Die Psychosomatik erkundet „Träume“

Träume und ihre Botschaften

„Träumen Mit Körper, Seele und Geist“ Bericht vom Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg, Vortrag von: Verena Kast, Prof. Dr. phil., Psychologin, Universität Zürich, CH

Zu Gast ist heute Verena Kast, die jungianische Analytikerin und Autorin vieler Werke über Träume. Träume sind auch heute ihr Thema – Träume mit Körper, Seele und Geist.

Einleitung

Wir erfahren zu Beginn, dass ein siebzigjähriger Mensch bereits sieben Jahre seines Lebens geträumt hat. Dabei sind nicht einmal die Tagträume eingerechnet. Dabei stehen heute die Tagträume im Mittelpunkt der Traumforschung. Ihr Fazit: Träume sind wichtig, sie müssen etwas bedeuten und das war schon bei Freud und Jung so und so ist es heute noch.
Träume geben den Träumer*innen Anregungen, „wollen“ womöglich sogar anregen. Wenn ich meine Träume verstehen will, dann ist es wichtig, sie bei mir zu tragen, mit ihnen und über sie zu meditieren, mit ihnen zu imaginieren, um ihre Anregungen zu entschlüsseln.
Nach C.G. Jung sind Träume Zielvorstellungen aus dem Unbewussten und sie spielen in der Psychotherapie eine wichtige Rolle, z.B. der Initialtraum, der häufig kurz nach Beginn einer Psychotherapie geträumt wird. Er kann viele Informationen über die Themen des Patienten enthalten, aber auch, wie der Patient die Beziehung zum Therapeuten erlebt, denn: „Träume werden zwischen Menschen geträumt.“ So C.G. Jung.

Wozu sind Träume gut?

Frau Kast stellt uns die Struktur ihres Vortrags mit Hilfe der Schlussfolie vor. Wozu also sind Träume überhaupt gut? Sie regulieren Emotionen, regen zu Konfliktlösungen an, machen Verdrängtes sichtbar und sie erinnern und planen. Darüber hinaus bieten sie einen erweiterten Imaginationsraum, in dem Kreativität entwickelt und neue Möglichkeiten entdeckt werden können.
Ein Traum ist erst ein Traum, wenn wir erwachen und ebenso ist ein Tagtraum erst dann ein Tagtraum, wenn wir uns wieder bewusst werden. Das bedeutet, dass Träume den ganzen Menschen erfassen und dass Träume mit allen Sinnen erlebt werden.
Wir erfahren, dass es auch heutzutage noch eine intensive Traumforschung gibt, und lernen nach und nach neuere und neueste Befunde der Traumforschung kennen. Z. B. dass es eine „Traumbank“ gibt, die vom Traumforscher William Domhoff betrieben wird. Auf den Konten dieser Bank liegen über 100.000 Träume für Forscher*innen zur Verfügung. Herr Domhoff vertritt die These, dass Träumen eine intensivierte Form von wachem, spontanen Denken ist. Dazu zählt er auch Gedankenwandern und v.a. Tagträumen.
Um zum nächsten Punkt überzuleiten, schildert uns Frau Kast ihre Motive, bzw. ihr Interesse an Träumen. Sie ist fasziniert von der Kreativität der Träume, von den Verbindungen der Träume zur Persönlichkeit der Träumenden und auch über die Hinweise zu psychischen Krankheiten, die Träume liefern können.

