Die Psychosomatik erkundet Spiritualität

Venus von Hohenfels zeigt Spiritualität in der Steinzeit

Bericht vom 14.11.23 Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg: Dr. Natalie Knapp  Gründungsmitglied des Berufsverbands für Philosophische Praxis, Philosophin, Autorin, Rednerin, Berlin: „Gedankliche Dehnübungen – Über Spiritualität und ihre Bedeutung im 21. Jahrhundert“

Frau Knapp stellt uns die drei Fragen vor, mit denen Sie ihr selbstgewähltes Thema strukturiert hat.

1. Was bedeutet Spiritualität im 21. Jahrhundert?

2. Vor welchen Herausforderungen steht die Spiritualität im 21. Jahrhundert?

3. Was könnte uns helfen, diesen Herausforderungen gerecht zu werden?

Verständnis von Spiritualität im 21. Jahrhundert

Sie berichtet davon, dass sie als junge Frau den Text von F. Nietzsche gelesen hat. Es war der tolle Mensch, der aussagt: „Gott ist tot, wir Menschen haben in umgebracht.“ Diese Worte haben Frau Knapp nachhaltig erschüttert.

Um zu illustrieren, was der Text angestoßen hat, zeigt sie nun zwei Bilder von Caspar David Friedrich. Die berühmten Werke, „der Wanderer über dem Nebelmeer“ und „der Mönch am Meer“. Sie begründet die Wahl dieser Bilder, weil die Künstlerin Jule Wanders diese für eines ihrer Anti-Selfies genutzt hat. Für ein Anti-Selfie legt sich Frau Wanders bäuchlings vor ein Gemälde und lässt sich so, samt Gemälde fotografieren.

Frau Knapp deutet das zum einen als Betonung des Bildes anstatt der Selbstabbildung, zum anderen sieht sie in der Körperhaltung die Unterwerfungsgeste, wie sie z. B. auch im tibetischen Buddhismus praktiziert wird.

Wir erfahren noch, dass C.D. Friedrich den Mönch am Meer schuf, als er um seine geliebte Schwester trauerte, die kurz zuvor gestorben war. Abgebildet sind Meer, Strand, Himmel und ein Mensch in dieser grenzenlosen und unfassbaren Weite.

Das führt zu ihrer Antwort auf ihre erste Frage. Da es so viele Versuche gibt, Spiritualität zu definieren, erlaubt sie sich, eine eigene Definition einzuführen.

„Spiritualität bedeutet, sich mit der größtmöglichen, erfahrbaren Dimension angemessen ins Verhältnis zu setzen, ihr einen Ausdruck zu geben und dafür Verantwortung zu übernehmen.“

Spiritualität ist ihrer Ansicht nach eine Haltung und eine Praxis. Sie erinnert uns daran, dass es sich sehr unangenehm anfühlen kann, an den Grenzen des eigenen Horizonts zu stehen und das Übermächtige jenseits dieser Grenzen ertragen zu können. Der Lebenshorizont endet beim Tod, aber auch bei der Liebe. Darüber hinaus gibt es gewaltige Naturkräfte wie Sturmflut, Pandemie u. v. m. Der übliche Versuch, solche Übermächte wegzudefinieren, ist nicht immer erfolgreich.

So sieht sie die Kunstform des „Anti-Selfies“ auch als einen Versuch, sich diesen übermächtigen Lebensdimensionen zu stellen. Gerade in der Moderne, in der die Individualität mit dem Selfie auf die Spitze getrieben wird, braucht es so etwas wie eine Rückbesinnung auf andere Qualitäten.

Die Herausforderungen an die Spiritualität im 21. Jahrhundert

Das aktuelle Zeitgeschehen bietet eine Anschauung zum Umgang mit dem Schrecklichen. Der Überfall auf Israel am 07. Oktober wurde u. a. von Yuval Noah Harari kommentiert. Dieser Welthistoriker praktiziert seit vielen Jahren Meditation. In seinem Zitat geht es sinngemäß darum, dass dieser erbitterte Kampf keinen Raum dafür lässt, den Schmerz der jeweils anderen Seite anzuerkennen. Das ist auch eine Chance für außenstehende Menschen, denn diese sind in der Lage, den Schmerz beider Seiten zu sehen. Sie können eine übergreifen Perspektive einnehmen und den Blick auf den wünschenswerten Frieden richten. Diese Perspektive auf das Große, das sei ebenfalls Spiritualität, so Frau Knapp.

Wir bekommen die Anregung, uns an einen friedlichen, vielleicht glücklichen Moment unseres Lebens zu erinnern und verbunden mit dieser Erinnerung unseren Körper spüren. Natürlich entspannt sich der Körper, der Atem vertieft sich, der innere Raum weitet sich. Und ganz am Rand der Wahrnehmung findet sich dann eine Spur von Glück. Dieses Glück ist wie ein durchscheinendes Leuchten, sanft und friedlich, fern von Gleichgültigkeit.

Auf dieser Basis möchte sie verdeutlichen, dass Frieden mehr braucht als Entwaffnung. Frieden braucht ein offenes Herz, einen Raum, in dem ehemalige Feinde miteinander leben können. Diesen Friedensraum zu kultivieren, betrachtet sie als die spirituelle Aufgabe des 21. Jahrhunderts – trotz und in den Katastrophen einen Raum in sich zu schaffen und zu pflegen.

Frau Knapp blickt nun in die Vergangenheit. Sie erinnert uns an die Zeiten als noch Kirchen den ärmlich lebenden Menschen eine Ahnung von Größe und Weite boten. Die gewaltigen Räume mit ihren bunten Fenstern boten das Abbild einer heiligen Architektur. Darin konnten sich die Menschen aufgehoben fühlen. Aufgehoben ganz im Hegelschen Sinn verstanden als bewahrt, erhöht und entmächtigt.

Heutzutage sind die großen Räume Konsumtempel geworden. Ganz und gar diesseitig und ohne jegliche Tendenz, dieses Diesseits zu transzendieren. Zu Beginn war die Natur selbst der Raum und erst mit der Sesshaftwerdung entstanden die sakralen Räume und mit ihnen die Institutionen mit ihrer Macht, die sie leider allzu oft auch missbraucht haben und missbrauchen. Seither wächst das Misstrauen gegen die größeren Dimensionen und die Entstehung und der Glaube an die Individualität rückt an die erste Stelle.

Noch weiter zurück in der Geschichte landen wir in der Steinzeit. In einer Höhle befinden sich Menschen und draußen toben die elementaren Kräfte – Sturm, Regen, Blitz und Donner. In dieser Zeit schuf ein Mensch die Figur der Venus von Hohenfels. Wozu? Warum wurde diese und andere Figuren geschaffen? Als Abbild und zur Ehre der nährenden, lustvollen, gebärenden Natur? Als Anrufung einer Verbündeten oder als Ansprechpartnerin?

