Die Psychosomatik erkundet das Selbst III

Bericht vom 02.07.24 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Fynn-Mathis Trautwein Dr. rer. nat, Systemische Gesundheitsforschung, Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Freiburg:

Zwei Masken
John Hain auf Pixabay

 „Das Selbst im Spiegel der Meditation: Kontemplative und neurowissenschaftliche Perspektiven“

Das sog. Selbst und das Selbsterleben stehen auch im Zentrum von meditativer Erfahrung. Meditation hat Effekte auf das Selbsterleben, einige davon sind erwünscht, andere weniger. Herr Trautwein möchte uns damit bekannt machen, was die Forschung heutzutage über die neuronalen Korrelate dazu herausgefunden hat. Aber nicht nur, auch einen phänomenologischen Zugang möchte er mit uns erkunden. Dieser trägt den Namen „Neurophänomenologie“ und der berühmte Biologe Francisco Varela hat diese begründet. Er sagt: „Jede Wissenschaft von Geist und Bewusstsein muss früher oder später mit der Grundbedingung zurechtkommen, dass wir keine Ahnung davon haben, was das Mentale oder Kognitive überhaupt sind, außer dass wir es selbst erleben.“ (Übersetzung BL) Psychologie und Kognitionswissenschaften brauchen also notwendig die Perspektive der persönlichen und subjektiven Erfahrung um voranzukommen. Diese wird klassischerweise als Erste-Person-Perspektive bezeichnet, die nun systematisch mit einer forschungstypischen Dritte-Person-Perspektive verknüpft werden soll.

Varietäten des Selbst

Bevor er das vertiefen wird, möchte Herr Trautwein noch einige Informationen vorausschicken. Es geht um das Verständnis dessen, was wir unter „Selbst“ verstehen wollen. Zwei Richtungen sind bekannt, deren eine das narrative/konzeptuelle/reflektive Selbst genannt werden könnte. Es verfügt über autobiografisches Wissen, ein Selbstkonzept und besitzt eine soziale Identität – es nimmt sich selbst zum Objekt.

Die andere Richtung bringt ein verkörpertes/minimales/präreflexives Selbst ans Licht. Es ist mit dem Körper identifiziert, ist das handelnde Selbst, verfügt über Selbstlokalisation und besitzt eine Ich-Perspektive, das direkten Zugang zu den basalen Körpergefühlen hat. Es ist das Selbst als Subjekt.

Selbst als Objekt

Es gibt bereits zahlreiche empirische Befunde zum narrativen Selbst. Es ist mit Aktivität im sog. „Default Mode Network“ assoziiert. Das sind Gehirnbereiche, die aktiv sind, wenn wir uns gerade mit nichts Besonderem befassen. Fast fünfzig Prozent der Zeit verbringen wir mit dieser „Fokussierung kognitiver Prozesse auf selbst-relevante Inhalte“. Selbstrelevant ist, wenn wir uns selbst Aufmerksamkeit schenken, unser Gedächtnis nutzen oder uns selbst ein wenig rosiger sehen, als wir es tatsächlich sind. Das ist wichtig für die Selbstwertregulation, so dass das Selbst schon einmal als „verzerrtes kognitives Konstrukt“ bezeichnet wurde. Es spricht einiges dafür, dass dies notwendig für ein gesundes, integriertes und selbstwirksames Ich ist.

Selbst als Subjekt

Es gibt inzwischen eine zunehmende empirische Forschung zum verkörperten Selbst. Das ist naturgemäß schwieriger als bildgebende Verfahren, hält sich dieses subjektive Selbst doch eher im Hintergrund der Erfahrungen auf. Bereits im Eröffnungsvortrag von Herrn Metzinger wurden die Forschungssettings mithilfe von virtuellen Realitäten dargestellt.

Ein weiterer Zugang stellt die Hypothese dar, dass das verkörperte und handelnde Selbst ein Produkt der Eigenaktivität des Organismus sein könnte. Da der Organismus ohnehin ständig in Interaktion mit seiner Umwelt ist, wirkt diese auf die Regulation des Körpers. Dies wiederum stößt eine Selbstregulation der Kognition an.

Veränderte Bewusstseinszustände

Veränderte Bewusstseinszustände könnten eine Möglichkeit bieten das Phänomen des Selbst besser zu verstehen. Damit kommt die Frage auf, ob es eine Art von „Selbstspezifität“ eine exklusive und nicht-kontingente Eigenschaft des Selbst geben kann. Welche Art von Wahrnehmung ist noch mit dem Selbst verbunden und dann stellt sich schnell heraus, dass das konzeptionelle Selbst (Narration) nicht notwendig für ein Selbstgefühl ist. Die Frage, ob auch auf das verkörperte Selbst verzichtet werden kann, ist Gegenstand derzeitiger Forschung. Gesucht wird das ‚Minimale Phänomenale Erleben‘.

Um diesem MPE auf die Spur zu kommen bietet sich Meditation an. Hierbei könnten erfahrene Meditierende behilflich sein, die mit den veränderten Bewusstseinszuständen sehr vertraut sind.

Meditation

Was für Meditationen gibt es überhaupt? Kann man eine einheitliche Definition geben? Eine Formulierung könnte lauten: Praktiken, die Körper und Geist selbst regulieren, die durch spezielle Aufmerksamkeit geistige Ereignisse hervorrufen. Dies ist allerdings einigermaßen unscharf und so fokussiert sich die Forschung auf ‚Achtsamkeitsmeditation‘.

Es geht dabei um Aufmerksamkeitsregulation – das Meta-Gewahrsein der gegenwärtigen Erfahrung. Die affektive Haltung besteht dabei aus Offenheit, Neugierde, Akzeptanz

Eine weitere Betrachtung sind Familienähnlichkeiten von Praktiken. Da finden sich eher fokussierte oder eher offene Arten der Aufmerksamkeit. Dann gibt es die Meditationen, prosoziale Werte und Gefühle adressieren – konstruktiv genannt und dekonstruktiv wären Meditationen, die Zusammenhänge, die gesehen werden, auflösen können.

Meditierende 

Meditation findet eine zunehmende Verbreitung – 11 % der Befragten geben an täglich zu meditieren. 79 % haben schon einmal Meditation erprobt.

Die positive Wirkung auf Gesundheit und Wohlbefinden ist gut etabliert, so gibt es eine klinische Studie, die moderate Evidenz für Reduktion von Ängsten, Depressionen, chronische Schmerzen, Sorgen und verbesserte Lebensqualität zeigt.

Bei einer weiteren Studie wurde bei einer gesunden Population große Effekte auf Stress und moderate auf Angst Depression zeigt, sowie ebenfalls eine verbesserte Lebensqualität.

Aktuelle Forschungsfragen drehen sich darum, was bei fortgeschrittenen meditativen Praktiken und tiefen Meditationszuständen hinzukommen mag. Ganz grundsätzlich wird nach Modellen und Mechanismen gesucht, die erklären können, wie durch die im Grunde genommen simple Praxis der Meditation solche eindrucksvollen Effekte entstehen können.

In den Blick kommen auch Nebenwirkungen, also unangenehme Veränderungen im Selbsterleben und der Versuch, die entsprechenden neuronalen Prozesse zu verstehen.

