erlebens in hochkomplexer Weise zusammenfügt/vernetzt. Dies geschieht in den älteren Teilen des Gehirns, die nicht sprachlich sind, finden aber einen Zugang zum episodischen, autobiografischen Gedächtnis. Das bewusste Erleben wird als Ausdruck und Ergebnis dieser neuro-physiologischen Netzwerke betrachtet und, das Erleben wirkt auf diese Netzwerke zurück. Sind Netzwerke erst einmal gebildet wandern sie in ein „Erlebnis-Archiv“ und werden dann schnell wieder aktiviert, wenn ähnliche Situationen auftreten. Um solche Netzwerke zu verändern müssen deshalb Unterschiede eingeführt werden. Es genügt einige wenige Unterschiede um das ganze Netzwerk zu modifizieren.

Dimensionen von Hypnosystemik

Das bekommen wir noch einmal mit einer Folie nähergebracht. Darauf ist zu sehen: Das Erleben an sich und der Vergleich von Ist- und Sollwert, die bei den Lösungsversuchen erreicht werden. Zwischen Ist- und Sollwert beobachtet das Ich zahlreiche Aspekte: Die Art der Beschreibung, die Benennung, Bewertung, Erklärungen, Schlussfolgerungen, Selbst-Beziehung, Vergleich mit anderen, Wahrnehmung/Bewertung von eigenen Empfindungen, Erwartungen an sich und andere, Emotionen, Submodalitäten, Physiologie, Körperkoordination u.v.m. Je nach Auswahl findet das Ich eher lösungsförderliche oder problemstabilisierende Lösungsversuche. Wenn Ist- und Sollwert weit auseinanderklaffen, besteht in dieser Kluft das Problem.
Die Fülle von Aspekten, die physikalisch, innerleiblich, interaktionell und meta-kognitiv berücksichtigt werden können, ist eindrücklich und sie sind eine Schatztruhe für Interventionen. Denn es genügt ja, nur einige Aspekte des Musters zu verändern, so dass jeder zugängliche Aspekt nutzbar gemacht werden kann. Wenn das gelingt werden die kognitiv bewussten, die emotionalen und körperlich-physiologischen Aspekte optimal miteinander kooperieren. Dazu müssen sie nur mit den sprachlichen, imaginativen Prozessen, sowie mit sinnlichen Erfahrungen bekömmlich verknüpft werden.

Startbedingungen für „psychosomatische Therapie“

Herr Schmidt problematisiert die landläufige diagnostische Praxis. Die Patienten fühlen sich durch den Begriff der „psychosomatischen Krankheit“ fremd-definiert – mit dem Aspekt der Psyche können sie häufig nichts anfangen, fühlen sich eher davon diskriminiert. Sie selbst haben eher somatisch orientierte Theorie. Durch diese als Herabsetzung empfundene Ausgangslage geraten die Patient*innen in Not. Sie empfinden Stress und geraten situativ in eine „Double-Bind-Situation“. Wenn sie zustimmen, unterwerfen sie sich; wenn sie sich nicht unterwerfen, befürchten sie, als uneinsichtig betrachtet zu werden. Deshalb wählt Herr Schmidt lieber die Bezeichnung „somato-psychisch“ oder „somato-psycho-systemisch“.

Phasen einer hypnosystemischen, psychosomatischen Therapie

Eine Therapie beginnt mit der Klärung des Kontexts, der zur Beratung, bzw. in die Therapie geführt hat. Als nächstes werden Verhandlungen darüber geführt, wie das „lösungsförderlichen Kooperationssystem“ aussehen soll. Dabei wird das „Opfer-Ich“ empathisch aufgenommen. Nun geht es darum eine Zielvision zu entwickeln. Dabei geht es um selbstwirksam erreichbare Ziele, und das können auch mal die zweitbesten sein. Im nächsten Schritt werden dann Wege zu „Mustern des Gelingens“ erprobt. Nun kommt noch der Vergleich zwischen Problem- und Lösungsmustern, in denen gleichzeitig Meta-Positionen (Bewusstheit) errungen werden können (Aha – jetzt bin ich wieder im Problem Muster). Dazu ist es auch hilfreich die „Sprache“ des Körpers verstehen zu lernen.
Konkret sieht das so aus, dass Problem- und Lösungsmuster auf ihre Merkmale (Musterelemente) hin verglichen werden. Z.B. Wie ist das Verhalten, die Atmung, die Körperkoordination, der Umgang mit sich selbst, der Kontext … im Problem- und wie im Lösungsmuster. Die Patienten lernen zwischen den verschiedenen Aktualisierungen hin und her zu pendeln, und werden so selbstwirksam im Umgang mit ihrem Erleben. Besondere Würdigung erfahren dabei die körperlichen Interventionen, weil sie willensnah sind und schnell eine Wirkung entfalten können.

