Die Psychosomatik erkundet Berührung

zeigt Berührung

Bericht vom 07.11.23 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Dr. Rebecca Böhme, Neurowissenschaftlerin und Assistenzprofessorin, Zentrum für soziale und affektive Neurowissenschaften, Linköping, Schweden: „Berührung und Selbst: Welche Rolle spielt leibliche Erfahrung für Resilienz, Verbundenheit und Wohlergehen?“

Ich genieße wieder einmal den Vorzug digitaler Infrastruktur und besuche den Vortrag im Live-Stream, statt im strömenden Regen zur Uni zu laufen.

Berührung und das Selbst

Der Titel des Vortrags thematisiert den Zusammenhang von Berührung und Selbst. Ebenso über die Forschungen darüber, ob leibliche Erfahrungen auf Widerstandskraft, Wohlgefühl und Verbundenheit wirken. Der Zusammenhang von Berührung und selbst wirft natürlich die Frage auf, was wir unter dem „selbst“ verstehen wollen. Frau Böhme zitiert dazu den Urvater der wissenschaftlichen Psychologie, William James. Dieser sieht das Selbst als eine Zusammensetzung von leiblichem Selbst, Reflexivem/sozialem Selbst und einem spirituellen Selbst. Diese drei Aspekte hat er zu einer Pyramide angeordnet um damit auch so etwas wie eine Entwicklung und Hierarchie anzudeuten. Es gibt noch zahlreiche andere Modelle zum Begriff des Selbst – ihre Nennung wäre bereits abendfüllend.

Frau Böhme möchte aber Herrn James dahingehend korrigieren, als sie das soziale Selbst als grundlegender ansieht als das leibliche. Ihr Argument dafür lautet, dass das Selbst nur durch die Unterscheidung von einem Anderen entstehen kann, dass also erst ein Anderer ein Selbst entstehen lässt. Diese Diskussion ist ebenfalls eine sehr breite und nicht nur philosophisch spannend.

Berührung in der frühesten Lebenszeit

Frau Böhme erinnert uns daran, dass der Berührungssinn, der Tastsinn tatsächlich als erstes ausreift und zwar schon vorgeburtlich. Aus der pränatalen Forschung ist das Phänomen bekannt, dass bereits ein Embryo tastend um sich greift. Es greift die Nabelschnur, die Wände der Gebärmutter und besonders gerne ein Geschwister, falls hier Zwillinge heranreifen.

Auch nachgeburtlich ist das Baby ganz wesentlich über den Tastsinn mit seiner physischen und der menschlichen Umgebung verbunden. Wie wichtig eine angemessene Versorgung mit Berührung für die weitere Entwicklung ist, zeigt eine Studie an Frühgeborenen. Ein Teil von diesen wurden gewissermaßen mit Berührung vollversorgt (Känguru-Care), eine Kontrollgruppe wurde standardmäßig versorgt. Bereits nach sechs Monaten wird offensichtlich, dass sich die vollversorgten Kinder messbar besser entwickeln. Das nahm bis zum zweiten Lebensjahr sogar noch zu und war sogar noch zehn Jahre später feststellbar.

Zum Aspekt der Abgrenzung, der eben in der Kindheit ganz wesentlich über den Tastsinn entwickelt wird, gesellt sich auch der Aspekt der Grenzauflösung im verschmelzenden Kontakt. Dies kann bei der Kinderversorgung eine Rolle spielen und natürlich in der Intimität.

Berührung im bildgebenden Verfahren

Wir erfahren nun, wie die Berührung neurowissenschaftlich erforscht wird. Zur Anwendung kommen natürlich die bildgebenden Verfahren und damit werden die Selbstberührung, die Berührung durch ein Objekt und die durch einen vertrauten Menschen miteinander verglichen. Das Ergebnis überrascht wenig, wer oder was berührt macht einen Unterschied, der auch neurologisch feststellbar ist.

Weiter hat sich gezeigt, dass es eine spezielle Sinnesfaser gibt, die bei langsamem Streicheln (3cm/sec) und einer Temperatur von 32°C maximal feuert und das fühlt sich für die Gestreichelten angenehm an. Die Temperatur ist ziemlich genau die von Fingerspitzen und in dieser Geschwindigkeit streicheln nahezu alle Menschen intuitiv ihre Lieben.

Berührung und reflexives Selbst

Hat nun die Berührungserfahrung, v.a. die Berührung durch andere einen Einfluss auf das kognitive Selbst? Hier gibt es Hinweise, dass Menschen, bei denen sich ein deutlicherer Unterschied zwischen Selbst- und Fremdberührung gezeigt hat, über ein tendenziell besser ausgeprägtes Selbstkonzept verfügen.

Einen kausalen Hinweis gibt es dazu auch. Dazu wurden Experimente mit Ketamin gemacht (eine Droge, die Dissoziationen/Grenzauflösung fördert). Dabei stellte sich heraus, dass das leibliche Selbst mit der Selbst-Anderer Unterscheidung auf kognitiver Ebene eng verwoben ist.

Die soziale Funktion der Berührung

Dass Berührung eine soziale Dimension hat, erkennen wir schon, wenn wir unsere Primatenverwandten beobachten. Diese verbringen einen großen Teil ihrer Zeit damit, sich gegenseitig zu lausen. Die Gesetzmäßigkeit dazu lautet, dass je größer die Gruppe, desto mehr Zeit mit Lausen verbracht wird.

Es lässt sich auch beobachten, dass es so etwas wie bevorzugte Lausparnter gibt, die sich in stressigen Situationen dann auch besonders effektiv durch Lausen wieder entspannen können.

Auch beim Menschen lässt sich so ein Effekt nachweisen. Drei Gruppen von Proband*innen wurden einer stressigen Aufgabe ausgesetzt. Die erste Gruppe bestand aus Solisten, die zweite hatte aufmunternden Zuspruch von Freunden erhalten und die dritte wurde vor der Aufgabe herzlich umarmt. Das Ergebnis des Versuchs war, dass die letzte Gruppe der Umarmten am wenigsten Stress entwickelte und sich auch am schnellsten wieder erholte.

Einvernehmliche Berührungen unter Menschen, die sich mögen befördern nachweisliche das Wohlbefinden und die Widerstandskraft.

Kommunikation durch Berührung

Hier wurde ein Setting gewählt, in dem ein Mensch von einem anderen berührt wurde, ohne diesen Menschen zu sehen. Der berührende Mensch bekommt Anweisungen, welches Gefühl er durch die Berührung übermitteln soll. Der Berührte sollte dann sagen, was er empfing. Es wurden gute Ergebnisse für Aufmerksamkeit, Liebe, Glück und Beruhigung erzielt. Bei Traurigkeit und Dankbarkeit klappte es nicht ganz so gut.