Meditation und Selbsterleben

Eine sehr alte Tradition der Meditation stammt von Buddha bzw. dem Buddhismus. Für diesen spielt die Entstehung von Leid eine zentrale Rolle und eine wichtige Quelle von Leid ist die fehlgeleitete Sicht auf das Selbst. Mediation ist die Möglichkeit, dies zu verändern. Dazu noch ein Zitat: „Den Weg zu studieren, heißt das Selbst zu studieren. Das Selbst zu studieren heißt das Selbst zu vergessen. Das Selbst zu vergessen heißt von allen Dingen des Universums erleuchtet zu werden.“ Dieser kurze Ausflug in die Spiritualität soll genügen, stiftet aber den Übergang zur neuzeitlichen Forschung. Diese hat herausgefunden, dass das „Decentering“ ~ Desidentifikation eine hilfreiche Wirkung in der achtsamkeitsbasierten Depressionstherapie hat.

Als Beispiel bekommen wir eine kleine Grafik. Diese beginnt mit einer Wahrnehmung/Gedanken, dem eine Identifikation folgt, der wiederum eine Reaktivität folgt. Der Gedanke könnte sein: Das war ein Fehler und die sich daraufsetzende Identifikation könnte lauten: Nichts gelingt mir. Woraufhin die Reaktivität mit Traurigkeit und Hilflosigkeit reagiert. Mit der Fähigkeit des Meta-Gewahrseins ist es möglich, den Gedanken zu erkennen >>nichts gelingt mir<< und sich von diesem Gedanken zu desidentifizieren und damit auch neue Reaktionen zu ermöglichen.

Empirische Forschung: Effekte auf den narrativen/konzeptuellen Ebene

Diese Praxis ermöglicht den Meditierenden, sich weniger mit sich selbst zu beschäftigen, was sich z. B. darin zeigt, dass das Default Mode Network weniger aktiv ist. Auch andere Versuchssettings mit erfahrenen Meditierenden bestätigen diesen Effekt.

Gibt es auch Effekte auf das verkörperte/minimale Selbst?

Dazu stellt uns Herr Trautwein eine qualitative Forschung an Langzeitpraktizierenden vor. Von diesen berichteten 75 % von aversiven Erlebnissen. Sie schilderten intensive Veränderungen im Selbsterleben z. B. Verlust von Selbst-Welt Grenze. Dieser Effekt ist gut bekannt. Schon kurze Achtsamkeitsübungen z. B. ein Body-Scan können zu diffuserem Erleben der Körpergrenzen führen.

Wie sehen nun die Phänomenologie und die neuronalen Prozesse des veränderten Selbsterlebens bei intensiver Praxis aus?

Bei einer Studie in Israel wurden Interviews und verschiedenste Untersuchungen mit einem sehr erfahrenen Meditationslehrer durchgeführt. Er berichtete von einem graduellen Prozess der Auflösung der Selbst-Welt Grenze. Dies korrelierte mit einer reduzierten Beta-Aktivität in bestimmten Gehirnregionen.

Anschließend wurde versucht, ob dieses Ergebnis replizierbar und generalisierbar in einer größeren Stichprobe wäre. Die Probanden erhielten den Auftrag, sich abwechselnd ihres Körperselbst bewusst zu bleiben (Agency) und dann die Kontrolle loszulassen und in die Entgrenzung zu wechseln und das mehrere Male. Alle Proband*innen wurden gescannt und danach interviewt. Sowohl die Scanner Aufnahmen als auch die Interviews ergaben ähnliche Ergebnisse wie erwartet. Neurophysiologisch ist ein deutlicher Unterschied zwischen Entgrenzung und Agency wahrnehmbar.

Herr Trautwein kommt zu einem Fazit:

Die innere Distanzierung von Aspekten des narrativen/konzeptuellen Selbst ist ein grundlegender Prozess in der Achtsamkeitsmeditation.

Auch das verkörperter Selbst wird durch Meditation beeinflusst

Diffusere Köper-Welt-Grenzen entstehen schon nach einer kurzen Achtsamkeitsübung.

Auflösung der Selbstwahrnehmung als räumlich verkörpertes, mit der Welt interagierendes Subjekt in Meditationszuständen fortgeschrittener Meditierender

Dies geht einher mit reduzierter Aktivität in sensomotorischen Arealen sowie (bei umfassenden Entgrenzungserfahrungen) im posterioren medialen Cortex

Das bedeutet:

-> empirische Evidenz für das Selbst als dynamischen (en-)aktiven Prozess, welcher durch (mentale) Handlung hervorgebracht wird

-> der Einbezug der Erste-Person-Perspektive kann zum Verständnis des Gehirns beitragen

Damit begründet Herr Trautwein, dass „das Selbst ein dynamischer und aktiver oder enaktiver Prozess ist, also ein Prozess, der sich quasi aus seiner eigenen Aktivität hervorbringt. Das heißt, das Selbst entsteht durch die mentale Handlung, auch durch die körperliche Handlung und Interaktion mit der Welt und ist quasi ein Prozess, der ständig immer wieder hervorgebracht wird.“

Auf einer methodischen Ebene sind diese Ergebnisse ein Stück weit eine Bestätigung für die Idee, dass der Einbezug der ersten Person Perspektive die empirische Forschung ergänzen und bereichern kann.

Implikationen

Meditationen haben also einen Einfluss auf die Befindlichkeit. Dies trifft auf einen Zeitgeist, in dem unerwünschte Nebenwirkungen von Meditation bekannt werden. Die Frage bleibt, was ist erwünscht und was nicht?

  1. Nebenwirkungen von Meditation durch unerwünschte Veränderungen im Selbsterleben
  2. Veränderungen im Selbsterleben als Wirkmechanismus von Meditation?

Je nachdem wen man wie fragt, kommen die Forscher zu unterschiedlichen Ergebnissen. Bekannt ist die qualitative Erfassung an Personen mit belastenden Meditationserfahrungen. Es gibt Befragungen, die über diverse z. T. stark belastende Erfahrungen in verschiedenen Bereichen berichten – kognitiv, perzeptuell, affektiv, somatisch, sozial und im Selbsterleben. Bei 73 % moderate bis schwer, anhalten Beeinträchtigung, bei 17 % Hospitalisierung – Zahlen, die lt. Herrn Trautwein mit Vorsicht zu betrachten sind.

Denn, bei diesen erlebten Veränderungen im Selbsterleben müssen Überlappungen mit Psychopathologien berücksichtigt werden, also differenzialdiagnostische Erwägungen getroffen werden.

Die seriösere Erfassung in repräsentativen Stichproben berichten von 30 -50 % unerwünschten Nebenwirkungen wie Ängste, traumatische Erinnerungen und emotionale Sensitivität.

Bei 10 % ergaben sich dadurch funktionelle Beeinträchtigung, die zeitlich begrenzt auf kürzer als eine Woche waren.

Bei belastenden Kindheitserlebnissen wird das häufiger erlebt. Der wahrgenommene Nutzen war aber davon unabhängig.

Herr Trautwein folgert daraus:

-> die Notwendigkeit systematischer Forschung: Personen- und Kontextfaktoren? Kausalität?

-> eine Qualitätssicherung in der Ausbildung in angebotenen Gesundheitsprogrammen und Interventionen

Es bleiben offene Fragen. Z.B. ob die Veränderungen im Selbsterleben ein Wirkmechanismus von Meditation sind? Oder ob Selbsttranszendenz als transdiagnostischer Prozess betrachtet werden kann?

