Die Psychosomatik erkundet Psychotherapie

Das Dodo Theorem behauptet die Gleichwirksamkeit aller Psychotherapien

Bericht vom 28.06.22 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Prof. Dr. Bernhard Strauß, Direktor des Instituts für Psychosoziale Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie des Universitätsklinikums Jena. Sein Vortrag trägt den Titel: Die Zukunft der Psychotherapie

Herr Strauß präsentiert zur Auflockerung zwei Zitate von seinem Landsmann Karl Valentin: „Die Zukunft war früher auch besser.“ Und: „Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn es sich um die Zukunft dreht.“ Der möchte damit deutlich machen, dass der forsch formulierte Titel dieses Vortrags nicht  zu wörtlich genommen wird. Nun erfahren wir die Gliederung:

  • Die große Psychotherapiedebatte
  • „Core Knowledge“
  • Verfahrensbezogene Hindernisse
  • Zukunft

Die große Psychotherapiedebatte

Diese Überschrift entspricht einem Buchtitel, der zuerst in englischer Sprache erschienen ist und inzwischen auch auf Deutsch vorliegt. Die folgenden Erkenntnisse sind wesentlich diesem Buch entnommen.

Was wir sicher wissen

  • Psychotherapie ist (relativ) wirksam – relativ bezieht sich v.a. auf die hohen Rückfallquoten
  • Psychotherapie ist in der Praxis ähnlich (relativ) wirksam wie Psychotherapie in randomisierten Doppelblindstudien
  • Veränderungsprozesse dauern unterschiedlich lange
  • Therapeuten unterscheiden sich deutlich in ihrer Effektivität

Was wir ziemlich sicher wissen

  • Kontextuelle Faktoren wie Allianz, Empathie, Erwartungen, Aufklärung über die Störung etc. hängen deutlich mit dem Therapieergebnis zusammen.
  • Grafik blaue Schrift = Kontextuelle Faktoren

Was wie einigermaßen sicher wissen

  • Therapeuten werden mit zunehmenden Erfahrungen nicht besser
  • Strukturierte/fokussierte Behandlungen sind wirksamer
  • Spezifische Techniken haben einen geringen Einfluss

Worüber wir noch spekulieren

Ist die kognitive Verhaltenstherapie besser als andere (ein alter Streitpunkt). Wenn, dann nur bezogen auf „target symptoms“. Ansonsten gibt es keine wesentlichen Unterschiede bzgl. Lebensqualität, Wohlbefinden oder Funktionsniveau. Zu beachten ist der sog. Allegiance Effekt – Forscher bevorzugen „ihre“ Methode in der Beurteilung.

Core Knowledge

Was also macht den Kern des Wissens über Psychotherapie aus? Das ist nicht einfach festzustellen, denn der Diskurs der Therapieschulen ist schwierig. Das liegt zum einen daran, dass Theoretiker der verschiedenen Schulen ihre Konstrukte ungern aufgeben oder relativieren wollen. Zum anderen sind Psychotherapieverfahren auch Institutionen, die sich nur sehr schwerfällig verändern lassen.

Andere Hintergründe dieses Problems sind:

  • Lücken zwischen Forschung und Praxis
  • Unterschiedliche theoretische Ansätze zum Verständnis von Psychotherapie
  • Sprachbarrieren (z.B. zwischen Tiefenpsychologen und Verhaltenstherapeuten)
  • Wandel in der Forschungsmethodologie
  • Die Wirksamkeit vermeintlich neuer Befunde
  • Spielregeln der Wissenschaft

Diesen letzten Aspekt verdeutlicht der Vortragende mit zwei Zitaten über Wissenschaft: 1942 beanspruchte Wissenschaft noch Universalismus, Kommunalität, Disinterestedness und Organisierter Skeptizismus.

1974 liest sich die Liste so: Partikularismus, Solitarismus, Interestedness und Organisierter Dogmatismus.

Letztlich sind auch Wissenschaftler nur Menschen, die sich auch so sehen können: „Eine Karriere wird gemacht, indem Geschichte gemacht wird.“ Womit der Autor seinen Ehrgeiz öffentlich macht.

Warum aber gibt es überhaupt Konflikte in der Psychotherapie und der Psychotherapieforschung. Es sind Konflikte zwischen Vertretern einzelner Verfahren; zwischen Wissenschaft und Praxis; zwischen traditionellen Verfahren und neuen Entwicklungen.

Der Lösungsvorschlag geht dahin, dass es eine Konsenstheorie der Psychotherapie braucht. Dass Identitäten als Psychotherapeut*innen wichtiger sind als Identitäten als Vertreter*innen von Schulen.