Selbstgenerierte Gedanken

Die aktuelle Traumforschung versteht unter Träumen „selbstgenerierte Gedanken“ – das sind quasi Gedanken, die sich selbst denken, also nicht willentlich angestoßen oder gefasst werden, sondern sich unabhängig von der aktuellen Situation von selbst entwickeln. Diese Art des Denkens ist weit verbreitet, das legen zumindest aktuelle Forschungsergebnisse nahe. Dazu wurden viele Proband*innen immer wieder nach ihren aktuellen Gedanken befragt. Die Inhalte der Gedanken drehten sich um Erinnerungen, Pläne, Tagträume, Fantasien, soziale Interaktionen oder Ruminieren (Ruminieren bezeichnet das gedankliche Kreisen um eine Selbstzuschreibung, z.B. Ich komme immer zu kurz).
Diese Art der Geistestätigkeit kann also vom Unbewussten angestoßen, aber auch absichtlich ergriffen werden. Es ist möglich, sich vorzunehmen, nun einen schönen, angenehmen Tagtraum zu beginnen.
Eine weitere Erkenntnis der aktuellen Forschung besagt, dass Nacht- und Tagtraum in einem gemeinsamen Kontinuum liegen. Es ist beiden gemeinsam, dass die Aufmerksamkeit für die Umwelt vermindert ist, was im Schlaf natürlich umfangreicher gegeben ist. Beides sind Prozesse eines selbstgenerierten Denkens, das sich andauernd unter der Schwelle des Bewusstseins abspielt. Diese selbstgenerierten Gedanken sind emotional, können beschwingend oder störend sein und sie ringen um die Aufmerksamkeit des Bewusstseins.
Nicht nur an dieser Stelle weist Frau Kast darauf hin, dass diese Ergebnisse weitgehend der Modellbildung von C.G. Jung entsprechen.

Spezifisches zum Tagtraum

Auch Tagträume bedienen sich des gesamten Sinnesspektrums. Sie sind visuell, auditorisch, somatosensorisch und mindestens zwei Drittel der generierten Bilder sind stark emotional, bzw. zeigen etwas darüber, was den Träumer emotional beschäftigt.
Es ist nicht ganz einfach zu unterscheiden, an welchen Stellen die Träume absichtlich geträumt werden oder ob sie sich unwillkürlich einstellen. Gerade für die imaginierten sozialen Interaktionen scheint es eine Mischung von beidem zu sein und ebenso bei Erinnerungen oder Zukunftsplanungen. Es zeigt sich jedoch, dass der affektive Zustand eines Menschen von der affektiven Qualität seiner Tagträume beeinflusst ist.
Eine weitere Domäne der Tagträume ist die Imagination von Gedanken und Absichten anderer Menschen. Diese Beschäftigung ähnelt sehr dem, was in der Psychologie die „Theory of Mind“ genannt wird.
Ein sehr wertvoller Aspekt stellt die Vorfreude auf ein zukünftiges Ereignis dar. Diese sei eine kraftvolle Freude und Frau Kasts Empfehlung lautet, sie zu genießen, denn selbst wenn das Ereignis nicht so toll wie erwartet ausfällt, so hat man wenigstens die Vorfreude genossen.
Bezogen auf den Körper sind Träume und Tagträume auch verkörperte Simulationen, die sich auf die reale Welt beziehen. In diesem Modus können Lösungen erprobt werden und auch neue Lösungswege gefunden werden.

