Bericht vom Psychosomatischen Dienstags-Kolloquium „Körper – Seele – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg vom 05.12.17
Von Markus Heinrichs , Univ.-Prof. Dr. rer. nat., Lehrstuhl für Biologische u. Differentielle Psychologie, Institut für Psychologie, Uni Freiburg
„Was stresst, was schützt?“ Neue psychobiologische Perspektiven von Sport bis Berührung
Stress ist nicht nur ein Phänomen von dem immer mehr Mitmenschen eingeholt werden, er ist auch medial ständig präsent, wird problematisiert und durchleuchtet. Dabei ist Stress an sich eine durchaus sinnvolle biologische Einrichtung. Er signalisiert, dass der Organismus von den Belastungen überfordert und nicht mehr im Gleichgewicht ist. Er stellt eine erhöhte Menge an Energie im Körper bereit und er kann in Bedrohungssituationen auf eine „automatische“ Reaktion zurückgreifen.
Zuviel Stress
Erst wenn die Stressquellen nicht mehr aufhören wollen zu sprudeln wird das zum Problem. Der Gedanke: „Noch ein bisschen mehr wird schon nicht schaden“ führt unweigerlich zunächst zu einem Höhepunkt an Leistungsfähigkeit, um sich dann zwangsläufig in sein Gegenteil zu verkehren. Die Fehler nehmen zu und damit die Unzufriedenheit. Die Stimmung wird gereizt, ärgerliche Gefühle nehmen zu. Am Ende der Entwicklung entstehen psychosomatische Beschwerden.
Nahezu 60% der deutschen Mitmenschen geben an, manchmal (37%) bis häufig (20%) gestresst zu sein – am häufigsten die Sandwich Generation, die zwischen 36 – 45 Jahre alt ist. Es lässt sich ein Stadt – Land Gefälle der Betroffenen ausmachen, denn auf dem Land ist das Risiko für Stressempfinden deutlich geringer.
Stressoren
Die stärksten Stressoren sind ansonsten: Zu viel Arbeit, Termindruck und Hetze sowie Störungen bei der Arbeit. Frauen haben öfter den Eindruck, dass Stress sie in ihrem Privatleben beeinträchtigt und der Zusammenhang von Stressempfinden und vermehrten Gesundheitsbeschwerden ist statistisch eindeutig. Zu diesen Gesundheitsbeschwerden gehören eindeutig auch psychische Erkrankungen wie die Depression, deren Auftreten sich zwischen 1997 und 2012 mehr als verdoppelt hat.
Als Beispiel für den eindrücklichen Zusammenbruch zitiert Herr Heinrichs den Fußballtrainer Ralf Rangnick, der massiv unter einer Stresserkrankung gelitten hat.
Dann wird das Auditorium über die „Vermessung“ des Stress informiert. Das ist möglich mit dem „Trierer Stresstest“, der ein standardisiertes Verfahren bietet, das sozialen und körperlichen Stress berechenbar macht. Nebenbei erfahren wir auch, dass es in Freiburg eine Ambulanz für stressbedingte Erkrankungen gibt. Dort gibt es eine Stress Diagnostik und ebenso therapeutische Angebote im Einzel- und Gruppensetting. Außerdem wird an einem Internet-basierten Verfahren geforscht, das bereits sehr positiven Ergebnisse vorweisen kann.
Was hilft gegen Stress?
Der zweite Teil des Vortrags befasst sich mit der Frage: Was vor Stress schützen kann? Grundlegend sieht es so aus, dass Menschen einen gewissen Grad an Grundanspannung aufbauen. Wenn diese eher hoch ist und die alltäglichen Belastungen von Haushalt, Arbeit, Geldsorgen, Versorgung anderer etc. noch hinzukommen, kann es leicht geschehen, dass die Schwelle zu negativen Emotionen überschritten wird. Die Balance von Anstrengung und Erholung ist aus dem Lot und nun müssten neue Maßnahmen ergriffen werden, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Die Methoden der Wahl sind: Körperliche Fitness, Stressmanagement und positive soziale Interaktionen.
Erforscht ist z.B. der Effekt von Ausdauersport und das Ergebnis ist eindeutig. Sportlich fitte Menschen sind widerstandsfähiger als weniger fitte.
Stressmanagement wird von Herrn Heinrichs und seinem Team mit dem Internetangebot „iCope“ erforscht. Dieses bietet ein sechswöchiges Programm an, für das die Nutzer*innen einiges tun müssen. Wenn sie es dann getan haben, schneiden sie in allen Belangen der Stressmessung deutlich besser ab als Menschen, die z.B. nur Entspannungsübungen oder gar nichts gemacht haben.
Der Superschutz gegen Stress
Der kraftvollste Schutzfaktor gegen Stress (und alle anderen Krankheiten) ist allerdings die positive soziale Interaktion. Hier kommt nun das Hormon „Oxytocin“ ins Spiel. Es aktiviert unter anderem das Belohnungszentrum im Gehirn und beruhigt die Angstreaktion.
Seit das bekannt geworden ist, wird Oxytocin als Nasenspray eingesetzt. Seine Wirkung ist gut messbar, aber es ist kein Allheilmittel, das z. B. soziale Interaktion ersetzen könnte. Immerhin erleichtert es die Anbahnung von sozialen Kontakten.
Die Schutzkraft sozialer Kontakte wurde natürlich auch schon erforscht, ebenfalls mit Hilfe des Trierer Stresstests. Dieser wurde an Probanden ohne vorherige Begleitung, mit Begleitung durch einen fremden Menschen und mit Begleitung des Lebenspartners durchgeführt. Das verblüffende Ergebnis: Männer profitieren maximal davon, wenn sie von ihrer Frau vorbereitet werden – bei Frauen hingegen erhöht sich der Stress bei diesem Setting maximal. Das Beste, was Männer für ihre Frauen tun können ist: Schweigen und ihr den Nacken und die Schultern massieren.
Es folgt noch ein kurzer Ausflug zum Thema Oxytocin und Autismus Forschung, in der sich zwar ein Effekt feststellen lässt, aber kein Durchbruch in Sicht ist.
Schlussfolgerungen und offene Fragen
Zum Abschluss räumt Herr Heinrichs ein, dass die Verhaltenstherapie bislang noch wenig auf den Körper geschaut hat und dass die Schulmedizin in weiten Teilen noch nicht das seelische Empfinden mit berücksichtigt. Auch er plädiert für das „bio-psycho-soziale Modell“, das einfach besser abbilden kann, wie Krankheit entsteht und was Gesundheit unterstützt.
Der Beifall für Herrn Heinrichs ist ausgiebig.
Die Frage, die mir offen blieb war, ob es nicht problematisch werden kann, wenn die Menschen sich an immer stressigere berufliche Situationen anpassen müssen, oder ob der Gedanken daran, den Stress am Arbeitsplatz zu verringern nicht auch einen Gedanken wert wäre. Aber das ist wohl nicht das Terrain von Psychotherapeuten und Ärzten.