Die Psychosomatik erkundet Berührung

zeigt Berührung

Bericht vom 07.11.23 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Dr. Rebecca Böhme, Neurowissenschaftlerin und Assistenzprofessorin, Zentrum für soziale und affektive Neurowissenschaften, Linköping, Schweden: „Berührung und Selbst: Welche Rolle spielt leibliche Erfahrung für Resilienz, Verbundenheit und Wohlergehen?“

Ich genieße wieder einmal den Vorzug digitaler Infrastruktur und besuche den Vortrag im Live-Stream, statt im strömenden Regen zur Uni zu laufen.

Berührung und das Selbst

Der Titel des Vortrags thematisiert den Zusammenhang von Berührung und Selbst. Ebenso über die Forschungen darüber, ob leibliche Erfahrungen auf Widerstandskraft, Wohlgefühl und Verbundenheit wirken. Der Zusammenhang von Berührung und selbst wirft natürlich die Frage auf, was wir unter dem „selbst“ verstehen wollen. Frau Böhme zitiert dazu den Urvater der wissenschaftlichen Psychologie, William James. Dieser sieht das Selbst als eine Zusammensetzung von leiblichem Selbst, Reflexivem/sozialem Selbst und einem spirituellen Selbst. Diese drei Aspekte hat er zu einer Pyramide angeordnet um damit auch so etwas wie eine Entwicklung und Hierarchie anzudeuten. Es gibt noch zahlreiche andere Modelle zum Begriff des Selbst – ihre Nennung wäre bereits abendfüllend.

Frau Böhme möchte aber Herrn James dahingehend korrigieren, als sie das soziale Selbst als grundlegender ansieht als das leibliche. Ihr Argument dafür lautet, dass das Selbst nur durch die Unterscheidung von einem Anderen entstehen kann, dass also erst ein Anderer ein Selbst entstehen lässt. Diese Diskussion ist ebenfalls eine sehr breite und nicht nur philosophisch spannend.

Berührung in der frühesten Lebenszeit

Frau Böhme erinnert uns daran, dass der Berührungssinn, der Tastsinn tatsächlich als erstes ausreift und zwar schon vorgeburtlich. Aus der pränatalen Forschung ist das Phänomen bekannt, dass bereits ein Embryo tastend um sich greift. Es greift die Nabelschnur, die Wände der Gebärmutter und besonders gerne ein Geschwister, falls hier Zwillinge heranreifen.

Auch nachgeburtlich ist das Baby ganz wesentlich über den Tastsinn mit seiner physischen und der menschlichen Umgebung verbunden. Wie wichtig eine angemessene Versorgung mit Berührung für die weitere Entwicklung ist, zeigt eine Studie an Frühgeborenen. Ein Teil von diesen wurden gewissermaßen mit Berührung vollversorgt (Känguru-Care), eine Kontrollgruppe wurde standardmäßig versorgt. Bereits nach sechs Monaten wird offensichtlich, dass sich die vollversorgten Kinder messbar besser entwickeln. Das nahm bis zum zweiten Lebensjahr sogar noch zu und war sogar noch zehn Jahre später feststellbar.

Zum Aspekt der Abgrenzung, der eben in der Kindheit ganz wesentlich über den Tastsinn entwickelt wird, gesellt sich auch der Aspekt der Grenzauflösung im verschmelzenden Kontakt. Dies kann bei der Kinderversorgung eine Rolle spielen und natürlich in der Intimität.

Berührung im bildgebenden Verfahren

Wir erfahren nun, wie die Berührung neurowissenschaftlich erforscht wird. Zur Anwendung kommen natürlich die bildgebenden Verfahren und damit werden die Selbstberührung, die Berührung durch ein Objekt und die durch einen vertrauten Menschen miteinander verglichen. Das Ergebnis überrascht wenig, wer oder was berührt macht einen Unterschied, der auch neurologisch feststellbar ist.

Weiter hat sich gezeigt, dass es eine spezielle Sinnesfaser gibt, die bei langsamem Streicheln (3cm/sec) und einer Temperatur von 32°C maximal feuert und das fühlt sich für die Gestreichelten angenehm an. Die Temperatur ist ziemlich genau die von Fingerspitzen und in dieser Geschwindigkeit streicheln nahezu alle Menschen intuitiv ihre Lieben.

Berührung und reflexives Selbst

Hat nun die Berührungserfahrung, v.a. die Berührung durch andere einen Einfluss auf das kognitive Selbst? Hier gibt es Hinweise, dass Menschen, bei denen sich ein deutlicherer Unterschied zwischen Selbst- und Fremdberührung gezeigt hat, über ein tendenziell besser ausgeprägtes Selbstkonzept verfügen.

Einen kausalen Hinweis gibt es dazu auch. Dazu wurden Experimente mit Ketamin gemacht (eine Droge, die Dissoziationen/Grenzauflösung fördert). Dabei stellte sich heraus, dass das leibliche Selbst mit der Selbst-Anderer Unterscheidung auf kognitiver Ebene eng verwoben ist.

Die soziale Funktion der Berührung

Dass Berührung eine soziale Dimension hat, erkennen wir schon, wenn wir unsere Primatenverwandten beobachten. Diese verbringen einen großen Teil ihrer Zeit damit, sich gegenseitig zu lausen. Die Gesetzmäßigkeit dazu lautet, dass je größer die Gruppe, desto mehr Zeit mit Lausen verbracht wird.

Es lässt sich auch beobachten, dass es so etwas wie bevorzugte Lausparnter gibt, die sich in stressigen Situationen dann auch besonders effektiv durch Lausen wieder entspannen können.

Auch beim Menschen lässt sich so ein Effekt nachweisen. Drei Gruppen von Proband*innen wurden einer stressigen Aufgabe ausgesetzt. Die erste Gruppe bestand aus Solisten, die zweite hatte aufmunternden Zuspruch von Freunden erhalten und die dritte wurde vor der Aufgabe herzlich umarmt. Das Ergebnis des Versuchs war, dass die letzte Gruppe der Umarmten am wenigsten Stress entwickelte und sich auch am schnellsten wieder erholte.

Einvernehmliche Berührungen unter Menschen, die sich mögen befördern nachweisliche das Wohlbefinden und die Widerstandskraft.

Kommunikation durch Berührung

Hier wurde ein Setting gewählt, in dem ein Mensch von einem anderen berührt wurde, ohne diesen Menschen zu sehen. Der berührende Mensch bekommt Anweisungen, welches Gefühl er durch die Berührung übermitteln soll. Der Berührte sollte dann sagen, was er empfing. Es wurden gute Ergebnisse für Aufmerksamkeit, Liebe, Glück und Beruhigung erzielt. Bei Traurigkeit und Dankbarkeit klappte es nicht ganz so gut.

Wenn nun aber noch Mimik und Gestik zur Berührung hinzukommen werden die Übertragungserfolge deutlich zahlreicher. Ein interessanter Effekt ist, dass sog. sekundäre Gefühle (soziale Gefühle) wie Scham, Stolz, Schuld, Verlegenheit eher über die Körperhaltung und Gestik übermittelt werden, wohingegen die sog.  primären Gefühle (kategoriale Gefühle) wie Ärger, Ekel, Furcht, Freude und Trauer über die Mimik ausgedrückt werden. Liebe und Sympathie jedoch werden vor allem durch Berührung mitgeteilt.