Frau Knapp erinnert sich an einen Spaziergang am Meer. Es war während eines Sturms und er wäre ihr fast zum Verhängnis geworden. Sie hatte damals die gewaltigen Naturkräfte unterschätzt. Diese Erinnerung führt sie zum gegenwärtigen verniedlichenden Sprachgebrauch im Angesicht der sog. Klimakrise. Die Kräfte, die hier bereits am Werk sind, werden alles übertreffen, was Menschen jemals erlebt haben.

Sie empfiehlt uns zum Thema das Buch „Wasser und Zeit“ von Andri Snær Magnason. Er schreibt, dass das Wort Klimawandel wie ein Rauschen sei, um etwas zu sagen, zu dem was passiert. Das Gehirn könne das Ausmaß nicht erfassen. Jegliche Bedeutung werde aufgesaugt.

Darin sieht sie die spirituelle Aufgabe der Menschen im 21. Jahrhundert. Der Umgang und die Erfahrung in und mit der Klimakrise (Katastrophe). Worin bestehen diese besonderen Herausforderungen? Sie erzählt von einem Gespräch einer Urgroßmutter mit ihrer Urenkelin und die beiden rechnen aus, dass die Erinnerungen, die diese Urgroßmutter an ihre Urenkelin weitergibt, von der Urenkelin dann wiederum an ihre Urenkelin weitergeben kann, wenn sie dereinst selbst zur Urgroßmutter geworden sein wird. Diese persönlichen Erinnerungen können auf diese Art über 260 Jahre erhalten bleiben und weitergegeben werden. Eine Erinnerungskultur also – Erinnerung an die Zeiten, als die Erde noch eine freundlichere Heimat war.

Diese neue und unfreundlichere Erde verstärkt das Gefühl der Solastalgie – den Schmerz über den Verlust der Heimat und des Vertrauten.

Sie schildert dieses Gefühl aus der Körperempfindung. Aus der Verbindung, die der Körper mit seiner Heimat hat – eine Verbindung mit der Erde, den Lebewesen und den Gerüchen, mit denen er aufgewachsen ist. Und dann? Keine vertrauten Vogelstimmen mehr, nicht mehr die bekannten Pflanzen und keine vertrauten sinnlichen Erfahrungen mehr. Wenn das alles weg ist, entsteht Schmerz. Und dieser Schmerz kann in eine spirituelle Krise führen, so Frau Knapp.

Wie kann uns Spiritualität in der Zukunft helfen?

Aus dieser Krise werden die nächsten Generationen durch spirituelle Praktiken herauskommen können, erwartet Frau Knapp. Sie werden sich mit der Erde rückverbinden, mehr gärtnern und die Natur achten.

Spiritualität ist nicht nur etwas Geistiges. Sie ist die Verbindung von Sichtbarem und Unsichtbarem. Zum Beispiel in der Sprache. Aus 24 Buchstaben entstehen unendlich viele Bedeutungen – ein Wort wird gesprochen oder geschrieben, sichtbar oder hörbar. Beim Leser oder Hörer entsteht unsichtbar der Sinn und die Bedeutung der Worte. Und diese Worte führen uns bis tief in unsere Körperempfindungen hinein. „Ein bestirnter Nachthimmel in einer klaren Winternacht.“ Wer verspürt nicht ein gewisses Erschauern beim Hören/Lesen dieser Worte. Die Möglichkeit der Symbolisierung ist ein quasi magisches Handeln. Es ermöglicht und erschafft die Verbindung zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren.

So auch die Symbole für das, was den Einzelnen unendlich übersteigt – die Biosphäre, die Atmosphäre, die Ökosphäre. Über den Atem sind wir mit all dem verbunden. Wir sind ein Teil davon und sie ist ein Teil von uns. Das besagt bereits das Wort „Spiritualität“, denn es leitet sich von „Spiro“ Atmen ab. Im bewussten Atmen können wir uns der Kräfte bewusstwerden, zu denen wir uns verhalten müssen.

Frau Knapp differenziert zwischen Religion und Spiritualität. Sie hält Spiritualität für offener und freier. Kein Priester schreibt vor, zu wem, wann, wie gebetet oder geopfert werden soll. Die Freiheit der Spiritualität bringt natürlich Verantwortung mit sich. Die spirituelle Haltung und Praxis will gepflegt werden, was ein Pflicht mit sich bringt – nur so kann sie wirksam werden.

Spirituelle Praxis kann aus atmen bestehen, aus sitzen, tanzen oder singen. Alles, was uns hilft einen Zugang zu den uns übersteigenden Dimensionen zu finden ist möglich und am besten geht das in einer Gemeinschaft.

Eine andere Möglichkeit wäre die Beschäftigung mit Kunst jeglicher Art. Sie berichtet von ihrer Freundin, die unter chronischen Schmerzen leidet. Aber wenn sie Mozart hört und sich der Musik hingeben kann, dann verschwindet der Schmerz aus ihrem Bewusstsein.

Frau Knapp fasst die Antworten auf ihre drei Fragen noch einmal kurz zusammen. Sie erinnert an ihre Definition von Spiritualität. Daran, dass im 21. Jahrhundert überwiegend selbstbezogene Individuen übermächtigen Elementen gegenüberstehen, deren Sprache scheinbar nicht verstanden wird. Und drittens die Aufforderung, aus unserem spirituellen Autismus herauszukommen, wieder Beziehungen zum Unsichtbaren aufzunehmen und eine spirituelle Praxis, die uns liegt, aufzunehmen.

Sie ermutigt uns, die Realität wahrzunehmen, wie sie erscheint und nicht zu versuchen, sie wegzudefinieren.

Frau Knapp erhält ausdauernden Applaus, aber leider wurde der berührende Vortrag nicht aufgezeichnet.

Die Psychosomatik erkundet die Klimakrise

Klimakrise und Psyche

Bericht vom Dienstagskolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg, Vortrag von Prof. Dr. med. Christoph Nikendei, leitender Oberarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik, Universitätsklinikums Heidelberg:       „Klima, Psyche und Psychotherapie“

Mein zweiter gestreamter Vortrag. Ich sitze gemütlich auf meinem Stuhl, Modell „Sorgenfrei“, in der Küche und bin gespannt. Ich mag vorwegnehmen, dass dies ein sehr umfangreicher Bericht ist. Wer sich den Vortrag ganz anhören/sehen mag, sei auf diesen Link verwiesen.