Unter der Forschergemeinde gibt es einige Vertreter, die einen solchen Konsens befürworten. Allerdings wird auch beklagt, dass die Datenlage nach wie vor höchst bescheiden ist. Um die komplexen Veränderungsprozesse auch nur annähernd valide erforschen zu können, bräuchte es sehr viel größere Stichproben, als sie im Moment vorhanden sind. Betrachtet man dann Modelle von Veränderungen, findet man verschieden Faktoren, die jeweils für sich und im Zusammenwirken mit den anderen gemessen werden müssten.

Z.B. der Moderator der erfasst für wen und unter welchen Umständen etwas hilfreich ist. Dann der Mechanismus, der erklären kann, wie eine Intervention ihre Wirkung entfaltet sowie den Mediator, der die Veränderungen statistisch und kausal messen und erklären kann. Hypothetische Mediatoren wären z.B.

Wir erfahren nun noch etwas über „Evidenzbasierte Beziehungsfaktoren, Behandlungen und individuelle Patientenmerkmale“ – ein Buch aus einer sehr intensiven Forschungsarbeit der Autoren Norcross und Lambert. Es ist eines der wenigen evidenzbasierten Werke.

Es gibt einen Vorschlag für eine Konsens-Theorie, die für alle Psychotherapieverfahren Gültigkeit haben könnte:

  • Die Unterstützung einer positiven Therapieerwartung und die Motivation, dass Psychotherapie helfen kann
  • Möglichst eine optimale Therapeut-Klient Beziehung etablieren
  • Das Bewusstsein der Patienten für die Faktoren sensibilisieren, die mit Schwierigkeiten verbunden sein können
  • Die Ermunterung, sich für korrigierenden Erfahrungen zu öffnen
  • Die Ermunterung, sich fortlaufend Realitätsprüfungen auszusetzen

Verfahrensbezug als Hindernis

Herr Strauß leitet diesen Teil mit einem Zitat von Sigmund Freud ein. Freud schreibt in „Das Unbehagen in der Kultur“ davon, dass es einen Narzissmus der kleinen Unterschiede gebe. Dieser biete eine bequeme und relativ harmlose Möglichkeit, seine Aggressionsneigung zu befriedigen. Freud sah es als anthropologisch gegeben an, dass diese kleinen missgünstigen Gefechte in jeder Gemeinschaft ausgetragen werden.

So war ein Pionier der PT-Forschung, Klaus Grawe, auch heftiger Kritik ausgesetzt, als er seinem Buch den Untertitel „Von der Konfession zur Profession“ gegeben hatte (Titel: Psychotherapie im Wandel).

Ein amerikanischer (radikaler) Behaviorist (Rachlin) wurde zum Thema der Agoraphobie interviewt. Das Interview wurde dann in die Alltagssprache übertragen (ohne Fachtermini) und Menschen vorgelesen, die daraufhin raten sollten, aus welcher Therapierrichtung der Interviewte wohl stamme. Die meisten tippten darauf, dass es sich um eine psychodynamische Therapierichtung handeln müsse.

Der Verfahrensbezug in der Therapielandschaft ist historische entstanden und nun sehr ausdifferenziert. Jedes Verfahren bietet ein übergeordnetes Rahmenmodell mit besten Identifikationsmöglichkeiten. Es stellt Richtlinien bereit, Fachverbände, verfahrensbezogene Fortbildung und nimmt Einfluss auf die Gesetzgebung.

Versuche, die Verfahrensgrenzen zu überwinden, stoßen häufig auf harschen Widerstand. So z. B. ein Modell psychogener Störungen

Tatsächlich macht die Verfahrensorientierung auch zahlreiche Probleme

  • Hohe (über)Identifikation mit der Therapieschule; hohe Investitionskosten (zeitlich, finanziell), die zu kognitiver Dissonanz führen würden, würde man diesen Einsatz hinterfragen
  • Selbstschützende und therapieformschützende Bewertungen; Täuschungen und Placebo-Effekte, selektive Wahrnehmung und Interpretation von Ergebnissen
  • Orientierung an Gurus und Meinungsführern anstatt wissenschaftlich-kritischer Auseinandersetzung
  • Ingroup-Outgroup Dynamiken
  • Destruktive Prozess innerhalb der Profession, Ferne vom Versorgungsbedarf
  • Tendenziöse und selektive PT-Forschung
  • Behinderung von dynamischer Weiterentwicklung

Psychotherapeut*innen scheinen bemerkenswert blind für die Psychotherapieforschung zu sein. Sie stehen häufig auf dem Standpunkt, dass Forschung instrumentell nutzlos sei, nicht informativ und nicht inspirierend. Dabei ergibt die Forschung, dass Psychotherapeut*innen

Zukunft

Für die Zukunft der Psychotherapie fordert Herr Strauß die systematische Einbeziehung der Patientenperspektive zur Qualitätssicherung psychotherapeutischer Behandlungen hinsichtlich des Therapieverlaufs, der therapeutischen Beziehung und der unerwünschten Wirkungen. Außerdem möge doch bitte mehr Forschung im Praxisalltag stattfinden.

