Die Psychosomatik erkundet Wirkfaktoren

Psychotherapieforschung

Bericht vom 17.01.23 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Frau Prof. Dr. Ulrike Dinger-Ehrenthal, Lehrstuhl für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Ihr Vortrag trägt den Titel: Wirkfaktoren in der Psychotherapie

Frau Dinger-Ehrenthalt berichtet zur Einführung von ihrer Faszination über das psychotherapeutische Verfahren. Da treffen sich zwei Menschen, die miteinander sprechen. Einer der Menschen hat Probleme, vielleicht Ängste, vielleicht Sorgen oder Depressionen. Die beiden Beteiligten sprechen über Gefühle und ihre Beziehung und danach geht es dem leidenden Menschen deutlich besser. Wie kommt das? Was ist dafür verantwortlich und wie funktioniert Psychotherapie?

Die Vortragende möchte ihre eigenen Forschungsergebnisse zu dieser Frage vorstellen, natürlich nicht, ohne auch andere Forschungsergebnisse zu präsentieren. Sie möchte uns an den Beispielen zweier Patient*innen den Stand der Forschung erläutern. Es geht dabei um eine Frau A und einen Herrn T, die in der Klinik vorstellig geworden sind. Der Vortrag wechselt also zwischen Informationsvermittlung und Beispielen.

Die Patient*innen

Frau  A ist bei der Aufnahme sehr aufgelöst. Sie lebt in einer festen Partnerschaft und hat drei Kinder. Sie arbeitet in einem gut dotierten Job in der Wirtschaft und zeigt depressive und ängstliche Symptome.

Herr T ist bei der Aufnahme zurückgezogen bis misstrauisch. Er lebt alleine ohne Partnerschaft. Er ist Langzeitstudent ohne Abschluss und zeigt depressive Symptome und erhebliche Beziehungsschwierigkeiten.

Weitere Informationen

Überblicksstudien zur Therapiewirksamkeit zeigen sehr hohe Effektstärken im prä-post Vergleich. Die Effektstärken sind moderat bis hoch im Vergleich mit Patient*innen auf der Warteliste und moderat im Vergleich zu Kontrollgruppen, in denen supportiv zugehört wurde.

Der schon bekannte „Dodo-Effekt“, dass nämlich Meta-Analysen ergeben, dass die Art der Psychotherapie nur kleine bis gar keine Effekte hat, wird ebenfalls erwähnt. Die Vortragende merkt an, dass nicht alle Studien von gleicher Qualität sind und dass je besser eine Studie designt ist, die Effekte umso kleiner werden.

Die Behandlung der Patient*innen

Frau A erhält eine multimodale teilstationäre Psychotherapie, die auf ein integratives Konzept auf psychodynamische Basis beruht. Die Leitung liegt in den Händen von psychosomatischen Fachärztinnen unter kontinuierlicher Supervision des therapeutischen Teams.

Herr T erhält eine multimodale stationäre Psychotherapie mit ebenfalls integrativem psychodynamischem Konzept. Das Ärzteteam entspricht dem von Frau A. Bei beiden dauert die Therapie 12 Wochen.

Wie erklären sich die Unterschiede?

Auf der Suche nach Unterschieden im Behandlungsverlauf und -Erfolg kommen drei Möglichkeiten in Betracht. Das sind die Patient*innenvariablen, die Therapeut*innenvariablen und die Therapiemethode/Therapieprozess/Beziehungsgeschehen.

Bei der Betrachtung der Patient*innen werden folgende Kategorien betrachtet. Der sozioökonomische Status (SES) und die Schwere der Erkrankung. Weiter die Erwartungen an den Erfolg der Therapie, die Motivation zur Therapie und die Präferenzen für eine Methode oder einen bestimmten Therapeuten. Weiter geht es um Kontrollüberzeugungen, emotionale Intelligenz, emotionale Wahrnehmung (Alexithymie), Selbstkritik und Mentalisierung, sowie um Bindung und interpersonelle Probleme.

Zurück zu den Patient*innen

Frau A hat einen hohen SES und gemischt-positive Erwartungen an die Therapie. Sie hat sich aktiv dafür entschieden. Sie hat eine gute Introspektions- und Mentalisierungsfähigkeit, eine moderat-gute Emotionswahrnehmung, eine moderate Selbstkritik und zeigt einen ambivalenten Bindungsstil.

Herr T hat einen mittleren SES und er kommt mit gemischt-skeptischen Erwartungen in die Therapie, die er aufgrund einer Empfehlung aufsucht. Seine Introspektions- und Mentalisierungsfähigkeiten werden als moderat eingestuft, seine Emotionswahrnehmung als moderat bis gering. Er neigt zu ausgeprägter Selbstkritik und zeigt einen vermeidenden Bindungsstil.

Unterschiede zwischen Therapeut*innen

Sind es also die Therapeut*innen, die den Unterschied machen? Meta-Analysen zeigen eine 5%tige Varianz durch die Person der Therapeutin. Die Effektstärken für die therapeutische Beziehung sind deutlich höher. Bei der Betrachtung der sog. Allianz-Outcome Korrelation zeigt sich, dass diese eher durch den Therapeuten verbessert wird.

Nach Einschätzung der Vortragenden gibt es wohl einige herausragende Therapeut*innenfiguren. Die allermeisten Kolleg*innen befinden sich wohl im Mittelfeld und einige wenige sind wohl nicht so für den Beruf geeignet. Sie führt noch eine weitere Studie aus einem stationären Setting an, aus der hervorgeht, dass die Person der Therapeutin eine eher geringe Rolle spielt.