Dienstleistung

Wir erfahren noch, dass es in der Hypnosystemik keine Psychoedukation gibt. Denn dies, so Herr Schmidt, würde die Kooperationsbasis der Beteiligten untergraben. Ein Lehrender und ein Lernender sind hierarchisch bezogen. Deshalb nennt diese Form der Therapie ihre Mitteilungen „Produktinformationen“. Vor diesem Hintergrund erklärt uns der Vortragende, dass er sich als Kellner sieht, der den Patienten vieles anbieten kann, dass aber das Recht der Auswahl beim Patienten bleibt.

Den Vortrag kann man sich auch hier ansehen.

Die Psychosomatik erkundet „Embodiment“

Embodiment als neues Paradigma

Bericht vom Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg
Vortrag von: Martin Dornberg, Dr. med. Dr. phil., Leiter des Zentrums für Psychosomatik und Psychotherapie Freiburg und Philosophisches Seminar, Universität Freiburg:  „Die zweigriffige Baumsäge: Embodiment, Beziehung und Psychotherapie“

Herr Dornberg stellt uns die Gliederung seines Vortrags vor: Es geht zunächst um „Baumsägeexperimente“, dann um „Embodiment und Baumsäge“. Weitergehen soll es mit Anmerkungen zur „Entwicklungspsychologie“, „Psychotherapie und Baumsäge“ und zuguterletzt um „Medienkunst und Baumsäge“.

Einführung

Wir erfahren etwas zur Geschichte, wie dieses Werkzeug überhaupt in die Psychotherapie aufgenommen wurde. Sie wurde von Thure von Uexküll ganz konkret und als Metapher eingeführt, der sie in der Ärzteausbildung verwendete.
Sie findet sich auch in der schon älteren Philosophie, die sich Gedanken zum Ich-Du-Verhältnis macht, zur Intersubjektivität, zum Leib-Seele Problem und zur Zwischenleiblichkeit.
Einen Schub erhielt das Thema durch das Buch „Der kompetente Säugling“ von Martin Dornes. Darin wird dargelegt, dass Säuglinge keineswegs passive Wesen sind, sondern höchst kompetent die Beziehung zur Mutter mitgestalten. In der Psychosomatik formulierte von Uexküll dazu einen weiteren Begriff, nämlich den der „Subjektiven Anatomie“. Dieser besagt so viel, dass jeder Mensch tatsächlich eine sehr subjektive Wahrnehmung seines Körpers hat.
In der Philosophie wurde zum Ende des letzten Jahrhunderts ebenfalls an Embodiment geforscht, unter anderem um den Aspekt des „Körpergedächtnisses“.
Neueste Entwicklungen rund um das Thema drehen sich um Medientheorie und Medienkunst.

Der Funktionskreis

Herr Dornberg stellt uns das biologische Systemmodell von Thure von Uexküll vor, den sogenannten „Funktionskreis“. Dieser macht deutlich, dass kein Lebewesen, also auch kein Mensch in einer abgeschlossenen Psyche lebt, sondern immerzu von seiner Umwelt beeinflusst wird und gleichzeitig auch diese Umwelt beeinflusst.
Wie können wir dann andere Menschen überhaupt verstehen, bzw. uns gegenseitig verstehen? Dazu hören wir ein Zitat von H.G. Gadamer:

„In der antiken Schrift über die Heilkunst findet sich dafür das schöne Beispiel des Führens der Baumsäge. Wie der eine zieht, so folgt der Andere, und das vollendete Führen der Säge bildet einen Gestaltkreis (Weizsäcker), in dem sich die Bewegungen der beiden Sägenden zu einem einheitlichen rhythmischen Fluss der Bewegung verschmelzen. Da steht der bezeichnende Satz, der das Wunderbare solcher Erfahrung von Gleichgewicht andeutet: Wenn sie aber Gewalt anwenden, dann werden sie es ganz verfehlen.“

Der Leib-Phänomenologe Maurice Merleau-Ponty entwickelte das zu einem Konzept der Zwischenleiblichkeit. Er schrieb:

„Die Kommunikation und das Verständnis von Gesten entsteht durch Wechselseitigkeit zwischen meinen Intentionen und den Gesten des anderen, zwischen meinen Gesten und den Intentionen, die ich im Verhalten anderer wahrnehmen kann. Es ist, als ob die Intentionen des anderen meinen Leib bewohnten, und meine Intentionen den seinen.“

Die Baumsägeexperimente

Wir sehen Ausschnitte aus einem Film über Studierende der Medienwissenschft aus zwei Kulturen, die miteinander die Zweihandsäge bedienen. Die Erfahrung verändert sich mit dem Partner. Die Qualität, mit der sich die Sägenden aufeinander einlassen, kann sehr verschieden sein. Die Erfahrung reicht von Frust über das Misslingen des Sägens bis zu Glücksgefühlen, wenn sich eine Harmonie einstellt.
Herr Dornberg verweist hier schon auf die psychotherapeutische Situation, die mit jedem Klienten eine andere ist.
Die ersten Sägeexperimente wurden 1949 in Heidelberg gemacht. Es ging um Fragen der Rehabilitation von kranken Menschen. Mit einer Baumsägen Attrappe konnten sowohl objektive Messdaten gewonnen werden (Zug- und Druckkraft, Weg), als auch subjektive Eindrücke wie Selbst- und Fremdwahrnehmung. Die Ergebnisse der Experimente zeigten folgende Ergebnisse.
Es zeigte sich eine Gegenseitigkeit, dass nämlich beide Akteure in der Voraussicht auf den jeweils anderen handeln .
Kompensationshandlungen stellen sich ein, wenn ein Partner die kurzzeitige Schwäche des anderen ausgleicht, ohne es zu merken.

Aus zwei wird drei

Darüberhinaus entwickelte sich eine Emergenz, d. h. im Vollzug des Sägens entsteht ein neues Ganzes.
Es kommt zu einer Verbundenheit zur Ziel- und Prozessorientierung. Sie realisieren ein Maximum an Freiheit gerade durch ihre Bezugnahme auf feste Determinanten.
Beide Partner formen also ein neues Ganzes, das auf die Partner zurückwirkt. Beide entwickeln eigene Fähigkeiten von „Merken“ und „Wirken“. Das emergente Ganze teilt sich den Partnern körperlich-leiblich und emotional durch Resonanzphänomene mit. Die Stimmung verändert sich und es entwickelt sich eine Synchronie, die sogar die Herzfrequenzen mit einbezieht. Sie bilden durch ihr zwischenleibliches Tun einen „Dritten Körper“
Ein weiteres verblüffendes Ergebnis war, dass die Paarung Gesunder – Kranker, nahezu ebenbürtige Ergebnisse erzielten wie Paarungen von Gesunden. Dieses Ergebnis führte zu einer Hypothese:

„Der Kranke ist nur in dem Maße krank, indem er der Zuwendung seiner Mitmenschen ermangelt. Was ihm fehlt ist nicht nur, was ihm mangelt, sondern auch was die Anderen ihm versagen. Der Begriff „Krankheit“ ist in dieser Sicht kein individueller, sondern ein sozialanthropologischer.“