Ein spannender und informativer Vortrag:

https://uni-freiburg.cloud.panopto.eu/Panopto/Pages/Viewer.aspx?id=2809ec5f-058c-44c1-8cbb-b12c01035f24

Die Psychosomatik erkundet Psychotherapie

Das Dodo Theorem behauptet die Gleichwirksamkeit aller Psychotherapien

Bericht vom 28.06.22 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Prof. Dr. Bernhard Strauß, Direktor des Instituts für Psychosoziale Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie des Universitätsklinikums Jena. Sein Vortrag trägt den Titel: Die Zukunft der Psychotherapie

Herr Strauß präsentiert zur Auflockerung zwei Zitate von seinem Landsmann Karl Valentin: „Die Zukunft war früher auch besser.“ Und: „Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn es sich um die Zukunft dreht.“ Der möchte damit deutlich machen, dass der forsch formulierte Titel dieses Vortrags nicht  zu wörtlich genommen wird. Nun erfahren wir die Gliederung:

  • Die große Psychotherapiedebatte
  • „Core Knowledge“
  • Verfahrensbezogene Hindernisse
  • Zukunft

Die große Psychotherapiedebatte

Diese Überschrift entspricht einem Buchtitel, der zuerst in englischer Sprache erschienen ist und inzwischen auch auf Deutsch vorliegt. Die folgenden Erkenntnisse sind wesentlich diesem Buch entnommen.

Was wir sicher wissen

  • Psychotherapie ist (relativ) wirksam – relativ bezieht sich v.a. auf die hohen Rückfallquoten
  • Psychotherapie ist in der Praxis ähnlich (relativ) wirksam wie Psychotherapie in randomisierten Doppelblindstudien
  • Veränderungsprozesse dauern unterschiedlich lange
  • Therapeuten unterscheiden sich deutlich in ihrer Effektivität

Was wir ziemlich sicher wissen

  • Kontextuelle Faktoren wie Allianz, Empathie, Erwartungen, Aufklärung über die Störung etc. hängen deutlich mit dem Therapieergebnis zusammen.
  • Grafik blaue Schrift = Kontextuelle Faktoren

Was wie einigermaßen sicher wissen

  • Therapeuten werden mit zunehmenden Erfahrungen nicht besser
  • Strukturierte/fokussierte Behandlungen sind wirksamer
  • Spezifische Techniken haben einen geringen Einfluss

Worüber wir noch spekulieren

Ist die kognitive Verhaltenstherapie besser als andere (ein alter Streitpunkt). Wenn, dann nur bezogen auf „target symptoms“. Ansonsten gibt es keine wesentlichen Unterschiede bzgl. Lebensqualität, Wohlbefinden oder Funktionsniveau. Zu beachten ist der sog. Allegiance Effekt – Forscher bevorzugen „ihre“ Methode in der Beurteilung.

Core Knowledge

Was also macht den Kern des Wissens über Psychotherapie aus? Das ist nicht einfach festzustellen, denn der Diskurs der Therapieschulen ist schwierig. Das liegt zum einen daran, dass Theoretiker der verschiedenen Schulen ihre Konstrukte ungern aufgeben oder relativieren wollen. Zum anderen sind Psychotherapieverfahren auch Institutionen, die sich nur sehr schwerfällig verändern lassen.

Andere Hintergründe dieses Problems sind:

  • Lücken zwischen Forschung und Praxis
  • Unterschiedliche theoretische Ansätze zum Verständnis von Psychotherapie
  • Sprachbarrieren (z.B. zwischen Tiefenpsychologen und Verhaltenstherapeuten)
  • Wandel in der Forschungsmethodologie
  • Die Wirksamkeit vermeintlich neuer Befunde
  • Spielregeln der Wissenschaft

Diesen letzten Aspekt verdeutlicht der Vortragende mit zwei Zitaten über Wissenschaft: 1942 beanspruchte Wissenschaft noch Universalismus, Kommunalität, Disinterestedness und Organisierter Skeptizismus.

1974 liest sich die Liste so: Partikularismus, Solitarismus, Interestedness und Organisierter Dogmatismus.

Letztlich sind auch Wissenschaftler nur Menschen, die sich auch so sehen können: „Eine Karriere wird gemacht, indem Geschichte gemacht wird.“ Womit der Autor seinen Ehrgeiz öffentlich macht.

Warum aber gibt es überhaupt Konflikte in der Psychotherapie und der Psychotherapieforschung. Es sind Konflikte zwischen Vertretern einzelner Verfahren; zwischen Wissenschaft und Praxis; zwischen traditionellen Verfahren und neuen Entwicklungen.

Der Lösungsvorschlag geht dahin, dass es eine Konsenstheorie der Psychotherapie braucht. Dass Identitäten als Psychotherapeut*innen wichtiger sind als Identitäten als Vertreter*innen von Schulen.

Unter der Forschergemeinde gibt es einige Vertreter, die einen solchen Konsens befürworten. Allerdings wird auch beklagt, dass die Datenlage nach wie vor höchst bescheiden ist. Um die komplexen Veränderungsprozesse auch nur annähernd valide erforschen zu können, bräuchte es sehr viel größere Stichproben, als sie im Moment vorhanden sind. Betrachtet man dann Modelle von Veränderungen, findet man verschieden Faktoren, die jeweils für sich und im Zusammenwirken mit den anderen gemessen werden müssten.

Z.B. der Moderator der erfasst für wen und unter welchen Umständen etwas hilfreich ist. Dann der Mechanismus, der erklären kann, wie eine Intervention ihre Wirkung entfaltet sowie den Mediator, der die Veränderungen statistisch und kausal messen und erklären kann. Hypothetische Mediatoren wären z.B.

Wir erfahren nun noch etwas über „Evidenzbasierte Beziehungsfaktoren, Behandlungen und individuelle Patientenmerkmale“ – ein Buch aus einer sehr intensiven Forschungsarbeit der Autoren Norcross und Lambert. Es ist eines der wenigen evidenzbasierten Werke.

Es gibt einen Vorschlag für eine Konsens-Theorie, die für alle Psychotherapieverfahren Gültigkeit haben könnte:

  • Die Unterstützung einer positiven Therapieerwartung und die Motivation, dass Psychotherapie helfen kann
  • Möglichst eine optimale Therapeut-Klient Beziehung etablieren
  • Das Bewusstsein der Patienten für die Faktoren sensibilisieren, die mit Schwierigkeiten verbunden sein können
  • Die Ermunterung, sich für korrigierenden Erfahrungen zu öffnen
  • Die Ermunterung, sich fortlaufend Realitätsprüfungen auszusetzen

Verfahrensbezug als Hindernis

Herr Strauß leitet diesen Teil mit einem Zitat von Sigmund Freud ein. Freud schreibt in „Das Unbehagen in der Kultur“ davon, dass es einen Narzissmus der kleinen Unterschiede gebe. Dieser biete eine bequeme und relativ harmlose Möglichkeit, seine Aggressionsneigung zu befriedigen. Freud sah es als anthropologisch gegeben an, dass diese kleinen missgünstigen Gefechte in jeder Gemeinschaft ausgetragen werden.

So war ein Pionier der PT-Forschung, Klaus Grawe, auch heftiger Kritik ausgesetzt, als er seinem Buch den Untertitel „Von der Konfession zur Profession“ gegeben hatte (Titel: Psychotherapie im Wandel).

Ein amerikanischer (radikaler) Behaviorist (Rachlin) wurde zum Thema der Agoraphobie interviewt. Das Interview wurde dann in die Alltagssprache übertragen (ohne Fachtermini) und Menschen vorgelesen, die daraufhin raten sollten, aus welcher Therapierrichtung der Interviewte wohl stamme. Die meisten tippten darauf, dass es sich um eine psychodynamische Therapierichtung handeln müsse.