Corona und Berührung

Die Zeit der Seuche war eine Belastungsprobe für die Gesellschaften und die Menschen. Ein Grund dafür war sicher, dass Berührungsinterkationen stark zurückgegangen sind. Natürlich wurde auch dieser Bereich erforscht. Man könnte sagen, dass erwartungsgemäß eine hohe Korrelation besteht, wenn Menschen berichten, dass sie weniger berührt worden sind/berührt haben und sich häufiger traurig oder einsam gefühlt haben.

Bedenkt man, dass gerade Sympathie und Zuneigung durch Berührung übermittelt werden, scheint es höchste Zeit zu sein, die Umgangsformen wieder körperlicher zuzulassen.

Berührung in der Zukunft

Aus der Not hat sich eine Geschäftsidee entwickelt, das „Hugshirt“. Das ist ein High-Tech T-Shirt, das über verschiedene Komponenten verfügt, die eine Berührung/Umarmung simulieren können. Mithilfe einer App kann ich nun einem T-Shirt Träger irgendwo auf der Welt eine Umarmung schicken (hoffentlich mit Ankündigung).

Diese Idee leitet über zum Zusammenhang von leiblicher Erfahrung und kognitiver Verarbeitung (Top Down und Bottom Up). Im Erleben fließen beide Aspekte mit ein. Berührt werden und berühren ist auch immer ein berührt werden/berühren von und das auch noch in einem Kontext. Leibphänomenologisch ausgedrückt geht es also um die Stimmigkeit.

Schlussfolgerungen

Frau Böhme plädiert dafür, dass wir gesellschaftlich den leiblich sensorischen Weltbezug schon ganz früh fördern müssten. Dadurch werden wir uns besser spüren zu können. Denn, so Frau Böhme, Berührung ist das ganze Leben lang sehr wichtig, auch und gerade im höheren Alter.

Hier geht es zu dem sehr informativen Vortrag

Die Psychosomatik erkundet Systemische Therapie

Systemische Welt

Bericht vom 02.05.23 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Elisabeth Wagner Dr., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, Lehrtherapeutin für systemische Familientherapie, Lehranstalt für Systemische Familientherapie Wien: „Wohin entwickelt sich die Systemische Therapie?“

Frau Wagner erläutert uns den roten Faden ihres Vortrags:

Kontext meiner persönlichen Erfahrung

Kontext Untersuchung der Wirksamkeit systemischer Therapie

Kontext Psychotherapieforschung – Äquivalenzparadoxon, allgemeine Wirkfaktoren

Entwicklung der Systemischen Psychotherapie – gestern – heute – morgen

Veranschaulichung des „spezifisch Systemischen“ anhand zweier Fallgespräche

Synergetik als neue Metatheorie

Persönliche Erfahrung

Wir erfahren, dass Frau Wagner Psychiaterin und Lehrtherapeutin für Systemische Therapie in Österreich ist. Dort ist die Therapielandschaft wesentlich bunter als in Deutschland und nun folgen einige spezifisch österreichische Details zu zugelassenen PT Verfahren und zur Zulassung als Psychotherapeut*in dort.

In Deutschland wurde 2008 die SysT als PT Verfahren anerkannt. Sie sieht sich folgendermaßen: „Systemische Therapie und Beratung wird als transdisziplinärer und multiprofessioneller Ansatz verstanden, womit man sich bewusst von der berufsständischen Einengung des psychotherapeutischen Professionalisierungsprozesses auf den „psychologischen Psychotherapeuten“ absetzt.“

Kontext Untersuchung der Wirksamkeit systemischer Therapie

Psychotherapie ist wirksam und in großen Studien hat sich herausgestellt, dass alle Therapieverfahren ähnlich wirksam sind. Dieser Umstand ist als Äquivalenzparadox bekannt – auch Dodo Effekt genannt (wenn alle gewonnen haben, brauchen auch alle einen Preis).

Frau Wagner plädiert dafür, dass man mit der günstigsten Therapie beginnen könnte. Das kann auch heißen, dass der am schnellsten verfügbare Therapieplatz vergeben werden kann.

Sie macht uns mit einiger Beispielen vertraut, bei denen solche Strategien sehr erfolgreich waren.

Das Äquivalenzparadoxon

Gibt es nun noch weitergehende Schlussfolgerung aus dem Äquivalenzparadoxon? Z.B. die Frage: Wohin sich die PT entwickeln sollte? Hier gibt es den Gedanken, dass sich die Psychotherapie vereinheitlichen könnte (s.u.).

Oder wäre es nicht sinnvoller, störungsspezifische PTen zu fördern. Es gibt allerdings bereits zahlreiche Störungsspezifische Ansätze für z.B. affektive Erkrankung 32 verschiedene – muss ein Therapeut die dann alle erlernen?

Frau Wagner legt Wert darauf, dass SysT keine „Störungen“ behandelt. Der „Gegenstand“ von systemischer Therapie ist das subjektive Leid und der individuelle Veränderungswunsch. Dieses subjektive Leid kann die Form einer psychiatrisch klassifizierbaren Störung annehme, muss es aber nicht.

Aktuell wird aber trotzdem versucht die Systemische Sichtweise mit Störungsspezifischer Therapie zu integrieren.

Weitere Schlussfolgerungen: Allgemeine Psychotherapie?

Der Psychotherapieforscher K. Grawe meint, dass sich Wirkfaktoren identifizieren lassen und dass unterschiedliche Schulen, unterschiedliche Wirkfaktoren nutzen. Er sieht die Zukunft so, dass alle Wirkfaktoren schulübergreifend realisiert werden sollen. Therapieschulen seien ein ohnehin überholtes Konzept.

Frau Wagner denkt allerdings, dass Multiperspektivität dem Gegenstand des Psychischen angemessen ist! Es geht vielmehr um ein adäquates Verständnis der Heterogenität von therapeutischen Blickwinkeln. Sie meint, dass psychisches Funktionieren nicht in einem Konzept umfassend darstellbar ist. Jedes Modell gibt den Blick auf gewisse Zusammenhänge frei und lässt andere im Dunkeln

Die multiperspektivische Sicht verspricht Erkenntnisgewinn gerade durch die Einnahme verschiedener Perspektiven. Der Perspektivwechsel ermöglicht es auch, die impliziten Setzungen der eigenen Methode in den Blick zu bekommen.

Es scheint also hilfreich, über den Rand der eigenen Therapierichtung hinaus zu schauen. Dann lassen sich Ähnlichkeiten der Schulen feststellen und ebenso widersprüchliche Grundannahmen und voneinander abweichende therapeutische Haltungen. Nicht alles kann dabei übersetzt werden, aber die Vorteile überwiegen doch.

Aktuelle Entwicklungen Systemischer Therapie.

Due Effekte unterschiedlicher PT-Methoden sind ähnlicher, als die ihnen zugrundeliegenden Theorien. Es müssen als auch unspezifische und allgemeine Wirkfaktoren Bedeutung haben.

Zu diesen zählen:

  • Positive Erwartungshaltung bekämpft Demoralisierung (sozial legitimierter Kontext verspricht qualifizierter Hilfe)
  • Angebot einer vertrauensvollen, emotional unterstützenden Beziehung
  • Plausibles Erklärungsschema für die Problematik und nachvollziehbares Therapierational für die Lösung
  • In Übereinstimmung mit dem Erklärungsschema und therapeutische „Rituale“, die zu neuen Einsichten, Einstellung- und Verhaltensänderungen führen

Die „allgemeinen Wirkfaktoren nach K. Grawe:

  • Klärungsperspektive
  • Bewältigungsperspektive
  • Ressourcenperspektive
  • Problemaktualisierung

Heutzutage gilt für viele Therapiemethoden, dass sie sich methodenfremder Konzepte bedienen, bzw. Techniken integrieren. Z.B. Mentalisierung für die Tiefenpsychologien oder Schematherapie in der Verhaltenstherapie. Die allgemeinen Wirkprinzipien werden also zunehmend realisiert.

