Die Psychosomatik erkundet das Selbst III

Bericht vom 02.07.24 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Fynn-Mathis Trautwein Dr. rer. nat, Systemische Gesundheitsforschung, Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Freiburg:

Zwei Masken
John Hain auf Pixabay

 „Das Selbst im Spiegel der Meditation: Kontemplative und neurowissenschaftliche Perspektiven“

Das sog. Selbst und das Selbsterleben stehen auch im Zentrum von meditativer Erfahrung. Meditation hat Effekte auf das Selbsterleben, einige davon sind erwünscht, andere weniger. Herr Trautwein möchte uns damit bekannt machen, was die Forschung heutzutage über die neuronalen Korrelate dazu herausgefunden hat. Aber nicht nur, auch einen phänomenologischen Zugang möchte er mit uns erkunden. Dieser trägt den Namen „Neurophänomenologie“ und der berühmte Biologe Francisco Varela hat diese begründet. Er sagt: „Jede Wissenschaft von Geist und Bewusstsein muss früher oder später mit der Grundbedingung zurechtkommen, dass wir keine Ahnung davon haben, was das Mentale oder Kognitive überhaupt sind, außer dass wir es selbst erleben.“ (Übersetzung BL) Psychologie und Kognitionswissenschaften brauchen also notwendig die Perspektive der persönlichen und subjektiven Erfahrung um voranzukommen. Diese wird klassischerweise als Erste-Person-Perspektive bezeichnet, die nun systematisch mit einer forschungstypischen Dritte-Person-Perspektive verknüpft werden soll.

Varietäten des Selbst

Bevor er das vertiefen wird, möchte Herr Trautwein noch einige Informationen vorausschicken. Es geht um das Verständnis dessen, was wir unter „Selbst“ verstehen wollen. Zwei Richtungen sind bekannt, deren eine das narrative/konzeptuelle/reflektive Selbst genannt werden könnte. Es verfügt über autobiografisches Wissen, ein Selbstkonzept und besitzt eine soziale Identität – es nimmt sich selbst zum Objekt.

Die andere Richtung bringt ein verkörpertes/minimales/präreflexives Selbst ans Licht. Es ist mit dem Körper identifiziert, ist das handelnde Selbst, verfügt über Selbstlokalisation und besitzt eine Ich-Perspektive, das direkten Zugang zu den basalen Körpergefühlen hat. Es ist das Selbst als Subjekt.

Selbst als Objekt

Es gibt bereits zahlreiche empirische Befunde zum narrativen Selbst. Es ist mit Aktivität im sog. „Default Mode Network“ assoziiert. Das sind Gehirnbereiche, die aktiv sind, wenn wir uns gerade mit nichts Besonderem befassen. Fast fünfzig Prozent der Zeit verbringen wir mit dieser „Fokussierung kognitiver Prozesse auf selbst-relevante Inhalte“. Selbstrelevant ist, wenn wir uns selbst Aufmerksamkeit schenken, unser Gedächtnis nutzen oder uns selbst ein wenig rosiger sehen, als wir es tatsächlich sind. Das ist wichtig für die Selbstwertregulation, so dass das Selbst schon einmal als „verzerrtes kognitives Konstrukt“ bezeichnet wurde. Es spricht einiges dafür, dass dies notwendig für ein gesundes, integriertes und selbstwirksames Ich ist.

Selbst als Subjekt

Es gibt inzwischen eine zunehmende empirische Forschung zum verkörperten Selbst. Das ist naturgemäß schwieriger als bildgebende Verfahren, hält sich dieses subjektive Selbst doch eher im Hintergrund der Erfahrungen auf. Bereits im Eröffnungsvortrag von Herrn Metzinger wurden die Forschungssettings mithilfe von virtuellen Realitäten dargestellt.