Wenn nun aber noch Mimik und Gestik zur Berührung hinzukommen werden die Übertragungserfolge deutlich zahlreicher. Ein interessanter Effekt ist, dass sog. sekundäre Gefühle (soziale Gefühle) wie Scham, Stolz, Schuld, Verlegenheit eher über die Körperhaltung und Gestik übermittelt werden, wohingegen die sog.  primären Gefühle (kategoriale Gefühle) wie Ärger, Ekel, Furcht, Freude und Trauer über die Mimik ausgedrückt werden. Liebe und Sympathie jedoch werden vor allem durch Berührung mitgeteilt.

Corona und Berührung

Die Zeit der Seuche war eine Belastungsprobe für die Gesellschaften und die Menschen. Ein Grund dafür war sicher, dass Berührungsinterkationen stark zurückgegangen sind. Natürlich wurde auch dieser Bereich erforscht. Man könnte sagen, dass erwartungsgemäß eine hohe Korrelation besteht, wenn Menschen berichten, dass sie weniger berührt worden sind/berührt haben und sich häufiger traurig oder einsam gefühlt haben.

Bedenkt man, dass gerade Sympathie und Zuneigung durch Berührung übermittelt werden, scheint es höchste Zeit zu sein, die Umgangsformen wieder körperlicher zuzulassen.

Berührung in der Zukunft

Aus der Not hat sich eine Geschäftsidee entwickelt, das „Hugshirt“. Das ist ein High-Tech T-Shirt, das über verschiedene Komponenten verfügt, die eine Berührung/Umarmung simulieren können. Mithilfe einer App kann ich nun einem T-Shirt Träger irgendwo auf der Welt eine Umarmung schicken (hoffentlich mit Ankündigung).

Diese Idee leitet über zum Zusammenhang von leiblicher Erfahrung und kognitiver Verarbeitung (Top Down und Bottom Up). Im Erleben fließen beide Aspekte mit ein. Berührt werden und berühren ist auch immer ein berührt werden/berühren von und das auch noch in einem Kontext. Leibphänomenologisch ausgedrückt geht es also um die Stimmigkeit.

Schlussfolgerungen

Frau Böhme plädiert dafür, dass wir gesellschaftlich den leiblich sensorischen Weltbezug schon ganz früh fördern müssten. Dadurch werden wir uns besser spüren zu können. Denn, so Frau Böhme, Berührung ist das ganze Leben lang sehr wichtig, auch und gerade im höheren Alter.

Hier geht es zu dem sehr informativen Vortrag

Die Psychosomatik erkundet leibliche Präsenz

Empathie zwischen Körpern

Bericht vom 06.12.22 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Prof. Dr. Dr. Thomas Fuchs, Leiter der Sektion „Phänomenologische Psychopathologie und Psychotherapie“ der Klinik für Allgemeine Psychiatrie des Universitätsklinikums Heidelberg. Sein Vortrag trägt den Titel: Leibliche Präsenz und Virtualität

Einleitung

Thomas Fuchs erzählt zur Einführung von dem Science-Fiction Roman „The machine stopps“, in dem eine Menschheit beschrieben wird, wie sie in dem Film „Matrix“ dann gezeigt wurde. Die Menschen leben völlig voneinander isoliert in künstlichen Blasen – ihre gesamte Wahrnehmung ist virtuell vermittelt. Als die Maschine kaputtgeht sterben die Menschen, denn sie haben verlernt, selbst etwas zu tun.

Virtualität sei ein zentrales Thema des 21ten Jahrhunderts, so Herr Fuchs und sie breite sich ja auch immer weiter aus. Kaum ein Arbeitsplatz, der nicht davon betroffen ist. Das Virtuelle durchdringt mehr und mehr die gesamte Lebenswelt.

Neurokonstruktivismus

Dazu passt auch der sog. Neurokonstruktivismus. In dieser Anschauung wird die Welt selbst zum Konstrukt. Die Menschen haben dieser Sichtweise nach nur einen Ego-Tunnel oder leben in einer Art Kopf-Kino – es gibt keinen echten Zugang zur Welt. So schreibt der Neurophilosoph Thomas Metzinger: „Unser Gehirn erzeugt eine Simulation der Welt, die so perfekt ist, dass wir sie nicht als ein Bild in unserem eigenen Geist erkennen können […] Wir stehen also nicht in direktem Kontakt mit der äußeren Wirklichkeit oder mit uns selbst. Wir leben unser bewusstes Leben im Ego-Tunnel.“

Neurokonstruktivismus und der Andere

Auch der Weg zum Mitmenschen ist uns verstellt. Wir brauchen eine Theory of Mind, eine Art Simulation oder Mind-Reading, um uns ein Modell des anderen Menschen herzustellen.

Neurokonstruktivismus und Virtualität

In der Anschauung des Neurokonstruktivismus verschwimmt und verschwindet der Unterschied zwischen Bild und Original bzw. gibt es am Ende nur noch Bilder und die Welt droht zu verschwinden. Es entsteht so etwas wie eine „Kultur der Simulation“.

Welche Auswirkungen hat das auf die Fähigkeit der Empathie? Empathie kann auch ins Fiktive und Illusionäre übergreifen, denn wir sind empathisch verbunden mit unseren Fantasien und Vorstellungen. Je weiter die Empathie sich jedoch von der leiblichen Erfahrung des anderen abkoppelt, desto mehr erfasst sie nur noch sein Bild, einen Schein.

Überblick

Stufen der Empathie

Empathie und Virtualität

Virtualisierung der Lebenswelt

Stufen der Empathie

Seit der Einführung des Begriffs Ende des 19ten Jahrhunderts, gibt es Versuche, die Empathie zu definieren. Dazu wurde die „Theory of Mind“ herangezogen und eine Simulationstheorie entwickelt, aber Herr Fuchs möchte lieber auf die „Theorie der direkten sozialen Wahrnehmung“, auch „Theorie der leiblichen Kommunikation“ genannt, zurückgreifen.

Aus diesem Verständnis ergeben sich die drei Stufen von Empathie:

  • die „primäre, verkörperte Empathie“
  • die „sekundäre kognitive Empathie“
  • die„fiktionale oder projektive Empathie“

primäre Empathie

Wenn wir uns einem wütenden Menschen gegenübersehen, wird uns dessen Zustand sofort bewusst. Ein Philosoph der Philosophischen Anthropologie, Max Scheler schrieb dazu: „Wir nehmen im Lächeln des anderen unmittelbar die Freude, in seinen Tränen das Leid, in seinem Erröten, die Scham wahr.“ Menschen erkennen einander als physio-psychische Wesen an.