Von den therapeutischen Fähigkeiten scheint die Beziehungskompetenz die größte Rolle zu spielen. Bei der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Allianz und Outcome (Ergebnis) zeigt sich, dass die Klient*innen von Therapeut*innen mit hoher Beziehungskompetenz bessere Ergebnisse erzielen.

Bei der Überprüfung, inwieweit die Therapeut*innen sich an das theoretische Modell ihrer Schule halten und wie kompetent sie die Interventionen ihrer Schule anwenden, kommt heraus, dass beides eher nicht der Fall ist. Im Arbeitsalltag scheint es mehr darum zu gehen, sich auf den einzelnen Menschen einzulassen und sich nicht zu sehr an das Manual zu klammern. Die Flexibilität und Responsivität scheint für einen Erfolg wichtiger zu sein als die „reine Lehre“.

Und bei unseren Patient*innen?

Frau A lernt zahlreiche Therapeut*innen in der Tagesklinik kennen. Mit drei Kolleg*innen hat sie regelmäßige Einzelkontakte.

Herr T hat ebenfalls zahlreiche Therapeut*innen auf der Station und ebenfalls drei Therapeut*innen mit regelmäßigem Einzelkontakt

Der Therapieprozess

Was passiert in einer Sitzung, das Patient*innen dabei hilft ihre Symptome zu reduzieren und die Lebensqualität zu verbessern?

Der Psychotherapie Prozess wird folgendermaßen definiert: Veränderungsprozess: Handlungen, Erfahrungen und Bezogenheit von Patient und Therapeut in/zwischen Sitzungen.

Oder als: Veränderungsmechanismen: Veränderungen innerhalb des Patienten, denen eine ursächliche Wirkung für das Ergebnis zugeschrieben wird.

Die Frage nach der „Kausalität“ in der PT ist natürlich heikel. Denn Kausalität im strengen Sinn ist eher eine Domäne der Physik als der Psychotherapie. Es wird also versucht, Teile der PT randomisiert zu erforschen und auf diesem Weg kausale Verbindungen zu finden. Dazu gibt es Längsschnittstudien, die die zeitliche Dynamik, die Kontrolle von Alternativerklärung und die Zwischen-Personen Effekte Von innerhalb-Personen Effekte erforschen.

Die Zwischen-Person Effekte versuchen zu beantworten, ob Menschen mit besseren Beziehungen auch bessere Therapieergebnisse erzielen. Die Innerhalb-Personen Effekte suchen dagegen eine Antwort auf die Frage, ob eine individuelle Besserung auch die Beziehung verbessert. Also die alte Frage nach der Henne und dem Ei.

Allgemeine Wirkfaktoren

Diese wirken, wie der Name schon sagt, unabhängig vom Therapieverfahren. Dabei kann der Fokus auf die Beziehung gelegt werden und Allianz, Kollaboration, Empathie, positive Zuwendung, Authentizität, Selbstoffenbarung, Emotionsausdruck betrachtet werden.

Oder es geht eher allgemein um Psychotherapie, wobei die Allianz, die Ressourcenaktivierung, Problemaktualisierung, Problembewältigung und die motivationale Klärung ins Auge gefasst wird.

Therapeutische Beziehung

Diese hat wiederum verschieden Aspekte. Das wären die therapeutische Allianz, die Arbeitsbeziehung schlechthin. Aber ganz zwangsläufig handelt es sich auch immer um eine Übertragungsbeziehung, in der frühere Muster und Repräsentanzen einen Einfluss ausüben. Darüber hinaus kann auch eine echte persönliche Beziehung entstehen und dabei können dann Kongruenz und Synchronie erforscht werden.

Das Beispiel der therapeutischen Allianz

Diese ist der meistbeforschte Prozessfaktor in der PT-Forschung. Sie geht auf die Psychoanalyse zurück und ist ein Schulen übergreifendes Konzept für eine kollaborative und affektive Arbeitsbeziehung. Sie führt zu einer Übereinstimmung über die Ziele der Therapie, klärt die Aufgaben und Rollen und unterstützt die Entwicklung einer emotionalen Beziehung.

„Alliance Outcome Correlation“: AOC

Die sog. AOC, also der Zusammenhang zwischen therapeutischer Beziehung und therapeutischem Erfolg wird ebenfalls schon lange erforscht. Bei einer Meta-Analyse sehr vieler Studien sollte geklärt werden, ob die Beziehung immer eine Rolle spielt oder evtl. manchmal auch nicht. Das Ergebnis lautet, dass ein Zusammenhang unabhängig vom Erscheinungsdatum der Studie ist, unabhängig von der Behandlungsform und der Diagnose und dem verwendeten Maß für die Allianz.

Allerdings verändert sich der Zusammenhang mit der Perspektive, also ob eine Selbst- oder eine Fremdbeurteilung verwendet wird. Veränderung ist auch vom Zeitpunkt der Messung abhängig, ob sie nämlich früher oder später in der Therapie durchgeführt wird und auch davon, welches Instrument für die Outcome-Messung verwendet wird – hier gibt es globale und störungsspezifische Instrumente.

Aktuelle Forschung zur AOC

Diese wird u. a. am Heidelberger Institut für Psychotherapie durchgeführt. An dieser Ausbildungsstätte lassen sich Therapien direkt aufzeichnen und auswerten. Dazu werden Tests und Interviews genutzt und natürlich das Beobachtungsmaterial der Aufzeichnungen. Einige Ergebnisse dieser Forschung sind, dass die Wahrnehmung einer guten Beziehung etwa fünf Therapiestunden später zu einer Symptomverbesserung führt.

Solche Veränderungen sind dann am stärksten, wenn Patient*in und Therapeut*in diese Wahrnehmung teilen. Wenn hingegen Meinungsverschiedenheiten auftauchen, ist das eher ein schlechtes Zeichen. Der schlimmste Fall ist ein Beziehungsbruch durch Konfrontation oder Rückzug. Wenn dieser Bruch nicht geklärt werden kann, folgt in aller Regel eine Symptomverschlechterung.