Komplex und Traum

C.G. Jung hat viel zum Thema der Komplexe geforscht und festgestellt, dass Komplexe Träume verursachen und Träume Komplexe in einen Kontext setzen und sie auf diese Art verarbeiten. Als weiteren Aspekt fand er heraus, dass Träume die bewusste, komplexbelastete Haltung kompensieren können. Dazu werden in den Träumen die Komplexe personifiziert und das geht leichter, wenn kein hemmendes Bewusstsein das erschwert.
Komplexe haben auch viel mit Affekten zu tun. Affekte verursachen Komplexe und Komplexe beeinflussen Affekte. Jung hat das insbesondere mit seinen Assoziationsexperimenten erforscht. Stark emotionsgeladene Begriffe, wie sie bei Komplexen auftreten, verändern die Reaktionszeit der Assoziation oder sie führen zu Ausweichverhalten. Die bewussten Absichten der Getesteten weichen unbeabsichtigten Fehlern.
Zur Entstehung des Komplexes mutmaßte Jung, dass er aus dem Zusammenstoß eine Anpassungsforderung und der Unmöglichkeit des Subjekts, dieser Anforderung zu genügen, entspringt. Auch dieses Modell ähnelt sehr den aktuellen Vorstellungen über konflikthafte Beziehungserfahrungen, die sehr emotional und wiederholt erlebt wurden. In diesen Erfahrungen geht es um zentrale Bedürfnisse, die frustriert wurden. Sie werden in einer Szene verdichtet, in der Regel verdrängt und häufig entwickeln die Betroffenen dann eine kompensierende Haltung – z.B. kann der frustrierte Wunsch nach Anerkennung mit dem Gefühl des Schams, durch eine perfektionistische Haltung kompensiert werden.
Zur Verdeutlichung dieser Zusammenhänge berichtet uns Frau Kast von einem Fallbeispiel, das tatsächlich sehr anschaulich zeigt, wie aus einem Traum und den dazugehörigen Assoziationen und Imaginationen wichtige Einsichten für das Leben der Träumerin entstehen können.

Neue Traumforschung

Wir erfahren nun noch einige Ergebnisse der aktuellen Traumforschung. So berichten einige Befragte von Träumen, in denen sie häufig Ängste erleben. Überraschenderweise sind diese Menschen aber im Wachzustand besser imstande, mit ihren Ängsten umzugehen – sie üben gewissermaßen im Traum, was sie mit ihren Ängsten aktiv tun können.

Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die im Wachzustand negative Gedanken unterdrücken. Sie leiden häufig verstärkt unter Schlafproblemen, verspüren mehr Ängste, neigen zu Depressionen und haben Stress. Ihnen könnte es helfen, sich mit ihren Träumen zu beschäftigen, gewissermaßen ihren Ängsten ins Gesicht zu sehen und dadurch Wege zu finden, wie sie ihre Probleme bewältigen können.

Vorläufiges Fazit

Frau Kast fasst zusammen: Träume und Tagträume stellen Erfahrungen, Konflikte, bzw. Probleme in einen erweiterten Kontext. Sie generieren Fragen aus einer emotionalen Perspektive. Sie können mit Imaginationen ausgeweitet und in eine Erzählstruktur überführt werden. Diese Betrachtung führt auch zu methodischen Konsequenzen. Die Träumer*innen sollen ihre Träume selbst erzählen, sie sich bildhaft vorstellen und dabei alle Kanäle der Wahrnehmung nutzen, sich trauen, den Traum auch emotional zu erzählen. Die Zuhörerin geht mit, so gut sie kann, lässt sich auf die Erzählung, die Bilder und Sensationen ein. Sie kann ihre eigenen Imaginationen spielerisch einbringen und so versuchen eine Brücke zwischen den Träumen und den Alltagsherausforderungen zu schlagen.
Um das zu illustrieren, berichtet Frau Kast noch von der Arbeit an einem Alptraum. Sehr eindrücklich schildert sie uns, wie sie sich auf die Schreckensbilder dieses Traums einlässt, mitfühlt und den Schrecken mit der Patientin teilt. Verschiedene Fragen zum Traum führen nach und nach zu wichtigen Einsichten, die dann auch zu einer konkreten Strategie für den Umgang mit den Ängsten der Träumerin führt.
Ein sehr informativer Vortrag, den Sie hier selbst hören können.

Die Psychosomatik erkundet „Psychiatrie und Subjektivität“

Wer bin ich in der Psychiatrie

„Psychiatrie und Subjektivität – Erfahrungen von Betroffenen“ Bericht vom Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg, Vortrag von: Karina Korecky, Mag. Soziologie und Politikwissenschaft, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Diese ersten drei Vorlesungen drehen sich alle um das Thema des psychisch kranken Subjekts. Zunächst wurde der Begriff des Subjekts problematisiert und aufgezeigt, dass Subjektivität eine soziale Konstruktion ist. Im zweiten Teil ging es darum, den problematischen Begriff der „Psychischen Krankheit“ zu erkunden und in diesem Vortrag versucht die Vortragende, etwas aus den Erzählungen von Psychiatrieerfahrenen zu lernen.