Aber wie kann das geschehen, ohne Simulation bzw. Konstruktion? Indem wir leiblich-körperlich in Resonanz kommen. Wir spüren den jeweils anderen am eigenen Leib, sein emotionaler Ausdruck berührt und bewegt uns, so dass wir leiblich antworten und damit in eine leiblich-affektive Kommunikation einsteigen.

sekundäre Empathie

Dieses einfühlende Verstehen können wir nun auch noch ausweiten, indem wir uns vorzustellen versuchen, weshalb der andere in so einem Zustand ist. Wir vollziehen eine Perspektivübernahme, an der auch ein imaginärer Anteil mitspielt – eine Als-Ob Position.

fiktionale Empathie

Von der impliziten zur expliziten Empathie ist es nur noch ein weiterer Schritt zur fiktionalen Empathie, wenn wir z.B. mit unseren Lieblingshelden in Büchern oder Filmen mitfiebern. Es ist sogar möglich, Empathie für völlig abstrakte geometrische Figuren zu entwickeln, wenn diese eine kleine Geschichte darstellen, die Anlass zu Gefühlen gibt.

Die Als-Ob Spiele sind ihrerseits eine Art Quelle der menschlichen Kultur. Sie ermöglichen uns Rollenspiele, ein Fantasiebewusstsein u.v.m.

Wenn die Fähigkeit zum Als-Ob verloren geht, wir also den Schein nicht mehr vom Original unterscheiden können, werden sich vermutlich Schwierigkeiten einstellen. Der Film „Her“, in dem sich ein Mann in ein Computerprogramm verliebt, dient Herrn Fuchs als Beispiel für dieses Phänomen.

Das hat durchaus Relevanz für die Psychotherapie, denn es gibt bereits einige Programme, die den/die Therapeut*in ersetzen sollen. Eine Studie dazu hat ergeben, dass die Nutzer*innen, obwohl sie wussten, dass sie es mit einer KI zu tun hatten, das Gefühl entwickelten, von ihrer KI verstanden und sogar gemocht zu werden. Herr Fuchs nennt dieses Phänomen: „Digitalen Animismus“.

Zwischen Resümee: Polarität der Empathie

Empathie weist also verschiedene Grade an Körperlichkeit auf – von der zwischenleiblichen zur kognitiven zur fiktionalen Empathie als ein Prozess von zunehmender Immersion (eintauchen in fiktive Welten).

In der leiblichen Kommunikation sind wir immer wieder mit der Widerständigkeit des anderen konfrontiert – Phasen von Resonanz wechseln mit solchen von Dissonanz. Das führt den Vortragenden zur:

Zusammenfassung: Polarität der Empathie

Dazu hören wir zwei Zitate von Emanuel Levinas (Philosoph):

„Intersubjektive Erfahrung beruht darauf, dass das Gesicht des Anderen immer ein Moment des Fremden und unverfügbaren enthält.“

Und:

„Personen werden füreinander wirklich, insofern sie sich gegenseitig als Wesen erkennen, die immer jenseits dessen bleiben, als was sie sich zeigen.“

Diese Art von Begegnung kann sich fiktional fantastisch ausschmücken. Je ferner wir dem Leib des anderen sind, desto mehr blühen die Projektionen.

Virtualisierung der Lebenswelt

Die Tendenz zur Virtualisierung entkoppelt die Menschen von ihrer unmittelbar zwischenleiblichen Erfahrung und führt im Weiteren zu einem gewissen „Disembodiment“. Dafür hat Philosoph Günter Anders bereits den Begriff der Phantomisierung entwickelt. Er meinte damit die Tendenz zur Aufhebung der Differenz von Sein und Schein.

Phantomisierung

Phantomisierung bedeutet auch, dass die Bilder Massenmedien uns die Realität vorspiegeln. In den Worten von Anders: „Die Welt unter ihrem Bild zum Verschwinden bringen.“ Die Welt wird von Simulacren bewohnt, Phantome, die Realität vorspiegeln, so tun, als seien sie genau in diesem Moment präsent.

Damit verschwindet auch der Als-Ob Charakter des Bildes und begünstigt so, dass die Realität mehr und mehr in Vergessenheit gerät. Auch hier hat Anders einen schönen Begriff: „Medialer Idealismus“ Die Welt als Schauspiel – ähnlich dem Neurokonstruktivismus.

Die Technik schaffte es nun sogar, dass wir körperlich mit den Maschinen interagieren z. B. am Touch Screen. Diese Interaktionen im Cyberspace im Metaversum führt zu einer „Einleibung“ des virtuellen Raums. Dort, in der virtuellen Realität, gibt es keine Widerstände oder allenfalls solche, die zu überwinden sind – die Möglichkeiten sind grenzenlos. Der widerständige Körper aus Fleisch und Blut wird verdrängt zugunsten eines rein funktionalen Körpers, der an eine virtuelle Maschine angeschlossen ist.

Entkörperung der Kommunikation

Auch das Kommunikationsverhalten erfährt eine tiefgreifende Wandlung. Immer mehr Menschen leben in virtuellen Blasen und pflegen dort eine Scheinpräsenz, in der sie anderen Scheinpräsenzen begegnen. Andere werden zu Schnittstellen ohne leibliche Verankerung, ohne zwischenleibliche Resonanz. Die Kontakte werden zahlreicher aber qualitativ ärmer, denn bei diesen Treffen kommt es eher zu Projektionen, als zu interaffektiven Begegnungen.

Die Soziologin Eva Illouz schreibt dazu:

„Fiktionale Emotionen können denselben kognitiven Inhalt haben wie reale Emotionen, aber sie sind selbstreferentielle: das heißt, sie beziehen sich zurück auf das Selbst und sind nicht Teil einer laufenden und dynamischen Interaktion mit einem anderen.“

Und:

„Der imaginative Stil, der sich in und durch Internet-Kontaktbörsen bildet, [muss] vor dem Hintergrund einer Technologie verstanden werden, die Begegnungen entkörperlicht und textualisiert […] Die so hergestellte Intimität beruht auf keiner Erfahrung und ist nicht körperlich grundiert.“

Im Online-Dating gehen die kleinen Schritte der allmählichen Annäherung verloren. Es entsteht so etwas wie eine  Pseudo-Intimität, wobei der jeweils Andere überwiegend eine Projektionsfläche darstellt.

Günter Anders hat diese Entwicklung auf den Begriff des „Masseneremiten“ gebracht. Dieser möchte der Welt nicht entsagen, sondern ja keinen Brocken der Welt versäumen.

Resümee

Was also bringen diese Entwicklungen mit sich? Eine Annahme ist, dass sich die zwischenmenschlichen Beziehungen verändern werden, denn:

„Wenn so viel Zeit mit online- statt mit realen Interaktionen verbracht wird, könnte sich eine interpersonelle Dynamik wie die Empathie sicher verändern. So ist es womöglich leichter, Freundschaften und Beziehungen online zu etablieren, doch diese Fähigkeiten werden sich nicht in reibungslose soziale Beziehungen im wirklichen Leben übertragen lassen.“

Studien, welche die Veränderungen durch die Virtualität erforschen, kommen zu dem beunruhigenden Ergebnis, dass innerhalb weniger Jahre die Empathiefähigkeit junger Menschen teilweise erheblich (bis zu 40%) abgenommen hat.