Zwischenfazit Beziehung

Sie ist viel erforscht, ihre Wirksamkeit kann annähernd als kausal betrachtet werden und für die Zukunft sind neue Methoden zu erwarten – z. B. nonverbale Prozesse oder Synchronien als auch linguistische Studien, die die Sprache auswerten können.

Zurück zu Frau A und Herrn T

Frau A entwickelt eine positive einzeltherapeutische Beziehung, fühlt sich immer wieder sehr dankbar. Von therapeutischer Seite wird sie als etwas ungeduldig wahrgenommen, in der Gegenübertragung als ansprüchlich. Wenn es zu Konfrontationen kommt, ist es möglich, diese anzusprechen und zu klären.

Herr T bleibt in der Einzeltherapie distanziert. Er zeigt sich weiterhin misstrauisch und eher entwertend-kritisch. In der Gegenübertragung wird Ungeduld spürbar. Er möchte Abhängigkeit vermeiden bei gleichzeitigem Wunsch nach Unterstützung und Nähe. Er zieht sich immer wieder zurück und eine Klärung dessen ist nur eingeschränkt möglich.

Balancierung von Autonomie und Verbundenheit

Autonomie und Bindung sind menschliche Grundbedürfnisse und ihre Ausgewogenheit spielt eine wichtige Rolle für die psychische Gesundheit. Aus der Bindungsforschung ist bereits bekannt, dass zwei unsichere Bindungstypen problematisch werden können. Es sind die ambivalente und die vermeidende Bindung, die sich auch in einer Psychotherapie bemerkbar machen können.

Frau Dinger-Ehrenthalt fragt nun danach, inwiefern Psychotherapie Patient*innen dabei unterstützen kann, mehr Autonomie und Eigenständigkeit zu entwickeln. Sie benennt die Möglichkeiten, sich die Therapie zu eigen zu machen und dadurch selbst aktiv zu werden, sich seiner subjektiven Handlungsfähigkeiten bewusst zu werden und damit aktiver am Leben teilzuhaben. Das ist hilfreich, weil sich Selbstwert und Selbstwirksamkeit gegenseitig bestärken.

Diese Aspekte wurden auch in Heidelberg empirisch erforscht. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass sowohl Agency (Selbstwirksamkeit) also mitwirken an der Therapie als auch die Allianz (Bindung) sich positiv auf den Therapieerfolg auswirken. Als Kräfte betrachtet sind Agency und Bindung gegenläufig, wenn sie aber gut balanciert sind, wirken sie kraftvoll positiv.

Und wie ging es den Patient*innen?

Frau A zeigte von Beginn an eine hohe Aktivität, die Therapeutin hat eher gebremst. Nach einem Konflikt wurde sie nachdenklicher, hat ihre Herkunftsfamilie konfrontiert und sich von ihr abgegrenzt, was zunächst mit Schuldgefühlen und dann mit Stolz begleitet war. Sie hat sich innerlich eine Verhaltensänderung zugelegt, was als vermehrte Agency zu werten ist.

Herr T zeigte wenig Aktivität. Die Gespräche mit ihm verliefen häufig stockend. Die Dialoge wie ein Tanz, bei dem sich die Tänzer*innen ständig auf die Füße treten. Er entwickelte ein romantisches Interesse an einer Mitpatientin. Er versucht in der Therapie eine Anleitung für sein weiteres Vorgehen zu erhalten, scheitert damit und zieht sich aus dem therapeutischen Kontakt zurück. Er gibt sich am Ende selbst dafür die Schuld.

Insgesamt hat sich Frau A intensiv mit ihren interpersonalen Mustern auseinandergesetzt, sie war emotional hoch aktiviert. Die Einsicht in ihre Muster konnte sie zur Verhaltensänderung nutzen. Die Symptome haben stark vermindert und sie ist optimistisch für die ambulante Folgetherapie.

Herr T hat viel reflektiert allerdings begleitet von Scham und auf sich selbst gerichtete Aggression. In der Art seines Denkens gab es wenig Veränderungen, auch nicht in seinem Verhalten. Symptomatisch ist allenfalls eine leichte Verbesserung eingetreten, der Abschied erfolgt in eher pessimistischer Stimmung.

Was wirkt in Psychotherapien?

Allgemeine Wirkfaktoren: Beziehungsaspekte sind zentral

Aber: Verbundenheit alleine reicht nicht – Selbstwirksamkeit ist auch in der therapeutischen Beziehung sehr wichtig

Wir können neue Methoden helfen, den Datenschatz zu heben?

Spezifische Wirkfaktoren: „Techniken“ weniger einflussreich als intrapsychische Veränderungen.

Aber: Mehr Forschung ist nötig; es gibt Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Prozessvariablen und die Kategorien weisen wohl noch einige Überschneidung auf.

Ein sehr reichhaltiger Vortrag und hier ist der Link dazu

Die Psychosomatik erkundet Psychotherapie

Das Dodo Theorem behauptet die Gleichwirksamkeit aller Psychotherapien

Bericht vom 28.06.22 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Prof. Dr. Bernhard Strauß, Direktor des Instituts für Psychosoziale Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie des Universitätsklinikums Jena. Sein Vortrag trägt den Titel: Die Zukunft der Psychotherapie

Herr Strauß präsentiert zur Auflockerung zwei Zitate von seinem Landsmann Karl Valentin: „Die Zukunft war früher auch besser.“ Und: „Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn es sich um die Zukunft dreht.“ Der möchte damit deutlich machen, dass der forsch formulierte Titel dieses Vortrags nicht  zu wörtlich genommen wird. Nun erfahren wir die Gliederung:

  • Die große Psychotherapiedebatte
  • „Core Knowledge“
  • Verfahrensbezogene Hindernisse
  • Zukunft

Die große Psychotherapiedebatte

Diese Überschrift entspricht einem Buchtitel, der zuerst in englischer Sprache erschienen ist und inzwischen auch auf Deutsch vorliegt. Die folgenden Erkenntnisse sind wesentlich diesem Buch entnommen.