Der Verfahrensbezug in der Therapielandschaft ist historische entstanden und nun sehr ausdifferenziert. Jedes Verfahren bietet ein übergeordnetes Rahmenmodell mit besten Identifikationsmöglichkeiten. Es stellt Richtlinien bereit, Fachverbände, verfahrensbezogene Fortbildung und nimmt Einfluss auf die Gesetzgebung.

Versuche, die Verfahrensgrenzen zu überwinden, stoßen häufig auf harschen Widerstand. So z. B. ein Modell psychogener Störungen

Tatsächlich macht die Verfahrensorientierung auch zahlreiche Probleme

  • Hohe (über)Identifikation mit der Therapieschule; hohe Investitionskosten (zeitlich, finanziell), die zu kognitiver Dissonanz führen würden, würde man diesen Einsatz hinterfragen
  • Selbstschützende und therapieformschützende Bewertungen; Täuschungen und Placebo-Effekte, selektive Wahrnehmung und Interpretation von Ergebnissen
  • Orientierung an Gurus und Meinungsführern anstatt wissenschaftlich-kritischer Auseinandersetzung
  • Ingroup-Outgroup Dynamiken
  • Destruktive Prozess innerhalb der Profession, Ferne vom Versorgungsbedarf
  • Tendenziöse und selektive PT-Forschung
  • Behinderung von dynamischer Weiterentwicklung

Psychotherapeut*innen scheinen bemerkenswert blind für die Psychotherapieforschung zu sein. Sie stehen häufig auf dem Standpunkt, dass Forschung instrumentell nutzlos sei, nicht informativ und nicht inspirierend. Dabei ergibt die Forschung, dass Psychotherapeut*innen

Zukunft

Für die Zukunft der Psychotherapie fordert Herr Strauß die systematische Einbeziehung der Patientenperspektive zur Qualitätssicherung psychotherapeutischer Behandlungen hinsichtlich des Therapieverlaufs, der therapeutischen Beziehung und der unerwünschten Wirkungen. Außerdem möge doch bitte mehr Forschung im Praxisalltag stattfinden.

Es gibt inzwischen auch Vorschläge, wie mit Beziehungskrisen in der Therapie umgegangen werden kann. Die Interventionen sind metakommunikativ, thematisieren also die Qualität und den Inhalt der Kommunikation. Der Fokus kann dabei mehr auf dem Patienten, mehr auf dem Therapeuten oder mehr auf dem interpersonalen Feld liegen.

Fokus auf Patientenperspektive: „Was fühlen Sie gerade?“ oder: „Sie wirken etwas gereizt auf mich.“ …

Fokus auf interpersonales Feld: „Was passiert gerade zwischen uns?“ oder: „Wir scheinen eine Art Tanz auszuführen.“ …

Fokus auf Therapeutenperspektive: „Haben Sie eine Idee, was gerade in mir vorgeht?“ oder: „Was könnte mein Beitrag dazu sein, weswegen es hier gerade stockt?“ …

Ein weiteres, sehr lebendiges Forschungsfeld ist die „Nonverbale Synchronisation“. Diese können mit Filmaufnahmen, die dann von einer speziellen Software bearbeitet wird sehr spannende Einblicke ins therapeutische Geschehen vermitteln. Es geht dabei um Sequenzen, die einen hohen Grad an interpersoneller Koordination des nonverbalen Verhaltens zeigen. Z.B. die Spiegelung von Körperhaltungen, gleichzeitige Bewegungen, Imitation von Mimik … Treten diese Phänomene auf, sind sie mit prosozialem Verhalten korreliert.

Die Auswertung ergibt, dass bei erhöhter Synchronie die Patienten insgesamt zufriedener sind, mehr Empathie empfinden, auch die Bindung positiver einschätzen und der Therapieerfolg eher gewährleistet ist.

Unerwünschte Wirkungen

Was natürlich kein Therapeut und keine Therapeutin anstrebt sind negative Wirkungen der Psychotherapie. Trotzdem gibt es dieses Phänomen, dass sich Symptome verschlimmern, sogar die Lebens- und Funktionsbereich in Mitleidenschaft gezogen werden und mitunter sogar zu anhaltend negative Effekten führen kann. Es gibt inzwischen eine Klassifikation unerwünschter Ereignisse.

Herr Strauß wünscht sich, dass die Ergebnisse der PT-Forschung mehr Verwendung in der Praxis finden. So sollte sich z.B. das Psychotherapieangebot mehr an den Bedürfnissen der Betroffenen orientieren.

Er plädiert auch für eine neue Vielfalt der PT-Methoden, die eine individualisierte und personalisierte PT ermöglichen könnte. Psychotherapie könnte modular erlernt werden, mehr auf die Erwartungen fokussieren und mehr auf die Kompetenzen der Therapeut*innen.

Eine wissenschaftlich fundierte Psychotherapie Aus- und Weiterbildung würde:

Eine fundierte Kenntnis der wichtigen therapeutischen Theorien und Ideen vermitteln, vom Setting abhängige und störungsabhängige Zugänge vermitteln; es wäre möglich, die Therapie zu personalisieren und Veränderungsprinzipien zum Einsatz bringen. Außerdem sollten die persönlichen Kompetenzen der Therapeut*innen in den für die Therapie relevanten Bereichen besonders gefördert werden.

Zum Schluss bekommen wir noch eine Schlussfolgerung. Forschung und Praxis schauen von unterschiedlichen Standpunkten auf die Psychotherapie. Da wo ihre Erkenntnisse einander ähnlich werden, könnten womöglich die Kerngewissheiten gefunden werden.

Hier geht es zum Vortrag

Die Psychosomatik erkundet Musik

Musiker können erkranknen

Bericht vom 21.06.22 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Prof. Dr. Eckart Altenmüller, Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizin der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Sein Vortrag trägt den Titel: Wirkungen von Musik auf Körper und Seele: Neurobiologische und musikpsychologische Aspekte

Herr Altenmüller präsentiert zunächst die Gliederung:

  1. Musik ist universell
  2. Musik hören und machen als Prozess der Umwandlung von Unsicherheit
  3. Musik erzeugt Neuroplastizität und unterliegt Metaplastizität
  4. Es ist nie zu spät: auch mit 70 kann man Klavier lernen
  5. Aber manchmal kann zu viel Musik auch schlecht sein: Dystonie
  6. Ausblick mit Musik

Musik ist universell

Zum Punkt eins präsentiert uns Herr Altenmüller zwei Bilder. Das eine ist ein Foto von 2010, das einen San-Jungen mit einer sog. Mundharfe zeigt. Eine Saite, die mit dem Mund gehalten und gespannt wird und mit einer Art Bogen angeschlagen werden kann. Das andere Bild ist von einer Höhlenmalerei ca. 16 000 Jahr v.u.Z. Es zeigt einen Schamanen (mutmaßlich), der ebenfalls dieses Instrument bespielt und dazu tanzt. Musik hat also eine Verbindung zu Spiritualität, Bewegung, Raum und auch die Qualität des sich Versenkens beim Spiel.

Musik verbindet Menschen, denn nur Menschen haben überhaupt die Kapazität, Musik hören zu können (s.u.). Als Beispiel hören wir ein kleines spontanes Straßenkonzert, an dem uns der Vortragende erläutert, dass die Beteiligten nicht nur einen Rhythmus klatschen können, sondern auch noch, die Zukunft vorwegnehmend, den Rhythmus beschleunigen können und so die Musik auch direkt in Bewegung umsetzen.