Embodiment

Die Embodiment Theorie unterstützt die Ansätze der körperorientierten Psychotherapie. Sie sagt aus, dass: Kognitionen, Emotionen und Verhalten neue körperliche Bedingungen formen und, dass die Körper-Konditionen Einfluss auf Kognition, Emotion und Verhalten ausüben. Es handelt sich also sowohl um bottom-up als auch top-down Beziehungen.
Embodiment ist aber nicht ohne Umweltbezug denkbar, deshalb wird Embodiment mit „Embeddedness“ ergänzt. Das bedeutet, dass jedes Lebewesen in seine Umweltzusammenhänge eingebettet ist, diese Umwelt mit formt und wiederum selbst von seinen Interaktionen beeinflusst wird.
Beide Prozesse gemeinsam sind „enaktiv“, also ein interaktiver Prozess beider Beteiligter, die dadurch neue, emergente Eigenschaften produzieren. Sie bedeuten auch, dass Geist nicht auf das Gehirn beschränkt ist (Extended Mind). Geistiges beinhaltet auch externe Komponenten wie Notizen oder andere Umweltkomponenten.

Entwicklungspsychologie

Nun kommt Herr Dornberg zum Thema der Entwicklungspsychologie. Er möchte aus der Säuglingsforschung berichten, dabei die Psychotherapie mit beleuchten und auch etwas über Spiegelneurone sagen.
Er demonstriert die Wirkung der Spiegelneurone an einem Foto, auf dem eine Mann gerade kurz davorsteht, sich in den Daumen zu schneiden. Der Anblick alleine genügt, um sich kurz unwohl zu fühlen, bis man mitbekommt, dass dem eigenen Daumen gerade gar nichts fehlt.
Dann werden wir an die Arbeiten und Theorien von Daniel Stern erinnert. Dieser hat herausgearbeitet, dass sich während der frühen Entwicklungszeit Schemata von Zusammensein etablieren. Es geht dabei um „Handlungsabläufe mit antwortenden Handlungsmacht- und Affektkomponenten, zeitlich-rhythmische Mustern, räumlichen und intensitätsbezogenen Anordnungen. Zusammen bilden sie die sog. RIGs (representations of interactions being generalized).“

Das dialogische Selbst

Ein berühmtes Experiment in diesem Zusammenhang ist das „Still Face“ Experiment, darin interagieren Mütter mit ihren Babys, ohne das Gesicht zu verziehen. Bei den Babys führt das regelmäßig zur Verzweiflung. Sie brauchen eine angemessene Spiegelung (kontingent und markiert), um eine Selbstrepräsentation entwickeln zu können. Mutter und Baby regulieren sich dabei gegenseitig und bilden so etwas wie ein „Dialogisches Selbst“.
Um also Emotionen und Kognitionen entwickeln zu können, brauchen wir die Intersubjektivität. Man kann eine primäre Intersubjektivität, die wäre multimodal, nicht-konzeptionell und körperlich von einer sekundären Intersubjektivität unterscheiden, das betrifft das Teilen von Intentionen und Wünschen durch Handlungen, Äußerungen und Wahrnehmungen. Der Psychotherapeut Peter Fonagy drückt diesen Umstand so aus:

„Wir müssen von einem dialektischen Modell der Entwicklung des Selbst ausgehen (…), demzufolge die Fähigkeit des Kindes, eine kohärente Vorstellung von der Psyche zu entwickeln, entscheidend davon abhängt, dass es sich selbst von seiner Bindungsfigur als Psyche wahrgenommen fühlt.“

Psychotherapie und Baumsäge

Der Prozess der Psychotherapie und die Beziehung, die darin entsteht, kann ebenfalls mit der zweihändigen Baumsäge veranschaulicht werden. Die Wirklichkeiten von Therapeut*in und Klient*in verzahnen sich ineinander. Sie erschaffen im besten Fall eine gemeinsame, hilfreiche Wirklichkeit. Der/die Therapeut*in dient in dieser Beziehung als „diagnostisches Instrument“.
Psychotherapie ist beziehungsorientiert. Sie kann als komplexes Wechselspiel zwischen zwei Beteiligten betrachtet werden. Ein konstruktivistisches Element besteht darin, dass wir unsere Wirklichkeiten in so einer komplexen Beziehung tatsächlich selbst erschaffen, nichtsdestotrotz bleiben wir natürlich reale Lebewesen. In der Therapie können wir die Gleichzeitigkeit von Bedingtheit und Abhängigkeit und von Freiheit und Einflussnahme erleben, ebenso wie beim gemeinsamen Sägen.
Die gelingende Psychotherapie schafft eine gemeinsame Wirklichkeit, in der gemeinsam eine Leistung erbracht wird, z. B. Zusammenarbeit oder Gesundheit. Beide Beteiligte haben ihre eigene Wirklichkeit, die Fragen bereithält. Z. B. Wovon werde ich/er gerade beeinflusst (Beziehungen/Gefühle) und was für Ziele/Wünsche habe ich/hat er gerade?
Im nächsten Schritt kann die gemeinsame Wirklichkeit erkundet werden. Also die jeweiligen Wirklichkeiten realisieren und durch eine patientenorientierte Kommunikation, also mit Hilfe von Pausen, emotionaler Spiegelung oder Zusammenfassungen. Dies darf sich abwechseln mit therapeutenzentrierter Kommunikation, in der der Therapeut seine therapeutischen Ziele kommunizieren kann.

