Die Psychosomatik entdeckt das echte Gespräch

Gespräche können heilen

Bericht vom Psychosomatischen Dienstags-Kolloquiums „Körper – Seele – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg vom 15.01.19  von: Giovanni Maio Prof. Dr. med. M.A., Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg:          „Das echte Gespräch als Grundlage allen Heilens“

In einem völlig überfüllten Audi Max beginnt Herr Maio seinen Vortrag mit der Feststellung, dass das Gespräch die Grundlage allen medizinischen Handelns ist. Das Gespräch sei natürlich nicht alles, aber ohne Gespräch sei eben alles nichts. Warum ist das so? Was macht das Gespräch so wichtig? Es steht im Zentrum aller hilfsbedürftigen Menschen, die sich an Vertreter der Medizin – Ärzte, Schwestern, Pfleger etc. – wenden. Ein Gespräch ist keine Diskussion, kein Gerede, keine Unterhaltung. Aber was macht ein Gespräch zu einem Gespräch? Worauf kommt es an. Herr Maio möchte dies in fünf Punkten erläutern.

Was ist ein Gespräch?

1. Ein Gespräch ist Verständigung

Der Wunsch verstanden zu werden trifft auf die Bereitschaft, verstehen zu wollen. Verstehen wollen ist die Haltung, den Anspruch des anderen zu vernehmen. Der Andere erfährt Anerkennung als Anderer, der noch unbekannt ist. Durch Ansprechbarkeit öffnet sich der Raum des Gesprächs für Unvorhersehbares, Überraschungen können auftreten, denn ein echtes Gespräch ist die Produktion von etwas Neuem.

2. Ein Gespräch ist Antwort geben

Es ist eine Antwort für den Anderen, es gibt keinen festen Plan dafür. Gespräche sind eine „responsive Arbeit“. So gesehen sind medizinische Berufe antwortende Berufe. Sie antworten auf den Appell, den der Kranke alleine durch seinen Zustand äußert. Die Antwort ist eine Verantwortung. Es besteht ein inneres Verlangen dem Patienten gerecht zu werden – aufgerufen zu sein. Es ist fatal, wenn dafür keine Zeit vorhanden ist. Das Gespräch selbst ist die Antwort für den Patienten – nicht seine Frage, sondern der Fragende selbst.

3. Ein Gespräch ist ein Ereignis

Ein Gespräch kennt keinen festen Ablauf, es ist ein lebendiges Ereignis. Gespräch sind ungewiss und unvorhersehbar, denn was darin geschieht ist gewissermaßen ein dialogisches Ausgeliefert-Sein. Die Interaktion zwischen zwei Menschen erzeugt eine Eigendynamik, deren Eigenleben einen eigengesetzlichen Verlauf nimmt. Die Begegnung öffnet einen Raum, in dem der „Geist des Gesprächs“ sich entfalten kann. Es ist ein unerzwingbares Ereignis, das von Seiten der Helfer mit behutsamen Entgegenkommen begünstigt werden kann.

4. Ein Gespräch ist Wechselseitigkeit

In einem Gespräch herrscht die Freiheit des Wortes. Es gibt darin keine Abhängigkeiten sondern es beruht auf Gegenseitigkeit. Keiner kann das letzte Wort haben. Im Gespräch ergeben sich nicht objektivierbare Befunde. Diese sind zwar ebenfalls wichtig und fordern auch Anerkennung, aber erst das bedeutsame Gespräch vervollständigt die Situation. Denn in ihm erfahren wir etwas vom Lebensweg und der Geschichte des Kranken, etwas von seiner Situation und von seinen Erwartungen. Dazu braucht es die Begegnung auf Augenhöhe. Auch der Mediziner kann von jedem Patienten noch etwas lernen, wenn er bereit ist, sich ansprechen zu lassen. Das Zustandekommen eines Gespräch ist wie das „gemeinsame Anstimmen eines Lieds“.

5. Ein Gespräch ist ein Erlebnis

In einem echten Gespräch werden nicht Fakten rekapituliert. Es ist eine Erfahrung, die Spuren hinterlässt. Die Beteiligten nehmen etwas davon mit, bewahren etwas auf. Der Prozess der Teilhabe schafft persönliche Beteiligung und Bindung.

Was bedeutet ein Gespräch?

Wie sieht es nun mit der Bedeutung des Gesprächs aus? Auch dazu präsentiert uns Herr Maio fünf Punkte.