Es gibt inzwischen auch Vorschläge, wie mit Beziehungskrisen in der Therapie umgegangen werden kann. Die Interventionen sind metakommunikativ, thematisieren also die Qualität und den Inhalt der Kommunikation. Der Fokus kann dabei mehr auf dem Patienten, mehr auf dem Therapeuten oder mehr auf dem interpersonalen Feld liegen.

Fokus auf Patientenperspektive: „Was fühlen Sie gerade?“ oder: „Sie wirken etwas gereizt auf mich.“ …

Fokus auf interpersonales Feld: „Was passiert gerade zwischen uns?“ oder: „Wir scheinen eine Art Tanz auszuführen.“ …

Fokus auf Therapeutenperspektive: „Haben Sie eine Idee, was gerade in mir vorgeht?“ oder: „Was könnte mein Beitrag dazu sein, weswegen es hier gerade stockt?“ …

Ein weiteres, sehr lebendiges Forschungsfeld ist die „Nonverbale Synchronisation“. Diese können mit Filmaufnahmen, die dann von einer speziellen Software bearbeitet wird sehr spannende Einblicke ins therapeutische Geschehen vermitteln. Es geht dabei um Sequenzen, die einen hohen Grad an interpersoneller Koordination des nonverbalen Verhaltens zeigen. Z.B. die Spiegelung von Körperhaltungen, gleichzeitige Bewegungen, Imitation von Mimik … Treten diese Phänomene auf, sind sie mit prosozialem Verhalten korreliert.

Die Auswertung ergibt, dass bei erhöhter Synchronie die Patienten insgesamt zufriedener sind, mehr Empathie empfinden, auch die Bindung positiver einschätzen und der Therapieerfolg eher gewährleistet ist.

Unerwünschte Wirkungen

Was natürlich kein Therapeut und keine Therapeutin anstrebt sind negative Wirkungen der Psychotherapie. Trotzdem gibt es dieses Phänomen, dass sich Symptome verschlimmern, sogar die Lebens- und Funktionsbereich in Mitleidenschaft gezogen werden und mitunter sogar zu anhaltend negative Effekten führen kann. Es gibt inzwischen eine Klassifikation unerwünschter Ereignisse.

Herr Strauß wünscht sich, dass die Ergebnisse der PT-Forschung mehr Verwendung in der Praxis finden. So sollte sich z.B. das Psychotherapieangebot mehr an den Bedürfnissen der Betroffenen orientieren.

Er plädiert auch für eine neue Vielfalt der PT-Methoden, die eine individualisierte und personalisierte PT ermöglichen könnte. Psychotherapie könnte modular erlernt werden, mehr auf die Erwartungen fokussieren und mehr auf die Kompetenzen der Therapeut*innen.

Eine wissenschaftlich fundierte Psychotherapie Aus- und Weiterbildung würde:

Eine fundierte Kenntnis der wichtigen therapeutischen Theorien und Ideen vermitteln, vom Setting abhängige und störungsabhängige Zugänge vermitteln; es wäre möglich, die Therapie zu personalisieren und Veränderungsprinzipien zum Einsatz bringen. Außerdem sollten die persönlichen Kompetenzen der Therapeut*innen in den für die Therapie relevanten Bereichen besonders gefördert werden.

Zum Schluss bekommen wir noch eine Schlussfolgerung. Forschung und Praxis schauen von unterschiedlichen Standpunkten auf die Psychotherapie. Da wo ihre Erkenntnisse einander ähnlich werden, könnten womöglich die Kerngewissheiten gefunden werden.

