Die Psychosomatik entdeckt die Neurobiologie

Bericht vom Psychosomatischen Dienstags-Kolloquium „Körper – Seele – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg vom 17.04.18 Von Prof. Dr. Grit Hein:                          „Was uns antreibt – Über die Neurobiologie sozialer Motive“

Frau Hein beginnt ihren Vortrag damit, dass sie uns die Gedanken bekannter Denker zum Thema „Motivation“ präsentiert z. B. Leonardo da Vinci: „Motive sind die treibende Kraft des Lebens“; Thomas Mann: „Motive verstehen heißt menschliches Verhalten verstehen“; Immanuel Kant: „Eine Handlung ist dann wesentlich gut, wenn die Motive des Handelnden gut sind, unabhängig von den Auswirkungen.“

Theorien zur Motivation

Wo Künstler, Schriftsteller und Philosophen ein Thema bedenken kann die Wissenschaft der Psychologie nicht zurückstehen. Im Verlauf der Psychologiegeschichte wurden etliche Motivationstheorien entwickelt, die verschiedene Schwerpunkte gesetzt haben. So die Theorie von Henry M. Murray, der Motive als stabile Persönlichkeitseigenschaften ansah und die von den Grundbedürfnissen nach Kontrolle und Zugehörigkeit charakterisiert sind.
Dieser Ansatz wurde von David McClelland weiter ausdifferenziert in die Grundmotive von Zugehörigkeit, Macht und Leistung, denen jeweils Wünsche und Befürchtungen entsprechen, die das menschliche Verhalten beeinflussen.
Relativ bekannt ist die Maslow’sche Bedürfnispyramide mit ihren Defizitbedürfnissen und ihren Wachstumsbedürfnissen – in der Folie der Vortragenden „Unstillbare Bedürfnisse“ genannt. Maslow ordnete physiologische Bedürfnisse, Sicherheitsbedürfnisse und soziale Bedürfnisse als Grundlagen, die erfüllt sein müssen an. Sie bilden die Basis der Pyramide und ihre Nichterfüllung motiviert die Betroffenen maximal. Erst wenn diese Grundlagen gewährleistet sind kann ein Mensch nach Maslow sich um Geltung und Selbstverwirklichung kümmern.
Eine weitere Betrachtung unterscheidet zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation. Intrinsisch entstehen Neugier und emotionale Anreize, sowie Erfolgserwartungen; Extrinsisch wir positive Verstärkung in Form von Belohnungen oder negative Verstärkung im in Form von Zwang erfahren.

Sind Motive änderbar?

Die Lieblingstheorie von Frau Hein ist allerdings die von Kurt Lewin, der Motive als veränderbar ansieht. Für ihn reflektieren Motive das ultimative Ziel von Individuen, was sich für Verhaltensvorhersagen nutzen lässt. Weiter behauptet er, dass Motive aktivierbar und situativ veränderbar sind, was dann die Basis für Interventionen darstellt.
Das Problem der Psychologie mit den Motiven ist, dass sie nur schwer erfassbar sind. Motive sind privat und nicht beobachtbar. Darüber hinaus können unterschiedliche Motive zu gleichem Verhalten führen. Als Beispiel sehen wir ein Foto von zwei Männern, die eine Couch tragen. Einer von ihnen zieht um, der andere hilft. Hilft er weil er Empathie zeigen möchte? (Hier mit dem Ziel des Wohlergehens des anderen verbunden), oder hilft er aus Reziprozitätsgründen? (mit dem Ziel einen Gefallen zu erwidern)

