Die Psychosomatik entdeckt den Clown

Der Clown in Kultur und Psyche

Bericht vom Psychosomatischen Dienstags-Kolloquium „Körper – Seele – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg vom 10.01.19
„Sind wir alle Clowns?“ von Richard Weihe Prof. Dr. habil., Accademia Teatro Dimitri, Verscio/CH, mit Wilson Raúl Vargas Torres, Berlin/Tromsø

Schon in der Anmoderation taucht die Frage auf, was denn der Clown mit dem Thema der Vortragsreihe zu tun haben könnte. Bekannt ist natürlich, dass Humor heilsam wirkt – die Klinik Clowns legen davon Zeugnis ab – aber wir mussten warten, was uns Herr Weihe darüber sagen möchte.

Kulturgeschichte des Clowns

Der Vortrag beginnt mit einer kleinen Kulturgeschichte des Clowns. Vom Wortstamm her bedeutet „Clown“ so viel wie ein dümmlicher, bäurischer, ungeschickter Mensch, der keine Manieren kennt. Erst mit Shakespeare bekam der Clown eine Rolle. Auf der Bühne war er für Witze und Humor, Komik und Narretei zuständig. Damit wurde der Unterschied vom „natürlichen Clown“ zum „künstlichen Clown“ etabliert.
Erst um ca. 1800 tauchte der heutzutage bekannte Clown zum ersten Mal auf. Er entstand aus der Harlekin Figur der Commedia del Arte. Es dauerte noch einmal fast hundert Jahre bist der erste „Dumme August“ aus Versehen (man könnte sagen aus Schusseligkeit) erfunden wurde. Die letzte Neuerung stellt der „Grusel Clown“ dar – 1980 war der Clown „Pennywise“ im Film „Es“ zu sehen und zu fürchten.
Zu den klassischen Bezeichnungen „Weißer Clown“ mit Kegelhut und immer besserwisserisch, dem „Roten Clown“ mit roter Nase und großen Schuhen, benennt Herr Weihe nun auch noch den „Schwarzen Clown“, eben jene Horror Clowns, die nun in der Kultur herumgeistern.
Der Weiße Clown steht für das Rationale des Menschen, für das was man tun soll und was sich gehört. Der Rote Clown, so Herr Weihe, steht für die eher chaotische Triebseite und für den professionellen Umgang mit Scheitern.

Die Kunst des Clowns

Wie funktioniert die Clownerie? Wie schaffen es Clowns, ihren Auftrag – die Zuschauer zum Lachen zu bringen – zu erfüllen? Zunächst einmal geht es um „die kleinste Maske der Welt“ – die rote Nase. Sie schafft ein Spannungsverhältnis zwischen der Figur des Clowns und dem Menschen, der diese Rolle spielt. Jederzeit wissen die Zuschauer, dass sich hinter der Maske ein Mensch verbirgt. Diese doppelte Identität ist die Grundlage für die Gegensätze, die ein Clown auf die Bühne bringt.

Herr Weihe hat sieben verschiedene Clownsspiele identifiziert, die uns seine Ex-Schüler Wilson Torres demonstriert.
1. Körperspiel – der tollpatschige Clown, der stolpert und stürzt erfordert vom Menschen hinter der Maske akrobatisches Können.
2. Sprechspiel – der stammelnde, um Worte ringende Clown erfordert eine große Sprach- und Stimmbeherrschung des Spielers
3. Generationsspiel – das kindlich, alberne Gehabe des Clowns wird von einem erwachsenen Menschen dargeboten
4. Ausbruchsspiel – die ganze Palette dramatischer Gefühlsausbrüche wird willkürlich und technisch vom Spieler produziert
5. Invasionsspiel – das Überschreiten persönlicher Grenzen – Verwuscheln von Haaren etwa – wird von einem zivilisierten Spieler ausgeführt
6. Genderspiel – die Verwandlung des Geschlechts wird durch Kleidung und Gestik spielerisch dargestellt
7. Sittlichkeitsspiel – der Clown verstößt immer wieder gegen die Vorstellungen von Anstand und Sitte, obwohl er sie genau kennt und als Bürger auch einhält.

Viele Clowns erstreben die Verschmelzung von Rolle und Person, möchten den Clown und den Menschen dahinter verschmelzen. Der Schweizer Clown Dimitri hat es sogar geschafft, seinen Künstlernamen (der auch sein Vorname war) zu seinem Nachnamen ändern zu lassen.

Was hat der Clown mit mir zu tun?

Dann führt uns Herr Weihe eine Röntgenaufnahme vor, die einen Menschen mit kegelförmigem Hinterkopf (Weißer Clown), einer kugelrunden Nase (Roter Clown) und kräftigen Kieferknochen (Schwarzer Clown) zeigt. Der Clown ist kein Homo Sapiens sondern eher eine Homo Inscitus (unverständig). Aus dieser Sicht fragt der Vortragende noch einmal: „Sind wir alle Clowns?“ Und bejaht dies, unter der Voraussetzung, dass wir erkennen, dass wir es alle einmal waren. Und: „Nicht der Clown ist der Doofe, sondern der Mensch.“

Damit kommt Herr Weihe zum Schluss seines Vortrags. Er verwendet dazu die „kinetische Signatur“ des Clowns, das Stolpern. Menschen stolpern und sie stolpern unter anderem deshalb, weil sie in zwei Arten von Tempo unterwegs sind. Das Tempo des technischen Fortschritts, der Fortschritt der Menschheit (Weißer Clown), das für den Einzelnen oft zu schnell wird. Er hat die zu großen Schuhe des Roten Clowns an den Füßen und kommt nicht mit. Er stolpert und holt sich dabei die blutig, rote Nase.

Fazit

Zu den Schlussfolgerungen, was diese Einsichten mit „Körper – Seele – Geist“ zu tun haben schweigt sich Herr Weihe aus. Ich kann hier also nur meine eigenen Gedanken anbieten.
Der Clown ist ein Spiegel des Menschen, insofern er uns das zeigen kann, was wir an uns nicht mögen, unser Scheitern, unser Unverständnis und unsere Begrenztheit.
Der Clown bietet uns an dieser Stelle eine Versöhnung mit diesen ungeliebten Eigenschaften an. Die Möglichkeit, über uns selbst zu lachen (ein Merkmal übrigens, das für Victor Frankl den Menschen überhaupt erst ausmacht).
Der Clown ist eine „Landkarte“ des Inneren des Menschen. Die Über-Ich Figur des Weißen Clowns versucht mit Strenge die Es-Figur des schusseligen Roten Clowns zum richtigen Verhalten zu erziehen, und scheitert regelmäßig damit. Für mich eine Aufforderung, nicht allzu streng mit sich selbst zu sein, sich das Recht zu nehmen, Regeln selbst zu überprüfen und Spaß und Neugier nicht zu kurz kommen zu lassen. (Denn bei zu viel Frust bekommt womöglich der Schwarze Clown seinen Auftritt).
Der Clown weist uns auf die Widersprüchlichkeiten des Lebens hin, und dass diese Widersprüche sich auch immer wieder miteinander versöhnen, und ineinander übergehen können. Albernheit kann in Ernst umschlagen, Schnelligkeit in Langsamkeit, Grenzen sind variabel u.v.m. Widersprüche sind also keine Gegensätze, die sich ausschließen sondern zwei Pole, die einander ergänzen und erst gemeinsam ein stimmiges Bild ergeben.