Hier geht es zum Vortrag

Die Psychosomatik erkundet Einsamkeit

Allein oder einsam - jedenfalls nur ein Mensch

Bericht vom 08.11.22 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Prof. Dr. Dirk Scheele vom Lehrstuhl für Social Neuroscience an der Fakultät für Psychologie von der Ruhr-Universität Bochum: „Soziale Isolation und Einsamkeit: Neurobiologische Mechanismen, gesundheitliche Folgen und Bewältigung“

Herr Scheele präsentiert uns zunächst die Struktur seines Vortrags. Die vier Punkte lauten:

  • Der Mensch als soziales Wesen
  • Definition und Verständnis von Einsamkeit
  • Konsequenzen und Mechanismen von Einsamkeit
  • Bewältigung und Interventionen

Der Mensch als soziales Wesen

Viele Menschen kennen das Phänomen, wenn sie in Gegenständen wie Bäumen oder Wolken, aber auch in Bauwerken menschliche Gesichter erblicken (Pareidolie). Das liegt unter anderem daran, dass unsere Wahrnehmung besonders auf menschliche Gesichter eingerichtet ist. Etwas weniger bekannt ist die Neigung, in allen möglichen Interaktionen z.B. Interaktionen von abstrakten Figuren wie Dreiecke, Kreise etc. als menschliche Interaktionen zu deuten (Anthropomorphisierung). Diese beiden Wahrnehmungsverzerrungen kommen bei einsamen Menschen häufiger vor.

Nun gehen wir der Frage nach, was denn so wertvoll am sozialen Kontakt ist. Der Vortragende nennt hier den Umstand, dass sozialer Kontakt Stress reduziert (reduzieren kann). Als Beispiel bekommen wir den Trierer Stresstest. Ein Setting, in dem ein Jury einem Vortrag zuhört, aber der/die Getestete muss noch zusätzlich Rechenaufgaben im Kopf lösen – an sich schon nicht einfach, bekommt man zusätzlich eine Rückmeldung bei Fehlern und muss von vorne anfangen. Soziale Unterstützung im Vorfeld oder auch bei dieser Prüfung reduziert die Stresshormone (Cortisol) erheblich. Diese Wirkung ist auch dem Hormon Oxytocin zu verdanken, das insbesondere bei Berührungen ausgeschüttet wird.

Herr Scheele führt die berühmten Harlow’schen Versuche mit Affen an, um ein angeborenes Bedürfnis nach Berührung zu postulieren. Zur Erinnerung: Kleine Äffchen werden von ihren Müttern getrennt und bekommen zwei Ersatzmütter – eine aus Draht und eine, die ein Frotteetuch bietet. Dann können beide Mütter noch mit einer Flasche ausgestattet werden. Harlows Messung war nun, wie lange die Äffchen bei den Ersatzmüttern blieben – mit oder ohne Nahrung. Das Ergebnis war eindeutig nicht von der Nahrung abhängig, die Äffchen mochten die Frottemutter eindeutig lieber und länger.

Berührung vermittelt also soziale Unterstützung und dies kann auch mit moderneren Methoden bewiesen werden. Ein Proband in der „Röhre“ bekommt leichte Stromschläge, entweder alleine oder mit einer fremden Person, die die Hand hält oder einer vertrauten Person, die die Hand hält. Die Befragung ergibt, dass der Schmerz mit einer vertrauten Berührung weniger unangenehm wahrgenommen wird. Das ließ sich dann auch durch die Messung des Oxytocins objektivieren.

Definition und Verständnis von Einsamkeit

Einsamkeit könnte man als Diskrepanz zwischen gewünschter und erlebter sozialer Verbundenheit. Dabei ist zu beachten, dass Einsamkeit subjektiv erlebt wird und nicht von außen beobachtet werden kann. Eine weitere Differenzierung besteht zwischen emotionaler und sozialer Einsamkeit. Also gibt es einen Menschen, mit dem ich mich emotional austauschen kann und/oder über welche sozialen Netzwerke verfüge ich.

Ein objektives Maß wäre die soziale Isolation. Hier wird ausgezählt, wieviel Beziehungen, Interaktionen und soziale Rollen zur Verfügung stehen. Einsamkeit und soziale Isolation haben miteinander zu tun, unterscheiden sich aber erheblich. Ich kann sozial isoliert leben und mich nicht einsam dabei fühlen. Ich kann Familie haben, berufstätig sein und mich dennoch einsam fühlen.

Die Sprache stellt uns folgende Möglichkeiten zur Verfügung: Alleine sein, was meist positiv gemeint ist. Ruhe haben, um sich ungestört etwas widmen zu können. Das liegt schon recht nah beim selbstgewählten Alleinsein (Solitude), das ebenfalls positiv gefärbt ist. Eindeutig negativ gefärbt ist allerdings Verlassenheit.