Nun bekommen wir den Nachbau einer 18000 Jahre alten Knochenflöte zu sehen und zu hören. Die Löcher sind so gebohrt, dass die Tonhöhenskala dieser Flöte uns vertraut ist. Herr Altenmüller spielt kurz den „Bruder Jakob“ an und ein kleines Stück von Brahms. Allerdings müssen wir einschränkend berücksichtigen, dass wir nicht wissen können, ob die damaligen Menschen die Flöte auch so benutzt haben oder nicht vielmehr ganz andere Anblastechniken verwendet haben.

Was ist also Musik? Musik ist das, was eine hinreichend große Anzahl von Hörern als solche ansieht. Oder etwas technischer: Musik sind bewusst gestaltete, zeitlich strukturierte akustische Phänomene a) in sozialen Kontexten, die b) nicht sprachlich sind. Victor Hugo meinte dazu: „Musik drückt das aus, was nicht mit Worten gesagt werden kann, worüber es aber unmöglich ist zu schweigen.“

Das Wunder des Musikhörens

Wie werden Klänge zu Musik? Bevor aus den Schwingungen der Luft Musik entsteht müssen diese erst verarbeitet werden und das geschieht wesentlich im Gehirn. Es bedarf mindestens fünf Umschaltstellen bevor wir ein Hörerlebnis als Musik erkennen. Dabei spielt auch der Sehsinn eine Rolle, z.B. wenn wir sehen, dass der Vortragende zu seiner Querflöte greift, dann bereitet sich das Nervensystem schon auf Flötentöne vor.

Bereits ein einzelner Ton beinhaltet unglaublich viele Facetten und fordert unseren Hörsinn enorm heraus. Sofort ergibt sich auch die Frage: Was kommt als Nächstes? Dann hören wir einige Töne von Debussy. Vor allem die Zuhörer, die dieses Stück nicht kennen, müssen sich nun ziemlich anstrengen, denn es sind ungewohnte Töne. Herr Müller spielt und erläutert uns, was in uns vorgeht und wie sich nach und nach aus der Überforderung und Unsicherheit durch Lernen etwas Bekanntes bildet und wir uns wieder sicher fühlen können.

Neuroplastizität

Nun bekommen wir einige Bilder gezeigt, die demonstrieren, dass die Gehirne von Musikern sich von denen von Nicht-Musikern unterscheiden. Musikergehirne haben in den relevanten Gehirnarealen z. B. sensorische und motorische Regionen oder dem Kleinhirn mehr Nervenzellen als Nicht-Musiker. Das konnte nur bei Männern nachgewiesen werden, weil weibliche Gehirne sich während des Hormonzyklus stärker verändern. Es wurden auch nur klassische Musiker untersucht, weil sich deren Karrieren stark ähneln – früher Beginn, ähnliche Fertigkeiten und Repertoires. Herr Altenmüller umschreibt das damit, dass das Gehirn kristallin gewordene Lebensereignisse zeigt.

Eine weitere Studie aus Spanien zeigt vor allem den Unterschied, den ein früher (4-6 Jahre) und ein späterer (etwa 8 Jahre) Beginn für das Musizieren und das Gehirn bedeutet. Einige Gehirnregionen sind vergrößert, andere verkleinert, was daran liegt, dass diese Regionen so früh optimiert worden sind. Dieses Phänomen wird Metaplastizität genannt. Der frühe Beginn lässt sich niemals mehr aufholen, aber man kann immer noch ein sehr guter Musiker werden.

Nun eine Studie, die zeigt, dass Neuroplastizität nicht endet, sondern auch im höheren Lebensalter wirksam wird. Herr Altenmüller stellt uns ausgiebig das Design der Studie vor. Es besteht aus zwei Gruppen, die jeweils ein Jahr lang eine Gruppe Klavierunterricht bekommt und die andere theoretische Hintergründe von Musik erlernt. Es wird ausgiebig getestet, z. B. das Hörvermögen und auch gescannt und zwar davor in der Mitte und danach.

Die Ergebnisse sind recht eindrucksvoll. Beide Gruppen hören nach Ablauf des Jahres besser. Am besten schneiden Frauen ab, die Klavier geübt haben, sie hören auf dem linken Ohr erheblich besser als zuvor. Die Gehirnscans zeigen, dass die Musikergruppe auch mehr Gehirnmasse in verschiedenen Bereichen des Gehirns zugelegt hat. Also: Musik lernen lohnt sich auch im Alter noch und die Gehirne von Musiker*innen sind im Schnitt fünf Jahre jünger als die ihrer nicht-musizierenden Altersgenoss*innen.

Musikerdystonie

Unter Musikerdystonie versteht man eine Verschlechterung der feinmotorischen Kontrolle lang geübter Bewegungen beim Instrumentalspiel. Ca. 1-2% aller Musiker sind davon betroffen. Wir sehen verschiedene Beispiele von einem Gitarristen, dessen einer Finger ihm nicht mehr gehorcht und einen Hornisten, dem das Anblasen nicht mehr gut gelingt.

Die Dystonie tritt im mittleren bis höheren Lebensalter auf, seltener in jungen Jahren. Die Risikofaktoren sind in der Grafik aufgelistet. Die Musikmedizin versucht natürlich den Betroffenen zu helfen. Dazu werden u.a. Aufnahmen im Kernspin gemacht, während der Musiker sein Instrument spielt. Die Vorstellung war, dass damit eine Art Feedback-Training möglich wird. Allerdings gelang das nicht. Dystonie ist eine kontextgebundene und aufgabenspezifische Erkrankung und die wenigen Muskelspindeln der Zunge lassen keine Rückmeldungen entstehen – wir merken in aller Regel nicht, was wir gerade mit der Zunge machen.

Ein wesentlicher Risikofaktor stellt eine frühe Traumatisierung dar. Das kann Scheidung der Eltern sein, Vernachlässigung oder unverhältnismäßige Strafen. Die Kinder haben dann keine Möglichkeit, ein stabiles Stressmanagement zu erwerben.

Zum Abschluss berichtet Herr Altenmüller von den vier Apokalyptischen Reitern von Musikererkrankungen. Er bedauert, dass er nicht schon sehr viel früher erkannt hat, wie wesentlich diese Reiter für Krankheitsausbruch und -Verlauf sind. Es sind die Wut auf sich selbst beim Fehlermachen. Die Scham vor den Kolleg*innen, dass sie es nicht merken sollen. Das Schuldgefühl, sich selbst überlastet zu haben und die Angst seinen Beruf aufgeben zu müssen.

Zum Abschluss spielt uns der Dozent noch einmal das Stück „Syrinx“ von Debussy vor und einmal mehr dürfen wir seine Kunstfertigkeit an der Querflöte bewundern.

Hier geht es zum Vortrag,

Die Psychosomatik erkundet Mitgefühl und Meditation

Bericht vom 31.05.22 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Dr. Corina Aguilar-Raab: „Achtsamkeits-, Mitgefühls- und Mediationsbasierte Interventionen in der Psychotherapie“

Frau Aguilar-Raab forscht an und arbeitet mit den Themen, die sie uns in ihrem Vortrag vorstellen möchte. Zur Einführung bietet sie eine geführte Meditation an.

Auf der Basis dieser Erfahrung möchte sie uns darauf hinweisen, dass die innere Haltung mitentscheidet, wie ich eine Situation bewerte. Insgesamt sei das Feld der Meditationsbasierten Interventionen viel zu groß, um es in der Kürze der Zeit zu erläutern. Sie möchte uns vermitteln, was sich hinter Achtsamkeitsbasierten Interventionen verbirgt und auch etwas zur Wirksamkeit dieser Methoden.