Forschung in der Röhre

Frau Hein möchte uns darüber aufklären, mit welchen Tricks sie diesen Fragen nachforscht. Aber zuvor gibt sie uns eine Einführung in die nicht-invasiven Techniken der Neurobiologie. Sie selbst forscht am häufigsten mit der „fMRT“, der funktionellen Magnetresonanztomografie. Ihre Begeisterung für diese technischen Möglichkeiten sind ihr anzumerken, denn sie ermöglichen ein „nicht-invasives Maß, welches Denken, Fühlen, Wahrnehmen und Handeln abbilden kann“ (dem philosophisch Halbgebildeten sträuben sich die Haare bei solchen Formulierungen). Eine neue Variante der Technik ist, dass nun nicht nur bunte Bilder von Gehirnregionen gezeigt werden können, sondern auch welche Gehirnbereiche, in welchen zeitlichen Mustern miteinander interagieren. Genau dies ermöglicht nämlich erst die Unterscheidung von Empathie und Reziprozität in der Gehirntätigkeit.

Im sogenannten „interaktiven Paradigma“ – was so viel heißt, dass der Proband in der Röhre liegt, aber die Hände von Mitmenschen sehen kann, die neben der Röhre sitzen – werden nun Versuche mit sozialen Gefühlen gemacht. Die derzeit beliebten Spiele der Neuroforschung haben häufig damit zu tun, wie Geldbeträge aufgeteilt werden. Für die meisten Menschen ist eine Teilung von vierzig zu sechzig Prozent akzeptabel (d.h. sie nehmen die vierzig Prozent, weil sonst das Geld weg wäre). Dies wird nun kombiniert mit einem bekannten Phänomen, der Empathie Einschränkung gegenüber Out-Group Mitgliedern – Menschen sind in aller Regel empathischer mit Mitglieder der eigenen Gruppe.

Empathie ist erlernbar

Außerdem ist die Möglichkeit bekannt, Empathie und/oder Reziprozität zu induzieren, also von außen herbeizuführen. Empathie in der Form, dass vor dem Teilungsversuch Bilder des später zu Begünstigendem gezeigt werden, wo dieser Schmerz empfindet. Wer einen leidenden Menschen sieht, ist eher geneigt, ihm Empathie entgegenzubringen. Reziprozität lässt sich so induzieren, dass derjenige, der das Geld aufteilen darf ein Bild sieht, auf dem sein Spielpartner Geld dafür bezahlt, damit dem Verteiler kein Schmerz zugefügt wird.

Mit herkömmlicher fMRT lassen sich keine Unterschiede zwischen diesen beiden Motiven feststellen. Erst wenn das „Dynamic Causal Modelling“ verwendet wird, dass die räumliche und zeitliche Verteilung der Gehirnprozesse zeigt, werden die Unterschiede sichtbar.
Frau Hein berichtet von einem Experiment in Zürich, in dem Schweizer und Bosnier (In-Group/Out-Group) so miteinander interagieren mussten, dass sie lernen konnten, auch den Out-Group zugehörigen ein identisches Maß an Empathie und Reziprozität aufbringen konnten – Vorurteile lassen sich verlernen!

Zukunftsaussichten

In ihren Abschlussworten betont sie, dass diese Methodik noch sehr am Anfang steht und dass sie bis auf weiteres keinesfalls die Möglichkeit eröffnen wird, Motive zu entlarven. Die Wirklichkeit ist enorm komplex und maschinelles „Mind-Reading“ liegt noch in weiter Ferne, falls es überhaupt möglich ist.
Einen Anwendungsbereich sieht sie jedoch für die klinische Psychologie zur Darstellung und Diagnostik von „motivationalen Defiziten“ bei psychischen Erkrankungen.
Abgesehen von der etwas langatmigen Technikerklärung war es ein recht interessanter Vortrag für mich. Wieder einmal dachte ich, dass der Zugang technischer Möglichkeiten zur Psyche eine recht zweischneidige Angelegenheit ist. Sie gewährt einerseits mehr Verständnis für die neuronalen Prozesse der Psyche, mit der Gefahr, diese auf neuronale Tätigkeiten zu reduzieren. Sie eröffnet andererseits auch Möglichkeiten der Beeinflussung, über deren möglichen Missbrauch, sich die Zunft scheinbar wenig Gedanken macht.

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