Prävalenz von Einsamkeit

Einsamkeit ist keine Krankheit, aber man kann sie ähnlich wie Krankheiten statistisch erfassen. Eine Studie von 2018 zeigt, dass in den USA und GB jeweils ein knappes Viertel der Befragten angab, dass Einsamkeit ein Problem sei. In Japan sagten das nur neun Prozent. Aber in allen drei Regionen gaben vier bis fünf Prozent an, dass Einsamkeit ein großes Problem sei.

Mögliche Gründe für Einsamkeit

Hier ergaben große Befragung als Hauptgrund den Verlust eines geliebten Menschen an. An zweiter Stelle standen dann körperliche Probleme. Psychische Erkrankungen oder Scheidungen und Umzüge standen auf den hinteren Rängen.

Einsamkeit über die Lebensspanne

Wie lange dauern eigentlich Episoden von Einsamkeit? Auch diese Frage wurde erforscht und das etwas überraschende Ergebnis lautet, dass Einsamkeit ganz ähnlich wie Persönlichkeitseigenschaften (z. B. Offenheit, Gewissenhaftigkeit) sehr zeitstabil sind. Denn können Wandlungen beobachtet werden. Relativ häufig fühlen sich Menschen in der späten Adoleszenz und im höheren Lebensalter einsam. Aber das Gefühl kann in jedem Lebensalter auftreten. Einen gewissen Schutz vor Einsamkeit bieten eine feste Arbeit und eine ebensolche Beziehung

Einsamkeit in der Pandemie

Eine Auszählung der Google-Suchen zu Langeweile, Einsamkeit und Traurigkeit vor und nach einem Lockdown ergab, dass nur die Langeweile signifikant zunahm. Die Maßnahme hat nicht zu einer Welle von Einsamkeit geführt.

Soziale Medien und Einsamkeit

Auch über diesen Zusammenhang kann man viel in den sozialen Medien finden. Tatsächlich gibt es einen gewissen Effekt. Wer nämlich negative Erfahrungen im Netz macht, fühlt sich danach merklich einsamer – ein Effekt, der nicht bei positiven Erfahrungen auftritt, also nicht zu weniger Einsamkeit.

Konsequenzen und Mechanismen von Einsamkeit

In einer der größten und an der längsten dauernden Studie kam heraus, dass mangelhafte soziale Integration und soziale Unterstützung ein ebenso hohes Sterblichkeitsrisiko erzeugen wie z.B. Rauchen. Ein gutes soziales Netzwerk und Beziehungen vermindern die Sterblichkeit um 50%.

Psychische Gesundheit und Einsamkeit

Diese beiden Aspekte sind ebenfalls hoch korreliert. Chronische Einsamkeit macht sowohl für Depressionen als auch für Angststörungen anfällig. Depression und Angsterkrankungen stellen ebenfalls einen Risikofaktor für Einsamkeitsgefühle dar.

Einsamkeit und Gedächtnis

Auch hier gibt es starke Befunde, die belegen, dass chronische Einsamkeit sowohl das Gedächtnis, als auch die exekutiven kognitiven Fähigkeiten vermindern. Tatsächlich führt chronische Einsamkeit zu einer Verminderung der Gehirnsubstanz.

Einsamkeit als Risiko für die Gesellschaft

Hier präsentiert uns der Vortragende zwei Zitate von Hannah Arendt: „Der Totalitarismus nutzt die Isolation, um den Menschen die menschliche Gesellschaft zu entziehen.“ Und: „In diesem Prozess wendet sich jeder Einzelne in seiner einsamen Isolation gegen alle anderen und gegen sich selbst. Er wird anfällig für die organisierte Einsamkeit.“

Mechanismen von Einsamkeit

Es scheint Korrelationen zwischen der Größe der Amygdala (Mandelkern) und der Größe des sozialen Netzwerks zu geben. Allerdings sind diese Befunde schwierig einzuordnen. Es gibt wohl mehrere Faktoren, die zur Einsamkeit beitragen. Einige davon wären eine verzerrte sensorische Wahrnehmung, verzerrte Kognitionen, beeinträchtige Interaktionen und Hyperaktivität auf Bedrohungsreize. All das lässt sich jedenfalls bei wahrgenommener sozialer Isolation feststellen.