Ein weiterer Zugang stellt die Hypothese dar, dass das verkörperte und handelnde Selbst ein Produkt der Eigenaktivität des Organismus sein könnte. Da der Organismus ohnehin ständig in Interaktion mit seiner Umwelt ist, wirkt diese auf die Regulation des Körpers. Dies wiederum stößt eine Selbstregulation der Kognition an.

Veränderte Bewusstseinszustände

Veränderte Bewusstseinszustände könnten eine Möglichkeit bieten das Phänomen des Selbst besser zu verstehen. Damit kommt die Frage auf, ob es eine Art von „Selbstspezifität“ eine exklusive und nicht-kontingente Eigenschaft des Selbst geben kann. Welche Art von Wahrnehmung ist noch mit dem Selbst verbunden und dann stellt sich schnell heraus, dass das konzeptionelle Selbst (Narration) nicht notwendig für ein Selbstgefühl ist. Die Frage, ob auch auf das verkörperte Selbst verzichtet werden kann, ist Gegenstand derzeitiger Forschung. Gesucht wird das ‚Minimale Phänomenale Erleben‘.

Um diesem MPE auf die Spur zu kommen bietet sich Meditation an. Hierbei könnten erfahrene Meditierende behilflich sein, die mit den veränderten Bewusstseinszuständen sehr vertraut sind.

Meditation

Was für Meditationen gibt es überhaupt? Kann man eine einheitliche Definition geben? Eine Formulierung könnte lauten: Praktiken, die Körper und Geist selbst regulieren, die durch spezielle Aufmerksamkeit geistige Ereignisse hervorrufen. Dies ist allerdings einigermaßen unscharf und so fokussiert sich die Forschung auf ‚Achtsamkeitsmeditation‘.

Es geht dabei um Aufmerksamkeitsregulation – das Meta-Gewahrsein der gegenwärtigen Erfahrung. Die affektive Haltung besteht dabei aus Offenheit, Neugierde, Akzeptanz

Eine weitere Betrachtung sind Familienähnlichkeiten von Praktiken. Da finden sich eher fokussierte oder eher offene Arten der Aufmerksamkeit. Dann gibt es die Meditationen, prosoziale Werte und Gefühle adressieren – konstruktiv genannt und dekonstruktiv wären Meditationen, die Zusammenhänge, die gesehen werden, auflösen können.

Meditierende 

Meditation findet eine zunehmende Verbreitung – 11 % der Befragten geben an täglich zu meditieren. 79 % haben schon einmal Meditation erprobt.

Die positive Wirkung auf Gesundheit und Wohlbefinden ist gut etabliert, so gibt es eine klinische Studie, die moderate Evidenz für Reduktion von Ängsten, Depressionen, chronische Schmerzen, Sorgen und verbesserte Lebensqualität zeigt.

Bei einer weiteren Studie wurde bei einer gesunden Population große Effekte auf Stress und moderate auf Angst Depression zeigt, sowie ebenfalls eine verbesserte Lebensqualität.

Aktuelle Forschungsfragen drehen sich darum, was bei fortgeschrittenen meditativen Praktiken und tiefen Meditationszuständen hinzukommen mag. Ganz grundsätzlich wird nach Modellen und Mechanismen gesucht, die erklären können, wie durch die im Grunde genommen simple Praxis der Meditation solche eindrucksvollen Effekte entstehen können.

In den Blick kommen auch Nebenwirkungen, also unangenehme Veränderungen im Selbsterleben und der Versuch, die entsprechenden neuronalen Prozesse zu verstehen.