Was wir sicher wissen

  • Psychotherapie ist (relativ) wirksam – relativ bezieht sich v.a. auf die hohen Rückfallquoten
  • Psychotherapie ist in der Praxis ähnlich (relativ) wirksam wie Psychotherapie in randomisierten Doppelblindstudien
  • Veränderungsprozesse dauern unterschiedlich lange
  • Therapeuten unterscheiden sich deutlich in ihrer Effektivität

Was wir ziemlich sicher wissen

  • Kontextuelle Faktoren wie Allianz, Empathie, Erwartungen, Aufklärung über die Störung etc. hängen deutlich mit dem Therapieergebnis zusammen.
  • Grafik blaue Schrift = Kontextuelle Faktoren

Was wie einigermaßen sicher wissen

  • Therapeuten werden mit zunehmenden Erfahrungen nicht besser
  • Strukturierte/fokussierte Behandlungen sind wirksamer
  • Spezifische Techniken haben einen geringen Einfluss

Worüber wir noch spekulieren

Ist die kognitive Verhaltenstherapie besser als andere (ein alter Streitpunkt). Wenn, dann nur bezogen auf „target symptoms“. Ansonsten gibt es keine wesentlichen Unterschiede bzgl. Lebensqualität, Wohlbefinden oder Funktionsniveau. Zu beachten ist der sog. Allegiance Effekt – Forscher bevorzugen „ihre“ Methode in der Beurteilung.

Core Knowledge

Was also macht den Kern des Wissens über Psychotherapie aus? Das ist nicht einfach festzustellen, denn der Diskurs der Therapieschulen ist schwierig. Das liegt zum einen daran, dass Theoretiker der verschiedenen Schulen ihre Konstrukte ungern aufgeben oder relativieren wollen. Zum anderen sind Psychotherapieverfahren auch Institutionen, die sich nur sehr schwerfällig verändern lassen.

Andere Hintergründe dieses Problems sind:

  • Lücken zwischen Forschung und Praxis
  • Unterschiedliche theoretische Ansätze zum Verständnis von Psychotherapie
  • Sprachbarrieren (z.B. zwischen Tiefenpsychologen und Verhaltenstherapeuten)
  • Wandel in der Forschungsmethodologie
  • Die Wirksamkeit vermeintlich neuer Befunde
  • Spielregeln der Wissenschaft

Diesen letzten Aspekt verdeutlicht der Vortragende mit zwei Zitaten über Wissenschaft: 1942 beanspruchte Wissenschaft noch Universalismus, Kommunalität, Disinterestedness und Organisierter Skeptizismus.

1974 liest sich die Liste so: Partikularismus, Solitarismus, Interestedness und Organisierter Dogmatismus.

Letztlich sind auch Wissenschaftler nur Menschen, die sich auch so sehen können: „Eine Karriere wird gemacht, indem Geschichte gemacht wird.“ Womit der Autor seinen Ehrgeiz öffentlich macht.

Warum aber gibt es überhaupt Konflikte in der Psychotherapie und der Psychotherapieforschung. Es sind Konflikte zwischen Vertretern einzelner Verfahren; zwischen Wissenschaft und Praxis; zwischen traditionellen Verfahren und neuen Entwicklungen.

Der Lösungsvorschlag geht dahin, dass es eine Konsenstheorie der Psychotherapie braucht. Dass Identitäten als Psychotherapeut*innen wichtiger sind als Identitäten als Vertreter*innen von Schulen.

Unter der Forschergemeinde gibt es einige Vertreter, die einen solchen Konsens befürworten. Allerdings wird auch beklagt, dass die Datenlage nach wie vor höchst bescheiden ist. Um die komplexen Veränderungsprozesse auch nur annähernd valide erforschen zu können, bräuchte es sehr viel größere Stichproben, als sie im Moment vorhanden sind. Betrachtet man dann Modelle von Veränderungen, findet man verschieden Faktoren, die jeweils für sich und im Zusammenwirken mit den anderen gemessen werden müssten.

Z.B. der Moderator der erfasst für wen und unter welchen Umständen etwas hilfreich ist. Dann der Mechanismus, der erklären kann, wie eine Intervention ihre Wirkung entfaltet sowie den Mediator, der die Veränderungen statistisch und kausal messen und erklären kann. Hypothetische Mediatoren wären z.B.

Wir erfahren nun noch etwas über „Evidenzbasierte Beziehungsfaktoren, Behandlungen und individuelle Patientenmerkmale“ – ein Buch aus einer sehr intensiven Forschungsarbeit der Autoren Norcross und Lambert. Es ist eines der wenigen evidenzbasierten Werke.