Das Modell der allgemeinen Wirkfaktoren bietet sich auch als Reflexionstool an. Es ist damit möglich, Priorisierungen und Marginalisierungen einzelner Wirkfaktoren in einer Methode kritisch zu betrachten.

Es kann auch dazu dienen, die Verständigung zwischen den Therapieschulen zu erleichtern.

Sie ist allerdings nicht als „Supertherapie“, die alle anderen Therapiemethoden ablöst, gedacht, sondern als eine „Rahmentheorie“ innerhalb derer sich die verschiedenen Traditionen verorten können.

Damit wird eine gemeinsame Reflexionsbasis für mehrere Therapiemethoden geschaffen, auf der die Reflexion konkreter therapeutischer Prozesse stattfinden kann.

Geschichte des Systemischen Therapie(n)

Wir erfahren, dass es die „Systemische Therapie“ nicht gibt. Es gibt „Keine einheitliche, inhaltlich konsistente Arbeitsphilosophie, sondern eine Vielzahl von Konzepten und theoretischen Modellen, die gemeinsame Grundorientierungen und -haltungen aufweisen.“ Und: Zwischen den einzelnen systemischen Konzepten bestehen teilweise theoretische Unvereinbarkeiten.

Das gilt aber ebenso für psychodynamische Ansätze und für die Verhaltenstherapie, die sich ebenfalls zu sehr unterschiedlichen Verfahren ausdifferenziert haben.

Die Entwicklungsgeschichte der SysT beginnt mit z.B. mit Virginia Satir und der Einführung des Systembegriffs. Sie setzt sich mit dem Prinzip der Zirkularität von kommunikativen Prozessen fort. Konzepte der Kybernetik und Feedbackschleifen werden kommunikativ begründet.

Dann kam es zur „Konstruktivistischen Wende“. Begriffe wie „Nicht-Instruierbarkeit“ oder „bescheidene Expertenschaft werden eingeführt. Die soziale Systemtheorie von Luhmann wird berücksichtigt.

Diese Entwicklung führte dazu, dass das Theoretisieren über psychische Prozesse lieber vermieden wird. Alles, was bei Forschungen dieser Richtung herauskommen kann, sagt mehr über die Forschung aus, als über das Beforschte.

Was ist das Spezifische an zeitgenössischer SysT?

Sie ist wesentlich an der Lebenswelt orientiert. Es geht also um die Unterstützung bei der konstruktiven Auseinandersetzung mit anstehenden Lebensproblemen. Dabei werden nach Möglichkeit wichtige Andere mit einbezogen. Die Therapie ist ziel- und zukunftsorientiert. Sie richtet sich nach dem Auftrag der Patient*innen und verwendet möglichst deren schon vorhandenen Ressourcen. Dabei ist die Grundhaltung veränderungsoptimistisch geprägt. Die Bearbeitung belastender biographischer Erfahrungen tritt in den Hintergrund.

Frau Wagner schildert uns nun zwei Fallvignetten, die diese Aspekte gut illustrieren und im Anschluss bekommen wir noch einen Buchtipp für Angehörige psychische erkrankter Menschen „Psychische Störungen verstehen“ von Elisabeth Wagner

Synergetik als neue Metatheorie?

Für den Ausblick in die Zukunft nutzt Frau Wagner die Theorie nicht-linearer dynamischer Systeme. Dieser kompliziert klingende Begriff kommt aus der Theorie der Selbstorganisation. Diese ihrerseits soll erklären helfen, wie überhaupt etwas entstehen kann. In komplexen Systemen kann spontan Ordnung entstehen. Dieses Phänomen kann nun auf psychisches Erleben angewandt werden. Unser biologisches Da-Sein ist derart komplex, dass sich daraus eben psychische Erleben spontan ergeben kann.

Dieses kybernetisch-systemische Sichtweise hat Konsequenzen. So ist damit die Zukunft nicht voraussagbar und die Vergangenheit lässt sich aus der Gegenwart nicht erschließen. Ähnliche Ursachen können unterschiedliche Wirkungen haben und unterschiedliche Ursachen können ähnliche Wirkung haben.

Das ist der Preis, der für das Verlassen der kausalen Perspektive zu bezahlen ist.

Das liegt auch daran, dass Systemtheorie mit Psychotherapie zunächst nichts zu tun hat. Sie wurde in und für die Biologie, Chemie, Physik und Soziologie entwickelt. Sie ist eine Perspektive, die auf die Beziehungen schaut und dabei die verbundenen Elemente wenig berücksichtigt.

Aus dieser Tradition wird versucht, psychische Prozesse unter der Perspektive der Selbstorganisation zu verstehen. Psychische Vorgänge sind affektiv – kognitive Prozesse, eine Abfolge von sich wiederholenden bzw. sich selbst organisierenden Operationen.

Durch Aufschaukelungen und Feedbackschleifen können sich über diese Wechselwirkungen hoch dysfunktionale psychosoziale Muster ergeben, ohne dass dies auf eine bestimmte eindeutig zuordenbare Ursache zurückzuführen ist.

Probleme (psychische Störungen etc.) entstehen nicht als Folge von eindeutig identifizierbaren „Ursachen“ sondern als Resultat vielfältiger zirkulärer Prozesse in biologischen, psychischen und sozialen Systemen.

Dazu gibt es ein Gedankenexperiment von Gregory Bateson. Ein Kind hasst Spinat. Seine Mutter glaubt aber, dass Spinat sehr gesund ist. Nun verspricht sie dem Kind ein Eis als Belohnung fürs Spinatessen. Frage: Was müssten sie über dieses System wissen, damit sie vorhersagen können, dass das Kind später: Spinat lieben oder hassen wird, Eis lieben oder hassen wird und seine Mutter lieben oder hassen wird?

Nicht-Instruierbarkeit

Mit diesem Begriff wird ausgesagt, dass sich selbstorganisierende Systeme nicht vorhersehbar von außen beeinflussen lassen, also auch nicht psychische Systeme.

Das Ergebnis von Selbstorganisationsprozessen ist nur zum Teil ereignisabhängig, denn Ereignisse hinterlassen keinen „neuronalen Fußabdruck“. Erleben ist nicht zufällig, aber auch nicht determiniert durch Ereignisse.

Eine Bahnung vollzieht sich im Hinblick auf das Erleben nicht auf die Ereignisse. Psychische Störungen können als Reproduktion problematischer Zustände verstanden werden. Damit ist die Vergangenheit nicht Ursache sondern die Wiederholung ist die Ursache.

Es scheint dann sinnvoller auf die mit der „Erlebnisverarbeitung“ assoziierten psychischen Prozesse zu schauen und weniger auf Erlebnisse an sich. Welche Muster der Selbstorganisation haben sich im psychischen System etabliert?

Das ist gar nicht so verschieden von anderen Perspektiven, in denen ähnliche Überlegungen angestellt werden. Z.B.:

Psychodynamische Therapie: Abwehrmechanismen, Strukturelle Beeinträchtigungen

Oder Verhaltenstherapie: dysfunktionale Überzeugungen, problematische Denkstile, Schemakonformes, schemavermeidendes oder überkompensierendes Verhalten

Systemische Therapie: Aufmerksamkeitsfokussierung, Ressourcenaktivierung, „Problemgesättigte Narrative“, dysfunktionale FDV-Programme

Ein sehr dichter und inhaltvoller Vortrag ist zu Ende – ich fand ihn sehr bereichernd.