Einleitung

Frau Korecky stellt ihr Forschungsparadigma vor. Es sucht in den Narrativen von Betroffenen danach, wie der Begriff „Krankheit“ verwendet wird. Sie gibt uns zunächst einen kurzen historischen Abriss der „Subjektivität“. Im Wesentlichen spielt dabei die Kantische Philosophie die zentrale Rolle – seither taucht der Begriff vermehrt in philosophischen Werken auf. Eng damit verbunden sind Begriffe wie „Selbstbezug“, „Selbstwahrnehmung“ oder auch „Selbstreflexion“. Ihre Frage geht nun dahin, wie sich (teils beschädigte) Subjekte mit der Bezeichnung „psychisch krank“ auseinandersetzen.
Dazu hat sie 36 Interviews ausgewertet, die sie teils selbst geführt, teils nachbearbeitet hat. Sie wollte die Fragen klären, wie der gesellschaftliche Status von (ehemalig) psychisch Kranken aussieht; welche Anforderungen die Arzt–Patient Beziehung hat; und wie die Betroffenen zu ihren Medikamenten stehen. Die Eröffnungsfrage aller Interviews lautete: „Wie kam es, dass Sie mit der Psychiatrie in Verbindung gekommen sind?“

Folgen der Psychiatriekritik

Sie stellt zunächst fest, dass nahezu alle Interviewten den Begriff der „Krankheit“ vermeiden und eher selten auf psychiatrische Fachtermini zurückgreifen. Überraschend erscheint allerdings, dass sich Psychiater*innen ebenfalls sehr zurückhalten, wenn es um das Wörtchen „Krankheit“ geht.
Die Vortragende führt das auf die Bewegung der „Psychiatrie-Kritik“ in der 60er und 70er Jahren zurück. Es ging dabei u.a. um das essentialistische Verständnis von psychischer Krankheit unter Verwendung eines verdeckt normativen Menschenbilds. Diese kleine Psychiatrierevolution hatte vielfältige Auswirkungen auf das Verständnis und die Behandlung von psychischen Krankheiten. Ein Effekt war die Einführung der „axialen Diagnostik“ im DSM III. Sie sollte vermeintlich atheoretisch sein und so die Kritik entkräften.
Die Folge davon war, dass aus psychischer Krankheit eine Vielzahl von Krankheiten wurden. Darüber hinaus ging auch die Trennschärfe zum Begriff der „Gesundheit“ verloren – was ist noch eine Variation, eine Eigenheit ein Tick und ab wann ist eine Krankheit zu diagnostizieren? Es fand eine „Normalisierung der Psychiatrie und eine Psychiatrisierung der Normalität“ statt.

Kategorien

Bei einer ersten Durchsicht der Interviews ergaben sich drei Gruppen von Erfahrungen. Da ist zunächst die Erleichterung, die eine Diagnose bieten kann. Das ist nur eine Krankheit, die ist behandelbar, sie kann vorbeigehen. In einer zweiten Gruppe war es schwierig, die Diagnose im sozialen Umfeld zu vermitteln. Die dritte Gruppe empfindet die Diagnose als Urteil, das schockiert zur Kenntnis genommen wird.
Es folgen einige Interviewauszüge aus diesen drei Gruppen, die Frau Korecky gründlich analysiert und interpretiert. Darin kommen so viel Feinsinn und Akribie zum Tragen, dass ich das hier kaum nachvollziehen kann. Ihre Herkunft aus der Soziologie gibt ihren Analysen eine große und teilweise verblüffende Tiefenschärfe. Z.B. die zeitgenössische paradoxe Kommunikation in psychiatrischen Anstalten, in denen die per Definition „kranken“ Menschen aufgefordert werden, sich normal zu verhalten.