Es gibt einen Vorschlag für eine Konsens-Theorie, die für alle Psychotherapieverfahren Gültigkeit haben könnte:

  • Die Unterstützung einer positiven Therapieerwartung und die Motivation, dass Psychotherapie helfen kann
  • Möglichst eine optimale Therapeut-Klient Beziehung etablieren
  • Das Bewusstsein der Patienten für die Faktoren sensibilisieren, die mit Schwierigkeiten verbunden sein können
  • Die Ermunterung, sich für korrigierenden Erfahrungen zu öffnen
  • Die Ermunterung, sich fortlaufend Realitätsprüfungen auszusetzen

Verfahrensbezug als Hindernis

Herr Strauß leitet diesen Teil mit einem Zitat von Sigmund Freud ein. Freud schreibt in „Das Unbehagen in der Kultur“ davon, dass es einen Narzissmus der kleinen Unterschiede gebe. Dieser biete eine bequeme und relativ harmlose Möglichkeit, seine Aggressionsneigung zu befriedigen. Freud sah es als anthropologisch gegeben an, dass diese kleinen missgünstigen Gefechte in jeder Gemeinschaft ausgetragen werden.

So war ein Pionier der PT-Forschung, Klaus Grawe, auch heftiger Kritik ausgesetzt, als er seinem Buch den Untertitel „Von der Konfession zur Profession“ gegeben hatte (Titel: Psychotherapie im Wandel).

Ein amerikanischer (radikaler) Behaviorist (Rachlin) wurde zum Thema der Agoraphobie interviewt. Das Interview wurde dann in die Alltagssprache übertragen (ohne Fachtermini) und Menschen vorgelesen, die daraufhin raten sollten, aus welcher Therapierrichtung der Interviewte wohl stamme. Die meisten tippten darauf, dass es sich um eine psychodynamische Therapierichtung handeln müsse.

Der Verfahrensbezug in der Therapielandschaft ist historische entstanden und nun sehr ausdifferenziert. Jedes Verfahren bietet ein übergeordnetes Rahmenmodell mit besten Identifikationsmöglichkeiten. Es stellt Richtlinien bereit, Fachverbände, verfahrensbezogene Fortbildung und nimmt Einfluss auf die Gesetzgebung.

Versuche, die Verfahrensgrenzen zu überwinden, stoßen häufig auf harschen Widerstand. So z. B. ein Modell psychogener Störungen

Tatsächlich macht die Verfahrensorientierung auch zahlreiche Probleme

  • Hohe (über)Identifikation mit der Therapieschule; hohe Investitionskosten (zeitlich, finanziell), die zu kognitiver Dissonanz führen würden, würde man diesen Einsatz hinterfragen
  • Selbstschützende und therapieformschützende Bewertungen; Täuschungen und Placebo-Effekte, selektive Wahrnehmung und Interpretation von Ergebnissen
  • Orientierung an Gurus und Meinungsführern anstatt wissenschaftlich-kritischer Auseinandersetzung
  • Ingroup-Outgroup Dynamiken
  • Destruktive Prozess innerhalb der Profession, Ferne vom Versorgungsbedarf
  • Tendenziöse und selektive PT-Forschung
  • Behinderung von dynamischer Weiterentwicklung

Psychotherapeut*innen scheinen bemerkenswert blind für die Psychotherapieforschung zu sein. Sie stehen häufig auf dem Standpunkt, dass Forschung instrumentell nutzlos sei, nicht informativ und nicht inspirierend. Dabei ergibt die Forschung, dass Psychotherapeut*innen

Zukunft

Für die Zukunft der Psychotherapie fordert Herr Strauß die systematische Einbeziehung der Patientenperspektive zur Qualitätssicherung psychotherapeutischer Behandlungen hinsichtlich des Therapieverlaufs, der therapeutischen Beziehung und der unerwünschten Wirkungen. Außerdem möge doch bitte mehr Forschung im Praxisalltag stattfinden.

Es gibt inzwischen auch Vorschläge, wie mit Beziehungskrisen in der Therapie umgegangen werden kann. Die Interventionen sind metakommunikativ, thematisieren also die Qualität und den Inhalt der Kommunikation. Der Fokus kann dabei mehr auf dem Patienten, mehr auf dem Therapeuten oder mehr auf dem interpersonalen Feld liegen.

Fokus auf Patientenperspektive: „Was fühlen Sie gerade?“ oder: „Sie wirken etwas gereizt auf mich.“ …

Fokus auf interpersonales Feld: „Was passiert gerade zwischen uns?“ oder: „Wir scheinen eine Art Tanz auszuführen.“ …

Fokus auf Therapeutenperspektive: „Haben Sie eine Idee, was gerade in mir vorgeht?“ oder: „Was könnte mein Beitrag dazu sein, weswegen es hier gerade stockt?“ …

Ein weiteres, sehr lebendiges Forschungsfeld ist die „Nonverbale Synchronisation“. Diese können mit Filmaufnahmen, die dann von einer speziellen Software bearbeitet wird sehr spannende Einblicke ins therapeutische Geschehen vermitteln. Es geht dabei um Sequenzen, die einen hohen Grad an interpersoneller Koordination des nonverbalen Verhaltens zeigen. Z.B. die Spiegelung von Körperhaltungen, gleichzeitige Bewegungen, Imitation von Mimik … Treten diese Phänomene auf, sind sie mit prosozialem Verhalten korreliert.

Die Auswertung ergibt, dass bei erhöhter Synchronie die Patienten insgesamt zufriedener sind, mehr Empathie empfinden, auch die Bindung positiver einschätzen und der Therapieerfolg eher gewährleistet ist.

Unerwünschte Wirkungen

Was natürlich kein Therapeut und keine Therapeutin anstrebt sind negative Wirkungen der Psychotherapie. Trotzdem gibt es dieses Phänomen, dass sich Symptome verschlimmern, sogar die Lebens- und Funktionsbereich in Mitleidenschaft gezogen werden und mitunter sogar zu anhaltend negative Effekten führen kann. Es gibt inzwischen eine Klassifikation unerwünschter Ereignisse.

Herr Strauß wünscht sich, dass die Ergebnisse der PT-Forschung mehr Verwendung in der Praxis finden. So sollte sich z.B. das Psychotherapieangebot mehr an den Bedürfnissen der Betroffenen orientieren.

Er plädiert auch für eine neue Vielfalt der PT-Methoden, die eine individualisierte und personalisierte PT ermöglichen könnte. Psychotherapie könnte modular erlernt werden, mehr auf die Erwartungen fokussieren und mehr auf die Kompetenzen der Therapeut*innen.

Eine wissenschaftlich fundierte Psychotherapie Aus- und Weiterbildung würde:

Eine fundierte Kenntnis der wichtigen therapeutischen Theorien und Ideen vermitteln, vom Setting abhängige und störungsabhängige Zugänge vermitteln; es wäre möglich, die Therapie zu personalisieren und Veränderungsprinzipien zum Einsatz bringen. Außerdem sollten die persönlichen Kompetenzen der Therapeut*innen in den für die Therapie relevanten Bereichen besonders gefördert werden.

Zum Schluss bekommen wir noch eine Schlussfolgerung. Forschung und Praxis schauen von unterschiedlichen Standpunkten auf die Psychotherapie. Da wo ihre Erkenntnisse einander ähnlich werden, könnten womöglich die Kerngewissheiten gefunden werden.

Hier geht es zum Vortrag

Die Psychosomatik erkundet Einsamkeit

Allein oder einsam - jedenfalls nur ein Mensch

Bericht vom 08.11.22 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Prof. Dr. Dirk Scheele vom Lehrstuhl für Social Neuroscience an der Fakultät für Psychologie von der Ruhr-Universität Bochum: „Soziale Isolation und Einsamkeit: Neurobiologische Mechanismen, gesundheitliche Folgen und Bewältigung“

Herr Scheele präsentiert uns zunächst die Struktur seines Vortrags. Die vier Punkte lauten:

  • Der Mensch als soziales Wesen
  • Definition und Verständnis von Einsamkeit
  • Konsequenzen und Mechanismen von Einsamkeit
  • Bewältigung und Interventionen

Der Mensch als soziales Wesen

Viele Menschen kennen das Phänomen, wenn sie in Gegenständen wie Bäumen oder Wolken, aber auch in Bauwerken menschliche Gesichter erblicken (Pareidolie). Das liegt unter anderem daran, dass unsere Wahrnehmung besonders auf menschliche Gesichter eingerichtet ist. Etwas weniger bekannt ist die Neigung, in allen möglichen Interaktionen z.B. Interaktionen von abstrakten Figuren wie Dreiecke, Kreise etc. als menschliche Interaktionen zu deuten (Anthropomorphisierung). Diese beiden Wahrnehmungsverzerrungen kommen bei einsamen Menschen häufiger vor.

Nun gehen wir der Frage nach, was denn so wertvoll am sozialen Kontakt ist. Der Vortragende nennt hier den Umstand, dass sozialer Kontakt Stress reduziert (reduzieren kann). Als Beispiel bekommen wir den Trierer Stresstest. Ein Setting, in dem ein Jury einem Vortrag zuhört, aber der/die Getestete muss noch zusätzlich Rechenaufgaben im Kopf lösen – an sich schon nicht einfach, bekommt man zusätzlich eine Rückmeldung bei Fehlern und muss von vorne anfangen. Soziale Unterstützung im Vorfeld oder auch bei dieser Prüfung reduziert die Stresshormone (Cortisol) erheblich. Diese Wirkung ist auch dem Hormon Oxytocin zu verdanken, das insbesondere bei Berührungen ausgeschüttet wird.

Herr Scheele führt die berühmten Harlow’schen Versuche mit Affen an, um ein angeborenes Bedürfnis nach Berührung zu postulieren. Zur Erinnerung: Kleine Äffchen werden von ihren Müttern getrennt und bekommen zwei Ersatzmütter – eine aus Draht und eine, die ein Frotteetuch bietet. Dann können beide Mütter noch mit einer Flasche ausgestattet werden. Harlows Messung war nun, wie lange die Äffchen bei den Ersatzmüttern blieben – mit oder ohne Nahrung. Das Ergebnis war eindeutig nicht von der Nahrung abhängig, die Äffchen mochten die Frottemutter eindeutig lieber und länger.

Berührung vermittelt also soziale Unterstützung und dies kann auch mit moderneren Methoden bewiesen werden. Ein Proband in der „Röhre“ bekommt leichte Stromschläge, entweder alleine oder mit einer fremden Person, die die Hand hält oder einer vertrauten Person, die die Hand hält. Die Befragung ergibt, dass der Schmerz mit einer vertrauten Berührung weniger unangenehm wahrgenommen wird. Das ließ sich dann auch durch die Messung des Oxytocins objektivieren.

Definition und Verständnis von Einsamkeit

Einsamkeit könnte man als Diskrepanz zwischen gewünschter und erlebter sozialer Verbundenheit. Dabei ist zu beachten, dass Einsamkeit subjektiv erlebt wird und nicht von außen beobachtet werden kann. Eine weitere Differenzierung besteht zwischen emotionaler und sozialer Einsamkeit. Also gibt es einen Menschen, mit dem ich mich emotional austauschen kann und/oder über welche sozialen Netzwerke verfüge ich.

Ein objektives Maß wäre die soziale Isolation. Hier wird ausgezählt, wieviel Beziehungen, Interaktionen und soziale Rollen zur Verfügung stehen. Einsamkeit und soziale Isolation haben miteinander zu tun, unterscheiden sich aber erheblich. Ich kann sozial isoliert leben und mich nicht einsam dabei fühlen. Ich kann Familie haben, berufstätig sein und mich dennoch einsam fühlen.

Die Sprache stellt uns folgende Möglichkeiten zur Verfügung: Alleine sein, was meist positiv gemeint ist. Ruhe haben, um sich ungestört etwas widmen zu können. Das liegt schon recht nah beim selbstgewählten Alleinsein (Solitude), das ebenfalls positiv gefärbt ist. Eindeutig negativ gefärbt ist allerdings Verlassenheit.

Prävalenz von Einsamkeit

Einsamkeit ist keine Krankheit, aber man kann sie ähnlich wie Krankheiten statistisch erfassen. Eine Studie von 2018 zeigt, dass in den USA und GB jeweils ein knappes Viertel der Befragten angab, dass Einsamkeit ein Problem sei. In Japan sagten das nur neun Prozent. Aber in allen drei Regionen gaben vier bis fünf Prozent an, dass Einsamkeit ein großes Problem sei.

Mögliche Gründe für Einsamkeit

Hier ergaben große Befragung als Hauptgrund den Verlust eines geliebten Menschen an. An zweiter Stelle standen dann körperliche Probleme. Psychische Erkrankungen oder Scheidungen und Umzüge standen auf den hinteren Rängen.

Einsamkeit über die Lebensspanne

Wie lange dauern eigentlich Episoden von Einsamkeit? Auch diese Frage wurde erforscht und das etwas überraschende Ergebnis lautet, dass Einsamkeit ganz ähnlich wie Persönlichkeitseigenschaften (z. B. Offenheit, Gewissenhaftigkeit) sehr zeitstabil sind. Denn können Wandlungen beobachtet werden. Relativ häufig fühlen sich Menschen in der späten Adoleszenz und im höheren Lebensalter einsam. Aber das Gefühl kann in jedem Lebensalter auftreten. Einen gewissen Schutz vor Einsamkeit bieten eine feste Arbeit und eine ebensolche Beziehung

Einsamkeit in der Pandemie

Eine Auszählung der Google-Suchen zu Langeweile, Einsamkeit und Traurigkeit vor und nach einem Lockdown ergab, dass nur die Langeweile signifikant zunahm. Die Maßnahme hat nicht zu einer Welle von Einsamkeit geführt.

Soziale Medien und Einsamkeit

Auch über diesen Zusammenhang kann man viel in den sozialen Medien finden. Tatsächlich gibt es einen gewissen Effekt. Wer nämlich negative Erfahrungen im Netz macht, fühlt sich danach merklich einsamer – ein Effekt, der nicht bei positiven Erfahrungen auftritt, also nicht zu weniger Einsamkeit.

Konsequenzen und Mechanismen von Einsamkeit

In einer der größten und an der längsten dauernden Studie kam heraus, dass mangelhafte soziale Integration und soziale Unterstützung ein ebenso hohes Sterblichkeitsrisiko erzeugen wie z.B. Rauchen. Ein gutes soziales Netzwerk und Beziehungen vermindern die Sterblichkeit um 50%.

Psychische Gesundheit und Einsamkeit

Diese beiden Aspekte sind ebenfalls hoch korreliert. Chronische Einsamkeit macht sowohl für Depressionen als auch für Angststörungen anfällig. Depression und Angsterkrankungen stellen ebenfalls einen Risikofaktor für Einsamkeitsgefühle dar.

Einsamkeit und Gedächtnis

Auch hier gibt es starke Befunde, die belegen, dass chronische Einsamkeit sowohl das Gedächtnis, als auch die exekutiven kognitiven Fähigkeiten vermindern. Tatsächlich führt chronische Einsamkeit zu einer Verminderung der Gehirnsubstanz.

Einsamkeit als Risiko für die Gesellschaft

Hier präsentiert uns der Vortragende zwei Zitate von Hannah Arendt: „Der Totalitarismus nutzt die Isolation, um den Menschen die menschliche Gesellschaft zu entziehen.“ Und: „In diesem Prozess wendet sich jeder Einzelne in seiner einsamen Isolation gegen alle anderen und gegen sich selbst. Er wird anfällig für die organisierte Einsamkeit.“

Mechanismen von Einsamkeit

Es scheint Korrelationen zwischen der Größe der Amygdala (Mandelkern) und der Größe des sozialen Netzwerks zu geben. Allerdings sind diese Befunde schwierig einzuordnen. Es gibt wohl mehrere Faktoren, die zur Einsamkeit beitragen. Einige davon wären eine verzerrte sensorische Wahrnehmung, verzerrte Kognitionen, beeinträchtige Interaktionen und Hyperaktivität auf Bedrohungsreize. All das lässt sich jedenfalls bei wahrgenommener sozialer Isolation feststellen.

Nun erfahren wir noch, was die Neurobiologie dazu herausgefunden hat. In einem sehr aufwändigen Setting werden hoch einsame und nicht einsame Menschen verglichen. Sie spielen ein Vertrauensspiel im fMRT, so dass ihre neuronale Aktivität erfasst werden kann. Im Vertrauensspiel kann man Geld verschenken und darauf hoffen, dass der Beschenkte etwas von dem Geld der Schenkerin zurückgibt, aber wissen kann man es nicht. Dann erfolgt ein positives Gespräch (standardisiert). Darin werden weitere Parameter gemessen z.B. den Abstand den die Probanden einnehmen, der Puls, der Speichel, die Stimmung … Dann wird noch der Gesprächspartner (ein Versuchsleiter) befragt, für wie vertrauenswürdig er seine Probandin eingeschätzt hat.

Das Ergebnis ist, dass hoch einsame Menschen weniger Vertrauen aufbringen und verminderte Reaktionen im positiven Gespräch zeigen. Die Einschätzungen der Versuchleiter*innen zur Vertrauenswürdigkeit waren überdurchschnittlich häufig zutreffend – hoch einsame Menschen wirken wenig vertrauenserweckend.

Ein neurologischer Befund dazu ist, dass die anteriore Insula – eine Region, die mit Vertrauen assoziiert ist, wenig aktiv ist und in sich weniger Verbindungen aufweist. Das könnte dazu führen, dass die Bauchgefühle, die uns sagen, wie wir einen Menschen finden, nicht mehr weiterverarbeitet werden. Aber hier ist noch viel Forschungsarbeit nötig.

Bewältigung und Intervention

Es gibt vier Hauptrichtungen, mit denen versucht wird der Einsamkeit und der sozialen Isolation entgegenzuwirken. Es sind: Die Verbesserung der Möglichkeiten für soziale Kontakte. Die Verbesserung der sozialen Fähigkeiten. Die Verstärkung der sozialen Unterstützung. Die Auseinandersetzung mit maladaptiver sozialer Kognition. Soweit genügend Studien vorhanden sind, lauten die Ergebnisse, dass die Verbesserung der Möglichkeiten für soziale Kontakte am besten gegen soziale Isolation hilft. Also Veranstaltungen, Treffen, Gelegenheiten sich mit anderen zu treffen.

Gegen Einsamkeit hat sich die Auseinandersetzung mit den maladaptiven sozialen Kognitionen als am hilfreichsten herausgestellt. Diese kann dann durchaus auch die Form einer Psychotherapie annehmen.

Auch auf der politischen Ebene ist man inzwischen für das Thema sensibilisiert – insbesondere die Einsamkeit von Senioren soll vermindert werden. Dazu wurde und wird Geld bereitgestellt, das jetzt nur noch sinnvoll investiert werden muss.

Hier geht es zum Vortrag

Professionalität von Körperpsychotherapie

Die Situation der Körperpsychotherapie

Methoden und Schulen der Körperpsychotherapie bzw. der Körperorientierten Psychotherapie sind in vielen Ländern Europas und der Welt ein Bestandteil der psychotherapeutischen Grundversorgung. In Deutschland führen sie noch ein Nischendasein. Dem deutschen Fachverband ist es bisher nicht gelungen, die Zulassungsbehörden davon zu überzeugen, dass die KPT eine wissenschaftlich fundierte und wirkungsvolle Methode ist. Manchmal endet die wissenschaftliche Erkenntnis offenbar an einer Landesgrenze.

EABP und DGK

Die EABP – „Europäische Assoziation für Körperpsychotherapie“ ist ein Dachverband verschiedener nationaler Fachverbände für KPT. Für Deutschland ist das die DGK – „Deutsche Gesellschaft für Körperpsychotherapie“. Innerhalb des Dachverbandes sind verschiedene Ausbildungsinstitute versammelt, die den anspruchsvollen Kriterien der EABP genügen.

Ziele der EABP

Die EABP ist ihrerseits Mitglied der EAP – „Europäische Assoziation für Psychotherapie“. Die EAP umfasst auch nahezu alle anderen psychotherapeutischen Methoden und strebt danach, dass die Psychotherapie ein eigenständiges und spezifisches Berufsbild wird. Das heißt, dass Medizin oder Psychologie zunächst keine Befähigung zur Psychotherapie vermitteln, sondern dass es dazu einer speziellen psychotherapeutischen Ausbildung bedarf. Die EAP hat dazu Ausbildungsrichtlinien verfasst.

Zertifikat

Die Fachverbände bieten Richtlinien für die Ausbildung, Berufsausübung und Berufsethik ihrer Mitglieder. Sie organisieren Fachtagungen und Konferenzen und vertreten ihre Mitlieder gegenüber Zulassungsbehörden. Weiter stehen sie auch als Vermittler bei möglichen Konflikten zur Verfügung. Turnusmäßig zertifizieren sie ihren Mitgliedern, dass diese den professionellen Richtlinien des Verbands gerecht werden.

Erfahrungen aus der therapeutisch begleiteten Kriegsenkelgruppe

Die Bilder der Vergangenheit aufdecken

Die erste therapeutisch begleitete Kriegsenkelgruppe ist nun beendet. Vier Teilnehmerinnen haben sich an zehn Abenden getroffen, um sich über ihre Geschichten auszutauschen.

Die Bedürfnisse der Teilnehmerinnen waren vor allem mehr Klarheit über die Umstände ihrer Kindheit und Verständnis für ihre Anpassungen an die Umstände dieser Zeit. Auch die Frage danach, was die Kriegs- und Nachkriegsgeschichte mit der persönlichen Gegenwart zu tun haben kann, wurde gestellt.

An jedem Abend gabe es eine Leitfrage. Einige dieser Fragen waren durchaus aufwühlend und haben die Teilnehmerinnen noch zwischen den Treffen beschäftigt.

Es hat sich sehr schnell eine vertrauensvolle Atmosphäre gebildet, die es jeder Einzelnen erlaubt hat, offen über sich und ihr Erleben zu sprechen. Auch und gerade schwierige Themen konnten so überhaupt einmal zur Sprache gebracht werden. Dieses – überhaupt darüber sprechen zu können – wurde vielfach schon als heilsam empfunden.

Im Resümee des letzten Treffens berichteten alle darüber, dass sie erheblich mehr Klarheit gefunden haben, dass sich Bruchstücke von Erinnerungen zu Geschichten zusammengefügt haben, dass sie freundlicher mit sich umgehen und neue Perspektiven gewonnen haben.

Ich, als therapeutischer Begleiter, bin sehr berührt von den Geschichten der Teilnehmerinnen und ihrer Bereitschaft, sich auf diese teilweise sehr schwierigen Erinnerungen einzulassen. Die Kompetenzen, die die Teilnehmerinnen im Umgang miteinander an den Tag gelegt haben, haben mich tief beeindruckt und ebenfalls berührt.