Hier geht’s zum Vortrag:

Die Psychosomatik erkundet die Schematherapie

Illustration des Therapieeffekts

Bericht vom 09.05.23 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Eckhard Roediger Dr., Leiter des Instituts für Schematherapie, Frankfurt am Main: „Neue Entwicklungen in der Schematherapie: Die Einbeziehung der metakognitiven Perspektive und des Körpers“

Herr Roediger stellt uns die Struktur seines Beitrags vor:

  1. Empirie
  2. Konzeptuelle Veränderungen
  3. Praktische Demonstration

Einleitung

Wir erfahren zunächst, dass Schematherapie keine eigenständige Methode ist, sondern eine Spezialtherapie für Persönlichkeitsstörungen, also für Menschen, die in Interaktionen eher unflexibel sind und Schwierigkeiten haben, sich anzupassen.

Schematherapie (ST) ist eine der vier anerkannten Borderline-Therapien. Die anderen sind: Die Übertragungsfokussierte Therapie, die Mentalisierungsbasierte PT und die Dialektisch-Behaviorale PT.

Die Studienlage

Die Schematherapie wirkt, wenn die Therapeut*innen die Techniken richtig anwenden. Das bedeutet, dass Nachschulungen in der spezifischen Technik, den Outcome der Therapie erhöhen. Schematherapie ist zudem nicht Borderline spezifisch sondern im ganzen Spektrum (Cluster A, B, C) der Persönlichkeitsstörungen wirksam.

Vergleichsstudien, die ST mit anderen Therapiemethoden für die Borderline PS verglichen haben, ergeben ein sehr positives Bild für die ST.

ST weist in diesen Studien geringere Drop-Out Raten und bessere Follow-Up Effekte als alle anderen Therapieverfahren auf. Außerdem erreichen erfolgreiche Patient*innen eine höhere Lebenszufriedenheit als Patient*innen, die mit anderen Therapien ebenfalls erfolgreich behandelt worden sind. Die positiven Effekte der Therapie stiegen sogar mit der Zeit an.

Weitere Vergleichsstudien von Therapien z.B. als kombinierte Gruppen- und Einzeltherapie und Paartherapie erbrachten ähnliche Ergebnisse.

Herr Roediger denkt, dass insbesondere die Imagination als zentrale Technik der ST dies begünstigt. Auch das Einüben von „Self-Compassion“ (Selbst-Mitgefühl) trägt zu dem Ergebnis bei und die Fähigkeit zur Meta-Kognition gehört für ihn ebenso dazu. Die Klienten Erleben, Erklären und Erzählen dann neu.

Konzeptuelle Entwicklungen

Historisch kann man drei Stufen der ST identifizieren. Vor dreißig Jahren entwickelte Jeffrey Young einen ersten Ansatz. Er beschrieb bereits die Schemata – man könnte diese als komplexe Reiz-Reaktionsmuster verstehen, für die ein bestimmtes Bewältigungsmuster entwickelt wurde – ein Modus des Umgangs.

Ein zweiter Ansatz kann auf Arntz/Jacob zurückgeführt werden. Darin werden die Umgangsmodi als „Teil-Selbst“ betrachtet. Es gibt darin eher wenig Schema Bezug und wird als Therapie für maladaptives Verhalten verwendet.

Was Herr Roediger uns heute vorstellt, ist der zeitgenössischer Ansatz. Es geht um eine kontextuelle und prozessbasierte Schematherapie, die sich einer modernen Begrifflichkeit bedient.

Dieser aktuelle Ansatz vereint das unmittelbare Körpererleben mit der Imagination. Dadurch wird das episodische Gedächtnis erreicht und man umgeht so die Narrationen (Erzählungen), die darum herum konstruiert wurde.

Zentrale Elemente der Schematherapie

Das Therapiemodell der ST dient als Grundlage für die Fallkonzeption und Therapieplanung. Es soll möglichst einfach und anschlussfähig sein.

Die spezifische therapeutische Beziehung orientiert sich an der Eltern-Kind-Beziehung. So kann sich eine hohe emotionale Dynamik im Beziehungsfeld entwickeln und das Ziel der Nachbeelterung kommt eher in Reichweite.

Die zeitgenössische ST verwendet erlebnisaktivierende Techniken, die durch Imagination das emotionale Erleben von kritischen Dialogen eindrücklich reinszenieren. Die Episode wird emotional nacherlebt und in der erwachsenen Position aufgelöst und dekonstruiert.

Einfaches Therapiemodell

Das heutige Erscheinungsbild der Klient*innen ist geformt von kindlicher Erfahrung. Es ist der Schmerz des Kindes, dessen Bindungs- und/oder Autonomiebedürfnis frustriert wurde. Diese Erfahrung brennt sich tief ein. Das verletze Bindungsbedürfnis wird als Verletzlichkeit und Abhängigkeit von Anderen verinnerlicht. Die Beeinträchtigung der Autonomieentwicklung führt zu Selbstverständnis als inkompetenter Versager.  

Bindung und Autonomie betrachtet Herr Roediger als die fundamentalen Pole der Persönlichkeit. Die frühen Erfahrungen bilden Schemata, die sich in Situationen, die Bindungs- oder autonomierelevant sind, aktivieren.

Die erste Komponente des aktivierten Schemas macht sich als Basisemotion (Angst, Trauer) körperlich bemerkbar. Der bevorzugte Ort dafür ist im Bauch- und Brustbereich. Die sozialen Gefühle wie Schuld, Verachtung oder Scham werden eher im Hals, Brust oder Kopfbereich wahrgenommen.

Nun kommt eine zweite Komponente ins Spiel. Diese ist der „Innere Kritiker“ (die Stimme im Kopf), der sich aus den übernommenen Bewertungen anderer geformt hat. Sätze wie: „Du taugst halt nichts.“ Können hier auftauchen.

Diese beiden Komponenten stehen inkonsistent und unvereinbar nebeneinander. Sie spielen auf der „hinteren Bühne“, die von außen nicht sichtbar ist. Äußerlich sichtbar ist die soziale Rolle, welche die „bisher beste Lösung“ dieses Schemas darstellt. Nicht selten weist diese bereits klinische Symptome auf.

In der Therapie wird nun ein Stuhl angeboten, auf dem die Basisemotion erlebt werden kann. Auf einem anderen Stuhl kann dann der innere Kritiker seine Bewertungen abgeben. Nun kommt aber ein aktueller und kompetenter Erwachsener (Beobachterperspektive) hinzu, der hilft, diese Bewertungen zu überprüfen und zu überarbeiten.

Die Beobachterposition ist auch der Ort der Metakognitionen – des Nachdenkens über das Denken. Von dort aus ist es in aller Regel leicht, den Kritiker zu verurteilen und wegzuschicken. Ebenfalls aus dieser Position wird das Kind-Erleben getröstet und verstanden. Die Emotionen des Kindes werden angenommen und verstanden.

Schematheorie

Die Übersicht über das Spektrum verschiedener Schemata wurde aus dem berühmten „Still-Face Experiment“ von Tronnick abgeleitet. Darin lassen sich gut die verschiedenen Strategien erkennen, die so manchen Mitmenschen noch im Erwachsenenalter Probleme bereiten. Es geht um das Kontinuum von Ängstlichkeit, Unterwerfung für die Regulation der Bindungsorientierung vs. Ärger, Externalisierung für die Regulation der Autonomie.