Meditation und Selbsterleben

Eine sehr alte Tradition der Meditation stammt von Buddha bzw. dem Buddhismus. Für diesen spielt die Entstehung von Leid eine zentrale Rolle und eine wichtige Quelle von Leid ist die fehlgeleitete Sicht auf das Selbst. Mediation ist die Möglichkeit, dies zu verändern. Dazu noch ein Zitat: „Den Weg zu studieren, heißt das Selbst zu studieren. Das Selbst zu studieren heißt das Selbst zu vergessen. Das Selbst zu vergessen heißt von allen Dingen des Universums erleuchtet zu werden.“ Dieser kurze Ausflug in die Spiritualität soll genügen, stiftet aber den Übergang zur neuzeitlichen Forschung. Diese hat herausgefunden, dass das „Decentering“ ~ Desidentifikation eine hilfreiche Wirkung in der achtsamkeitsbasierten Depressionstherapie hat.

Als Beispiel bekommen wir eine kleine Grafik. Diese beginnt mit einer Wahrnehmung/Gedanken, dem eine Identifikation folgt, der wiederum eine Reaktivität folgt. Der Gedanke könnte sein: Das war ein Fehler und die sich daraufsetzende Identifikation könnte lauten: Nichts gelingt mir. Woraufhin die Reaktivität mit Traurigkeit und Hilflosigkeit reagiert. Mit der Fähigkeit des Meta-Gewahrseins ist es möglich, den Gedanken zu erkennen >>nichts gelingt mir<< und sich von diesem Gedanken zu desidentifizieren und damit auch neue Reaktionen zu ermöglichen.

Empirische Forschung: Effekte auf den narrativen/konzeptuellen Ebene

Diese Praxis ermöglicht den Meditierenden, sich weniger mit sich selbst zu beschäftigen, was sich z. B. darin zeigt, dass das Default Mode Network weniger aktiv ist. Auch andere Versuchssettings mit erfahrenen Meditierenden bestätigen diesen Effekt.

Gibt es auch Effekte auf das verkörperte/minimale Selbst?

Dazu stellt uns Herr Trautwein eine qualitative Forschung an Langzeitpraktizierenden vor. Von diesen berichteten 75 % von aversiven Erlebnissen. Sie schilderten intensive Veränderungen im Selbsterleben z. B. Verlust von Selbst-Welt Grenze. Dieser Effekt ist gut bekannt. Schon kurze Achtsamkeitsübungen z. B. ein Body-Scan können zu diffuserem Erleben der Körpergrenzen führen.

Wie sehen nun die Phänomenologie und die neuronalen Prozesse des veränderten Selbsterlebens bei intensiver Praxis aus?

Bei einer Studie in Israel wurden Interviews und verschiedenste Untersuchungen mit einem sehr erfahrenen Meditationslehrer durchgeführt. Er berichtete von einem graduellen Prozess der Auflösung der Selbst-Welt Grenze. Dies korrelierte mit einer reduzierten Beta-Aktivität in bestimmten Gehirnregionen.

Anschließend wurde versucht, ob dieses Ergebnis replizierbar und generalisierbar in einer größeren Stichprobe wäre. Die Probanden erhielten den Auftrag, sich abwechselnd ihres Körperselbst bewusst zu bleiben (Agency) und dann die Kontrolle loszulassen und in die Entgrenzung zu wechseln und das mehrere Male. Alle Proband*innen wurden gescannt und danach interviewt. Sowohl die Scanner Aufnahmen als auch die Interviews ergaben ähnliche Ergebnisse wie erwartet. Neurophysiologisch ist ein deutlicher Unterschied zwischen Entgrenzung und Agency wahrnehmbar.

Herr Trautwein kommt zu einem Fazit:

Die innere Distanzierung von Aspekten des narrativen/konzeptuellen Selbst ist ein grundlegender Prozess in der Achtsamkeitsmeditation.

Auch das verkörperter Selbst wird durch Meditation beeinflusst

Diffusere Köper-Welt-Grenzen entstehen schon nach einer kurzen Achtsamkeitsübung.