Der Konstruktivismus ist eine Perspektive, die genau zu dieser Zeit passt. Er entspricht einer Kulturentwicklung, in der sich die Unterscheidungen zwischen Bild und Original, Schein und Sein, Virtualität und Realität zunehmend nivellieren.

Die Korrektur von Illusionen und Projektionen kann nur durch die aktive Auseinandersetzung mit der Welt und durch die Begegnung mit anderen erfolgen. Das letzte Kriterium für die Wirklichkeit ist der Widerstand und das Widerfahrnis: das, was uns zustößt, was wir nicht berechnen können.

Die Gegenwart überflutet uns mit Bildern und diese sind im besonderen Maße geeignet, unsere Imagination anzufachen. Gleichzeitig hypnotisieren sie uns und überrumpeln sie unsere Wahrnehmung.

Herr Fuchs plädiert dafür, dass wir lernen sollen, diese Flut einzudämmen und stattdessen wieder zu sinnlichen Erfahrungen und leiblich gegenwärtigen Begegnungen zurückfinden.

Martin Buber war der Ansicht, dass alles wirklich menschliche Leben, Begegnung sei. Herr Fuchs bringt das auf die folgende Schlussformel:

Nur der andere ist ein Sein jenseits des bloßen ‚für mich‘, jenseits des medialen Idealismus oder der neurokonstruktivistischen Innenwelt, aus der wir nie hinausgelangen.

Einzig der andere befreit mich auch aus dem Käfig meiner Vorstellungen und Projektionen, in dem ich immer nur mir selbst begegne.

Ausschließlich wenn andere für uns in konkreter Begegnung wirklich werden, werden wir auch uns selbst wirklich.

Hier geht es zum Vortrag

Die Psychosomatik erkundet Psychotherapie

Das Dodo Theorem behauptet die Gleichwirksamkeit aller Psychotherapien

Bericht vom 28.06.22 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Prof. Dr. Bernhard Strauß, Direktor des Instituts für Psychosoziale Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie des Universitätsklinikums Jena. Sein Vortrag trägt den Titel: Die Zukunft der Psychotherapie

Herr Strauß präsentiert zur Auflockerung zwei Zitate von seinem Landsmann Karl Valentin: „Die Zukunft war früher auch besser.“ Und: „Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn es sich um die Zukunft dreht.“ Der möchte damit deutlich machen, dass der forsch formulierte Titel dieses Vortrags nicht  zu wörtlich genommen wird. Nun erfahren wir die Gliederung:

  • Die große Psychotherapiedebatte
  • „Core Knowledge“
  • Verfahrensbezogene Hindernisse
  • Zukunft

Die große Psychotherapiedebatte

Diese Überschrift entspricht einem Buchtitel, der zuerst in englischer Sprache erschienen ist und inzwischen auch auf Deutsch vorliegt. Die folgenden Erkenntnisse sind wesentlich diesem Buch entnommen.

Was wir sicher wissen

  • Psychotherapie ist (relativ) wirksam – relativ bezieht sich v.a. auf die hohen Rückfallquoten
  • Psychotherapie ist in der Praxis ähnlich (relativ) wirksam wie Psychotherapie in randomisierten Doppelblindstudien
  • Veränderungsprozesse dauern unterschiedlich lange
  • Therapeuten unterscheiden sich deutlich in ihrer Effektivität

Was wir ziemlich sicher wissen

  • Kontextuelle Faktoren wie Allianz, Empathie, Erwartungen, Aufklärung über die Störung etc. hängen deutlich mit dem Therapieergebnis zusammen.
  • Grafik blaue Schrift = Kontextuelle Faktoren

Was wie einigermaßen sicher wissen

  • Therapeuten werden mit zunehmenden Erfahrungen nicht besser
  • Strukturierte/fokussierte Behandlungen sind wirksamer
  • Spezifische Techniken haben einen geringen Einfluss

Worüber wir noch spekulieren

Ist die kognitive Verhaltenstherapie besser als andere (ein alter Streitpunkt). Wenn, dann nur bezogen auf „target symptoms“. Ansonsten gibt es keine wesentlichen Unterschiede bzgl. Lebensqualität, Wohlbefinden oder Funktionsniveau. Zu beachten ist der sog. Allegiance Effekt – Forscher bevorzugen „ihre“ Methode in der Beurteilung.

Core Knowledge

Was also macht den Kern des Wissens über Psychotherapie aus? Das ist nicht einfach festzustellen, denn der Diskurs der Therapieschulen ist schwierig. Das liegt zum einen daran, dass Theoretiker der verschiedenen Schulen ihre Konstrukte ungern aufgeben oder relativieren wollen. Zum anderen sind Psychotherapieverfahren auch Institutionen, die sich nur sehr schwerfällig verändern lassen.

Andere Hintergründe dieses Problems sind:

  • Lücken zwischen Forschung und Praxis
  • Unterschiedliche theoretische Ansätze zum Verständnis von Psychotherapie
  • Sprachbarrieren (z.B. zwischen Tiefenpsychologen und Verhaltenstherapeuten)
  • Wandel in der Forschungsmethodologie
  • Die Wirksamkeit vermeintlich neuer Befunde
  • Spielregeln der Wissenschaft

Diesen letzten Aspekt verdeutlicht der Vortragende mit zwei Zitaten über Wissenschaft: 1942 beanspruchte Wissenschaft noch Universalismus, Kommunalität, Disinterestedness und Organisierter Skeptizismus.

1974 liest sich die Liste so: Partikularismus, Solitarismus, Interestedness und Organisierter Dogmatismus.

Letztlich sind auch Wissenschaftler nur Menschen, die sich auch so sehen können: „Eine Karriere wird gemacht, indem Geschichte gemacht wird.“ Womit der Autor seinen Ehrgeiz öffentlich macht.

Warum aber gibt es überhaupt Konflikte in der Psychotherapie und der Psychotherapieforschung. Es sind Konflikte zwischen Vertretern einzelner Verfahren; zwischen Wissenschaft und Praxis; zwischen traditionellen Verfahren und neuen Entwicklungen.

Der Lösungsvorschlag geht dahin, dass es eine Konsenstheorie der Psychotherapie braucht. Dass Identitäten als Psychotherapeut*innen wichtiger sind als Identitäten als Vertreter*innen von Schulen.

Unter der Forschergemeinde gibt es einige Vertreter, die einen solchen Konsens befürworten. Allerdings wird auch beklagt, dass die Datenlage nach wie vor höchst bescheiden ist. Um die komplexen Veränderungsprozesse auch nur annähernd valide erforschen zu können, bräuchte es sehr viel größere Stichproben, als sie im Moment vorhanden sind. Betrachtet man dann Modelle von Veränderungen, findet man verschieden Faktoren, die jeweils für sich und im Zusammenwirken mit den anderen gemessen werden müssten.