Daraus ergeben sich vier Lösungsversuche: Unterordnung/Aufopferung – Passive Gefühlsvermeidung (Erstarrung) – Aktive Selbstberuhigung (Flucht) – Überkompensation/Dominanz (Kampf)

Diese Lösungsversuche lassen sich auf mit der Polyvagal Theorie von Steven Porges erklären. Der Sympathikus aktiviert die Flucht/Kampf Seite, der dorsale Vagus die Unterordnung und Erstarrung und der ventrale Vagus erlaubt den angemessenen erwachsenen Umgang mit den Herausforderungen.

Um den erwachsenen Umgang mit Herausforderungen zu stärken, hilft es, sich in Achtsamkeit zu üben. Die Fähigkeit zu schulen, Abstand zu automatischen Gedanken und Bewertungen herstellen zu können.

Damit zusammen hängen auch solche Fragen wie: Wo will ich hin? Was sind meine Werte und Bedürfnisse? Darüber nachzudenken und uns evtl. mit anderen auszutauschen fördert einen konstruktiven Lebensstil und erleichtert es, das Spannungsfeld von Selbstbehauptung und Bindungsorientierung auszubalancieren.

Man kann dies auch einen offenen Stil nennen: offen wahrnehmen, zentriert neubewerten, engagiert handeln.

Die Praxis

Für die praktische Anwendung genügen zwei Stühle. Der eine ist für die konfrontierende Position. Auf dieser wird das Schema aktiviert. Es kann vom inneren Kritiker, einem Täter, Stellvertreter, Therapeut besetzt werden.

Der zweite Stuhl ist für die imaginative Position. Hier wird mit geschlossenen Augen die Szene imaginiert und die Gefühle des Körpers wahrgenommen. Diese Position wird vom Therapeuten betreut und fürsorglich unterstützt. Der Therapeut bereitet mit seinem Verständnis die Fähigkeit zum Selbst-Mitgefühl vor.

Dann geht es in die Beobachterrolle. Das ist der erwachsene und kompetente Mensch, der (meist mit offenen Augen) die Szene beobachtet und neu bewerten kann. Mitgefühl für das Kind empfindet und Ärger auf Täter und Kritiker. Diese Wertungen sind tief in unserer Menschlichkeit verankert und zuverlässig abzurufen.

Zum Abschluss demonstriert Herr Roediger das Vorgehen mit einer Freiwilligen. Das wirkt natürlich etwas künstlich, ist aber dennoch sehr eindrucksvoll. Die Struktur des Vorgehens ähnelt sich in allen Stunden.

Ich fand dies einen sehr gut gehaltenen und interessanten Vortrag, der mir viel Inspiration geschenkt hat.

Hier geht’s zum Vortrag:

Die Psychosomatik erkundet Synchronisation

Resonanz und Schwingung

Bericht vom 24.01.23 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Prof. Dr. Claas Lahmann, und der Leiter des Aus- und Weiterbildungsinstitutes an der Klinik für Psychosomatik, Prof. Dr. Carl Scheidt, einen gemeinsamen Vortrag mit dem Titel: „Wie Du mir, so ich mit Dir. Synchronisierung in Psychotherapie und Interaktion“

1. Einleitung und Formen der Synchronie

Zur Einführung ins Thema bekommen wir Beispiele für Synchronisationen gezeigt – eine marschierende Armee, Sportler, die gleichzeitig dieselben Bewegungen ausführen, ein Vogelschwarm oder den Sprecher eines Politikers, der dessen Rede mit denselben Gesten nachvollzieht. 

Wo kommt Synchronisation vor? Wir können zeitgenössisch Roboter sehen, die sich im Gleichklang bewegen. In der Psychologie und Soziologie ist das Phänomen schon länger bekannt und beforscht. Neuerdings gibt es auch Befunde aus der Neuro-Biologie, dass z. B. die Herzraten von verwandten Menschen sich angleichen. Dabei sind mehrere Personen beteiligt. Die zwei-Personen Varianten sind aus Psychologie und Psychotherapie bekannt und eine empfundene Synchronisation kann auch ein einzelner Mensch haben, der sich als Teil einer Gruppe empfindet.

Versuche einer Definition

Synchronie ist die dynamische und wechselseitige Anpassung der zeitlichen Struktur von Verhaltensweisen zwischen Interaktionspartnern. Im Gegensatz zu Spiegelung oder Mimikry ist Synchronie dynamisch in dem Sinne, dass das wichtige Element das Timing ist und nicht die Art der Verhaltensweisen.

Der synchrone Zustand nonverbaler Konfigurationen und Rhythmen spiegelt die Wechselseitigkeit von Aufmerksamkeit, Interesse und Resonanz sowie die wahrgenommene relationale ‚Entitativität‘ wieder, also das Gefühl, in einer stabilen kommunikativen Beziehung vereint zu sein.

Verwandte Begriffe

Aus dem Bereich des „sozialen Lernens“ sind die Begriffe Mimikry, Mirroring und Imitation bekannt. Dazu zählt auch Empathie, also einfühlendes Verstehen.

Gerade für das Teilen von emotionalen Erfahrungen gibt es die Begriffe von „affektivem Attunement“ und affektive Resonanz. Zur Resonanz hat auch Hartmut Rosa ein bemerkenswertes Buch geschrieben.

Aus der Linguistik kommen die Begriffe der Entitativität (gefühlte Gruppenzugehörigkeit), Alignment und Accomodation.

Das Phänomen von Synchronisation wird also auf den verschiedensten Feldern vorgefunden und erforscht.

Wer synchronisiert sich mit wem?

Ich kann mich mit mir selbst synchronisieren, wenn ich z. B. beim Reden ausschmückende und rhythmische Gesten vollziehe. Häufiger ist die Synchronisation mit anderen bzw. eine interaktive Synchronisation.

Synchronisation kann reziprok und absichtlich initiiert werden, sie kann auch von einer Person unilateral initiiert sein oder orchestral durch einen äußeren Schrittgeber.

Synchronie und Psychotherapie – 5 generelle Kriterien

  1. Kontext
  2. Modalität – unimodal, multimodal, transmodal
  3. Ressourcen – spezifischere Aspekte des Ausdrucksverhaltens
  4. Entrainment – reziprok, unilateral, orchestral
  5. Zeitverzögerung – perfekt synchron, synchron mit Zeitverzögerung, Konvergenz und Adaption

Der Kontext beschreibt, wo die Erfahrung stattfindet – auf dem Sportplatz oder im Therapiezimmer. Die Modalität beschreibt die Mittel mit denen synchrones Handeln ausgeführt wird – nur Bewegung, Bewegung plus Stimme, Bewegung plus Stimme plus Tonhöhenanstieg. Die Ressourcen beschreiben den Umfang und die Möglichkeiten von Stimme oder Bewegung. Das Entrainment beschreibt von wem die Angleichung ausgeht. Die Zeitverzögerung markiert den Grad der Synchronität.

Anhand dieser Kriterien lässt sich nun wunderbar Forschung betreiben. Mit mehr oder weniger ausführlichen Notationen lassen sich Szenen von Synchronie notieren. Zu den Ergebnissen wird am Ende etwas gesagt.

2.Funktionen der Synchronie

Im Rahmen der Evolution hat die Synchronie sicher dazu beigetragen, dass Menschen ihr Verhalten koordiniert und so auch kooperiert haben. Für die individuelle Entwicklung sind die Imitation und die Resonanz ganz wesentlich für das soziale Lernen. Und in Interaktionen mit den Mitmenschen ermöglicht Synchronie das Teilen von Affekten und Bedeutungen. Dies ist besonders spannend, da es häufig spontan geschieht.