Therapeutische Relevanz

Klassisch wäre, dass die Tiefenpsychologischen Ansätze stärker die Patientenorientierung nutzen und die Verhaltenstherapeutischen eher die Therapeutenzentrierten. Tatsächlich sind aber immer beide Aspekte nötig, denn Therapeut und Patient sind nicht exklusiv miteinander verbunden. In ihrer Beziehung tauchen auch andere Beziehungen auf, z. B. solche von früheren, aktuellen oder auch aus anderen Therapien.
Dies liegt u.a. an den emotionalen Schemata. Die wesentlichen Bindungs- und Beziehungsmuster entwickeln sich in den ersten Lebensjahren. Sie sind vorwiegend körperlich/verkörpert. Sie formen die impliziten und expliziten Organisationsformen von Erfahrungen.

Situation und Körpererleben

Liegen Dysfunktionen von emotionalen Schemata vor, dann zeigen sie sich situativ, wenn eine Situation unangemessene emotionale/kognitive Reaktionen auslöst. Offenbar ist es so, dass die Corona Situation neue Herausforderungen für die Schemata darstellt.
Der subjektiven Anatomie der dysfunktionalen Schemata kann man auch mit Körperbildern oder Körperskulpturen auf die Spur kommen. Besonders eindrücklich sind Figuren oder Gebilde, die die Klient*innen aus Ton formen können.
Nun wird noch Klaus Grawe angeführt. Diese Psychotherapieforscher hat geschrieben:

„Alle Inhalte des impliziten Gedächtnisses und damit die Grundlage des Großteils unbewusster Prozesse könne nur prozessual aktiviert werden, aber nicht über inhaltliche Thematisierung. Dieser Sachverhalt erscheint mir für die Psychotherapie von allerhöchster Relevanz. Für die Reaktivierung ist die Herstellung einer möglichst ähnlichen Reizsituation erforderlich, wie der,  unter der diese Gedächtnissysteme ursprünglich erworben wurden.“ Und: „Für die herbeizuführenden Veränderungen ist (…) der implizit-nonverbal-analoge Funktionsmodus wegen seiner engen Assoziation mit den Emotionen der relevantere.“

Wenn das nicht für Körperorientierte Psychotherapie spricht!
Es geht also in der Therapie auch darum, bestimmte Reaktionen situativ hervorzurufen und sie dann zu verändern. Dies geschieht dadurch, dass die auftauchenden dysfunktionalen Muster durch kleine Variationen modifiziert werden.
Zusammenfassend bekommen wir ein Diagramm, welches das „System Therapeut“ dem „System Klient*in“ gegenüberstellt. Beide sind aufeinander bezogen und übertragen aufeinander. Es finden Parallelprozesse statt, Beziehungsübertragungen, Affektübertragungen, Körperübertragungen, Spiegelungen, Mentalisierungen und auch Traumaübertragungen sind möglich. Das Fazit daraus lauter:

„Die Ansicht Freuds, der Therapeut müsse sich so wie ein Spiegel verhalten, ist falsch! Ohne Verwicklung keine Entwicklung!“