Überblick:

Allgemeine Einführung: Meditationsbasierte Interventionen im klinischen Bereich

Achtsamkeitsbasierte Interventionen

Mitgefühlsbasierte Interventionen

Zusammenfassung, Perspektiven und Diskussion

Allgemeine Einführung

Wir sehen zunächst eine Folie mit der Überschrift: Kontemplative Praktiken im klinischen Kontext. Darunter finden sich die zu hinterfragenden Themen:

Entspannung vs. Kultivierung von sozio-emotionalen (ethischen) Aspekte als übende Verfahren

Körpereinbezug

Säkularität – Zielhorizont

Methode – Zustand

Transdiagnostik

Schulen-übergreifend

Beziehung

Patient*innen

Therapeut*innen

Patient*innen und Therapeut*innen

Psychotherapie: Outcome Prozess

Es geht im klinischen Setting nicht um Wohlbefinden und/oder Entspannung, obwohl sich beide Befindlichkeiten häufig einstellen. Es geht auch nicht darum, irgendwelche spirituellen oder religiösen Ideen anzuhängen, sondern eher darum, innere Qualitäten zu pflegen, seine Persönlichkeitseigenschaften kennenzulernen und evtl. zu überarbeiten. Tatsächlich spielen dabei Werte, also ethische Fragen, eine wichtige Rolle – also ob es mir möglich ist, in Übereinstimmung mit meinen Werten zu leben. Gerade in einer Klinik können die großen Lebensfragen auftauchen, also: Wieso passiert mir das? Warum geht es mir so und anderen nicht? …

Sie erwähnt ihre systemische Perspektive, aus der heraus sie immer nach dem Kontext einer Erfahrung fragt. Es braucht einen Horizont und einen Rahmen für das, was ich tue und für das Ziel, an das ich gelangen will.

Meditation und Psychotherapie

Meditation und Achtsamkeit in der Psychotherapie wirft viele Fragen auf. Was wird da gemacht? Ist es im Prozessverlauf? Welche Methoden kommen zum Einsatz? Auf welchen Zustand möchte ich evtl. hinaus? Was ist nachhaltig? …

Es wurden bereits zahlreiche klinische Studien zur Wirkung von Achtsamkeit an vielen Menschen mit allen möglichen Diagnosen erforscht. Aber eine Grundfrage nämlich: Was wirkt eigentlich für wen, wann, wie genau? Also die Grundfrage von Passung oder Individualisierung ist noch weitgehend unbeantwortet. An dieser Stelle plädiert sie für ein Methoden-übergreifendes Vorgehen.

Nun wirft sie noch einen Blick auf Bindung, Beziehung und therapeutische Allianz und die Frage, was diese Allianz befördern kann. Gerade wenn psychotherapeutische Interventionen und Achtsamkeitselemente verwendet werden, entsteht die Frage, wie beides zusammenwirkt und welche tieferen Prozesse damit einhergehen. Wir befinden uns also in einem hochdynamischen Forschungsfeld, das uns noch viele Erkenntnisse verspricht.

Achtsamkeitsbasierte Interventionen

Achtsamkeit ist eine besondere Form der Aufmerksamkeitslenkung, die möglichst nicht wertend und akzeptierend durchgeführt wird. Dabei verbleibt die Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Augenblick. Bei regelmäßigem Üben ergibt sich dann eine verkörperte Erfahrung, die womöglich zu einer Veränderung der inneren Haltung führt, die sich positiv auf die Lebensqualität auswirken kann.

Zu unterscheiden wären zwei Grundformen: Die Fokus Aufmerksamkeit und die Offene Wahrnehmung. Fokus Aufmerksamkeit übt, seinen Geist auf einem gewählten Objekt zu halten. Auch wenn die Aufmerksamkeit wandert, sie immer wieder zum Objekt zurückzubringen. Damit können Klient*innen die Fähigkeit erwerben, z. B. ihren Grübeleien zu entkommen.

Offene Wahrnehmung umschreibt die Fähigkeit der Selbstdistanzierung, also sich gewissermaßen beim Leben und Erleben zuzusehen, ohne sich auf die emotionalen Komponenten des Geschehens einzulassen. Dabei geht es nicht darum, den Geist leer werden zu lassen, sondern die Unterscheidungsfähigkeiten für innere Zustände zu verfeinern.

Achtsamkeit

Frau Aguilar-Raab versteht das als einen erweiterten Bezugsrahmen, der sich auf diese Art entwickeln kann. Dazu bietet sie uns ein Zitat an: „Achtsamkeit ist eines der zentralen Dinge, die uns helfen, unseren Werten treu zu bleiben und entsprechend zu handeln, während der Umstand, „uns selbst zu vergessen“, häufig die Ursache dafür ist, unser Handeln nicht auf unsere Werte abzustimmen.“ Somit kann Achtsamkeit uns dabei helfen, unseren inneren Kompass wiederzufinden und ihn auch zu nutzen.

Offene Wahrnehmung ist Meta-Denken, also Denken über das Gedachte aus der Beobachterposition. Die Fähigkeit zum Meta-Denken verhilft uns zu Orientierung und Selbstklärung unserer Motive, Ziele und Handlungen sowohl im Selbstumgang als auch im sozialen Kontext.

Wirksamkeit von Achtsamkeit

Es gibt bereits etliche Studien und Veröffentlichungen zur Wirksamkeit von Achtsamkeit – ihre Anzahl ist noch am Wachsen. Es zeigen sich positive Effekte ab, allerdings sind zahlreiche Studien methodisch fragwürdig.

Auch und vor allem können Menschen in helfenden Berufen von Achtsamkeit profitieren, denn sie sind überdurchschnittlich häufig von Burn-out, Depression bis hin zur Suizidalität betroffen. In diese Gruppe zeigte die Pflege von Selbstmitgefühl große Wirkung.

Gruppensettings, die über 10-12 Wochen gehen und noch einen Intensivtag bieten, schneiden dabei am besten ab. Als Quintessenz ergibt der derzeitige Forschungsstand die Wirkmechanismen:

Aufmerksamkeitsregulation

Emotionsregulation

Selbstwahrnehmung (auch Körpergewahrsein)

>Selbst und Co-Regulation

Der Aspekt der Regulation steht also im Zentrum des Achtsamkeitstrainings bzw. deren Praxis. Dabei geht es nicht darum, negative Erfahrungen, Gefühle etc. zu vermeiden, sondern angemessen mit ihnen umgehen zu können.

Mitgefühlsbasierte Interventionen

Zur Einführung in diesen Themenkreis bietet uns die Vortragende einige Begriffsdefinitionen. Der ursprüngliche Begriff „empatheia“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Leidenschaft“. Die phänomenologische Definition umschreibt Empathie mit Einfühlungsvermögen und meint damit eine Antwort auf unmittelbar wahrgenommenen, vorgestellten, erschlossenen Zustand in einem anderen.

Empathie wird in psychodynamischer Sichtweise operationalisiert, d.h. als Grundelement der Persönlichkeit betrachtet, welches mehr oder weniger ausgeprägt sein kann. Dabei umfasst Empathie mehr als nur Gefühle, sie beinhaltet auch Gedanken über den anderen, ein sich in den anderen hineindenken. Es gibt eine Reihe von Konzepten, die sich mit dieser Fähigkeit auseinandersetzen, auch die neuronale Grundlagenforschung ist damit befasst. Frau Aguilar-Raab bringt es mit dem Resonanz Begriff auf den Punkt, also mit jemandem in Resonanz kommen.