Auflösung der Selbstwahrnehmung als räumlich verkörpertes, mit der Welt interagierendes Subjekt in Meditationszuständen fortgeschrittener Meditierender

Dies geht einher mit reduzierter Aktivität in sensomotorischen Arealen sowie (bei umfassenden Entgrenzungserfahrungen) im posterioren medialen Cortex

Das bedeutet:

-> empirische Evidenz für das Selbst als dynamischen (en-)aktiven Prozess, welcher durch (mentale) Handlung hervorgebracht wird

-> der Einbezug der Erste-Person-Perspektive kann zum Verständnis des Gehirns beitragen

Damit begründet Herr Trautwein, dass „das Selbst ein dynamischer und aktiver oder enaktiver Prozess ist, also ein Prozess, der sich quasi aus seiner eigenen Aktivität hervorbringt. Das heißt, das Selbst entsteht durch die mentale Handlung, auch durch die körperliche Handlung und Interaktion mit der Welt und ist quasi ein Prozess, der ständig immer wieder hervorgebracht wird.“

Auf einer methodischen Ebene sind diese Ergebnisse ein Stück weit eine Bestätigung für die Idee, dass der Einbezug der ersten Person Perspektive die empirische Forschung ergänzen und bereichern kann.

Implikationen

Meditationen haben also einen Einfluss auf die Befindlichkeit. Dies trifft auf einen Zeitgeist, in dem unerwünschte Nebenwirkungen von Meditation bekannt werden. Die Frage bleibt, was ist erwünscht und was nicht?

  1. Nebenwirkungen von Meditation durch unerwünschte Veränderungen im Selbsterleben
  2. Veränderungen im Selbsterleben als Wirkmechanismus von Meditation?

Je nachdem wen man wie fragt, kommen die Forscher zu unterschiedlichen Ergebnissen. Bekannt ist die qualitative Erfassung an Personen mit belastenden Meditationserfahrungen. Es gibt Befragungen, die über diverse z. T. stark belastende Erfahrungen in verschiedenen Bereichen berichten – kognitiv, perzeptuell, affektiv, somatisch, sozial und im Selbsterleben. Bei 73 % moderate bis schwer, anhalten Beeinträchtigung, bei 17 % Hospitalisierung – Zahlen, die lt. Herrn Trautwein mit Vorsicht zu betrachten sind.

Denn, bei diesen erlebten Veränderungen im Selbsterleben müssen Überlappungen mit Psychopathologien berücksichtigt werden, also differenzialdiagnostische Erwägungen getroffen werden.

Die seriösere Erfassung in repräsentativen Stichproben berichten von 30 -50 % unerwünschten Nebenwirkungen wie Ängste, traumatische Erinnerungen und emotionale Sensitivität.

Bei 10 % ergaben sich dadurch funktionelle Beeinträchtigung, die zeitlich begrenzt auf kürzer als eine Woche waren.

Bei belastenden Kindheitserlebnissen wird das häufiger erlebt. Der wahrgenommene Nutzen war aber davon unabhängig.

Herr Trautwein folgert daraus:

-> die Notwendigkeit systematischer Forschung: Personen- und Kontextfaktoren? Kausalität?

-> eine Qualitätssicherung in der Ausbildung in angebotenen Gesundheitsprogrammen und Interventionen

Es bleiben offene Fragen. Z.B. ob die Veränderungen im Selbsterleben ein Wirkmechanismus von Meditation sind? Oder ob Selbsttranszendenz als transdiagnostischer Prozess betrachtet werden kann?

Ein spannender und informativer Vortrag:

https://uni-freiburg.cloud.panopto.eu/Panopto/Pages/Viewer.aspx?id=2809ec5f-058c-44c1-8cbb-b12c01035f24

Die Psychosomatik erkundet Mitgefühl und Meditation

Bericht vom 31.05.22 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Dr. Corina Aguilar-Raab: „Achtsamkeits-, Mitgefühls- und Mediationsbasierte Interventionen in der Psychotherapie“

Frau Aguilar-Raab forscht an und arbeitet mit den Themen, die sie uns in ihrem Vortrag vorstellen möchte. Zur Einführung bietet sie eine geführte Meditation an.