Fazit

Das abschließende Fazit aus der Baumsägen Metapher sieht so aus: Die therapeutische Beziehung hat eine besondere Bedeutung. Das Phänomen des „Dritten Körpers“ spielt eine Rolle für den Erfolg. Übertragungen und Gegenübertragungen finden ständig zwischen beiden Beteiligten statt.
Therapie ist die Veränderung impliziter Beziehungsmuster und eine korrektive therapeutische Erfahrung.
Sogenannte „Begegnungsmomente“ (~ spontanes, bedeutungsvolles Miteinander) fördern den Therapieerfolg. Emotionale Mitteilungen des Therapeuten können eine Beziehungsherausforderung sein, die Früchte tragen kann.
Als Grundlage ist das Bio-psycho-soziale Modell und dessen Systemik am hilfreichsten.
Hier ist der Vortragende am Ende seiner Zeit angekommen. Es ist möglich sich den Vortrag selbst anzusehen.

Die Psychosomatik erkundet Rituale

Rituale strukturieren das Leben

Bericht vom Psychosomatischen Dienstags-Kolloquiums „Körper – Seele – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg vom 05.11.19 von William Sax, Heidelberg:
„Ritual als Therapie“

Einleitung

Professor Sax beginnt mit dem Gedanken, dass psychische Gesundheit ein global wünschenswertes Ziel sei. Aber was bedeutet „psychische Gesundheit“? Wer definiert das und wie wird es definiert? Er berichtet über das „Movement for global mental health“, eine Organisation, die den Mangel an Psychiatern in ärmeren Weltgegenden als Verletzung der Menschenrechte betrachtet. Die Mitgliedsorganisationen fordern mehr Psychiater für Arme.
Aber darin liegen auch potenzielle Probleme. Je nach Kultur, in der moderne psychiatrische Mittel zum Einsatz kommen, können diese Mittel auch Schaden anrichten. Darüber hinaus ist nicht klar, welchen Interessen diese Art von Intervention dient. Der rein materialistische Zugang zu psychischen Erkrankungen birgt Risiken und macht blind für andere Arten des Umgangs mit psychischen Erkrankungen.

Rituale und Therapie

Es gibt weltweit Heilungstraditionen, ritueller und religiöser Art, mit denen ein Großteil von Problemen aller Art – auch psychischer Krankheit – behandelt werden. Das trifft nicht nur auf Kulturen des globalen Südens zu, sondern auch auf die USA und Europa. Erstaunlicherweise gibt es dazu so gut wie keine Forschungen. Ein der weniger Studien, die in Indien durchgeführt wurde, zeigt, dass ca. 80% der psychischen Probleme mit einem traditionellen Verfahren behandelt wurde. Leider fehlen hier die Studien über Wirksamkeit und Erfolgsdauer der Behandlungen.
Herr Sax vollzieht noch einmal den Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds nach. Wie schon gesagt führte die Dominanz der materialistischen Weltauffassung dazu, dass in einem ersten Schritt die Seele verschwand und in einem zweiten der Geist zum Gehirn reduziert wurde. Diese Entwicklung hat einerseits eine große Menge an wertvollem Wissen gewonnen, es andererseits allerdings unmöglich gemacht, in der Psychiatrie nach Sinn und Bedeutung zu fragen. Weiter noch führt diese Art den Menschen als Maschine zu betrachten dazu, dass die Menschen diese Sichtweise übernehmen und sich selbst ebenso als Maschinen betrachten.

Rituale

Was ist ein Ritual? Zahlreiche Anthropologen und Ethnologen sind sich nach jahrzehntelanger Diskussion nicht darüber einig geworden, wie ein Ritual zu definieren wäre. Für Ritual Anwender sind die Vollzüge eine „Technik“, und nicht eine „Heilung“, es wird also schon schwierig, wenn Wissenschaftler versuchen, sich mit Ritualteilnehmern über die Handlungen auszutauschen.

Rituale können sehr, sehr unterschiedlich auftreten, denn sie dauern kurz oder länger (manchmal Jahre), sind vorübergehend, gelegentlich oder regelmäßig und dabei mehr oder weniger aufwendig. In der Regel sind sie Ausdrucksstark und zur Verblüffung der Wissenschaft nicht instrumentell. Das ist ein Merkmal eines vormodernen Weltbilds und damit unvereinbar mit modernen Wissenschaften.