Z.B. der Moderator der erfasst für wen und unter welchen Umständen etwas hilfreich ist. Dann der Mechanismus, der erklären kann, wie eine Intervention ihre Wirkung entfaltet sowie den Mediator, der die Veränderungen statistisch und kausal messen und erklären kann. Hypothetische Mediatoren wären z.B.

Wir erfahren nun noch etwas über „Evidenzbasierte Beziehungsfaktoren, Behandlungen und individuelle Patientenmerkmale“ – ein Buch aus einer sehr intensiven Forschungsarbeit der Autoren Norcross und Lambert. Es ist eines der wenigen evidenzbasierten Werke.

Es gibt einen Vorschlag für eine Konsens-Theorie, die für alle Psychotherapieverfahren Gültigkeit haben könnte:

  • Die Unterstützung einer positiven Therapieerwartung und die Motivation, dass Psychotherapie helfen kann
  • Möglichst eine optimale Therapeut-Klient Beziehung etablieren
  • Das Bewusstsein der Patienten für die Faktoren sensibilisieren, die mit Schwierigkeiten verbunden sein können
  • Die Ermunterung, sich für korrigierenden Erfahrungen zu öffnen
  • Die Ermunterung, sich fortlaufend Realitätsprüfungen auszusetzen

Verfahrensbezug als Hindernis

Herr Strauß leitet diesen Teil mit einem Zitat von Sigmund Freud ein. Freud schreibt in „Das Unbehagen in der Kultur“ davon, dass es einen Narzissmus der kleinen Unterschiede gebe. Dieser biete eine bequeme und relativ harmlose Möglichkeit, seine Aggressionsneigung zu befriedigen. Freud sah es als anthropologisch gegeben an, dass diese kleinen missgünstigen Gefechte in jeder Gemeinschaft ausgetragen werden.

So war ein Pionier der PT-Forschung, Klaus Grawe, auch heftiger Kritik ausgesetzt, als er seinem Buch den Untertitel „Von der Konfession zur Profession“ gegeben hatte (Titel: Psychotherapie im Wandel).

Ein amerikanischer (radikaler) Behaviorist (Rachlin) wurde zum Thema der Agoraphobie interviewt. Das Interview wurde dann in die Alltagssprache übertragen (ohne Fachtermini) und Menschen vorgelesen, die daraufhin raten sollten, aus welcher Therapierrichtung der Interviewte wohl stamme. Die meisten tippten darauf, dass es sich um eine psychodynamische Therapierichtung handeln müsse.

Der Verfahrensbezug in der Therapielandschaft ist historische entstanden und nun sehr ausdifferenziert. Jedes Verfahren bietet ein übergeordnetes Rahmenmodell mit besten Identifikationsmöglichkeiten. Es stellt Richtlinien bereit, Fachverbände, verfahrensbezogene Fortbildung und nimmt Einfluss auf die Gesetzgebung.

Versuche, die Verfahrensgrenzen zu überwinden, stoßen häufig auf harschen Widerstand. So z. B. ein Modell psychogener Störungen

Tatsächlich macht die Verfahrensorientierung auch zahlreiche Probleme

  • Hohe (über)Identifikation mit der Therapieschule; hohe Investitionskosten (zeitlich, finanziell), die zu kognitiver Dissonanz führen würden, würde man diesen Einsatz hinterfragen
  • Selbstschützende und therapieformschützende Bewertungen; Täuschungen und Placebo-Effekte, selektive Wahrnehmung und Interpretation von Ergebnissen
  • Orientierung an Gurus und Meinungsführern anstatt wissenschaftlich-kritischer Auseinandersetzung
  • Ingroup-Outgroup Dynamiken
  • Destruktive Prozess innerhalb der Profession, Ferne vom Versorgungsbedarf
  • Tendenziöse und selektive PT-Forschung
  • Behinderung von dynamischer Weiterentwicklung

Psychotherapeut*innen scheinen bemerkenswert blind für die Psychotherapieforschung zu sein. Sie stehen häufig auf dem Standpunkt, dass Forschung instrumentell nutzlos sei, nicht informativ und nicht inspirierend. Dabei ergibt die Forschung, dass Psychotherapeut*innen

Zukunft

Für die Zukunft der Psychotherapie fordert Herr Strauß die systematische Einbeziehung der Patientenperspektive zur Qualitätssicherung psychotherapeutischer Behandlungen hinsichtlich des Therapieverlaufs, der therapeutischen Beziehung und der unerwünschten Wirkungen. Außerdem möge doch bitte mehr Forschung im Praxisalltag stattfinden.

Es gibt inzwischen auch Vorschläge, wie mit Beziehungskrisen in der Therapie umgegangen werden kann. Die Interventionen sind metakommunikativ, thematisieren also die Qualität und den Inhalt der Kommunikation. Der Fokus kann dabei mehr auf dem Patienten, mehr auf dem Therapeuten oder mehr auf dem interpersonalen Feld liegen.

Fokus auf Patientenperspektive: „Was fühlen Sie gerade?“ oder: „Sie wirken etwas gereizt auf mich.“ …

Fokus auf interpersonales Feld: „Was passiert gerade zwischen uns?“ oder: „Wir scheinen eine Art Tanz auszuführen.“ …

Fokus auf Therapeutenperspektive: „Haben Sie eine Idee, was gerade in mir vorgeht?“ oder: „Was könnte mein Beitrag dazu sein, weswegen es hier gerade stockt?“ …

Ein weiteres, sehr lebendiges Forschungsfeld ist die „Nonverbale Synchronisation“. Diese können mit Filmaufnahmen, die dann von einer speziellen Software bearbeitet wird sehr spannende Einblicke ins therapeutische Geschehen vermitteln. Es geht dabei um Sequenzen, die einen hohen Grad an interpersoneller Koordination des nonverbalen Verhaltens zeigen. Z.B. die Spiegelung von Körperhaltungen, gleichzeitige Bewegungen, Imitation von Mimik … Treten diese Phänomene auf, sind sie mit prosozialem Verhalten korreliert.

Die Auswertung ergibt, dass bei erhöhter Synchronie die Patienten insgesamt zufriedener sind, mehr Empathie empfinden, auch die Bindung positiver einschätzen und der Therapieerfolg eher gewährleistet ist.

Unerwünschte Wirkungen

Was natürlich kein Therapeut und keine Therapeutin anstrebt sind negative Wirkungen der Psychotherapie. Trotzdem gibt es dieses Phänomen, dass sich Symptome verschlimmern, sogar die Lebens- und Funktionsbereich in Mitleidenschaft gezogen werden und mitunter sogar zu anhaltend negative Effekten führen kann. Es gibt inzwischen eine Klassifikation unerwünschter Ereignisse.