Mitleid hingegen ist die übertriebene Identifikation mit dem Schmerzlichen und Leidvollen. Hier verlieren wir den therapeutischen Bezugsrahmen und damit die therapeutische Wirksamkeit.

Es kommt also darauf an, Mitgefühl zu kultivieren. Das definiert sie folgendermaßen: „Sensitivität gegenüber Leiden in uns und in anderen mit dem Wunsch, dieses zu lindern und zu verhindern.“ Mitgefühl hat fünf Komponenten (affektive, kognitive, motivationale und behaviorale).

Erkennen von Leiden

Universalität von Leiden verstehen

Empathie

Distress Toleranz

Motivation/Verhalten zu zeigen, das zur Linderung des Leidens beiträgt, was eben nicht Mitleid ist, das mit leidet ohne Voraussicht und aktiven Veränderungswunsch. Sie plädiert für die Kultivierung einer „inneren Weite“, die uns Toleranz für das Unangenehme bietet. Innere Weite gewährt Freiheitsgrade für das Fühlen, Denken und insbesondere das Handeln. Das ermöglicht es auch mit schweren Verlusten umgehen zu können.

Frau Aguilera-Raab berichtet uns von ihrer Ausbildung zum „Cognitive Based Compassion Training“ und erläutert uns kurz die Stufen dieser Ausbildung.

Erlernen von Achtsamkeit

Zunächst geht es darum, körperliche Sicherheit zu finden, denn diese ist die Voraussetzung schlechthin, wenn ich an einer Veränderung arbeiten möchte. Im zweiten Schritt geht es um die Übung selektiver Aufmerksamkeit, die Fokussierung und die Unterbrechung (Inhibition) von Gedanken. Weiter wird das Meta-Gewahrsein trainiert und damit De-automatisiert und De-Reaktivität gestärkt. Im vierten Schritt geht es um Selbstfürsorge, Selbstverantwortung und Selbstmitgefühl. Im fünften Schritt ist das Thema „Menschliche Gemeinsamkeit“, d.h. eine erweiterte Identifikationsmöglichkeit zu entwickeln. Der sechste Schritt dreht sich dann um Interdependenz, Nähe und Wertschätzung.

Wir bekommen noch weitere Modelle vorgestellt, die Mitgefühl von Mitleid unterscheiden bzw. ein Affekt-Regulations-Modell erklären. Letzteres umfass ein Antriebssystem, eine Fürsorge- und ein Alarmsystem, die mit typischen Gefühlen einhergehen und mehr oder weniger gut aufeinander abgestimmt sind.

Auch hier dürfen ein paar Evidenzen nicht fehlen und es gibt sie tatsächlich auch. Die Compassion-Focused Therapy führt zu mehr Selbstmitgefühl – weniger Grübeleien (Ruminationen), weniger Selbstkritik und vermehrter Resilienz gegenüber Psychopathologien, dank besserer emotionaler Selbstregulation.

Es folgt nun noch eine ausführliche Darstellung eines eigenen Forschungssettings mit Paaren. Die Ergebnisse sind mehrdeutig – es scheint genügend Zeit und Übung zu brauchen, bis die Methode befriedigende Wirkungen zeigt. Weiter, dass Mitgefühl, Mentalisierung und Empathie wichtige Wirkgrößen darstellen.

Sie schließt ihren Vortrag mit einem Zitat, das mutmaßlich von Viktor Frankl stammt: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktionen. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit“.

Ein sehr reichhaltiger und eloquent vorgetragener Input. Wer ihn sich ganz ansehen mag, kann das hier tun.

Die Psychosomatik erkundet Narzissmus

Bericht vom 17.05.22 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Prof. Dr. Marc Walter, Klinikleiter und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie & Psychotherapie der Psychiatrischen Dienste in Aargau: „Sind wir alle narzisstisch? Neue Erkenntnisse aus der Forschung“

Einführung

Wir erfahren zu Beginn, dass es wenig neurologische Forschung zum Thema gibt und wir deshalb auch nichts darüber hören werden. Spannend ist natürlich die Frage, woran ein Narzisst zu erkennen ist. Dieses Thema wird auch in den Medien häufig thematisiert – die Faustregel wäre: Der, der zuerst den anderen einen Narzissten nennt, ist meist eher der Narzisst. Der übertriebene Gebrauch dieser Zuschreibung macht den Begriff aber zunehmend unscharf.

Welche Personen fallen einem als erstes ein? Christiano Ronaldo oder Donald Trump – haben die eine narzisstische Persönlichkeitsstörung? Nein, denn sie zeigen sich zwar sehr narzisstisch, leiden aber nicht darunter, was für die Diagnose erforderlich wäre. Es gibt also einen Unterschied zwischen der Bezeichnung „Narzisst“ und der „Narzisstischen Persönlichkeitsstörung“.

Von Erich Fromm ist folgendes Zitat überliefert: „Man kann Narzissmus als ein Erlebniszustand definieren, indem nur die Person selbst, ihre Gefühle, ihre Gedanken, ihr Eigentum und alles was zu ihr gehört als real erlebt wird, während alles was nicht Teil der eigenen Person ist, keine volle Realität besitzt.“

Gliederung:

  1. Die Narzisstische Persönlichkeitsstörung
  2. Neues zur Diagnose Narzissmus und Persönlichkeitsstörungen
  3. Die Therapie bei Persönlichkeitsstörungen und narzisstischen Störungen

Narzisstische Persönlichkeitsstörung

Sigmund Freud hat das erste Narzissmus Konzept entwickelt (1914). Dann passierte lange nichts bis Heinz Kohut (1976) und bald darauf Otto Kernberg (1978) ihre Ausarbeitungen zum Thema vorlegten. Damit war auch der Weg frei, um diese Diagnose in das Klassifikationssystem der psychischen Störungen aufzunehmen.

Für Freud war Narzissmus nicht nur schlecht. Er nahm den Begriff aus der Griechischen Mythologie, in der die Geschichte von Narziss erzählt wurde. Der schöne, aber unglückliche junge Mann, der sich in sein Spiegelbild verliebt hatte. Freud gestand diesem Typus zu, dass er unabhängig, aktiv und aggressiv sei. Das ist noch eine ganz andere Perspektive als die Heutige, die den Narzissten eher negativ sieht.

Die aktuelle Einschätzung der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung wird im DSM-5 im sog. Cluster B eingetragen. Dabei gilt für den Cluster A, dass er sog. bizarre Erscheinungsbilder zeigt (z.B. Paranoide PS), für B ist die Instabilität typisch (z.B. auch Bordeline) und für C gilt die Ängstlichkeit als zentrales Merkmal (z.B. Zwanghafte PS).

Nicht alle diese Persönlichkeitsstörungen kommen in psychiatrische Kliniken. Die Cluster A Typen leben gerne zurückgezogen am Waldrand und tun niemandem etwas zuleide. Und auch die ängstlichen Typen vom Typ C haben gute Chancen eine soziale Nische zu finden, in der sie weitgehend ungestört leben und sich sogar nützlich machen können. In der Psychiatrie geht es vor allem um den Cluster B, der die Antisoziale, die Borderline, die Histrionische und die Narzisstische Persönlichkeitsstörung umfasst.