Ergebnisse

Krankheit/Krankwerden ist Entlastung, wenn:
– Krankheit einen inneren Konflikt meint, kein psychisches biologisches, soziales oder funktionales Defizit
– Von der Feststellung von Krankheit keine (oder keine substanzielle) finanzielle (sozialstaatliche) Zuwendung abhängt
Krankheit/Kranksein ist Belastung, wenn:
– Krankheit am Beginn der Psychiatrie-Karriere steht, bevor man sich selbst zum eigenen innerpsychischen Geschehen ins Verhältnis setzen konnte
– Krankheit einen Mangel bezeichnet, daher Abwertung darstellt (Schuld)
– Krankheit sozialbürokratischen Status begründet und temporäre Abhängigkeit von gemeindepsychiatrischen Einrichtungen besteht, mit der Anforderung sie auch wieder zu verlassen
Krankheit/Kranksein ist eine unmögliche Position, wenn:
– Ein inhaltlicher und sozialer Referenzrahmen für alternative Deutungen existiert
– Die anfordernde Perspektive, zu der man sich verhalten muss, „gesund krank leben“ lautet
– Das behandelnde, sozialverwaltende oder private Umfeld flexible Positionierungen erfordert
Frau Korecky bezieht sich zum Abschluss auf den Soziologen Alain Ehrenberg, der sich viel mit psychischer Krankheit befasst hat. Nach ihm gibt es die Perspektive des Defizits auf die Krankheit. Dieses Defizit soll dann repariert werden. Die andere Perspektive wäre der Konflikt, der dann durchgearbeitet und reorganisiert werden soll. Sie möchte eine dritte Perspektive anbieten, die auch Menschen erfasst, die sich weder am Krankheits- noch am Gesundheitspol einfinden können. Hier entstünde die Möglichkeit, das Leiden in eine Herausforderung zu verwandeln.

Schluss

Der Blickwinkel anderer Disziplinen auf Psychiatrie und Psychotherapie bringt neue Aspekte ins Spiel, die unser Verständnis für unsere Arbeit und unser Selbstverständnis bereichern können. Gerade die französische Soziologie mit Alain Ehrenberg oder auch Michel Foucault bietet hier scharfsinnige Analysewerkzeuge, die uns davor bewahren können, allzu selbstzufrieden zu werden.
Hier geht es zum Vortrag

Die Psychosomatik erkundet „Psychische Krankheit“

Was ist eine psychische Krankheit?

Kontroversen um den Begriff >Psychische Krankheit< Bericht vom Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg, Vortrag von: Andreas Heinz, Prof. Dr. med. Dr. phil., Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité Berlin

Einleitung

Zu Beginn erfahren wir etwas über die Kontroverse um den Begriff der >Psychischen Krankheit<, denn es ist für die Medizin nicht einfach, mit diesem Phänomen umzugehen. Das liegt zum einen daran, dass Mediziner sich von Hause aus eher um ein bestimmtes Krankheitsbild kümmern und nicht um so etwas, wie einen Begriff für eine ganze Klasse von Krankheiten. Herr Heinz schickt auch voraus, dass seine Betrachtungen natürlich kritisiert werden können, dass er nur eine von vielen möglichen Positionen bezieht.