Herr Strauß wünscht sich, dass die Ergebnisse der PT-Forschung mehr Verwendung in der Praxis finden. So sollte sich z.B. das Psychotherapieangebot mehr an den Bedürfnissen der Betroffenen orientieren.

Er plädiert auch für eine neue Vielfalt der PT-Methoden, die eine individualisierte und personalisierte PT ermöglichen könnte. Psychotherapie könnte modular erlernt werden, mehr auf die Erwartungen fokussieren und mehr auf die Kompetenzen der Therapeut*innen.

Eine wissenschaftlich fundierte Psychotherapie Aus- und Weiterbildung würde:

Eine fundierte Kenntnis der wichtigen therapeutischen Theorien und Ideen vermitteln, vom Setting abhängige und störungsabhängige Zugänge vermitteln; es wäre möglich, die Therapie zu personalisieren und Veränderungsprinzipien zum Einsatz bringen. Außerdem sollten die persönlichen Kompetenzen der Therapeut*innen in den für die Therapie relevanten Bereichen besonders gefördert werden.

Zum Schluss bekommen wir noch eine Schlussfolgerung. Forschung und Praxis schauen von unterschiedlichen Standpunkten auf die Psychotherapie. Da wo ihre Erkenntnisse einander ähnlich werden, könnten womöglich die Kerngewissheiten gefunden werden.

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Die Psychosomatik erkundet „Resonanz und Natur“

in Resonanz mit der Natur

„Mensch und Natur in Resonanz: Umweltzerstörung und menschliche Gesundheit“ Bericht vom Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg, Vortrag von: Joachim Bauer, Univ. Prof. Dr. med. (Berlin), Emeritus Univ. Freiburg; Gastprofessor Intern. Psychoanalytic University IPU Berlin

Herr Bauer ist nur virtuell zurück an seiner alten Wirkungsstätte – er drückt die Hoffnung aus, im nächsten Semester wieder leiblich im Audimax anwesend sein zu können. Wir erfahren in der Einführung, dass er wieder einmal dabei ist, ein neues Buch zu schreiben. Was wir heute hören werden, ist aus dem Inhalt dieses neuen Werks. Es geht um Resonanz, um die Frage, ob es eine Resonanz zwischen Mensch und Natur geben kann, sowie darum, was zu tun ist, um die gestörte Resonanz zwischen Mensch und Natur wiederherzustellen.

Resonanz

Zunächst erläutert Herr Bauer kurz den Begriff der Resonanz. Das physikalische Phänomen ist wohlbekannt – man nehme zwei Gitarren, stimme sie gleich und zupfe nun an der einen Gitarre kräftig eine Saite. Dann klemmt man diese Saite ab und lausche an der anderen Gitarre an der entsprechenden Saite und kann dort ihre Schwingung hören. Im Gegensatz zum Echo sind bei der Resonanz immer zwei Seiten beteiligt. Eine Seite überträgt den Schall auf die andere.
Nun kommt er zum entsprechenden Phänomen beim Menschen. Hier findet so etwas wie eine Gefühlsübertragung statt bzw. kann sie stattfinden. Diese lässt sich auf zwei Wegen darstellen. Zum einen gibt es das System der Spiegelneuronen, die uns wissen lassen, wie sich eine bestimmte Körperhaltung anfühlt. Es ist gewissermaßen eine Intuition, die sich durch Körpersprache vermittelt. Zusätzlich können wir über den anderen Menschen reflektieren. Dies geschieht durch das neuronale „Selbstsystem“, ein Nervengeflecht, das sich hinter der Stirn befindet. In ihm sind alle biografischen Informationen, die mit uns selbst zu tun haben, mit den Informationen, die wir von anderen über uns Selbst erhalten haben, verknüpft.
Diese Organisation ermöglicht es uns, andere Menschen empathisch wahrnehmen zu können. Menschen sind offensichtlich darauf angewiesen, wahrgenommen zu werden, in Resonanz miteinander zu kommen. Resonanzverlust, wie es z.B. in einer Mobbing Situation der Fall ist, ist sehr schwerwiegend für die Betroffenen.
Dies ist auch ein Aspekt der aktuellen Corona Situation. Nicht nur, dass wir von einem fiesen Virus bedroht werden, sondern auch noch, dass wir zur Virusabwehr Kontakte herunterfahren müssen. Beides kann als sehr belastend erlebt werden. Der Vortragende vermutet, dass Corona auch dem Resonanzverlust mit der Natur geschuldet ist – das Schrumpfen von natürlichen Lebensräumen führt zu mehr Nähe zwischen Tieren und Menschen und erhöht so die Gefahr, das Erreger die Gattungsgrenzen überwinden können.

Gibt es eine Resonanz zwischen Mensch und Natur?

Herr Bauer hat wie immer zahlreiche Studien recherchiert, damit er solide Auskünfte geben kann. Und tatsächlich gibt es zahlreiche Forschungsergebnisse zu der gestellten Frage. Zunächst einmal von der Seite des Menschen her – können Menschen sich resonant auf die Natur bzw. auf Tiere oder gar Pflanzen einlassen? Ja sie können es, hat eine dieser Studien herausgefunden. Die Intensität, mit der das möglich ist, hängt vom Abstand der evolutionären Entwicklung ab. Primaten, die uns in dieser Entwicklung sehr nahestehen, können meist gut resonant wahrgenommen werden. Tiere, die weiter entfernt sind, z.B. Hunde, Igel oder Seesterne schon weniger. Und, es ist sogar möglich, mit Pflanzen in Resonanz zu gehen – wer stand noch nie staunend und ehrfürchtig vor einem alten Baum?
Ein Lieblingsautor von Joachim Bauer ist Charles Darwin. Der schrieb 1871 folgenden bemerkenswerten Satz: „Empathie, über die Grenzen der menschlichen Spezies hinaus, d.h. Menschlichkeit gegenüber niederen Lebewesen, ist eine der edelsten Tugenden, mit der Menschen ausgestattet sind.“

Resonanz mit der ganzen Natur?

Auch zur Frage, ob es möglich ist, mit der Natur in ihrer Ganzheit in Resonanz zu gehen, gibt es Forschungsergebnisse. Dort wurden Menschen zu ihren Erfahrungen in der Natur befragt und es wurde von einem sog. „AW“ (ich bin mir nicht sicher, ob man das so schreibt) Effekt berichtet. Es ist der Ausdruck von Staunen und Ehrfurcht, die wir empfinden, wenn wir durch eindrückliche Naturlandschaften wandeln – eine Schlucht, ein Gebirge, eine weite Landschaft. Dieses Staunen kann man als Resonanz verstehen.