Dass Rituale wirken, ist vielfach belegt, aber wie wirken sie? Dazu gibt es, mangels Definition, kaum Antworten. Wirken sie ähnlich wie Kräutertränke, geht es um wiedergefundenes Vertrauen, wird die Welt neu geordnet? Man könnte alle Hypothesen bejahen, aber hätte noch keine befriedigende Antwort.

Familie und Ritual

Herr Sax zeigt uns einen kurzen Filmausschnitt aus einer indischen Provinz, wo er einem Orakel beiwohnte. Der Gang zum Orakel ist in der Regel der erste Schritt, wenn ein Familienmitglied unerklärliche Symptome zeigt. Das Orakel versetzt sich in Trance und befragt die Familie: „Ist die Familie vereint?“ Und falls nicht: „Ist es möglich, dass die Familie sich vereinen kann?“ Damit berücksichtigt das Orakel, dass die allermeisten Fälle von unerklärlichen Krankheiten auf Familienstreitigkeiten zurückgehen.
Die Familienverbände sind in dieser Weltgegend oft die einzige Quelle von Moral und materiellen Ressourcen. Man opfert sich immer wieder für einzelne Familienmitglieder auf. Dabei entstehen auch Neid und Missgunst, Rachegelüste, Kränkungen u.v.m.

Die moralischen Gebote des Hinduismus oder auch des Islam verbieten nun, Rache zu nehmen, insbesondere verbieten sie die Nutzung von schwarzer Magie. Aber offenbar wird dieses Verbot nicht immer eingehalten. Für westlich sozialisierte Menschen erstaunlich ist, dass schwarzmagische Flüche offenbar tatsächlich Wirkung entfalten und zwar bis hin zum Tod des Verfluchten.

Kosten des Rituals

Aber falls die Familie sich vereinigen kann, wird ein aufwändiges und teures Ritual verordnet. Die ganze Familie, auch weit entfernt wohnende Mitglieder, müssen daran teilnehmen. Die Zeit der gemeinsamen Vorbereitung zur Durchführung des Rituals bringt die Familie wieder zusammen und schafft so die Möglichkeit einer Veränderung.

Auch in muslimischen Kulturen gibt es ähnliche Verfahren. Dort sind es eher „Dschinns“, das sind unsichtbare Wesen, die aus rauchlosem Feuer erschaffen sind, die im Auftrag des einen Menschen von einem anderen Menschen Besitz ergreifen. Es gibt verschieden Wege, diese Dämonen zu exorzieren und es gibt unterschiedlich seriöse Exorzisten, die diese Fähigkeit besitzen. Auch hier bekommen wir einen kleinen Film gezeigt.

Der Vorzug der Besessenheit ist, dass die Kranken von einer Krankheitsschuld entlastet werden. In muslimischen Kulturen wird der Dschinn dann möglichst gefangen und getötet. Anders in Hindu Kulturen. Dort werden die Dämonen nach Möglichkeit versöhnt. Diese Art der Herangehensweise ermöglicht den Kranken die Einsicht, wie sie sich verletzlich gemacht haben.

Nachwort

Es gibt also einen gewaltigen Bereich von sozio-psychischen Phänomenen, die von der Wissenschaft, insbesondere der medizinischen Wissenschaft, ausgeblendet werden. Ein ähnliches Schicksal wie die Placebo oder Homöopathie Forschung, denn damit lassen sich keine Karrieren starten.

Herr Sax macht uns klar, dass viele wissenschaftlich Verfahren der Vergangenheit heute als unwissenschaftlich gelten und dass sicher auch in der Zukunft viele heutige wissenschaftliche Methoden als unwissenschaftlich entlarvt werden dürften. Das Phänomen „Gesundheit“ (das sich übrigens auch nicht definieren lässt) ist mit so vielen Aspekten verbunden, dass die Reduktion auf die materiellen Aspekte eine Art selbstverordneter Blindheit gleichkommt.
Es kommt darauf an, Geist und Körper wieder zusammenzuführen und wenn dabei die Seele auch noch eine Rolle spielen darf, wäre das wohl kein Fehler.