Effekte und Funktionen von Synchronisation in der Interaktion. Herstellen, Abstimmen und Enkodieren von Bedeutungen (Alignment) – führt zum Teilen von Affektzuständen – führt zur Synchronisation – führt zum Alignment etc.

Synchronisation und prosoziales Verhalten

Interpersonale Synchronisation erleichtert und fördert:

Emotionale Ansteckung, die Neigung zu kommunizieren, Empathie und die Verwischung von Selbst- Objekt Grenzen.

Interpersonales Lernen und Beziehungen aufnehmen und führen erlernen wir im frühen Lebensalter. Dieser Prozess lässt sich in vier Stufen unterscheiden:

Hierarchie soziale Interaktionen

Modus 1 – Miteinander tun

Nicht-reflexives vorsymbolisches Verhalten, wechselseitige Regulierung. Keine strukturierte Vorstellung von Selbst und Anderem

Modus 2 – Geteiltes Erleben

Erleben intensiver Gefühlszustände über durchlässige Grenzen hinweg. Affektresonanz.

Modus 3 – Konfigurationen des „Selbst-mit-dem-Anderen“

Der Andere hat eine eigenständige symbolische Repräsentanz, aber nur unter dem Aspekt bestimmter Funktionen (des Spiegelns, der Erregung, der Befriedigung)

Modus 4 – Wechselseitige Ankerkennung selbst-reflexiver eigenständiger Personen

Der Andere als eigenständiges Subjekt mit eigenständigen Motivationen. Mentalisierung

Synchronisation in der (ontogenetischen) Entwicklung

Grundlage von Synchronisationsphänomenen in der Entwicklung ist (auf Seiten des Kindes) die Imitation.

Imitation ist im frühen Kindesalter die wichtigste Form sozialen Lernens und der symbolischen Kommunikation.

Im Zuge der kognitiven und sozio-emotionalen Entwicklung kommt es durch die entwicklungsangepasste Resonanz der Bindungspersonen zu einer Differenzierung der Synchronisation (Variation der Modalitäten, des Rhythmus etc.)

Synchronisation in der evolutionsbiologischen Perspektive

Evolutionsbiologisch gehört Sync in den Kontext der Entwicklung kooperativen Verhaltens.

Die Ausdifferenzierung sozialen Verhaltens ist DAS zentrale Projekt der Menschheitsgeschichte.

Kooperation umfasst:

  • Verstehen von Handlungsabsichten
  • Teilen und Abstimmen von Handlungsabsichten
  • Kommunikative Aushandlung und Koordination von Handlungen und Handlungsintentionen

Bereits Primaten erkennen und verstehen die Handlungsabsichten ihrer Artgenossen.

Aber nur Menschebn teilen, stimmen sich ab und koordinieren sich kommunikativ über ihre Intentionen und Handlungen.

Die Synchronisation ist wie Schmieröl für die Koordination zwischen Menschen, die gemeinsam etwas erledigen wollen.

3. Theorien der Erklärung

Wie „funktioniert“ Sync?

Es gibt dazu das schon ältere Kognitionspsychologische (repräsentationales) Modell (Paradigma der Wahrnehmungspsychologie, die sog. AIM-Hypothese.

AIM = active intermodal mapping

Diese ist etwas aus der Mode gekommen, weil sie mehr Fragen offenlässt als beantwortet.

Aktueller und plausibler erscheint das Enactivismus Paradigma der sozialen Kognition (participatory sense making, Interaktion)

Es ist:

  • Antimentalistisch (embodied)
  • Anti-individualistisch (embedded)
  • Betonung der „Zwischenleiblichkeit“ (extended)
  • Nicht rein perzeptiv (enactive)

Synchronisationsphänomene sind prototypische Beispiele für soziale Kognition. Sie sind körperlich, eingebettet in soziale Interaktion, zwischenleiblich und mit Handlungen verbunden. Mehr dazu gibt es in diesem Beitrag

4. Synchronie in der Psychotherapie

Es gibt ca. 1 Million körperliche Signale in einer einzigen Therapiesitzung. Zu dieser erstaunlichen Zahl nun noch ein Zitat von Sigmund Freud:

„Wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, der überzeugt sich, dass die Sterblichen kein Geheimnis verbergen können. Wessen Lippen schweigen, der schwätzt mit den Fingerspitzen: aus allen Poren dringt ihm der Verrat. Und darum ist die Aufgabe, das verborgenste Seelische bewusst zu machen, sehr wohl lösbar.“

Es ist also sehr vielversprechend diese Dimension zu erforschen.

Die Mittel und Wege der Forschung sind zahlreich und komplex. Letztlich werden viele Stunden Filmmaterial betrachtet und ausgewertet und zwar anhand folgender Kriterien.

Synchronie und Psychotherapie – was messen wir?

Bewegung bzw. nicht-sprachliche Äußerungen

Korreliert mit dem Outcome der Stunde, wenn Synchronie hoch ist.

Sprachliche Äußerungen

Physiologische Parameter – Herz- Atemfrequenz etc.

Korreliert mit der psychotherapeutischen Allianz wenn die Synchronie hoch ist.

Erste Befunde

Synchrone Rumpfbewegungen > Stundenergebnis

Synchrone Kopfbewegungen > Therapieergebnis

Der Affektausdruck ist verringert bei Depression

Eine geringe non-verbale Synchronie ist Prädiktor für Abbrüche.


Es gibt allerdings auch gegenläufige Befunde z. B. führt eine anfangs geringere interpersonale Synchronie zu einer rascheren Therapie Antwort und höheren Stabilität der Erfolge.

Bei höherer vokaler Synchronie wurde ein schlechterer Outcome beobachtet.

Synchronisation ist:

ein wichtiger Faktor für die Herstellung einer therapeutischen Beziehung

eine wichtige Form der Gestaltung des nonverbalen Ausdrucks

und führt bei Gelingen zum Teilen von Affektzuständen.

5.Fazit und Forschungsperspektiven

Dieser letzte Teil fällt sehr kurz aus. Es werden einfach nur die laufenden Forschungsprojekte genannt. Das wären:

  • Synchronisation in der Körperpsychotherapie
  • Synchronisation in der Video-Conferencing Psychotherapy
  • Schweigen in der therapeutischen Interaktion
  • Interaktive Synchronisation bei psychischen Störungen (Autismus, Depression, Anorexie)
  • Film synchrone Gruppe

Ich fand den Vortrag sehr informativ und kurzweilig. Das Format mit zwei Rednern gefällt mir gut.

Hier gehts zum Vortrag

Die Psychosomatik erkundet Wirkfaktoren

Psychotherapieforschung

Bericht vom 17.01.23 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Frau Prof. Dr. Ulrike Dinger-Ehrenthal, Lehrstuhl für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Ihr Vortrag trägt den Titel: Wirkfaktoren in der Psychotherapie

Frau Dinger-Ehrenthalt berichtet zur Einführung von ihrer Faszination über das psychotherapeutische Verfahren. Da treffen sich zwei Menschen, die miteinander sprechen. Einer der Menschen hat Probleme, vielleicht Ängste, vielleicht Sorgen oder Depressionen. Die beiden Beteiligten sprechen über Gefühle und ihre Beziehung und danach geht es dem leidenden Menschen deutlich besser. Wie kommt das? Was ist dafür verantwortlich und wie funktioniert Psychotherapie?

Die Vortragende möchte ihre eigenen Forschungsergebnisse zu dieser Frage vorstellen, natürlich nicht, ohne auch andere Forschungsergebnisse zu präsentieren. Sie möchte uns an den Beispielen zweier Patient*innen den Stand der Forschung erläutern. Es geht dabei um eine Frau A und einen Herrn T, die in der Klinik vorstellig geworden sind. Der Vortrag wechselt also zwischen Informationsvermittlung und Beispielen.