Resonanz von Lebewesen mit Menschen

Aber kann auch die Natur mit dem Menschen in Resonanz gehen? Diese Frage sei wesentlich schwieriger zu beantworten, stellt Herr Bauer voran. Es gibt dazu Forschungen mit Delfinen, die diese Frage bejahen und Herr Bauer steuert noch ein persönliches Erlebnis dazu bei. Ein anderer bekannter Bereich von Resonanz, die von Tieren gezeigt wird, wären Therapiehunde, die sehr feinfühlig den emotionalen Zustand ihrer Klient*innen wahrnehmen und beantworten.

Resonanz der Gesamtnatur mit Menschen

Aber wie ist es mit der Natur in ihrer Gesamtheit. Das ist problematisch, denn die Natur ist nicht zentral von einem Akteur organisiert, sie besitzt keine Selbstreferenz, sondern ist ein Netzwerk von Systemen, die durch Hierarchien, Rückkoppelungsschleifen, Rhythmen und Polaritäten (selbst)organisiert ist. Auch der Mensch ist ein Kind der Natur – seit etwa 200.000 Jahren in der heutigen Gestalt, und mit diesen Fähigkeiten lebte er überwiegend im Jäger- und Sammlermodus. Doch dann wurden Menschen vor etwa 12.000 Jahren sesshaft und die Landwirtschaft begann ihren Siegeszug.
Neben allen Verdiensten, die dieser zivilisatorische Prozess erbracht hat, machen sich heutzutage auch seine Lasten bemerkbar. Die Resonanz zur Natur entwickelt sich mehr und mehr zur Dissonanz. Der Mensch entfremdet sich zunehmend von der Natur. In seinem unermüdlichen Arbeitseinsatz für seinen Lebensunterhalt vergisst er, dass es letztlich die Natur ist, die uns die Erträge schenkt – die Arbeit alleine kann es nicht richten.
Heute leben wir im Zeitalter der „großen Beschleunigung“ – exponentielles Wachstum von Waldverlust, Verlust von Trinkwasser, verschmutzter Luft, vermehrtem Kohlendioxid in der Luft …

Was können wir zur Wiederherstellung der Resonanz tun?

Herr Bauer schickt voraus, dass er uns nicht mit erhobenem Zeigefinger belehren will. Viel mehr möchte er uns inspirieren, indem er uns die positiven Potenziale eines anderen Lebensstils aufzeigt. Dazu nutzt er wieder eine ganze Reihe von Studien, die teilweise in internationalen Top-Magazinen abgedruckt sind. Ich begnüge mich hier damit, die Ergebnisse aufzulisten.
Menschen, die sich viel in der Natur aufhalten, z.B. Waldarbeiter, sind statistisch betrachtet eindeutig prosozialer, als reine Stadtmenschen.
Zwei bis vier Stunden Waldbaden pro Woche vermindert depressive Symptome.
Menschen, deren Wohnungen näher bei Bäumen liegen, verbrauchen deutlich weniger Anti-Depressiva.
Die Lebenszufriedenheit von Menschen, in deren Umgebung viele verschiedenartige Vögel nisten, ist deutlich höher, als in stillen Gegenden.
Ganz aktuell zur Bewältigung von Lockdown Maßnahmen: Bereits ein Blick aus der Wohnung auf etwas Grünes vermindert depressive Symptome.
Und wenn zwei Gruppen verglichen werden, von denen eine die Natur kontrollieren möchte und die andere mit der Natur in Harmonie leben möchte, dann stellt sich heraus, dass letztere deutlich besser mit allen Corona Folgen fertig werden.

Was also tun?

Was könnten wir tun, bzw. lassen, um zu mehr Harmonie und Resonanz zu kommen? Weniger Auto fahren ist dabei immer im Gespräch und die Folge davon wäre, dass der Umstieg aufs Fahrrad die Sterblichkeit um 20% vermindern wird. Dies wurde über einen Zeitraum von 25 Jahren ermittelt. Klimaschutz tut auch der eigenen Gesundheit gut!

Ein anderer Aspekt wäre der Fleischkonsum, der immerhin 30% der Treibhausgase beisteuert. Auch hier gibt es eindeutige Bezüge zu Gesundheit und Lebenserwartung. Denn gerade exzessive Fleischesser*innen werden deutlich häufiger von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und einigen Krebsarten heimgesucht, als andere.

Zum Abschluss appelliert Herr Bauer an uns, wieder mit „Gaia“ in Resonanz zu treten – hedonischen Verzicht für ein gutes Leben zu üben.

Wären wir im Audimax gewesen, der Beifall für den Vortrag wäre wohl gewaltig gewesen.
Zum Nachhören gibt es hier einen Link

Die Psychosomatik erkundet „Psychische Krankheit“

Was ist eine psychische Krankheit?

Kontroversen um den Begriff >Psychische Krankheit< Bericht vom Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg, Vortrag von: Andreas Heinz, Prof. Dr. med. Dr. phil., Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité Berlin

Einleitung

Zu Beginn erfahren wir etwas über die Kontroverse um den Begriff der >Psychischen Krankheit<, denn es ist für die Medizin nicht einfach, mit diesem Phänomen umzugehen. Das liegt zum einen daran, dass Mediziner sich von Hause aus eher um ein bestimmtes Krankheitsbild kümmern und nicht um so etwas, wie einen Begriff für eine ganze Klasse von Krankheiten. Herr Heinz schickt auch voraus, dass seine Betrachtungen natürlich kritisiert werden können, dass er nur eine von vielen möglichen Positionen bezieht.

Zum Begriff der Gesundheit

Gesundheit wird in der Definition der WHO als umfassendes Wohlbefinden verstanden. Herr Heinz ist der Ansicht, dass Gesundheit, auch psychische Gesundheit nicht als Abwesenheit von Krankheit verstanden werden kann. Sein Beispiel sind Wächter in einem KZ, von denen einer depressiv wird und der andere nicht. Welcher von beiden ist nun krank? Also bietet uns der Vortragende eine positive Definition an: Psychisch gesund ist, wer handlungsfähig ist, Selbstvertrauen hat und zur Empathie fähig ist.
Aber natürlich gibt es auch andere Ansätze, um Krankheit von Gesundheit unterscheiden zu können. Da wäre zunächst das >sozial angepasste Verhalten<, wobei einem schnell die Politik von totalitären Staaten einfällt. Dort wird den Dissident*innen gerne ihre geistige Gesundheit abgesprochen und werden dann unter diesem Vorwand einsperrt. Es wird auch versucht, über >organische Normabweichung< eine Unterscheidung zu treffen. Das stößt allerdings auf das Problem, dass Menschen höchst variabel in ihren Erscheinungsformen sind. Davon können uns auch die neuesten bildgebenden Verfahren nicht erlösen Ein weiterer Ansatz wäre es, >statistische Normabweichungen< heranzuziehen. Dabei stößt man dann auf den Begriff des „Normalen“, der bei genauerer Betrachtung ziemlich schwierig wird. Am Beispiel „Karies“ wird leicht deutlich, dass sie in dem Sinn normal ist, dass viele Menschen davon betroffen sind, die Karies aber eindeutig eine Zahnkrankheit darstellt. Herr Heinz schlägt vor, die funktionellen Auswirkungen als Maßstab zu nehmen und nicht das, was ‘normalerweise‘ sein sollte.