Die Narzisstischen Persönlichkeitsstörung

Die Kernmerkmale dieses Bildes machen die Eigenschaften von Großartigkeit, dem Bedürfnis nach Bewunderung und der Mangel an Empathie aus. Gerne werden Fantasien von grenzenlosem Erfolg gepflegt – es geht dabei um Macht, Glanz und Schönheit. Die Überzeugung, ganz besonders und einzigartig zu sein, gehört auch häufig zum Erscheinungsbild, ebenso wie Anspruchsdenken und Arroganz.

Was gibt es Neues?

Neu ist zunächst, dass es eine neue Version des ICD gibt, es trägt die Zahl 11. Der ICD-11 ist seit Januar diesen Jahres gültig, aber es gibt eine fünfjährige Übergangsfrist. Für die Betrachtung der Narzisstischen PS gibt es darin eine neue Perspektive, nämlich dass Narzissmus eine allgemeine Persönlichkeitsdimension ist – in diesem Sinne sind wir tatsächlich alle Narzissten (aber nur ca. 5% haben auch eine Persönlichkeitsstörung). Erst ab einer bestimmten Schwelle wird der Narzissmus pathologisch und wenn diese Schwelle einmal überschritten ist, tendiert der Weg dahin, dass die Störung immer schlimmer wird.

Kommt dann noch Kriminalität hinzu beginnt gewissermaßen der Übergang zur Antisozialen PS, bei der, nach Ansicht des Vortragenden, immer gleichzeitig eine narzisstische Komponente vorhanden ist.

Neu ist auch die Entdeckung, dass es zwei Spielarten des pathologischen Narzissmus gibt. Das ist die gut bekannte „grandiose“ Spielart und neu entdeckt wurde die vulnerable Form. Mit der ersten Ausprägung sind folgende Beschreibungen verbunden: arrogant, aggressiv, psychopathisch, grandios, maligne, dickhäutig, manipulativ, grandiose Fantasien, Anspruchshaltung, Ausbeutung, schamlos, ansprüchlich und dominant.

Für den neuentdeckten vulnerablen Typ gibt es die Beschreibungen: schüchtern, ängstlich, sensitiv, fragil, zurückhaltend, selbstunsicher, das Selbst maskierend, abwertend, misstrauisch, neurotisch, introvertiert.

Bei allen äußerlichen Unterschieden haben doch beide Typen die genau gleichen innerlichen Probleme. Die narzisstischen Eigenschaften der Empathielosigkeit, das ausbeuterische Verhalten und das dringende Bedürfnis nach Bewunderung wird vom einen von vorneherein gezeigt, beim anderen erst mit der Zeit. Der vulnerable Typ ist also schwieriger zu diagnostizieren. Er oder sie kommt meist mit depressiven oder ängstlichen Problemen in die Klinik und erst mit der Zeit zeigt sich dann der fragile Selbstwert und die tiefe Selbstunsicherheit.

Erkennen von Narzissmus

Das Leitsymptom schlechthin zeigt sich, wenn der Betroffene mit einer Kränkung konfrontiert wird. In der klinischen Diagnostik kann es also vorkommen, dass ein Patient mit Narzissmus Verdacht, einfach mal ein wenig länger warten muss, bevor er ins Behandlungszimmer darf. Diese Situation stellt für Betroffene eine akute Krise dar. Die Grandiosität verdeckt ihr sehr zerbrechliches Selbstwertgefühl. Der grandiose Typus empfindet dann Wut und hegt Rachegelüste und der vulnerable Typus schämt sich und empfindet Angst. Mitunter geschieht auch, dass der eine Typus in den anderen umschlägt.

Das zentrale Problem der Persönlichkeitsstörung ist also vor allem der zerbrechliche Selbstwert und sehr viele der typischen Verhaltensweisen dienen dem Selbstwertschutz. Es ist ein verzweifelter Versuch der Selbstregulation.

Narzissmus im ICD-11

Im ICD-11 gibt es den Begriff „Narzisstische Persönlichkeitsstörung“ nicht mehr. Vielmehr werden Persönlichkeitsstörungen als ineinander übergehende Dimensionen betrachtet, die von leicht über mittel bis schwerwiegend sind. Berücksichtigt werden die soziale Funktionsbeeinträchtigung und aggressives und selbstdestruktives Verhalten.

Diagnostisch werden die „Domänen“ negative Emotionalität, Dissozialität, Zwanghaftigkeit, Enthemmung und Distanziertheit unterschieden. Darin finden sich dann wieder die altbekannten Beschreibungen des narzisstischen Erlebens und Verhaltens.

So wird auch deutlicher, dass von Narzisstischer PS betroffene sehr häufig weitere Erkrankungen haben – z.B. Affektive Störungen, Depressionen, Angststörungen und Abhängigkeitsstörungen.

Gerade bei Suchtpatient*innen finden sich anders herum sehr häufig Persönlichkeitsstörungen.

Die Therapie der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung

Von einer Narzisstischen PS sind so gut wie immer auch andere Menschen mitbetroffen, insbesondere Partner*innen und Familienmitglieder. Herr Walter berichtet darüber, dass er plant einen Ratgeber zu schreiben, in dem beide Seiten vorkommen.

Die PS kann mit Psychotherapie behandelt werden. Es gibt zahlreiche Werke von Verhaltenstherapeuten und psychodynamischen Therapeuten, die hier hilfreiche Tipps geben können. Von Seiten der VT bieten sich die Dialektisch-behaviorale und die Schematherapie an. Auf Seiten der Tiefenpsychologie die Übertragungsfokussierte Therapie und die Mentalisierungsbasierte Therapie.

Egal, welcher Zugang gewählt wird. Typischerweise hat die Therapie einer PS drei Phasen. In der Eingangsphase geht es darum, zuzuhören, sich auf den Patienten einzulassen, sich ganz zur Verfügung zu stellen. Schon in dieser Phase, noch mehr in der zweiten, geht es aber auch darum, konstruktive Grenzen zu ziehen. Diese Grenzziehungen werden sinnvollerweise am besten gemeinsam erarbeitet und in einer Vereinbarung festgeschrieben.

In der zweiten Phase können kleine Kränkungen, am besten augenzwinkernd, verabreicht werden. Hier ist viel Feinfühligkeit gefragt, eine gute Einschätzung wieviel schon möglich ist und was den Patienten möglicherweise in eine Krise stürzen kann. Krisen sind für Betroffene besonders prekär. Die Suizidrate für dieses Krankheitsbild ist höher, als die der Depression.

Die dritte Phase konfrontiert dann den Patienten mit der Realität. Also heraus aus den Größenfantasien und der Aufbau eines realistischen Selbstbilds, sowie Fähigkeiten zur Selbststeuerung und Kommunikation. Das kann nur gelingen, wenn die Beziehung tatsächlich trägt und das gelingt wiederum nur, wenn ich als Therapeut auch etwas Liebenswertes oder Interessantes beim meinem Klienten finden kann.

Fazit:

Es gibt einen normalen Narzissmus als Persönlichkeitseigenschaft

Narzisstische Persönlichkeitsstörungen und antisoziale PS sind narzisstische Störungen und befinden sich auf einem Kontinuum narzisstischer Psychopathologie

Ein vulnerabler narzisstischer Typus ergänzt den grandios narzisstischen Typus

Intensive Beziehungsarbeit und dialektisches Arbeiten (Einfühlen, Begrenzen) sind entscheidend für die Psychotherapie mit narzisstischen Patientinnen und Patienten.

Ein sehr spannender und gehaltvoller Vortrag, der mit leisem Humor angereichert war.

Hier geht es zum Vortrag: