Eugene Gendlin, der Begründer des „Focussing“ hat erforscht, welche Merkmale Patienten aufweisen, die von einer Psychotherapie profitieren konnten. Sein Ergebnis war, dass es Menschen waren, die ihre Körpersignale differenziert wahrnehmen und für sich verwenden können. Damit lenkte er die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Psychotherapie auf die Selbstwahrnehmung, insbesondere auf die des Körpers.
Körperwahrnehmung und Ich-Struktur
Heute ist die Selbstwahrnehmung ein Aspekt (von sechs) der sogenannten „Ich-Struktur“, die im Diagnosemanual der „Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik“ (OPD) verwendet wird. Die sog. „Struktur Achse“ im OPD wurde maßgeblich von Gerd Rudolf mitentwickelt. Er definiert (Ich)Struktur so: „Struktur ist definiert als die Verfügbarkeit über psychische Funktionen, welche für die Organisation des Selbst und seine Beziehungen zu den inneren und äußeren Objekten erforderlich sind.“
Das Selbst versteht sich hier als das „Ich“, welches sich selbst betrachtet, selbst wahrnimmt und bewertet, und so zum „Selbst“ wird. Das „Ich“ wiederum kann als zentrale Organisation des psychischen Erlebens verstanden werden, das sich auch nach außen orientiert und handelt.
Damit erweitert sich die Selbstwahrnehmung über die Körperlichkeit hinaus. Es geht um die Fähigkeiten zur Selbstreflexion, zur Schaffung eines Selbstbilds, dem Aufrechterhalten einer Identität, um die Fähigkeit der Gefühlsunterscheidung und um das Körperselbst.
Die Körperpsychotherapie folgt schon lange der Spur von Freuds Ausspruch: „Das Ich ist in erster Linie ein körperliches.“ Die KPT verfolgte diese Spur bis in die frühen Entwicklungsphasen des Ichs sogar bis in die vorgeburtliche Zeit zurück. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie sich die Körperstruktur in den Beziehungserfahrungen entwickelt und welche charakteristischen psychischen Merkmale daraus entstehen.
Entwicklung der Körperlichkeit
Dieses Vorgehen wurde auch in der Theorie der Strukturentwicklung gewählt. Die Bedürfnissituation des Kindes ist bei Rudolf – Nähe und Kommunikation während der ersten drei Lebensmonate (nachgeburtlich), Bindung während des ersten und zweiten Lebensjahres, Autonomie im dritten und vierten Lebensjahr, und Identität während des fünften und sechsten Lebensjahres.
Kinder machen während ihres Heranwachsens Erfahrungen mit ihren Eltern. Ihre Bedürfnisse nach Nähe und Kommunikation, nach Bindung, Autonomie und Identität werden mehr oder weniger passend beantwortet. Den Kindern bleibt keine andere Wahl, als sich an diese Angebote anzupassen. Abgesehen von genetischen Anlagen formen diese Erfahrungen die Ich-Struktur, bzw. die strukturellen Fähigkeiten.
Frustrierte Bedürfnisse fühlen sich frustrierend an – schmerzlich, ärgerlich, traurig usf. Da die Bedürfnisse nicht benannt werden können, ist es schwierig, sie einzufordern. Da die Eltern die Bedürfnisse nicht erkennen, werden sie auf die geäußerten Gefühle mit Unverständnis reagieren, was die Frustration noch erhöht. Den meisten Kindern bleibt keine andere Wahl, als ihre Gefühle zu verstecken und zu lernen, sie zu ignorieren. Damit schränken sie allerdings ihre Selbstwahrnehmung erheblich ein.
Der Preis der Abwehrmanöver
Dass abgewehrte Gefühle, ja Abwehrmechanismen überhaupt, auch einen körperlichen Aspekt besitzen hat schon Wilhelm Reich aufgedeckt. Diese körperlichen Möglichkeiten sind vegetativ und/oder muskulär, teils autonom und teils willentlich. Als erfolgreiche Möglichkeit, sich der schlechten Gefühle zu entledigen, werden sie in das Selbstsystem fest eingebaut. Sie werden zur Gewohnheit, zur Routine und erscheinen im Lauf der Zeit als charakteristisch für die Person.
Jeder dieser körperlichen Aspekte der Abwehr hat auch emotionale und mentale Aspekte. Die Gefühle werden in diesem Bereich unklar, undifferenziert oder unangemessen – sie können nicht mehr handlungsleitend sein. Zu vielen dieser Aspekte gibt es Skriptsätze, Überzeugungen, die erklären, warum dieser Umgang mit einer Situation der einzig richtige sein muss.
Therapeutische Möglichkeiten der KPT
Die KPT hat mehrere Möglichkeiten entwickelt, wie sich ein Zugang zu neuen Körpererfahrungen herstellen lässt, bzw. wie mit Hilfe des Körperselbst die anderen Aspekte der Ich-Struktur gestärkt werden können.
Körperreisen führen die Aufmerksamkeit in verschiedene Körperbereiche. Beginnend mit Körperzonen – die Arme, die Brust, die Beine etc. lassen sich diese Reisen nach und nach vertiefen und differenzieren – der Beugemuskel des Arms, das Ellbogengelenk, die Rippen etc. Es ist sogar möglich mit der Achtsamkeit verschiedene Gewebe zu unterscheiden – Muskeln, Gefäße, Nerven, Knochen usw.
Angeleitete Bewegungen achtsam begleiten. Hier bekommen Klient*innen z.B. die Anweisung, ihre Hand zur Faust zu ballen und diese wieder zu lösen. Die verschiedenen Qualitäten von Anspannung und Entspannung, Beugung und Streckung, Schließung und Öffnung, Aktivität und Passivität sowie die Pulsation lassen sich auf sehr viele Kontexte ausweiten.
Berührungen vermitteln Körperempfindungen im Kontakt. So können Kontakt Qualitäten von Intensität, Geschwindigkeit, Richtung, Rhythmik erfahren und erforscht werden.
Interaktionen wie Tauziehen, Rücken an Rücken gegeneinander schieben, halten oder gehalten werden u.v.m. bringen Erfahrungen von Kraft in Kontakt, Erlebnisse von mitmenschlichem Halt und Zuverlässigkeit.
Behandlungen verschiedenster Art vermitteln neben der spezifischen Behandlungsabsicht die Erfahrung von einfühlsamer mitmenschlicher Interaktion.
Im Austausch über die Erfahrungen lassen sich Stimmungen und Gefühle identifizieren, die das Selbstbild der Klient*innen bereichern und nuancenreicher machen. Die Verbindung von aktiver Bewegung mit Emotionen unterstützt die differenzierte Wahrnehmung der Gefühle. Das Gespräch unterstützt auch die Reflexionsfähigkeiten und erweitert sie sogar. Alle diese Aspekte unterstützen auch den therapeutischen Prozess im Ganzen, der zu einer klareren Identität führt.