Krankheit

Nun betrachtet Herr Heinz das Verständnis von Krankheit und stellt uns zunächst ein lebensweltliches Verständnis von ihr vor. Darin geht es um Leiden und Beeinträchtigung, oder gar ein Übel, das ein Leiden ohne aufrechterhaltende äußere Ursachen darstellt. Darin sind wesentliche Funktionen behindert, das Sterberisiko mag erhöht sein und die Lebensfreude wurde verloren.Diese Betrachtung hat den Mangel, dass sie normativ lebensweltliche Begriffe mit wissenschaftlich-medizinischen Termini vermischt, also letztlich unklar bleibt.

Dann könnte Krankheit auch als wesentliche Funktionsstörung eines Organs betrachtet werden. Das wäre eine Störung, die das Überleben und die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigte. Auch dafür gälte eine Abweichung von einer statistischen Norm.
Hier kritisiert Herr Heinz die Biologisierung von Normen mit dem Verweis auf die Homosexualität, die nach dieser Definition eine Krankheit darstellen würde. Hinzu kommt, dass es schwerlich eine Einigungsmöglichkeit darüber geben wird, welche Funktionen denn tatsächlich wesentlich sind.

Psychiatrie

Herr Heinz ist Psychiater, der angehende Psychiater ausbildet. Er vermittelt ihnen einen sog. „vereinfachten psychopathologischen Befund“ zum Ausschluss psychiatrischer Erkrankungen.

Wenn die Patient*innen wach und orientiert sind und dazu noch über ihre Auffassungsgabe verfügen, lässt sich ein hirnorganisches Syndrom ausschließen.

Wenn die Patient*innen dazu noch konzentrations- und merkfähig sind und auch auf ihr Gedächtnis zugreifen können, kann ein „Chronisches Hirnorganisches Syndrom“ (z.B. Demenz) ausgeschlossen werden.

Nun prüft Herr Heinz die Denkabläufe auf ihre formale Kohärenz, ihre Inhalte auf Anzeichen von Wahnerleben, ihre Verbindung zum Ich und das Vorliegen von Halluzinationen.
Bei einem negativen Befund kann nun auch die „Schizophrene Episode“ ausgeschlossen werden.

Zuletzt wird noch nach der Stimmung, dem Antrieb und dem Schlaf gefragt. Hier besagt der negative Befund, dass auch keine affektive Störung vorliegt.

Woher kommt aber dieses Vorgehen, diese Einteilung der psychischen Erkrankungen? Sie sind gewissermaßen ein Klassiker der Psychiatrie und beziehen sich auf eben die „Exogenen Psychosen“ und „Endogenen Psychosen“ zu denen nun auch „Variationen“ hinzukommen. Krankheiten, die sich in diesem Raster wiederfinden sind klinisch relevante Krankheiten.

Eine andere Sichtweise

Zum Abschluss dieses Abschnitts bietet uns Herr Heinz ein Diagramm an, das drei Kreise zeigt, die sich teilweise überlappen. Die Kreise symbolisieren die Krankheit, als medizinisch relevante Funktionsstörung verstanden, das subjektive Leiden und die Beeinträchtigung sozialer Teilhabe. Das Diagramm vermittelt, dass es eben nicht so einfach ist, eine Krankheit an nur einem Befund festzumachen, bzw. sie nur in einem Kontext zu betrachten. Als anschauliches Beispiel hören wir die Geschichte des psychotischen Patienten, der seinem Arzt sagt, dass er auf keinen Fall die Stimmen in seinem Kopf wegmachen soll. Sie geben ihm immer gute Tipps beim Aktienkauf.

Sozialer Kontext

Menschen und ihre Krankheiten sind immer in sozialen Kontexten eingebunden, von denen einige historisch-kultureller Natur und andere aktueller Natur sind. Herr Heinz führt uns auf eine Reise, die bis ins 19te Jahrhundert und weiter zurückführt. In dieser Zeit war die Evolutionstheorie eine große Inspiration. Sie wurde als höherstrebende Entwicklung gedeutet, in der es auch zu Degenerationen kommen kann. Natürlich werden degenerative Prozesse durch einen „ausschweifenden“ Lebensstil begründet, der Neurosen und Alkoholismus, dann geistige Störungen und Suizidneigung bis hin zu Schwachsinn und Missbildungen (bei den Nachkommen) führen kann.
Diese Theorie wurde dann auch noch rassistisch aufgeladen, bzw. mit biblisch religiösen Vorstellungen vermischt. Davon zeugt noch der Begriff des „Kaukasiers“, mit dem wir uns mitunter selbst bezeichnen.
Die Höherentwicklung wurde dann auch auf die Psyche des Menschen angewendet. Das nahm die Form an, dass die Rationalität, bzw. die Vernunft eben höher stehe als die Emotionalität. Dass degenerative Prozesse dazu führen können, dass die höheren Funktionen die niedrigeren nicht mehr hemmen können und so zu Positivsymptomen führen.
Herr Heinz weist uns darauf hin, dass dieses Verständnis auch heute noch am Wirken ist, wenn z.B. festgestellt wird, dass der Präfrontale Cortex die Amygdala nicht steuern kann.
Mit einem letzten Ausflug in die Kolonialzeit und das dritte Reich zeigt uns der Vortragende auf, was für fatale Folgen, diese Theorien auf sog. minderwertige Menschen gehabt hat.

Aktuelle Forschungen

Neuere Forschungen suchen auch im sozialen Umfeld nach Einflüssen auf psychische Krankheiten. Wir bekommen eine Auswahl präsentiert, die belegen kann, dass Einkommensungleichheit, Einkommen überhaupt, Arbeitslosigkeit, Armut, Diskriminierung, Isolation und Quarantäne psychische Erkrankungen wahrscheinlicher machen.
Auch in den Psychiatrien wird geforscht und hier ist das Ergebnis, dass offenen Türen in den Stationen für deutlich weniger Gewalt, Medikamente und Konflikte sorgen.
Zuguterletzt noch ein Ergebnis aus der Resilienzforschung, das besagt, dass Selbstwirksamkeit und Extraversion offenbar sehr hilfreich im Umgang mit schwierigen Situationen sind.
Herr Heinz teil noch mit, dass er an „Trialogen“ teilnimmt, sie sogar selbst initiiert. Dabei geht es darum, dass die Professionellen mit den Angehörigen und den Betroffenen gemeinsam darüber beraten, was gut und hilfreich sein kann.
Ein knapper und lehrreicher Vortrag, den Sie sich hier ansehen können