Auf der Basis dieser Erfahrung möchte sie uns darauf hinweisen, dass die innere Haltung mitentscheidet, wie ich eine Situation bewerte. Insgesamt sei das Feld der Meditationsbasierten Interventionen viel zu groß, um es in der Kürze der Zeit zu erläutern. Sie möchte uns vermitteln, was sich hinter Achtsamkeitsbasierten Interventionen verbirgt und auch etwas zur Wirksamkeit dieser Methoden.

Überblick:

Allgemeine Einführung: Meditationsbasierte Interventionen im klinischen Bereich

Achtsamkeitsbasierte Interventionen

Mitgefühlsbasierte Interventionen

Zusammenfassung, Perspektiven und Diskussion

Allgemeine Einführung

Wir sehen zunächst eine Folie mit der Überschrift: Kontemplative Praktiken im klinischen Kontext. Darunter finden sich die zu hinterfragenden Themen:

Entspannung vs. Kultivierung von sozio-emotionalen (ethischen) Aspekte als übende Verfahren

Körpereinbezug

Säkularität – Zielhorizont

Methode – Zustand

Transdiagnostik

Schulen-übergreifend

Beziehung

Patient*innen

Therapeut*innen

Patient*innen und Therapeut*innen

Psychotherapie: Outcome Prozess

Es geht im klinischen Setting nicht um Wohlbefinden und/oder Entspannung, obwohl sich beide Befindlichkeiten häufig einstellen. Es geht auch nicht darum, irgendwelche spirituellen oder religiösen Ideen anzuhängen, sondern eher darum, innere Qualitäten zu pflegen, seine Persönlichkeitseigenschaften kennenzulernen und evtl. zu überarbeiten. Tatsächlich spielen dabei Werte, also ethische Fragen, eine wichtige Rolle – also ob es mir möglich ist, in Übereinstimmung mit meinen Werten zu leben. Gerade in einer Klinik können die großen Lebensfragen auftauchen, also: Wieso passiert mir das? Warum geht es mir so und anderen nicht? …

Sie erwähnt ihre systemische Perspektive, aus der heraus sie immer nach dem Kontext einer Erfahrung fragt. Es braucht einen Horizont und einen Rahmen für das, was ich tue und für das Ziel, an das ich gelangen will.

Meditation und Psychotherapie

Meditation und Achtsamkeit in der Psychotherapie wirft viele Fragen auf. Was wird da gemacht? Ist es im Prozessverlauf? Welche Methoden kommen zum Einsatz? Auf welchen Zustand möchte ich evtl. hinaus? Was ist nachhaltig? …

Es wurden bereits zahlreiche klinische Studien zur Wirkung von Achtsamkeit an vielen Menschen mit allen möglichen Diagnosen erforscht. Aber eine Grundfrage nämlich: Was wirkt eigentlich für wen, wann, wie genau? Also die Grundfrage von Passung oder Individualisierung ist noch weitgehend unbeantwortet. An dieser Stelle plädiert sie für ein Methoden-übergreifendes Vorgehen.

Nun wirft sie noch einen Blick auf Bindung, Beziehung und therapeutische Allianz und die Frage, was diese Allianz befördern kann. Gerade wenn psychotherapeutische Interventionen und Achtsamkeitselemente verwendet werden, entsteht die Frage, wie beides zusammenwirkt und welche tieferen Prozesse damit einhergehen. Wir befinden uns also in einem hochdynamischen Forschungsfeld, das uns noch viele Erkenntnisse verspricht.

Achtsamkeitsbasierte Interventionen

Achtsamkeit ist eine besondere Form der Aufmerksamkeitslenkung, die möglichst nicht wertend und akzeptierend durchgeführt wird. Dabei verbleibt die Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Augenblick. Bei regelmäßigem Üben ergibt sich dann eine verkörperte Erfahrung, die womöglich zu einer Veränderung der inneren Haltung führt, die sich positiv auf die Lebensqualität auswirken kann.

Zu unterscheiden wären zwei Grundformen: Die Fokus Aufmerksamkeit und die Offene Wahrnehmung. Fokus Aufmerksamkeit übt, seinen Geist auf einem gewählten Objekt zu halten. Auch wenn die Aufmerksamkeit wandert, sie immer wieder zum Objekt zurückzubringen. Damit können Klient*innen die Fähigkeit erwerben, z. B. ihren Grübeleien zu entkommen.

Offene Wahrnehmung umschreibt die Fähigkeit der Selbstdistanzierung, also sich gewissermaßen beim Leben und Erleben zuzusehen, ohne sich auf die emotionalen Komponenten des Geschehens einzulassen. Dabei geht es nicht darum, den Geist leer werden zu lassen, sondern die Unterscheidungsfähigkeiten für innere Zustände zu verfeinern.

Achtsamkeit

Frau Aguilar-Raab versteht das als einen erweiterten Bezugsrahmen, der sich auf diese Art entwickeln kann. Dazu bietet sie uns ein Zitat an: „Achtsamkeit ist eines der zentralen Dinge, die uns helfen, unseren Werten treu zu bleiben und entsprechend zu handeln, während der Umstand, „uns selbst zu vergessen“, häufig die Ursache dafür ist, unser Handeln nicht auf unsere Werte abzustimmen.“ Somit kann Achtsamkeit uns dabei helfen, unseren inneren Kompass wiederzufinden und ihn auch zu nutzen.

Offene Wahrnehmung ist Meta-Denken, also Denken über das Gedachte aus der Beobachterposition. Die Fähigkeit zum Meta-Denken verhilft uns zu Orientierung und Selbstklärung unserer Motive, Ziele und Handlungen sowohl im Selbstumgang als auch im sozialen Kontext.

Wirksamkeit von Achtsamkeit

Es gibt bereits etliche Studien und Veröffentlichungen zur Wirksamkeit von Achtsamkeit – ihre Anzahl ist noch am Wachsen. Es zeigen sich positive Effekte ab, allerdings sind zahlreiche Studien methodisch fragwürdig.

Auch und vor allem können Menschen in helfenden Berufen von Achtsamkeit profitieren, denn sie sind überdurchschnittlich häufig von Burn-out, Depression bis hin zur Suizidalität betroffen. In diese Gruppe zeigte die Pflege von Selbstmitgefühl große Wirkung.

Gruppensettings, die über 10-12 Wochen gehen und noch einen Intensivtag bieten, schneiden dabei am besten ab. Als Quintessenz ergibt der derzeitige Forschungsstand die Wirkmechanismen:

Aufmerksamkeitsregulation

Emotionsregulation

Selbstwahrnehmung (auch Körpergewahrsein)

>Selbst und Co-Regulation

Der Aspekt der Regulation steht also im Zentrum des Achtsamkeitstrainings bzw. deren Praxis. Dabei geht es nicht darum, negative Erfahrungen, Gefühle etc. zu vermeiden, sondern angemessen mit ihnen umgehen zu können.

Mitgefühlsbasierte Interventionen

Zur Einführung in diesen Themenkreis bietet uns die Vortragende einige Begriffsdefinitionen. Der ursprüngliche Begriff „empatheia“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Leidenschaft“. Die phänomenologische Definition umschreibt Empathie mit Einfühlungsvermögen und meint damit eine Antwort auf unmittelbar wahrgenommenen, vorgestellten, erschlossenen Zustand in einem anderen.

Empathie wird in psychodynamischer Sichtweise operationalisiert, d.h. als Grundelement der Persönlichkeit betrachtet, welches mehr oder weniger ausgeprägt sein kann. Dabei umfasst Empathie mehr als nur Gefühle, sie beinhaltet auch Gedanken über den anderen, ein sich in den anderen hineindenken. Es gibt eine Reihe von Konzepten, die sich mit dieser Fähigkeit auseinandersetzen, auch die neuronale Grundlagenforschung ist damit befasst. Frau Aguilar-Raab bringt es mit dem Resonanz Begriff auf den Punkt, also mit jemandem in Resonanz kommen.

Mitleid hingegen ist die übertriebene Identifikation mit dem Schmerzlichen und Leidvollen. Hier verlieren wir den therapeutischen Bezugsrahmen und damit die therapeutische Wirksamkeit.

Es kommt also darauf an, Mitgefühl zu kultivieren. Das definiert sie folgendermaßen: „Sensitivität gegenüber Leiden in uns und in anderen mit dem Wunsch, dieses zu lindern und zu verhindern.“ Mitgefühl hat fünf Komponenten (affektive, kognitive, motivationale und behaviorale).

Erkennen von Leiden

Universalität von Leiden verstehen

Empathie

Distress Toleranz

Motivation/Verhalten zu zeigen, das zur Linderung des Leidens beiträgt, was eben nicht Mitleid ist, das mit leidet ohne Voraussicht und aktiven Veränderungswunsch. Sie plädiert für die Kultivierung einer „inneren Weite“, die uns Toleranz für das Unangenehme bietet. Innere Weite gewährt Freiheitsgrade für das Fühlen, Denken und insbesondere das Handeln. Das ermöglicht es auch mit schweren Verlusten umgehen zu können.

Frau Aguilera-Raab berichtet uns von ihrer Ausbildung zum „Cognitive Based Compassion Training“ und erläutert uns kurz die Stufen dieser Ausbildung.

Erlernen von Achtsamkeit

Zunächst geht es darum, körperliche Sicherheit zu finden, denn diese ist die Voraussetzung schlechthin, wenn ich an einer Veränderung arbeiten möchte. Im zweiten Schritt geht es um die Übung selektiver Aufmerksamkeit, die Fokussierung und die Unterbrechung (Inhibition) von Gedanken. Weiter wird das Meta-Gewahrsein trainiert und damit De-automatisiert und De-Reaktivität gestärkt. Im vierten Schritt geht es um Selbstfürsorge, Selbstverantwortung und Selbstmitgefühl. Im fünften Schritt ist das Thema „Menschliche Gemeinsamkeit“, d.h. eine erweiterte Identifikationsmöglichkeit zu entwickeln. Der sechste Schritt dreht sich dann um Interdependenz, Nähe und Wertschätzung.

Wir bekommen noch weitere Modelle vorgestellt, die Mitgefühl von Mitleid unterscheiden bzw. ein Affekt-Regulations-Modell erklären. Letzteres umfass ein Antriebssystem, eine Fürsorge- und ein Alarmsystem, die mit typischen Gefühlen einhergehen und mehr oder weniger gut aufeinander abgestimmt sind.

Auch hier dürfen ein paar Evidenzen nicht fehlen und es gibt sie tatsächlich auch. Die Compassion-Focused Therapy führt zu mehr Selbstmitgefühl – weniger Grübeleien (Ruminationen), weniger Selbstkritik und vermehrter Resilienz gegenüber Psychopathologien, dank besserer emotionaler Selbstregulation.

Es folgt nun noch eine ausführliche Darstellung eines eigenen Forschungssettings mit Paaren. Die Ergebnisse sind mehrdeutig – es scheint genügend Zeit und Übung zu brauchen, bis die Methode befriedigende Wirkungen zeigt. Weiter, dass Mitgefühl, Mentalisierung und Empathie wichtige Wirkgrößen darstellen.

Sie schließt ihren Vortrag mit einem Zitat, das mutmaßlich von Viktor Frankl stammt: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktionen. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit“.

Ein sehr reichhaltiger und eloquent vorgetragener Input. Wer ihn sich ganz ansehen mag, kann das hier tun.