Nun erfahren wir noch, was die Neurobiologie dazu herausgefunden hat. In einem sehr aufwändigen Setting werden hoch einsame und nicht einsame Menschen verglichen. Sie spielen ein Vertrauensspiel im fMRT, so dass ihre neuronale Aktivität erfasst werden kann. Im Vertrauensspiel kann man Geld verschenken und darauf hoffen, dass der Beschenkte etwas von dem Geld der Schenkerin zurückgibt, aber wissen kann man es nicht. Dann erfolgt ein positives Gespräch (standardisiert). Darin werden weitere Parameter gemessen z.B. den Abstand den die Probanden einnehmen, der Puls, der Speichel, die Stimmung … Dann wird noch der Gesprächspartner (ein Versuchsleiter) befragt, für wie vertrauenswürdig er seine Probandin eingeschätzt hat.

Das Ergebnis ist, dass hoch einsame Menschen weniger Vertrauen aufbringen und verminderte Reaktionen im positiven Gespräch zeigen. Die Einschätzungen der Versuchleiter*innen zur Vertrauenswürdigkeit waren überdurchschnittlich häufig zutreffend – hoch einsame Menschen wirken wenig vertrauenserweckend.

Ein neurologischer Befund dazu ist, dass die anteriore Insula – eine Region, die mit Vertrauen assoziiert ist, wenig aktiv ist und in sich weniger Verbindungen aufweist. Das könnte dazu führen, dass die Bauchgefühle, die uns sagen, wie wir einen Menschen finden, nicht mehr weiterverarbeitet werden. Aber hier ist noch viel Forschungsarbeit nötig.

Bewältigung und Intervention

Es gibt vier Hauptrichtungen, mit denen versucht wird der Einsamkeit und der sozialen Isolation entgegenzuwirken. Es sind: Die Verbesserung der Möglichkeiten für soziale Kontakte. Die Verbesserung der sozialen Fähigkeiten. Die Verstärkung der sozialen Unterstützung. Die Auseinandersetzung mit maladaptiver sozialer Kognition. Soweit genügend Studien vorhanden sind, lauten die Ergebnisse, dass die Verbesserung der Möglichkeiten für soziale Kontakte am besten gegen soziale Isolation hilft. Also Veranstaltungen, Treffen, Gelegenheiten sich mit anderen zu treffen.

Gegen Einsamkeit hat sich die Auseinandersetzung mit den maladaptiven sozialen Kognitionen als am hilfreichsten herausgestellt. Diese kann dann durchaus auch die Form einer Psychotherapie annehmen.

Auch auf der politischen Ebene ist man inzwischen für das Thema sensibilisiert – insbesondere die Einsamkeit von Senioren soll vermindert werden. Dazu wurde und wird Geld bereitgestellt, das jetzt nur noch sinnvoll investiert werden muss.

Hier geht es zum Vortrag

Professionalität von Körperpsychotherapie

Die Situation der Körperpsychotherapie

Methoden und Schulen der Körperpsychotherapie bzw. der Körperorientierten Psychotherapie sind in vielen Ländern Europas und der Welt ein Bestandteil der psychotherapeutischen Grundversorgung. In Deutschland führen sie noch ein Nischendasein. Dem deutschen Fachverband ist es bisher nicht gelungen, die Zulassungsbehörden davon zu überzeugen, dass die KPT eine wissenschaftlich fundierte und wirkungsvolle Methode ist. Manchmal endet die wissenschaftliche Erkenntnis offenbar an einer Landesgrenze.

EABP und DGK

Die EABP – „Europäische Assoziation für Körperpsychotherapie“ ist ein Dachverband verschiedener nationaler Fachverbände für KPT. Für Deutschland ist das die DGK – „Deutsche Gesellschaft für Körperpsychotherapie“. Innerhalb des Dachverbandes sind verschiedene Ausbildungsinstitute versammelt, die den anspruchsvollen Kriterien der EABP genügen.

Ziele der EABP

Die EABP ist ihrerseits Mitglied der EAP – „Europäische Assoziation für Psychotherapie“. Die EAP umfasst auch nahezu alle anderen psychotherapeutischen Methoden und strebt danach, dass die Psychotherapie ein eigenständiges und spezifisches Berufsbild wird. Das heißt, dass Medizin oder Psychologie zunächst keine Befähigung zur Psychotherapie vermitteln, sondern dass es dazu einer speziellen psychotherapeutischen Ausbildung bedarf. Die EAP hat dazu Ausbildungsrichtlinien verfasst.

Zertifikat

Die Fachverbände bieten Richtlinien für die Ausbildung, Berufsausübung und Berufsethik ihrer Mitglieder. Sie organisieren Fachtagungen und Konferenzen und vertreten ihre Mitlieder gegenüber Zulassungsbehörden. Weiter stehen sie auch als Vermittler bei möglichen Konflikten zur Verfügung. Turnusmäßig zertifizieren sie ihren Mitgliedern, dass diese den professionellen Richtlinien des Verbands gerecht werden.

Erfahrungen aus der therapeutisch begleiteten Kriegsenkelgruppe

Die Bilder der Vergangenheit aufdecken

Die erste therapeutisch begleitete Kriegsenkelgruppe ist nun beendet. Vier Teilnehmerinnen haben sich an zehn Abenden getroffen, um sich über ihre Geschichten auszutauschen.

Die Bedürfnisse der Teilnehmerinnen waren vor allem mehr Klarheit über die Umstände ihrer Kindheit und Verständnis für ihre Anpassungen an die Umstände dieser Zeit. Auch die Frage danach, was die Kriegs- und Nachkriegsgeschichte mit der persönlichen Gegenwart zu tun haben kann, wurde gestellt.

An jedem Abend gabe es eine Leitfrage. Einige dieser Fragen waren durchaus aufwühlend und haben die Teilnehmerinnen noch zwischen den Treffen beschäftigt.

Es hat sich sehr schnell eine vertrauensvolle Atmosphäre gebildet, die es jeder Einzelnen erlaubt hat, offen über sich und ihr Erleben zu sprechen. Auch und gerade schwierige Themen konnten so überhaupt einmal zur Sprache gebracht werden. Dieses – überhaupt darüber sprechen zu können – wurde vielfach schon als heilsam empfunden.

Im Resümee des letzten Treffens berichteten alle darüber, dass sie erheblich mehr Klarheit gefunden haben, dass sich Bruchstücke von Erinnerungen zu Geschichten zusammengefügt haben, dass sie freundlicher mit sich umgehen und neue Perspektiven gewonnen haben.

Ich, als therapeutischer Begleiter, bin sehr berührt von den Geschichten der Teilnehmerinnen und ihrer Bereitschaft, sich auf diese teilweise sehr schwierigen Erinnerungen einzulassen. Die Kompetenzen, die die Teilnehmerinnen im Umgang miteinander an den Tag gelegt haben, haben mich tief beeindruckt und ebenfalls berührt.

Dimensionen der Selbstwahrnehmung in der Körperpsychotherapie

Selbstwahrnehmung als Mittel der Körperpsychotherapie

Eugene Gendlin, der Begründer des „Focussing“ hat erforscht, welche Merkmale Patienten aufweisen, die von einer Psychotherapie profitieren konnten. Sein Ergebnis war, dass es Menschen waren, die ihre Körpersignale differenziert wahrnehmen und für sich verwenden können. Damit lenkte er die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Psychotherapie auf die Selbstwahrnehmung, insbesondere auf die des Körpers.

Körperwahrnehmung und Ich-Struktur

Heute ist die Selbstwahrnehmung ein Aspekt (von sechs) der sogenannten „Ich-Struktur“, die im Diagnosemanual der „Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik“ (OPD) verwendet wird. Die sog. „Struktur Achse“ im OPD wurde maßgeblich von Gerd Rudolf mitentwickelt. Er definiert (Ich)Struktur so: „Struktur ist definiert als die Verfügbarkeit über psychische Funktionen, welche für die Organisation des Selbst und seine Beziehungen zu den inneren und äußeren Objekten erforderlich sind.“
Das Selbst versteht sich hier als das „Ich“, welches sich selbst betrachtet, selbst wahrnimmt und bewertet, und so zum „Selbst“ wird. Das „Ich“ wiederum kann als zentrale Organisation des psychischen Erlebens verstanden werden, das sich auch nach außen orientiert und handelt.

Damit erweitert sich die Selbstwahrnehmung über die Körperlichkeit hinaus. Es geht um die Fähigkeiten zur Selbstreflexion, zur Schaffung eines Selbstbilds, dem Aufrechterhalten einer Identität, um die Fähigkeit der Gefühlsunterscheidung und um das Körperselbst.

Die Körperpsychotherapie folgt schon lange der Spur von Freuds Ausspruch: „Das Ich ist in erster Linie ein körperliches.“ Die KPT verfolgte diese Spur bis in die frühen Entwicklungsphasen des Ichs sogar bis in die vorgeburtliche Zeit zurück. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie sich die Körperstruktur in den Beziehungserfahrungen entwickelt und welche charakteristischen psychischen Merkmale daraus entstehen.

Entwicklung der Körperlichkeit

Dieses Vorgehen wurde auch in der Theorie der Strukturentwicklung gewählt. Die Bedürfnissituation des Kindes ist bei Rudolf – Nähe und Kommunikation während der ersten drei Lebensmonate (nachgeburtlich), Bindung während des ersten und zweiten Lebensjahres, Autonomie im dritten und vierten Lebensjahr, und Identität während des fünften und sechsten Lebensjahres.

Kinder machen während ihres Heranwachsens Erfahrungen mit ihren Eltern. Ihre Bedürfnisse nach Nähe und Kommunikation, nach Bindung, Autonomie und Identität werden mehr oder weniger passend beantwortet. Den Kindern bleibt keine andere Wahl, als sich an diese Angebote anzupassen. Abgesehen von genetischen Anlagen formen diese Erfahrungen die Ich-Struktur, bzw. die strukturellen Fähigkeiten.

Frustrierte Bedürfnisse fühlen sich frustrierend an – schmerzlich, ärgerlich, traurig usf. Da die Bedürfnisse nicht benannt werden können, ist es schwierig, sie einzufordern. Da die Eltern die Bedürfnisse nicht erkennen, werden sie auf die geäußerten Gefühle mit Unverständnis reagieren, was die Frustration noch erhöht. Den meisten Kindern bleibt keine andere Wahl, als ihre Gefühle zu verstecken und zu lernen, sie zu ignorieren. Damit schränken sie allerdings ihre Selbstwahrnehmung erheblich ein.

Der Preis der Abwehrmanöver

Dass abgewehrte Gefühle, ja Abwehrmechanismen überhaupt, auch einen körperlichen Aspekt besitzen hat schon Wilhelm Reich aufgedeckt. Diese körperlichen Möglichkeiten sind vegetativ und/oder muskulär, teils autonom und teils willentlich. Als erfolgreiche Möglichkeit, sich der schlechten Gefühle zu entledigen, werden sie in das Selbstsystem fest eingebaut. Sie werden zur Gewohnheit, zur Routine und erscheinen im Lauf der Zeit als charakteristisch für die Person.

Jeder dieser körperlichen Aspekte der Abwehr hat auch emotionale und mentale Aspekte. Die Gefühle werden in diesem Bereich unklar, undifferenziert oder unangemessen – sie können nicht mehr handlungsleitend sein. Zu vielen dieser Aspekte gibt es Skriptsätze, Überzeugungen, die erklären, warum dieser Umgang mit einer Situation der einzig richtige sein muss.

Therapeutische Möglichkeiten der KPT

Die KPT hat mehrere Möglichkeiten entwickelt, wie sich ein Zugang zu neuen Körpererfahrungen herstellen lässt, bzw. wie mit Hilfe des Körperselbst die anderen Aspekte der Ich-Struktur gestärkt werden können.

Körperreisen führen die Aufmerksamkeit in verschiedene Körperbereiche. Beginnend mit Körperzonen – die Arme, die Brust, die Beine etc. lassen sich diese Reisen nach und nach vertiefen und differenzieren – der Beugemuskel des Arms, das Ellbogengelenk, die Rippen etc. Es ist sogar möglich mit der Achtsamkeit verschiedene Gewebe zu unterscheiden – Muskeln, Gefäße, Nerven, Knochen usw.

Angeleitete Bewegungen achtsam begleiten. Hier bekommen Klient*innen z.B. die Anweisung, ihre Hand zur Faust zu ballen und diese wieder zu lösen. Die verschiedenen Qualitäten von Anspannung und Entspannung, Beugung und Streckung, Schließung und Öffnung, Aktivität und Passivität sowie die Pulsation lassen sich auf sehr viele Kontexte ausweiten.

Berührungen vermitteln Körperempfindungen im Kontakt. So können Kontakt Qualitäten von Intensität, Geschwindigkeit, Richtung, Rhythmik erfahren und erforscht werden.
Interaktionen wie Tauziehen, Rücken an Rücken gegeneinander schieben, halten oder gehalten werden u.v.m. bringen Erfahrungen von Kraft in Kontakt, Erlebnisse von mitmenschlichem Halt und Zuverlässigkeit.

Behandlungen verschiedenster Art vermitteln neben der spezifischen Behandlungsabsicht die Erfahrung von einfühlsamer mitmenschlicher Interaktion.

Im Austausch über die Erfahrungen lassen sich Stimmungen und Gefühle identifizieren, die das Selbstbild der Klient*innen bereichern und nuancenreicher machen. Die Verbindung von aktiver Bewegung mit Emotionen unterstützt die differenzierte Wahrnehmung der Gefühle. Das Gespräch unterstützt auch die Reflexionsfähigkeiten und erweitert sie sogar. Alle diese Aspekte unterstützen auch den therapeutischen Prozess im Ganzen, der zu einer klareren Identität führt.