Einführung

Herr Nikendei beginnt mit der neurowissenschaftlichen Erkenntnis, dass wir nur 100 Millisekunden brauchen um uns ein Bild von jemandem zu machen und er fordert uns auf, während des Vortrags in uns hineinzuspüren, zu beobachten, wie es uns mit seinem Input geht.
Er beginnt, für mich überraschend, mit Prof. Jem Bendell, dessen Aufsatz „Deep Adaptation“ von Fachjournalen abgelehnt wurde. Dann aber trotzdem eine große Aufmerksamkeit erfahren hat. Bendell prophezeit darin, dass die bekannte soziale Ordnung binnen zehn Jahren zusammenbrechen wird (jetzt noch acht Jahre).
Dieser Aufsatz hat auch in der Fachwelt für großes Entsetzen gesorgt. Eine Kollegin nannte ihn: „sadistisch, esoterisch-ausweichend, im Apokalypse-Rausch befindend, angriffslustig, moralisierend, reißerisch-aggressiv, verwirrt, radikalisiert, aber später dann doch, vielleicht doch nicht von der Realität abgewandt.“

Auswirkungen

Der Aufsatz verursachte einen Schock über die Massivität der Auswirkungen und der zeitlichen Nähe, der kommenden Ereignisse. Dieser führt in einen Zustand der Gespaltenheit und Verwirrtheit. So ein Zustand induziert eine psychische Abwehr, die den Inhalt diskreditiert und entwertet, es entsteht der Wunsch, das Thema Ad-Acta legen zu wollen.
Ein aktuelles Problem, das die Diskussion ums Klima erschwert ist natürlich die Corona Situation. Herr Nikendei meint dazu: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“, die Klimakrise verschwindet nicht, auch wenn Corona ihr gerade die Schau stiehlt. Er demonstriert das mit der CO2 Uhr, die uns darüber informiert, wie lange wir noch die Atmosphäre mit CO2 belasten können, wenn wir das 1,5° Ziel erreichen wollen. Beim derzeitigen Ausstoß werden wir in sieben Jahren unser Budget (von dem Bendell behauptet, dass es gar nicht existiere) aufgebraucht haben.

Persönlicher Zugang

Das war aber nur die Einführung. Wir erfahren nun etwas zur Tradition der Psychosomatik in Heidelberg und den persönlichen Hintergrund von Herrn Nikendei, wie er zur Psychosomatik und seinen Themen gekommen ist. Wir sehen Fotos von einem ertrunkenen Kind (Alan Kurdi) und dem Kind des Vortragenden. Vor diesem Hintergrund wurde für Herrn Nikendei die Frage drängend:

„Welche Art von Welt, geben wir an unsere Kinder weiter?“

Er benennt einige seiner Quellen für „kluge Gedanken“. Sie stammen von Philosoph*innen und Soziolog*innen zum Klimawandel, die er auch in diesem Vortrag verwenden will. Jetzt bekommen wir die Struktur des Vortrags genannt:

  • Klimawandel und Kognitions-/Sozialpsychologie
  • Tiefenpsychologie, Psychotraumatologie
  • psychische Aspekt
  • Klimawandel was nun?

Klimawandel und Kognitions- Sozialpsychologie

Der Sachstand

Aber zunächst gibt es noch einige Informationen zum aktuellen Sachstand. Dieser ist bereits einigermaßen alarmierend, wie das Potsdamer Klimainstitut feststellen muss. So sind die Bereiche Erwärmung, Artenvielfalt und Nitratzyklus bereits massiv aus dem Gleichgewicht geraten. Dass z.B. das Erdklima bereits um über 1° C zugenommen hat, wird zwar inzwischen weitgehend anerkannt, aber dass der Mensch die Ursache dieser Erwärmung ist, wird fast ebenso weitgehend bestritten.
Auf dem derzeitigen Entwicklungspfad laufen wir auf eine Erwärmung von etwa 4° C zu (Hochrisikoszenario). Das würde dazu führen, dass z.B. Nordindien unbewohnbar werden würde – Djakarta in Indonesien ist jetzt schon dabei, sich von der Küste wegzubauen, denn der Meeresspiegel wird weiter ansteigen und in einigen Jahren dramatisch ansteigen. Weitere Folgen wären geschätzte 140 Millionen Menschen, die die Flucht ergreifen müssten – doppelt so viele wie im Moment; und bis zu 40 % aller Tierarten würden vermutlich aussterben.

Information genügt nicht

Die Zahlen zum CO2 Eintrag in die Atmosphäre sind gewaltig – um sich zu veranschaulichen, was sich ändern müsste, mag die Zahl genügen, dass deutsche Bürger*innen derzeit 11 T CO2 pro Jahr und Person verantworten, dieser Ausstoß müsste bis 2050 um 10 T (!) vermindert werden.
Die berühmte Karte von den „Kippelementen“ in der Atmosphäre demonstriert die möglichen Konsequenzen, wenn weiterhin viel zu wenig getan wird – (und dabei ist in diesen Berechnungen noch nicht einmal der steigende Methangehalt der Atmosphäre berücksichtigt).
Diese „harten“ wissenschaftlichen Fakten sind solider, als jene, die über Corona bekannt sind. Die spannende Frage entsteht: Wenn wir so viele Informationen und Wissen haben, warum geschieht dann so wenig? Wir sehen doch, dass wissenschaftlicher Rat in der Corona Krise sehr hilfreich ist. Offenbar genügt es nicht, gesicherte Informationen zu haben – wir ertrinken geradezu in ihnen und was wir stattdessen nutzen, sind unsere Gefühle und den sog. gesunde Menschenverstand, allerdings sind beide für diese Herausforderung völlig überfordert.

Kognitions- und Sozialpsychologie

Bekanntermaßen gibt es eine angeborene Reaktion auf Bedrohungen, die berühmte Kampf- Flucht- oder Erstarrungsreaktion. Damit es aber zu diesen Reaktionen kommen kann, muss die Gefahr unmittelbar, konkret und unstrittig sein. Hier liegt ein Unterschied zwischen Corona und Klimakrise. Wir sehen die Bilder der überfüllten Krankenhäuser, aber die Gefahren der Klimakrise erscheinen weit entfernt, wenig konkret, komplex und sie werden nach wie vor von einflussreichen Mitmenschen bezweifelt.