Die Patient*innen

Frau  A ist bei der Aufnahme sehr aufgelöst. Sie lebt in einer festen Partnerschaft und hat drei Kinder. Sie arbeitet in einem gut dotierten Job in der Wirtschaft und zeigt depressive und ängstliche Symptome.

Herr T ist bei der Aufnahme zurückgezogen bis misstrauisch. Er lebt alleine ohne Partnerschaft. Er ist Langzeitstudent ohne Abschluss und zeigt depressive Symptome und erhebliche Beziehungsschwierigkeiten.

Weitere Informationen

Überblicksstudien zur Therapiewirksamkeit zeigen sehr hohe Effektstärken im prä-post Vergleich. Die Effektstärken sind moderat bis hoch im Vergleich mit Patient*innen auf der Warteliste und moderat im Vergleich zu Kontrollgruppen, in denen supportiv zugehört wurde.

Der schon bekannte „Dodo-Effekt“, dass nämlich Meta-Analysen ergeben, dass die Art der Psychotherapie nur kleine bis gar keine Effekte hat, wird ebenfalls erwähnt. Die Vortragende merkt an, dass nicht alle Studien von gleicher Qualität sind und dass je besser eine Studie designt ist, die Effekte umso kleiner werden.

Die Behandlung der Patient*innen

Frau A erhält eine multimodale teilstationäre Psychotherapie, die auf ein integratives Konzept auf psychodynamische Basis beruht. Die Leitung liegt in den Händen von psychosomatischen Fachärztinnen unter kontinuierlicher Supervision des therapeutischen Teams.

Herr T erhält eine multimodale stationäre Psychotherapie mit ebenfalls integrativem psychodynamischem Konzept. Das Ärzteteam entspricht dem von Frau A. Bei beiden dauert die Therapie 12 Wochen.

Wie erklären sich die Unterschiede?

Auf der Suche nach Unterschieden im Behandlungsverlauf und -Erfolg kommen drei Möglichkeiten in Betracht. Das sind die Patient*innenvariablen, die Therapeut*innenvariablen und die Therapiemethode/Therapieprozess/Beziehungsgeschehen.

Bei der Betrachtung der Patient*innen werden folgende Kategorien betrachtet. Der sozioökonomische Status (SES) und die Schwere der Erkrankung. Weiter die Erwartungen an den Erfolg der Therapie, die Motivation zur Therapie und die Präferenzen für eine Methode oder einen bestimmten Therapeuten. Weiter geht es um Kontrollüberzeugungen, emotionale Intelligenz, emotionale Wahrnehmung (Alexithymie), Selbstkritik und Mentalisierung, sowie um Bindung und interpersonelle Probleme.

Zurück zu den Patient*innen

Frau A hat einen hohen SES und gemischt-positive Erwartungen an die Therapie. Sie hat sich aktiv dafür entschieden. Sie hat eine gute Introspektions- und Mentalisierungsfähigkeit, eine moderat-gute Emotionswahrnehmung, eine moderate Selbstkritik und zeigt einen ambivalenten Bindungsstil.

Herr T hat einen mittleren SES und er kommt mit gemischt-skeptischen Erwartungen in die Therapie, die er aufgrund einer Empfehlung aufsucht. Seine Introspektions- und Mentalisierungsfähigkeiten werden als moderat eingestuft, seine Emotionswahrnehmung als moderat bis gering. Er neigt zu ausgeprägter Selbstkritik und zeigt einen vermeidenden Bindungsstil.

Unterschiede zwischen Therapeut*innen

Sind es also die Therapeut*innen, die den Unterschied machen? Meta-Analysen zeigen eine 5%tige Varianz durch die Person der Therapeutin. Die Effektstärken für die therapeutische Beziehung sind deutlich höher. Bei der Betrachtung der sog. Allianz-Outcome Korrelation zeigt sich, dass diese eher durch den Therapeuten verbessert wird.

Nach Einschätzung der Vortragenden gibt es wohl einige herausragende Therapeut*innenfiguren. Die allermeisten Kolleg*innen befinden sich wohl im Mittelfeld und einige wenige sind wohl nicht so für den Beruf geeignet. Sie führt noch eine weitere Studie aus einem stationären Setting an, aus der hervorgeht, dass die Person der Therapeutin eine eher geringe Rolle spielt.

Von den therapeutischen Fähigkeiten scheint die Beziehungskompetenz die größte Rolle zu spielen. Bei der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Allianz und Outcome (Ergebnis) zeigt sich, dass die Klient*innen von Therapeut*innen mit hoher Beziehungskompetenz bessere Ergebnisse erzielen.

Bei der Überprüfung, inwieweit die Therapeut*innen sich an das theoretische Modell ihrer Schule halten und wie kompetent sie die Interventionen ihrer Schule anwenden, kommt heraus, dass beides eher nicht der Fall ist. Im Arbeitsalltag scheint es mehr darum zu gehen, sich auf den einzelnen Menschen einzulassen und sich nicht zu sehr an das Manual zu klammern. Die Flexibilität und Responsivität scheint für einen Erfolg wichtiger zu sein als die „reine Lehre“.

Und bei unseren Patient*innen?

Frau A lernt zahlreiche Therapeut*innen in der Tagesklinik kennen. Mit drei Kolleg*innen hat sie regelmäßige Einzelkontakte.

Herr T hat ebenfalls zahlreiche Therapeut*innen auf der Station und ebenfalls drei Therapeut*innen mit regelmäßigem Einzelkontakt

Der Therapieprozess

Was passiert in einer Sitzung, das Patient*innen dabei hilft ihre Symptome zu reduzieren und die Lebensqualität zu verbessern?

Der Psychotherapie Prozess wird folgendermaßen definiert: Veränderungsprozess: Handlungen, Erfahrungen und Bezogenheit von Patient und Therapeut in/zwischen Sitzungen.

Oder als: Veränderungsmechanismen: Veränderungen innerhalb des Patienten, denen eine ursächliche Wirkung für das Ergebnis zugeschrieben wird.

Die Frage nach der „Kausalität“ in der PT ist natürlich heikel. Denn Kausalität im strengen Sinn ist eher eine Domäne der Physik als der Psychotherapie. Es wird also versucht, Teile der PT randomisiert zu erforschen und auf diesem Weg kausale Verbindungen zu finden. Dazu gibt es Längsschnittstudien, die die zeitliche Dynamik, die Kontrolle von Alternativerklärung und die Zwischen-Personen Effekte Von innerhalb-Personen Effekte erforschen.

Die Zwischen-Person Effekte versuchen zu beantworten, ob Menschen mit besseren Beziehungen auch bessere Therapieergebnisse erzielen. Die Innerhalb-Personen Effekte suchen dagegen eine Antwort auf die Frage, ob eine individuelle Besserung auch die Beziehung verbessert. Also die alte Frage nach der Henne und dem Ei.

Allgemeine Wirkfaktoren

Diese wirken, wie der Name schon sagt, unabhängig vom Therapieverfahren. Dabei kann der Fokus auf die Beziehung gelegt werden und Allianz, Kollaboration, Empathie, positive Zuwendung, Authentizität, Selbstoffenbarung, Emotionsausdruck betrachtet werden.

Oder es geht eher allgemein um Psychotherapie, wobei die Allianz, die Ressourcenaktivierung, Problemaktualisierung, Problembewältigung und die motivationale Klärung ins Auge gefasst wird.