Zum Begriff der Gesundheit

Gesundheit wird in der Definition der WHO als umfassendes Wohlbefinden verstanden. Herr Heinz ist der Ansicht, dass Gesundheit, auch psychische Gesundheit nicht als Abwesenheit von Krankheit verstanden werden kann. Sein Beispiel sind Wächter in einem KZ, von denen einer depressiv wird und der andere nicht. Welcher von beiden ist nun krank? Also bietet uns der Vortragende eine positive Definition an: Psychisch gesund ist, wer handlungsfähig ist, Selbstvertrauen hat und zur Empathie fähig ist.
Aber natürlich gibt es auch andere Ansätze, um Krankheit von Gesundheit unterscheiden zu können. Da wäre zunächst das >sozial angepasste Verhalten<, wobei einem schnell die Politik von totalitären Staaten einfällt. Dort wird den Dissident*innen gerne ihre geistige Gesundheit abgesprochen und werden dann unter diesem Vorwand einsperrt. Es wird auch versucht, über >organische Normabweichung< eine Unterscheidung zu treffen. Das stößt allerdings auf das Problem, dass Menschen höchst variabel in ihren Erscheinungsformen sind. Davon können uns auch die neuesten bildgebenden Verfahren nicht erlösen Ein weiterer Ansatz wäre es, >statistische Normabweichungen< heranzuziehen. Dabei stößt man dann auf den Begriff des „Normalen“, der bei genauerer Betrachtung ziemlich schwierig wird. Am Beispiel „Karies“ wird leicht deutlich, dass sie in dem Sinn normal ist, dass viele Menschen davon betroffen sind, die Karies aber eindeutig eine Zahnkrankheit darstellt. Herr Heinz schlägt vor, die funktionellen Auswirkungen als Maßstab zu nehmen und nicht das, was ‘normalerweise‘ sein sollte.

Krankheit

Nun betrachtet Herr Heinz das Verständnis von Krankheit und stellt uns zunächst ein lebensweltliches Verständnis von ihr vor. Darin geht es um Leiden und Beeinträchtigung, oder gar ein Übel, das ein Leiden ohne aufrechterhaltende äußere Ursachen darstellt. Darin sind wesentliche Funktionen behindert, das Sterberisiko mag erhöht sein und die Lebensfreude wurde verloren.Diese Betrachtung hat den Mangel, dass sie normativ lebensweltliche Begriffe mit wissenschaftlich-medizinischen Termini vermischt, also letztlich unklar bleibt.

Dann könnte Krankheit auch als wesentliche Funktionsstörung eines Organs betrachtet werden. Das wäre eine Störung, die das Überleben und die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigte. Auch dafür gälte eine Abweichung von einer statistischen Norm.
Hier kritisiert Herr Heinz die Biologisierung von Normen mit dem Verweis auf die Homosexualität, die nach dieser Definition eine Krankheit darstellen würde. Hinzu kommt, dass es schwerlich eine Einigungsmöglichkeit darüber geben wird, welche Funktionen denn tatsächlich wesentlich sind.

Psychiatrie

Herr Heinz ist Psychiater, der angehende Psychiater ausbildet. Er vermittelt ihnen einen sog. „vereinfachten psychopathologischen Befund“ zum Ausschluss psychiatrischer Erkrankungen.

Wenn die Patient*innen wach und orientiert sind und dazu noch über ihre Auffassungsgabe verfügen, lässt sich ein hirnorganisches Syndrom ausschließen.

Wenn die Patient*innen dazu noch konzentrations- und merkfähig sind und auch auf ihr Gedächtnis zugreifen können, kann ein „Chronisches Hirnorganisches Syndrom“ (z.B. Demenz) ausgeschlossen werden.

Nun prüft Herr Heinz die Denkabläufe auf ihre formale Kohärenz, ihre Inhalte auf Anzeichen von Wahnerleben, ihre Verbindung zum Ich und das Vorliegen von Halluzinationen.
Bei einem negativen Befund kann nun auch die „Schizophrene Episode“ ausgeschlossen werden.

Zuletzt wird noch nach der Stimmung, dem Antrieb und dem Schlaf gefragt. Hier besagt der negative Befund, dass auch keine affektive Störung vorliegt.

Woher kommt aber dieses Vorgehen, diese Einteilung der psychischen Erkrankungen? Sie sind gewissermaßen ein Klassiker der Psychiatrie und beziehen sich auf eben die „Exogenen Psychosen“ und „Endogenen Psychosen“ zu denen nun auch „Variationen“ hinzukommen. Krankheiten, die sich in diesem Raster wiederfinden sind klinisch relevante Krankheiten.

Eine andere Sichtweise

Zum Abschluss dieses Abschnitts bietet uns Herr Heinz ein Diagramm an, das drei Kreise zeigt, die sich teilweise überlappen. Die Kreise symbolisieren die Krankheit, als medizinisch relevante Funktionsstörung verstanden, das subjektive Leiden und die Beeinträchtigung sozialer Teilhabe. Das Diagramm vermittelt, dass es eben nicht so einfach ist, eine Krankheit an nur einem Befund festzumachen, bzw. sie nur in einem Kontext zu betrachten. Als anschauliches Beispiel hören wir die Geschichte des psychotischen Patienten, der seinem Arzt sagt, dass er auf keinen Fall die Stimmen in seinem Kopf wegmachen soll. Sie geben ihm immer gute Tipps beim Aktienkauf.

Sozialer Kontext

Menschen und ihre Krankheiten sind immer in sozialen Kontexten eingebunden, von denen einige historisch-kultureller Natur und andere aktueller Natur sind. Herr Heinz führt uns auf eine Reise, die bis ins 19te Jahrhundert und weiter zurückführt. In dieser Zeit war die Evolutionstheorie eine große Inspiration. Sie wurde als höherstrebende Entwicklung gedeutet, in der es auch zu Degenerationen kommen kann. Natürlich werden degenerative Prozesse durch einen „ausschweifenden“ Lebensstil begründet, der Neurosen und Alkoholismus, dann geistige Störungen und Suizidneigung bis hin zu Schwachsinn und Missbildungen (bei den Nachkommen) führen kann.
Diese Theorie wurde dann auch noch rassistisch aufgeladen, bzw. mit biblisch religiösen Vorstellungen vermischt. Davon zeugt noch der Begriff des „Kaukasiers“, mit dem wir uns mitunter selbst bezeichnen.
Die Höherentwicklung wurde dann auch auf die Psyche des Menschen angewendet. Das nahm die Form an, dass die Rationalität, bzw. die Vernunft eben höher stehe als die Emotionalität. Dass degenerative Prozesse dazu führen können, dass die höheren Funktionen die niedrigeren nicht mehr hemmen können und so zu Positivsymptomen führen.
Herr Heinz weist uns darauf hin, dass dieses Verständnis auch heute noch am Wirken ist, wenn z.B. festgestellt wird, dass der Präfrontale Cortex die Amygdala nicht steuern kann.
Mit einem letzten Ausflug in die Kolonialzeit und das dritte Reich zeigt uns der Vortragende auf, was für fatale Folgen, diese Theorien auf sog. minderwertige Menschen gehabt hat.

Aktuelle Forschungen

Neuere Forschungen suchen auch im sozialen Umfeld nach Einflüssen auf psychische Krankheiten. Wir bekommen eine Auswahl präsentiert, die belegen kann, dass Einkommensungleichheit, Einkommen überhaupt, Arbeitslosigkeit, Armut, Diskriminierung, Isolation und Quarantäne psychische Erkrankungen wahrscheinlicher machen.
Auch in den Psychiatrien wird geforscht und hier ist das Ergebnis, dass offenen Türen in den Stationen für deutlich weniger Gewalt, Medikamente und Konflikte sorgen.
Zuguterletzt noch ein Ergebnis aus der Resilienzforschung, das besagt, dass Selbstwirksamkeit und Extraversion offenbar sehr hilfreich im Umgang mit schwierigen Situationen sind.
Herr Heinz teil noch mit, dass er an „Trialogen“ teilnimmt, sie sogar selbst initiiert. Dabei geht es darum, dass die Professionellen mit den Angehörigen und den Betroffenen gemeinsam darüber beraten, was gut und hilfreich sein kann.
Ein knapper und lehrreicher Vortrag, den Sie sich hier ansehen können