Kognitive Verzerrungen

Nun kommen kognitive Verzerrungen sog. „Bias“ ins Spiel. Zum Beispiel den Verfügbarkeitsbias. Australier, die die verheerende Brandkatastrophe des letzten Jahres erlebt haben, haben eine konkrete Vorstellung von den Folgen des Klimawandels, wir in Europa hingegen haben diese direkte Erfahrung (noch) nicht.
Von einer weiteren Verzerrung sind vor allem Eltern betroffen, es handelt sich um die Optimismus Verzerrung. Eltern wollen und können sich oft nicht vorstellen, dass die Zukunft ihrer Kinder eher trübe aussehen wird.
Eine weiter Verzerrung wird durch Gruppenzugehörigkeit begünstigt. In Gruppen wird auch eine bestimmte Sichtweise auf die Welt gepflegt. Diese Sichtweise kann sogar zum Merkmal der Gruppenzugehörigkeit werden, wie es an der Situation in den USA anschaulich wird.

Die Rolle des Internets

Eine weitere wichtige Rolle spielen Desinformationen und Manipulation durch und vermittels der Sozialen Medien. So erhält nicht jeder Mensch, der den Begriff „Klimawandel“ googelt, dieselben Ergebnisse. Diese hängen u. a. von vorherigen Suchbegriffen ab, aber auch von vielen anderen Informationen, die die Anbieter gesammelt haben.

Beschleunigung und Entfremdung

Damit immer noch nicht genug, handelt es sich bei der Klimathematik um ein sog. verflixtes/verzwicktes Problem. Ein solches zeichnet sich durch Komplexität, Vernetztheit, Zielpluralität und Unschärfe aus. Hier gibt es eine gewisse Nähe zur Corona Situation.
Zuguterletzt spielen auch Beschleunigung und Entfremdung in der Kultur ihre Rolle. Der Soziologe Hartmut Rosa hat dies so zugespitzt und es „Eskalation des Weltverhältnisses der Moderne“ genannt. Strukturell sieht es so aus, dass sich die Moderne nur dynamisch stabilisieren kann, sie benötigt Wachstum zum Erhalt des Status Quo. Kulturell sieht Rosa einen „Kategorischen Imperativ der Moderne“ am Werk: „Handle stets so, dass Deine Weltreichweite größer wird!“
Die Folgen dieses Weltverhältnisses sieht er strukturell als „Desynchronisation“ Die Natur ist zu langsam, was zur Öko-Krise führt und die Seele ist zu langsam, was zur „Psycho-Krise“ führt.
Die kulturellen Folgen sieht er in einer Verdinglichung der Weltbeziehung. Es kommt zur Entfremdung, dem Erleben einer „schweigenden Welt“. Das führt in der Folge zu Derealisation, Zynismus und weiteren Symptomen eines „Burn-out“.

Sozialforschung

Wenig ermutigend sind Experimente mit Student*innen, die einen Spieleinsatz so aufteilen können, dass am Ende die Welt gerettet wird. Dazu müssten sie einen Teil ihres Geldes hergeben, aber leider scheint diese altruistische Haltung wenig verbreitet.
Als Zwischenfazit fasst Herr Nikendei zusammen, dass wir kognitiven Verzerrungen unterliegen und dass es offenbar nicht gelingt, den Abgrund zwischen Wissen und Handeln zu überbrücken.

Klimawandel und Tiefenpsychologie

Als kurze Einführung führt der Redner das Grundkonzept der TP an. Es geht in ihr um eine Konflikt- und Strukturtheorie. Also unbewusste Konflikte oder strukturelle Mängel führen zu psychischem Leiden.
Im Falle des Konflikts geht es um widerstreitende Motive, Wünsche oder Bedürfnisse, die zu inneren Konflikten führen. Dies geht mit Gefühlen von Verlust, Schuld, Angst, Scham, Verzweiflung und Neid einher und diese unerträglichen Gefühle müssen mittels psychischer Abwehr vom Bewusstsein ferngehalten werden.
Anhand des „Strukturmodells“ von Freud (Es, Ich, Über-Ich) bekommen wir das erläutert. Wir sind (auf der Es-Ebene) in einer umfassenden Natur beheimatet und hier finden wir auch die naturbezogenen Bedürfnisse unserer kreatürlichen Existenz.
Auf der mitmenschlichen Ebene (Ich-Ebene) sind wir geborgen und Kulturschaffende Wesen.
Und wir haben Ideale für unsere Existenz, die Ebene des Gewordenen (Über-Ich-Ebene), dort finden wir Leistungsanforderungen.

Strukturelle Bedrohungen

Durch die Dynamik der Prozesse werden wir aber von unserer Verbundenheit entfremdet und dies führt zum Gefühl der Bedrohung.  Was einst Heimat war, ist nun in Gefahr. Wo wir uns geborgen fühlen sollen, müssen wir hektisch arbeiten und wo etwas wachsen sollte, finden wir nur noch künstlich produziertes. Dies alles führt zu der Erfahrung, dass die Natur zurückschlägt und dies wiederum zum Gefühl der Scham.
Scham: … „reflektiert eine Ahnung des Scheiterns oder ein Defizit des Selbst“, bzw.: „Scham paralysiert und führt zu einem Leben in Neid“
Scham ist wiederum ein Gefühl, das abgewehrt werden muss. Z. B. durch Verleugnung (gibt es gar nicht) oder Omnipotenzfantasie (z. B. Technik Omnipotenz). Ebenfalls möglich ist Abwehr durch Projektion (Greta isst aus einer Plastikschale), durch Entwertung (siehe Eingangsbeispiel), durch Spaltung (Greta als Heilige oder Hexe), durch Rationalisierung (das wird das Klima nicht kippen lassen, wenn ich nach Hawaii fliege) oder durch Sublimierung (Spenden, Kompensationen).
Kompakt zusammengefasst lautet das folgendermaßen:

„Die umfassende Realisierung eines globalen Desasters und die Anerkennung unseres eigenen Beitrags wäre möglicherweise vernichtender und bedrohlicher für uns, als die auf uns zukommende Bedrohung selbst.“

Also:

„Die Hinnahme eines drohenden „äußeren Untergangs“ gefährdet uns weniger, ist weniger beschämend für uns, als der drohende „innere psychische Untergang.“

Identität und Selbstwert

Identität und Selbstwert sind von der kulturellen Einbettung abhängig. Also, wie wird (falls überhaupt) über Klimaentwicklungen in den sozialen Kontexten gesprochen?
Strukturelle und Gesellschaftsstrukturelle Perspektiven drehen sich um die Symbolisierung der Klimakrise. Das verbreitetste (Nicht-) Narrativ (Erzählung) dazu ist so Herr Nikendei die kollektive Stille – die Klimakatastrophe wird schlicht und einfach verschwiegen.
Die Einstellung zum Thema wird zu einem Gruppenmerkmal mit der möglichen Folge, dass an Einstellungen festgehalten wird, die hinterfragbar oder sogar falsch sein können. Verstärkend kommen die „Echo-Kammern“ der sozialen Medien hinzu, denn sie führen in einen Zustand von „pluralistischer Ignoranz“.
Eine weiter Folge von sozialen Medien ist, dass sie persönliche „Wunsch-Identitäten“ beeinflussen. Sie fördern einen forcierten Individualismus, fokussieren auf individuelle Selbstoptimierung und entgrenztem Konsumverhalten. Im Zentrum stehen Produkte, die identitätsstiftend geworden sind und im Sinne eines „falschen Selbst“ verstanden werden können.

Psychische Aspekte

Empathie

Zum Preis der CO2 Erzeugung, den andere Länder und deren Bevölkerungen zahlen müssen, meint ein Ex-Präsident eines Inselstaats sinngemäß, dass dieses Verhalten, wider besseres Wissen, einen kriegerischen Akt darstelle, dem die Betroffenen ohnmächtig ausgeliefert seien. Eine andere Formulierung bringt es so auf den Punkt: „Diese Länder sind nicht unterentwickelt, sie sind über-ausgebeutet.“
Vor diesem Hintergrund macht uns Herr Nikendei klar, dass auch Deutschland ein Entwicklungsland ist. Gemessen an den UNO Zielen 2030 wird viel zu wenig insbesondere für den Klimaschutz unternommen.

Körperselbst

Das Körperselbst ist auch eine strukturelle Dimension. Der Vortragende zieht eine bedenkliche Bilanz. Es lässt sich feststellen, dass: „Trotz aller vermarkteten Natur- und Körperkulte, existiert eine tiefgreifende Natur- und Körpervergessenheit. Sinnliche Seiten der selbsttätigen inneren Natur werden in den Bereich des Schöngeistigen oder des Freizeitmarkes verschoben. Die Eigenständigkeit der leib-seelischen Körperdynamik wird auf dem Niveau einer pathologischen Selbstobjekt-Beziehung missbraucht.“

Klimawandel und Trauma

Wir erfahren, dass von den Menschen, die z.B. Hurrikans erleiden mussten, bis zu 80 % eine Traumfolgenstörung entwickeln. Und wir erfahren auch vom „Trauma der Täter“. Insbesondere die europäischen Nationen sind Erben kulturhistorischer Verbrechen wie dem Kolonialismus, dem Nationalsozialismus, dem Rassismus und der Sklaverei. Dieses transgenerationale Erbe kann zu Dissoziationen und dadurch zu einer doppelten Buchführung münden. Z.B. sponsern Ölkonzerne gerne Klimaschutzmaßnahmen.
Was das Eingreifen ebenfalls erschwert, ist das Phänomen der passiven Dabeisteher – es sind so viele Menschen da, da wird sich schon ein anderer darum kümmern.

Auswirkungen

Bisher liegen Ängste vor dem Klimawandel in Deutschland auf dem zehnten Platz, sie sind nur bei 41 % vorhanden. Aber es gibt inzwischen so etwas wie „Eco-Anxiety“ – Besorgnis um den Klimawandel. Dieser geht einher mit Symptomen von Depression, Angst und Stress. Vor allem bei Frauen, die jünger als 35 Jahre alt sind, die eine umweltbezogene Einstellung haben – sie entwickeln eine Tendenz zur Zukunftsangst.
Eine weiterer Klimaeffekt ist, dass Hitze die Aggressionen vermehrt. Wir sehen dazu eine eindrückliche Statistik über den Anstieg von Gewaltdelikten in den USA zwischen 2010 und 2019, einer Zeit, in der verschiedene Hitzerekorde gebrochen wurden.
Die Frage, inwiefern unser Alltagsverhalten eine Fremdgefährdung darstellt und deshalb evtl. auch regulatorisch begrenzt werden müsste, wird kurz aufgeworfen. Wir sehen, welche Proteste die Corona Regeln bereits bei manchen Menschen auslösen.
Auch die Frage, ob wir gerade dabei sind, einen „Pan-Suizid“ zu begehen, wird noch angesprochen.

Klimawandel und nun?

Viele Ansatzpunkte

Was können wir tun? Wie kann eine Veränderung herbeigeführt werden. Eine Antwort darauf gibt das „Change-Management“. Dieses beschreibt eine Art Stufenplan, der durch die folgenden Schritte verwirklicht werden könnte: Im Zustand der Sorglosigkeit wäre es wichtig ein Problembewusstsein zu schaffen. Dieses führt zur Bewusstwerdung. Hier müssten Ambivalenzen aufgelöst werden. Sodann können Vorbereitungen getroffen werden. Dafür braucht es eine Zielplanung, auf die dann die Handlung folgen kann. Nach erfolgter Handlung geht es darum die Ergebnisse zu konsolidieren und letztlich auch darum, einen Abschluss zu finden.
Aber es gibt einen kleinen Dämpfer danach. Eine Statistik aus der Psychotherapie zeigt, dass zwar sowohl Verhaltens- als auch Tiefenpsychologische Therapie erfolgreich sein kann, aber nie alle Patient*innen erreichen kann.
Wir brauchen mehrere Ansatzpunkte. Vernetzung von Politik, Wirtschaft und Initiativen, Erfolge, z.B. beschlossene Begrenzungen von CO2 Ausstoß. Erste Schritte könnten in moderaten Anpassungen bestehen, wie weniger Flugreisen, Fleischkonsum usw. Allerdings würde uns das nicht mehr retten. Es braucht sehr ambitioniert Veränderungen der Lebens- und Wirtschaftsweisen, damit wir halbwegs sicher sein können, dass der Planet bewohnbar bleibt.

Intrinsische Motive

Ein wichtiger Bereich könnte auch intrinsische Motivation darstellen. Intrinsische Faktoren wären: Werteorientierung, die Möglichkeit, Identität und Status Ausdruck zur verleihen (mit Klimaengagement). Dabei spielt die Symbolik von Handlungen eine scheinbar wichtigere Rolle als extrinsische Anreize wie Steuererleichterung oder Ähnliches. Aber auch hier ist Vorsicht geboten, denn es gibt den sog. „Single-Action-Bias“, der dazu führt, dass man einmal einen Gemüseauflauf ist und das als ausreichend empfindet. Man könnte auch das Greenwashing dazu zählen.

Technologische Wege

Die Rolle der notwendigen technischen Innovationen wird auch nicht vergessen. Wir brauchen sie, aber der „Technical-Fix“ der CO2 Problematik ist eher unwahrscheinlich. Weder die „Direct Air Capture“, noch die Elektrifizierung des Verkehrs, die Aufforstung oder die Verteilung von Schwefel in der Stratosphäre sind in der Lage, genügend CO2 zu binden.
Es werden wohl politisch beschlossene Normen notwendig. Dass diese erfolgreich sein können, sehen wir im Moment in der Corona Situation. Oder als älteres Beispiel, die Gurtpflicht im Auto. Ansonsten wird möglicherweise ein Gedankenspiel wahr, dass Politiker*inne in Zukunft wegen „Ökozid“ angeklagt werden könnten.

Ökonomische Wege

Neue Normen bräuchte es auch für die Wirtschaft. Hier wäre die Frage zu stellen: Wollen wir die Zukunft gestalten oder abwarten, wie wir mit dem Desaster umgehen können? Es scheint auf der Hand zu liegen, dass Geld alleine nicht ausreichen wird. Die Art des Wirtschaftens an sich steht zur Disposition – von den vielen Möglichkeiten wählt der Vortragende die „Post Wachstumsökonomie“ von Nico Paech. Aus dieser Sicht braucht es neue Effizienzstrategien, Konsistenzstrategien, Suffizienzstrategien und Re-Regionalisierung. Oder auch: „All you need is less“.
Auch Maja Göpel wird noch zitiert. Sie spricht in Anlehnung an Max Weber von der herrschenden „Eisenkäfig-Ökonomie“ und stellt fest, dass diese zu Fragmentierung, Quantifizierung/Monetarisierung, Akkumulation und Vergleich/Ranking führt.

Ethische Möglichkeiten

Einen weiteren Aspekt stellt die „Radikale Ethik“ von Donna Orange dar. Diese fordert die Anerkennung an unserer Beteiligung am Desaster des Klimawandels. Sie fordert eine neue Gesellschaftsorganisation, in der Maßlosigkeit keinen Platz hat, indem wir auf politischer, ökonomischer, technischer, ideologischer Ebene in der Haltung einer radikalen Ethik Ungerechtigkeiten und Glück auf Kosten anderer nicht tolerieren“.
All das kann nur funktionieren, wenn sich Individuen für sich selbst für Veränderungen entscheiden, dabei aber das Kollektiv mitnehmen, und wenn auch Kollektive die Einzelnen ermuntern, die neuen Wege zu beschreiten.
Dazu braucht es auch neue soziale Wert, denn es gibt Chancen für Soziale Kipppunkte, die dann eine Kettenreaktion der Veränderung auslösen könnten.

Achtsamkeit und Resonanz

Zuguterletzt kommt noch die Achtsamkeit als Wirkfaktor ins Spiel. Hier greift Herr Nikendei wieder Hartmut Rosa und dessen Resonanzkonzept auf. Es empfiehlt uns, berührbar zu sein, Veränderungen durch Berührung zuzulassen, Toleranz für Ergebnisoffenheit zu entwickeln, die Unverfügbarkeit von Resonanz anzuerkennen, auf Berührung zu antworten und vor allem seine eigene Unsicherheit und Verletzlichkeit anzuerkennen.
Aus der Psychotherapie ist bekannt, dass die Hinwendung zu etwas Neuem immer mit dem Betrauern des Verabschiedeten einhergeht – mit der Anerkennung, dass die Dinge nicht mehr so sind wie früher. Dazu brauchen wir Mut, denn es wird auf jeden Fall auch Verlierer*innen geben. Und, wir brauchen Vorbilder, Rollen Modelle, die uns inspirieren.
Damit all diese Aspekte ineinandergreifen können braucht es dann auch noch eine gute Klima-Kommunikation:

„Einen Raum, um zu üben, den Klimawandel zu >symbolisieren< denn wenn dieser in die Realität der Sprache tritt, tritt er in unsere Bewusstseinsrealität und wird damit Teil unserer Lebensrealität.“

Haben wir Macht oder sind wir dem Klimawandel ohnmächtig ausgeliefert? Solange wir noch handeln können, haben wir noch die Macht etwas zu verändern, so der Schluss von Herrn Nikendei. Ich bin einigermaßen erschlagen von der Fülle dieses Inputs und hoffe, der/die Leser*in hat bis zum Ende durchgehalten.

Mehr zum Thema aus meiner Feder gibt er hier, hier und hier

Klimaengagement und Burnout

Burnout von Klimaaktivisten

Die Klimabewegungen sind immer noch am Anwachsen. Immer mehr Menschen engagieren sich, organisieren sich und arbeiten daran, dass die Erde ein für Menschen bewohnbarer Planet bleiben kann.
Sie müssen dabei gegen eine Politik ankämpfen, die sich nur im Schneckentempo bewegt; gegen Klimawandelleugner*innen, von denen sie häufig auch noch beschimpft werden; gegen Klimawandelskeptiker*innen, die sich von den Gründen nicht überzeugen lassen wollen, und last but not least auch noch gegen Verleugnungs-Kampagnen der Ölindustrie.
Etliche Menschen investieren sehr viel Zeit und Energie in Aufklärung, Informationsveranstaltungen, Demonstrationen, Aktionen und Petitionen. Für viele verändert sich der Alltag in mehr oder weniger großem Ausmaß.
Ein solcher Einsatz kann sehr positiv wirken. Er vermittelt Selbstwirksamkeit, Wachheit, sorgt für neue und intensive soziale Kontakte.
Was diese positiven Aspekte bedrohen kann, ist, mangelnde soziale Ankerkennung und Erfolglosigkeit. Auf längere Sicht kann das in Richtung eines sog. Burnouts führen.

Was ist ein Burnout?

Ein Burnout ist eine körperlich-seelische Reaktion auf länger anhaltende Überlastung. Die Stresssysteme des Körpers geben uns die Möglichkeit, außerordentliche Leistungen zu vollbringen. Sie sind allerdings eher für Ereignisse ausgerichtet, die nur kurze Zeit dauern. Wird das Stresssystem längere Zeit beansprucht, hat das früher oder später Folgen.
Ein Burnout lässt sich feststellen, wenn zwei der folgenden drei Merkmale erfüllt sind: Erschöpfung, Depression, Zynismus.

Erschöpfung:

Das Gefühl nicht richtig wach zu werden, Energielosigkeit, Rastlosigkeit, schlechter Schlaf, beim Erwachen das Gefühl nicht ausgeruht zu sein, Gedankenkreisen etc.

Depression:

Konzentrationsmängel, Lustlosigkeit, Müdigkeit und/oder Schlafstörungen, Grübelei, vermindertes Selbstwertgefühl, Perspektivlosigkeit, Schuldgefühle, Antriebslosigkeit. Die Symptome können gemischt und in verschiedenen Schweregraden auftauchen. Die Neigung, viel Alkohol zu trinken oder sich sportlich zu verausgaben, nimmt zu.

Zynismus:

Gefühlskälte, Hassimpulse, Verlust von Empathie, Böswilligkeit, Ablehnung von Mitmenschen etc.
Oft werden diese Symptome erfolgreich nach außen verborgen, schlagen aber in der Nacht umso stärker zu. Nicht selten fühlen Betroffene sich auch noch schuldig für ihre „Schwäche“. In der Folge kommt es zu einem Gefühl von Isolierung und Einsamkeit.
In der weiteren Folge können körperliche Beschwerden auftreten. Das Immunsystem wird schwächer, die Infektionsanfälligkeit steigt; das Herz-Kreislauf System ist überlastet; die Verdauung bekommt Probleme usw.

Wer ist besonders gefährdet?

Menschen, deren Gesundheit bereits beeinträchtigt ist, haben ein erhöhtes Risiko, von Burnout betroffen zu werden. Auch ernste Beziehungsstörungen (Partnerschaft, Erkrankung von Angehörigen etc.) im Nahbereich sind ein zusätzlicher Stressor. Und auch besondere Belastungen am Arbeitsplatz sind sicher ungünstig für die Widerstandskraft.

Was kann man als Betroffene*r tun?

Sicher hilfreich ist es, wenn man sich nicht sechszehn Stunden jeden Tag mit dem Thema befasst. Auszeiten einplanen und einhalten, Internet und Medien Abstinenz, Smart Phone ausschalten, Ruhezeiten einplanen. Wenn man dabei alleine ist, für Erlebnisse sorgen – im Wald spazieren gehen, einen Ausflug unternehmen, ein Buch lesen, Musik hören, sich eine Massage geben lassen, meditieren, moderat Sport treiben etc. Gesellige Abende, bei denen nicht über das Thema gesprochen wird sind sicher auch hilfreich – spielen, lachen, tanzen etc.
Für Betroffene, bei denen bereits Symptome eingesetzt haben, ist es hilfreich, sich einen Gesprächskreis, zumindest aber einen Menschen zu suchen, mit dem sie über ihre Empfindungen und Gefühle sprechen können. In einem Gesprächskreis kann auch gemeinsam nach etwas gesucht werden, was helfen kann, dass die Symptome sich nicht festsetzen.

Gibt es vorbeugende Maßnahmen?

Ja, die gibt es. Bereits oben genannt wurde die Zeitplanung, die ausreichend Erholungsmöglichkeiten lässt. Innerhalb der Gruppen könnten sich Gesprächskreise bilden, in denen darüber gesprochen werden kann, wie es den einzelnen geht, wie sich fühlen, was sie bedrückt usw.
Da Erfolge in näherer Zukunft nicht so wahrscheinlich sein werden, bzw. nur in kleinschrittigen Verbesserungen bestehen werden, wäre es wichtig, dass in den Gruppen auch so etwas wie eine Anerkennungskultur praktiziert werden würde. Alle sind engagiert im Rahmen ihrer Möglichkeiten, und manche vergleichen sich vielleicht mit anderen, die mehr Zeit investieren – ein zusätzlicher Stress. Jedes Engagement ist wichtig und es wäre hilfreich, wenn das auch ausdrücklich gewürdigt werden würde.
Ebenfalls hilfreich könnten Spieleabende, Tanzabende oder ähnliche Vergnügungen sein, die allerdings nichts mit dem Klima zu tun haben sollten.
Die Klima-Situation erfordert Engagement. Es dient den Zielen des Engagements nicht, wenn sich die Engagierten über ihre Grenzen hinaus anstrengen. Jede*r Einzelne kann sich immer wieder klar machen, dass keiner von uns alleine die Welt retten wird.

Klima und Psyche

Klimawandel und Sorge

Psychotherapie und soziale Struktur

Sigmund Freud ging davon aus, dass das Leben in einer zivilisierten Kultur fast zwangsläufig eine neurotische Anpassung hervorbringt. Wilhelm Reich engagierte sich in den Elendsvierteln von Wien, weil er davon ausging, dass die sozialen Umstände seelisches Leid mitverursachen. Auf der anderen Seite legte er dar, wie die gesellschaftliche Unterdrückung der Sexualität, faschistischen Parteien in die Hände spielt. Für das „Human Potential Movement“ und die Humanistische Psychotherapie lag (und liegt) es auf der Hand, dass persönlich-psychische Entwicklung und soziale Strukturen miteinander verbunden sind und aufeinander einwirken. Beide Aspekte sollten sich zum Besten der Menschheit weiter entwickeln.

Objektivierte Psychotherapie

Solche Gedanken sind, meiner Wahrnehmung nach, weitgehend aus der Klinischen Psychotherapie verschwunden. Psychisches Leiden ist eine Angelegenheit des persönlichen Erlebens. Nur die persönliche Biografie hat dieses wesentlich geformt. Wissenschaftliche Psychologie, Neurobiologie und –Psychologie, sowie Bildgebende Verfahren treiben die Objektivierung des psychischen Erlebens immer weiter voran. Subtil wird psychisches Erleben wieder mehr in Richtung eines „psychischen Apparats“ gedeutet, wenn auch heutzutage Computer Metaphern beliebter sind. Es geht darum, die Programmierung zu verändern, Algorithmen zu finden, die effektiver sind, Spuren zu löschen, bzw. neue anzulegen. In der PT geht es dann darum, sich so zu programmieren, dass soziale Härten und Ungerechtigkeiten bewältigt werden können und weniger darum, die Spielregeln des Umfelds zu verändern.

Die verkörperte Perspektive

Dass soziale Phänomene wie Krieg, Vertreibung, Pogrome u. ä. über die Kraft verfügen, Menschen zu traumatisieren ist klinisch bekannt, wissenschaftlich dargelegt und begründet. Gerade Gewalt, die von Mitmenschen erlitten wird, hat eine besonders starke traumatische Potenz. Weniger potent, aber immer noch wirksam, sind Naturkatastrophen wie Erdbeben, Überschwemmungen, Dürren oder Brände.
Wenn ich nun das psychische Erleben wieder stärker an die Existenz zurückbinde, es als persönliche Perspektive auf und in die Welt betrachte, dann erschließen sich verschiedene Horizonte für dieses Erleben. Der nächste und intimste Horizont wäre der eigene Körper mit all seinen Empfindungen, Gefühlen, Impulsen, Gedanken, Motiven, Wünschen und Zielen. Der Leib, verstanden als beseelter Körper, ist stets im psychischen Erleben präsent. Der Leib teilt mit, was und wie er etwas empfindet. Er gründet und formt das, was als Bewusstsein von etwas entsteht. Körperliche Symptome wie Schmerzen, Übelkeit oder Schwäche können das psychische Erleben beeinträchtigen. Es ist nur sehr schwer möglich, diese Erfahrungen vom Bewusstsein fernzuhalten.

Der Leib und die Lieben

Der Leib nimmt auch Anteil am nächsten Horizont, dem Horizont der bedeutsamen Beziehungsfiguren. Es geht um die Möglichkeiten einer persönlichen Liebesbeziehung, um das gemeinsame Erleben von etwas. Die Zugänglichkeit zum jeweils anderen, die Herausforderung aus zwei Perspektiven einen gemeinsamen Erlebnisraum zu gestalten. Störungen dieser Beziehung belasten die Psyche enorm. Je nach Vorerfahrung können die Sorgen und Ängste etwas zurückgedrängt werden, aber wenn die Beziehung bedeutungsvoll ist, ist das sehr schwierig.

Leib und Gesellschaft

Als nächst weiterer Horizont kann das soziale Umfeld betrachtet werden. Die Nachbarn, die Gemeinde, die Kolleg*innen und alle Menschen, die wir Tag für Tag sehen. Der Arbeitsplatz spielt eine besondere Rolle. Zum einen sind hier Beziehungen entstanden, zum anderen sichert der Arbeitsplatz die materielle Existenz. Eine Bedrohung des Arbeitsverhältnisses stellt ebenfalls eine erhebliche psychische Belastung für die Betroffenen dar. Diese Bedrohung kann im Arbeitsplatzverlust bestehen, oder durch ungute betriebliche Strukturen, durch Über- oder Unterlastung oder auch durch Mobbing Dynamiken. Auch hier ist es fast nicht möglich, den Sorgen zu entfliehen, bzw. sie zu vergessen oder zu verdrängen.

Horizonte

Ein Horizont entsteht dann, wenn ich in eine bestimmte Richtung schaue. Die nahen Horizonte erscheinen bereits, wenn ich nur die Augen öffne. Die ferneren Horizonte kann ich ignorieren, indem ich einfach nicht hinsehe.

Der nächst ferne Horizont könnte als ein größeres soziales Umfeld betrachtet werden. Das kann eine Religionszugehörigkeit sein, eine ethnische Zugehörigkeit oder einfach die Nationalität. Je nach Identifikation können auch hier Bedrohungen empfunden werden, bzw. fühlen sich die Gemeinden, Ethnien oder Staatsbürger als solche bedroht. Sicher ist, dass es solche Bedrohungen gibt. Aber die Drohung ist tendenziell weniger konkret, subtiler, verschwommener – oft ist es nicht leicht zu unterscheiden, ob die Bedrohung real ist, oder nur heraufbeschworen wird. Psychisch wird diese Situation dann auch als unbehaglich erlebt. Insgesamt lässt sie sich aber meist besser ignorieren oder wegschieben, als in den anderen Fällen (es sei denn sie ist sehr real).

Der maximale Horizont wäre vielleicht die Erde an sich, verstanden als gemeinsame Grundlage der Existenz der Gattung (und allen Lebens) oder als Gesamtheit aller Kommunikationen. Durch die modernen Medien ist dieser Horizont näher gerückt. Er ist allerdings so gewaltig, dass immer nur Ausschnitte von ihm sichtbar werden. Wenn ich etwas Unschönes, Beunruhigendes entdecke, ist es leicht möglich, den Kanal zu wechseln. Die doppelte Distanz – räumlich und dazu noch virtuell – erleichtert es, bedrückende Bilder zu vergessen, zu verdrängen oder zu verleugnen.

Gefahren am Horizont

Nun wird bekannt, dass die gemeinsame Existenzgrundlage bedroht ist. Nach Jahrzehnten, in denen Politik und Wirtschaft die Bedrohung verharmlost und ignoriert haben, verbreiten engagierte Mitmenschen nun die Botschaft mit Nachdruck Die Wucht dieser Botschaft ist niederschmetternd, wenn man sich auf sie einlässt, wenn man sie in ihrer ganzen Tragweite erfasst. Es wird zunehmend schwieriger, die Situation zu verdrängen oder zu verleugnen. Ein Abwehrversuch könnte es auch sein, die Verkünder der Botschaft anzugreifen.

Ohnmacht

Ein Aspekt des Geschehens ist die persönliche Ohnmacht. Das, was schon geschehen ist, lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Die Veränderung geschieht bereits. In diesem Sinn sind wir zum passiven Erleiden verurteilt. Ohnmacht ist für ein Bewusstsein ein ziemlich inakzeptabler Zustand. Die beliebte Möglichkeit damit umzugehen ist es, Schuldige anzuklagen – sei das mich selbst, mit meinen Konsumgewohnheiten, oder andere, die dieses oder jenes zur Misere beigetragen haben und womöglich immer noch beitragen. Diese Abwehrmanöver scheitern zwangsläufig, denn der Konflikt bleibt präsent. Er wird immer und immer wieder präsentiert und es ist keine Flucht davor möglich.

Kampf gegen die Ohnmacht

Um psychisch gesund zu sein, brauche Menschen die psychische Abwehrmechanismen. Sie aufrecht zu erhalten, kostet den Leib und den Geist eine gewisse Anstrengung. Jeder Konflikt, jede Herausforderung und jede Schwierigkeit, die das psychische Erleben zusätzlich belasten, fordern größere Abwehrleistungen. In einer Zeit, in der ohnehin schon die Beschleunigung, die Digitalisierung und ein hoher Anpassungsdruck bewältigt werden müssen, kommt nun noch nicht weniger, als ein apokalyptisches Szenario hinzu.

Psychotherapie kennt sich aus mit Ohnmacht, Schreck, Verleugnung, Gewalt und Angst. Ich denke, es ist an der Zeit, dass Psychotherapeut*innen sich daran erinnern, dass es in der Geschichte der PT schon einmal die Einsicht gab, dass gesellschaftliche und politische Strukturen auch Krankheiten erzeugen können. Dass sie nicht nur dazu da sein wollen, einfach die Betroffenen wieder gesund zu machen, damit sie wieder in die Maschinerie entlassen werden können.

Psychotherapie in der Klimawandel Ära

Psychotherapeut*innen haben wertvolles Wissen und ebensolche Fähigkeiten. Sie können dabei mitwirken, die Strukturen zu verändern und die auf uns zukommenden Veränderungen möglichst bekömmlich zu gestalten. Darin mag vielleicht ein klein wenig Hoffnung liegen. Dass aus dieser Krise etwas Bekömmlicheres entstehen könnte, als das, was uns an diesen Punkt der Geschichte geführt hat.

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