Therapeutische Beziehung

Diese hat wiederum verschieden Aspekte. Das wären die therapeutische Allianz, die Arbeitsbeziehung schlechthin. Aber ganz zwangsläufig handelt es sich auch immer um eine Übertragungsbeziehung, in der frühere Muster und Repräsentanzen einen Einfluss ausüben. Darüber hinaus kann auch eine echte persönliche Beziehung entstehen und dabei können dann Kongruenz und Synchronie erforscht werden.

Das Beispiel der therapeutischen Allianz

Diese ist der meistbeforschte Prozessfaktor in der PT-Forschung. Sie geht auf die Psychoanalyse zurück und ist ein Schulen übergreifendes Konzept für eine kollaborative und affektive Arbeitsbeziehung. Sie führt zu einer Übereinstimmung über die Ziele der Therapie, klärt die Aufgaben und Rollen und unterstützt die Entwicklung einer emotionalen Beziehung.

„Alliance Outcome Correlation“: AOC

Die sog. AOC, also der Zusammenhang zwischen therapeutischer Beziehung und therapeutischem Erfolg wird ebenfalls schon lange erforscht. Bei einer Meta-Analyse sehr vieler Studien sollte geklärt werden, ob die Beziehung immer eine Rolle spielt oder evtl. manchmal auch nicht. Das Ergebnis lautet, dass ein Zusammenhang unabhängig vom Erscheinungsdatum der Studie ist, unabhängig von der Behandlungsform und der Diagnose und dem verwendeten Maß für die Allianz.

Allerdings verändert sich der Zusammenhang mit der Perspektive, also ob eine Selbst- oder eine Fremdbeurteilung verwendet wird. Veränderung ist auch vom Zeitpunkt der Messung abhängig, ob sie nämlich früher oder später in der Therapie durchgeführt wird und auch davon, welches Instrument für die Outcome-Messung verwendet wird – hier gibt es globale und störungsspezifische Instrumente.

Aktuelle Forschung zur AOC

Diese wird u. a. am Heidelberger Institut für Psychotherapie durchgeführt. An dieser Ausbildungsstätte lassen sich Therapien direkt aufzeichnen und auswerten. Dazu werden Tests und Interviews genutzt und natürlich das Beobachtungsmaterial der Aufzeichnungen. Einige Ergebnisse dieser Forschung sind, dass die Wahrnehmung einer guten Beziehung etwa fünf Therapiestunden später zu einer Symptomverbesserung führt.

Solche Veränderungen sind dann am stärksten, wenn Patient*in und Therapeut*in diese Wahrnehmung teilen. Wenn hingegen Meinungsverschiedenheiten auftauchen, ist das eher ein schlechtes Zeichen. Der schlimmste Fall ist ein Beziehungsbruch durch Konfrontation oder Rückzug. Wenn dieser Bruch nicht geklärt werden kann, folgt in aller Regel eine Symptomverschlechterung.

Zwischenfazit Beziehung

Sie ist viel erforscht, ihre Wirksamkeit kann annähernd als kausal betrachtet werden und für die Zukunft sind neue Methoden zu erwarten – z. B. nonverbale Prozesse oder Synchronien als auch linguistische Studien, die die Sprache auswerten können.

Zurück zu Frau A und Herrn T

Frau A entwickelt eine positive einzeltherapeutische Beziehung, fühlt sich immer wieder sehr dankbar. Von therapeutischer Seite wird sie als etwas ungeduldig wahrgenommen, in der Gegenübertragung als ansprüchlich. Wenn es zu Konfrontationen kommt, ist es möglich, diese anzusprechen und zu klären.

Herr T bleibt in der Einzeltherapie distanziert. Er zeigt sich weiterhin misstrauisch und eher entwertend-kritisch. In der Gegenübertragung wird Ungeduld spürbar. Er möchte Abhängigkeit vermeiden bei gleichzeitigem Wunsch nach Unterstützung und Nähe. Er zieht sich immer wieder zurück und eine Klärung dessen ist nur eingeschränkt möglich.

Balancierung von Autonomie und Verbundenheit

Autonomie und Bindung sind menschliche Grundbedürfnisse und ihre Ausgewogenheit spielt eine wichtige Rolle für die psychische Gesundheit. Aus der Bindungsforschung ist bereits bekannt, dass zwei unsichere Bindungstypen problematisch werden können. Es sind die ambivalente und die vermeidende Bindung, die sich auch in einer Psychotherapie bemerkbar machen können.

Frau Dinger-Ehrenthalt fragt nun danach, inwiefern Psychotherapie Patient*innen dabei unterstützen kann, mehr Autonomie und Eigenständigkeit zu entwickeln. Sie benennt die Möglichkeiten, sich die Therapie zu eigen zu machen und dadurch selbst aktiv zu werden, sich seiner subjektiven Handlungsfähigkeiten bewusst zu werden und damit aktiver am Leben teilzuhaben. Das ist hilfreich, weil sich Selbstwert und Selbstwirksamkeit gegenseitig bestärken.

Diese Aspekte wurden auch in Heidelberg empirisch erforscht. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass sowohl Agency (Selbstwirksamkeit) also mitwirken an der Therapie als auch die Allianz (Bindung) sich positiv auf den Therapieerfolg auswirken. Als Kräfte betrachtet sind Agency und Bindung gegenläufig, wenn sie aber gut balanciert sind, wirken sie kraftvoll positiv.

Und wie ging es den Patient*innen?

Frau A zeigte von Beginn an eine hohe Aktivität, die Therapeutin hat eher gebremst. Nach einem Konflikt wurde sie nachdenklicher, hat ihre Herkunftsfamilie konfrontiert und sich von ihr abgegrenzt, was zunächst mit Schuldgefühlen und dann mit Stolz begleitet war. Sie hat sich innerlich eine Verhaltensänderung zugelegt, was als vermehrte Agency zu werten ist.

Herr T zeigte wenig Aktivität. Die Gespräche mit ihm verliefen häufig stockend. Die Dialoge wie ein Tanz, bei dem sich die Tänzer*innen ständig auf die Füße treten. Er entwickelte ein romantisches Interesse an einer Mitpatientin. Er versucht in der Therapie eine Anleitung für sein weiteres Vorgehen zu erhalten, scheitert damit und zieht sich aus dem therapeutischen Kontakt zurück. Er gibt sich am Ende selbst dafür die Schuld.

Insgesamt hat sich Frau A intensiv mit ihren interpersonalen Mustern auseinandergesetzt, sie war emotional hoch aktiviert. Die Einsicht in ihre Muster konnte sie zur Verhaltensänderung nutzen. Die Symptome haben stark vermindert und sie ist optimistisch für die ambulante Folgetherapie.

Herr T hat viel reflektiert allerdings begleitet von Scham und auf sich selbst gerichtete Aggression. In der Art seines Denkens gab es wenig Veränderungen, auch nicht in seinem Verhalten. Symptomatisch ist allenfalls eine leichte Verbesserung eingetreten, der Abschied erfolgt in eher pessimistischer Stimmung.

Was wirkt in Psychotherapien?

Allgemeine Wirkfaktoren: Beziehungsaspekte sind zentral

Aber: Verbundenheit alleine reicht nicht – Selbstwirksamkeit ist auch in der therapeutischen Beziehung sehr wichtig

Wir können neue Methoden helfen, den Datenschatz zu heben?

Spezifische Wirkfaktoren: „Techniken“ weniger einflussreich als intrapsychische Veränderungen.

Aber: Mehr Forschung ist nötig; es gibt Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Prozessvariablen und die Kategorien weisen wohl noch einige Überschneidung auf.

Ein sehr reichhaltiger Vortrag und hier ist der Link dazu