Die Psychosomatik erkundet Beziehungen zwischen Musizierenden und ihren Instrumenten

Bericht vom Kolloquium „Seele – Körper – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg
Vortrag von Karin Nohr
Dr. phil., Schriftstellerin, Psychoanalytikerin, Gründungsmitglied
der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse und Musik e.V.,
Berlin

Zwilling, Schatten, Partner, Feind

Zur „Beziehung“ zwischen Musizierenden und ihren Instrumenten

Wie wohltuend! Ein Thema wie aus einer „guten alten Zeit“. Nicht Corona, nicht Klima, sondern eine Forschungsarbeit, die sich mit nicht ganz alltäglichen Beziehungen befasst und uns etwas über das „Mensch-Sein“ aufzeigen kann.

Persönlicher Zugang

Frau Nohr informiert uns darüber, dass sie inzwischen hauptsächlich Romane schreibt. Anlässlich des Vortrags hat sie ihre, inzwischen 30 Jahre alte Untersuchung, noch einmal betrachtet. Sie möchte uns davon berichten, wie sich Musizierende ihren Instrumenten annähern und wie sie zum Instrument kamen. Sie fragt sich heute, was davon für Musizierende noch relevant sein könnte, und was sie heute anders machen würde.
Aber zunächst berichtet sie von ihrem eigenen Weg zu dieser Forschung, wobei auch ihre musikalische Karriere eine Rolle spielt. Dieser Weg führte sie vom Cello (neuntes Lebensjahr) zur Querflöte und weiter zum immer noch aktuellen Gesang.
Der Konflikt mit ihrem ersten Instrument, die „Hass-Liebe“, die sie dazu entwickelte, erklärt sie mit einem Erlebnis. Sie hatte ein Cello Konzert gehört, und war tief von dem Klang beeindruckt, den einer der beiden Spieler dem Instrument entlockt hatte. Sie berichtete ihrem Lehrer davon und vom Wunsch, ebenfalls solche Töne zu erzeugen. Der Lehrer erwiderte etwas trocken: „Ja, ja, aber erst einmal über wir Tonleitern.“ Auf der Beziehungsebene empfand sie das als „kalte Dusche“ und diese Ambivalenz übertrug sie auf das Instrument.
Während ihrer Studienzeit vernachlässigte sie die Musik und erst in ihrer Lehranalyse hatte sie einen Traum. Sie spielt mit einer anderen Frau Querflöte, aber es gelingt ihr nicht, der Flöte Töne zu erzeugen. Sie überprüft die Flöte und entdeckt, dass diese, voller Wolle steckt. Der Gedanke an die strickende Mutter lag nahe. Und der nächste Gedanke war, dass sie nun vielleicht wieder musizieren könnte. So begannen ihre Querflötenkarriere und ihr Interesse an der Beziehung von Musizierenden zu ihren Instrumenten.

Forschungsmethoden und -Ergebnisse

Ihre Herausforderung als Forscherin war: Wie könnte sie sich auf wissenschaftliche Art, also nachprüfbar, sachlich und interdisziplinär, diesem Thema annähern? Es lag nahe, dass die Psychologie, die ja auch eine Wissenschaft der Beziehungen ist, eine Rolle spielen muss. Allerdings lag weder aus der Psychologie, noch aus der Musikwissenschaft und -Geschichte etwas Solides zum Thema vor.
Sie entschied sich dazu, eine qualitative Textanalyse von Autobiografien berühmter Künstler zu machen. Dafür studierte sie 41 Bücher. Ihre Forschung enthüllte ihr vier Arten, wie diese Musiker (es waren übrigens alles Männer) zu ihrem Instrument kamen. Die Art des Beginns bestimmt nämlich die Beziehung zum Instrument mit, so Frau Nohr.
Das erste Muster nennt sie „Übernahme“. Bereits die Eltern, oder ein Elter, spielten das Instrument und das Kind wächst gewissermaßen in die Beziehung hinein – „nimmt es mit der Muttermilch auf“.
Das zweite Muster nennt sie „Übergabe“. Die Eltern drängen das Kind zu einem Instrument. Hieraus entwickelt sich nicht selten eine ambivalente Beziehung, denn die Aufgabe steht im Konflikt mit der Autonomieentwicklung des Kindes. Dieses kann der Ärger auf die Eltern dann durchaus auf das Instrument verschieben.
Ein drittes Muster nennt sie „Suche“ oder auch „der überraschende Fund“. Es ist geprägt von Begegnungen mit dem Instrument, die als „himmlisch, paradiesische Erfahrung“ geschildert wird. Die Vortragende vermutet Anklänge an eine vorsprachliche Zeit und der Assoziation mit der mütterlichen Stimme.
Das vierte Muster schließlich, nennt sie „Beliebig“. Es zeichnet sich durch ein unpersönliches, sachliches Verhältnis zum Instrument aus. Trotzdem mag auch in diesem Muster eine Verheißung stecken, denn das Instrument zu finden, betrifft immer mehr als nur das Instrument.

Beziehungsgestaltungen

Viele Instrumentalisten leiden an der Beziehung zu ihrem Instrument. Das liegt nicht nur am Instrument, sondern vor allem am stressigen Umfeld, in dem Profis leben müssen – Reisen, Termine, Kritiken u.v.m. macht ihnen das Musikerleben oft schwer.
Der Aufbruch in ein solches Leben ist oft von wichtigen Beziehungsbotschaften gefärbt. Eltern oder Lehrer prophezeien dem Kind eine große Karriere, legen mitunter Gelübde ab, das Kind zum Erfolg zu führen. Solche Botschaften sind wichtig für die Identitätsentwicklung, sie beflügeln die Fantasie und entwickeln sich zum Lebensprojekt des Kindes.
Häufig auch findet sich der Fall, dass eine engagierte Mutter den Ausschlag gab. Der ganze spätere Erfolg ist ihr zu verdanken. Diese Konstellation bringt die Gefahr von Schuldgefühlen mit sich. Wie könnte ein solcher Einsatz auch vergolten werden können?
Aber nicht wenige Musiker nutzen das Instrument auch als Alibi, um sich zurückziehen zu können. Das Instrument wird zum Werkzeug der Nähe-Distanz-Regulation. Es dient als Versteck bei drohenden Konflikten.
Die vielleicht gelungenste Beziehungserfahrung liegt wohl im Glücksgefühl des Muszierens an sich. Erfülltes Musizieren bewirkt eine Art Metamorphose, es führt zu einer Verschmelzung von Musiker und Instrument – eine gelungene Gestalt von sinnlich-geistiger Existenzerfahrung. Das Körperschema verändert sich. Der Musiker empfindet sich als Teil eines höheren und schönen Ganzen. Die psychische Erfahrung weist Qualitäten eines Flow-Zustands auf.
Auch hier vermutet Frau Nohr Anklänge an frühkindliche, vorsprachliche Körperzustände. Es ist ein Lustgefühl, zu musizieren.

Partnermuster

Aus den Schilderungen der Musiker, wie sie ihr Instrument sehen, zeichnen sich wiederum vier Muster ab.
Vor allem von Geigern ist bekannt, dass sie ihrem Instrument eine eigene Individualität zuschreiben. Frau Nohr vermutet projektive Vorgänge dahinter. Das Instrument hat seine Launen, manchmal hat es keine Lust zu klingen.
Eine andere Möglichkeit unterstellt dem Instrument einen eigenen Willen. Es stellt gewissermaßen ein anderes Ich dar, einen positiven Doppelgänger. Frau Nohr vermutet, dass hier Selbstanteile auf das Instrument projiziert werden.
Noch eine Möglichkeit umschreibt sie, angelehnt an C.G. Jung, mit dem Begriff des „Schattens“. In diesem Fall vermutet sie, dass negative Selbstanteile projiziert werden.
Eher selten gibt es auch eine ausgesprochen feindselige Beziehung zum Instrument. Es wird zu einem „überdeterminierten Gegenstand“, der die Projektionen des Künstlers aufnehmen soll.
Im besten Fall, so Frau Nohr, wird das Instrument als „Erbe der mütterlichen Stimme“ zu positiven Identifikationen führen. Musizieren kann zu Glückszuständen führen, und zwar auch bei Laienmusikant*innen.

Anregungen und Resümee

Das Verhältnis von Musizierenden zu ihren Instrumenten erlaubt Rückschlüsse auf die Psyche der Beteiligten. Ein häufiges psychisches Phänomen ist der Verlust der Spielfreude. Das kann verschiedene Ursachen haben. Die Erwartungen an das musizierende Kind können zu hoch sein; die Eltern glauben nicht wirklich an die musikalischen Fähigkeiten des Kinds; das Kind hat keine musikalischen Vorbilder; die Erwartungen sind hoch, aber die Förderung lässt zu wünschen übrig; es wird zu viel geübt.
Beziehungen sind sehr komplex. Deshalb empfiehlt Frau Nohr Eltern, die ihren Kindern Instrumente schenken wollen, zunächst über sich selbst und seine Motive nachzudenken. Denn, beim Instrumente schenken zeigt der Schenker viel von sich selbst, er/sie schenkt gewissermaßen einen Teil von sich selbst.
Damit hat sie ihre Forschungsergebnisse und Schlussfolgerungen vorgetragen. Würde sie diese Forschung heute wieder aufnehmen, würde sie vor allem Frauen mit aufnehmen. Sie würde sich Gedanken darüber machen, was „passen“ eigentlich bedeutet. Ebenso würde sie der Verinnerlichung von Beziehungsprozessen mehr Aufmerksamkeit schenken, und als Forschungsparadigma würde sie Gespräche verwenden.

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