1. Das Gespräch hält die menschliche Vielschichtigkeit offen

Die objektiven Befunde eines Kranken betreffen nur eine Schicht. Der Mensch ist aber eine Person, die Ambivalenzen und Brüche kennt, widersprüchlich denkt und handelt und immer im Fluss ist. Tatsachen. Befunde und Diagnosen werden  einer Person niemals gerecht. Für eine Person bedarf es einer „Restauration der Besonderheit“.

2. Das Gespräch entfaltet eine verpflichtende Kraft

Im echten Gespräch nehmen sich die Sprechenden beim Wort. Gesagt ist gesagt und damit wird etwas versprochen. Die Personen stehen zu ihren Worten. Anders als im Klinikalltag, der die unpersönliche Ansprache kennt, übernehmen Gesprächsteilnehmer Verantwortung für das Gesagte. Dies kann Ängste lösen, und das Gefühl von getragen-sein begünstigen. Eine solche Begegnung ist kein Vertrag, denn sie ist persönlich und unvorhersehbar. Ein Gespräch kann nicht in einen Algorithmus verwandelt werden, denn es findet immer neu im Hier und Jetzt statt. So können zwei Patienten mit demselben Befund in völlig verschiedenen Situationen sein. Nur in der Gesprächssituation kann sich der Patient als Individuum gewürdigt finden.

3. Das Gespräch ist ein Gemeinschaftserleben

Es ist ein gemeinsames Produkt. In der „zwischenleiblichen“ Begegnung entsteht eine Gemeinsamkeit durch die Suche nach Verständigung, so dass Verständnis und Gemeinsamkeit miteinander entstehen. Füreinander und Miteinander erleben die Partner „Stimmigkeit“ und Resonanz. Dies kann zu Erneuerung führen.

4. Das Gespräch stiftet Eigengesetzlichkeit

Tatsachen werden im Gespräch verwandelt, sie erhalten eine neue Gestalt und werden aus anderen Perspektiven wahrgenommen. Vage Gefühle und Stimmungen verdichten sich darin. Durch die Auswahl aus allen Möglichkeiten, was gesagt werden könnte, entsteht etwas Neues, so wird es möglich, sich selbst anders zu betrachten.

5. Das Gespräch ermöglicht Transformation

Das gegenseitige Anerkennungsverhältnis begünstigt Verwandlungen. Es fördert die Selbstachtung, lässt einen die eigene Wichtigkeit erleben. Wie auf einem Podest erfährt der Patient eine Aufwertung durch Zuwendung. So kann ein Gespräch erleichtern, entlasten und reinigen. Es kann versöhnen, indem es den Konflikt in der Sprache aufbewahrt. Ein solches Gespräch kann Übereinstimmungen erzeugen und Gegensätze versöhnen. Es kann dabei helfen, die Fremdheit des Krank-Seins zu überwinden und es kann eine „Brücke über den reißenden Strom der Andersheit“ bauen. Ein echtes Gespräch führt zu Zuversicht und Zutrauen.

Fazit

Zum Abschluss stellt Herr Maio noch die Frage, was das nun für die Medizin bedeutet.
Er beklagt die Bürokratisierung und den Effizienzwahn, der die Medizin befallen hat. Auch dass die notwendige Zeit für Gespräche als dysfunktional angesehen wird kann ihm nicht gefallen. Gespräche lassen sich nicht einplanen. Sie brauchen ihre Eigenzeit, die ihnen mehr und mehr verwehrt wird. Die zunehmende reine Zweckrationalität in der Medizin, macht Gespräche, bei allem technischen Fortschritt, eher schlechter. Gespräche sind nicht im eigentlichen Sinn Handlungen oder Aktionen. Solche verhindern eher, dass ein Gespräch geführt werden kann. Gespräche finden in einer ausgezeichneten Zeit des Nicht-Handelns statt. Die Betriebsamkeit ist außer Kraft gesetzt. Das Gespräch schwebt über dem Pragmatischen – es ist beruhigend, hält die Zeit an, bietet Sammlung, Ruhe und Muse. Das erfordert Geduld und Respekt, die Loslösung von der Ich-Perspektive und eine unaufdringliche Demut. Gespräche sind ein Wert an sich, der in der Medizin wieder aufgewertet werden müsste.

Die Psychosomatik entdeckt den Clown

Der Clown in Kultur und Psyche

Bericht vom Psychosomatischen Dienstags-Kolloquium „Körper – Seele – Geist“ der Psychosomatischen Klinik Freiburg vom 10.01.19
„Sind wir alle Clowns?“ von Richard Weihe Prof. Dr. habil., Accademia Teatro Dimitri, Verscio/CH, mit Wilson Raúl Vargas Torres, Berlin/Tromsø

Schon in der Anmoderation taucht die Frage auf, was denn der Clown mit dem Thema der Vortragsreihe zu tun haben könnte. Bekannt ist natürlich, dass Humor heilsam wirkt – die Klinik Clowns legen davon Zeugnis ab – aber wir mussten warten, was uns Herr Weihe darüber sagen möchte.

Kulturgeschichte des Clowns

Der Vortrag beginnt mit einer kleinen Kulturgeschichte des Clowns. Vom Wortstamm her bedeutet „Clown“ so viel wie ein dümmlicher, bäurischer, ungeschickter Mensch, der keine Manieren kennt. Erst mit Shakespeare bekam der Clown eine Rolle. Auf der Bühne war er für Witze und Humor, Komik und Narretei zuständig. Damit wurde der Unterschied vom „natürlichen Clown“ zum „künstlichen Clown“ etabliert.
Erst um ca. 1800 tauchte der heutzutage bekannte Clown zum ersten Mal auf. Er entstand aus der Harlekin Figur der Commedia del Arte. Es dauerte noch einmal fast hundert Jahre bist der erste „Dumme August“ aus Versehen (man könnte sagen aus Schusseligkeit) erfunden wurde. Die letzte Neuerung stellt der „Grusel Clown“ dar – 1980 war der Clown „Pennywise“ im Film „Es“ zu sehen und zu fürchten.
Zu den klassischen Bezeichnungen „Weißer Clown“ mit Kegelhut und immer besserwisserisch, dem „Roten Clown“ mit roter Nase und großen Schuhen, benennt Herr Weihe nun auch noch den „Schwarzen Clown“, eben jene Horror Clowns, die nun in der Kultur herumgeistern.
Der Weiße Clown steht für das Rationale des Menschen, für das was man tun soll und was sich gehört. Der Rote Clown, so Herr Weihe, steht für die eher chaotische Triebseite und für den professionellen Umgang mit Scheitern.

Die Kunst des Clowns

Wie funktioniert die Clownerie? Wie schaffen es Clowns, ihren Auftrag – die Zuschauer zum Lachen zu bringen – zu erfüllen? Zunächst einmal geht es um „die kleinste Maske der Welt“ – die rote Nase. Sie schafft ein Spannungsverhältnis zwischen der Figur des Clowns und dem Menschen, der diese Rolle spielt. Jederzeit wissen die Zuschauer, dass sich hinter der Maske ein Mensch verbirgt. Diese doppelte Identität ist die Grundlage für die Gegensätze, die ein Clown auf die Bühne bringt.

Herr Weihe hat sieben verschiedene Clownsspiele identifiziert, die uns seine Ex-Schüler Wilson Torres demonstriert.
1. Körperspiel – der tollpatschige Clown, der stolpert und stürzt erfordert vom Menschen hinter der Maske akrobatisches Können.
2. Sprechspiel – der stammelnde, um Worte ringende Clown erfordert eine große Sprach- und Stimmbeherrschung des Spielers
3. Generationsspiel – das kindlich, alberne Gehabe des Clowns wird von einem erwachsenen Menschen dargeboten
4. Ausbruchsspiel – die ganze Palette dramatischer Gefühlsausbrüche wird willkürlich und technisch vom Spieler produziert
5. Invasionsspiel – das Überschreiten persönlicher Grenzen – Verwuscheln von Haaren etwa – wird von einem zivilisierten Spieler ausgeführt
6. Genderspiel – die Verwandlung des Geschlechts wird durch Kleidung und Gestik spielerisch dargestellt
7. Sittlichkeitsspiel – der Clown verstößt immer wieder gegen die Vorstellungen von Anstand und Sitte, obwohl er sie genau kennt und als Bürger auch einhält.

Viele Clowns erstreben die Verschmelzung von Rolle und Person, möchten den Clown und den Menschen dahinter verschmelzen. Der Schweizer Clown Dimitri hat es sogar geschafft, seinen Künstlernamen (der auch sein Vorname war) zu seinem Nachnamen ändern zu lassen.

Was hat der Clown mit mir zu tun?

Dann führt uns Herr Weihe eine Röntgenaufnahme vor, die einen Menschen mit kegelförmigem Hinterkopf (Weißer Clown), einer kugelrunden Nase (Roter Clown) und kräftigen Kieferknochen (Schwarzer Clown) zeigt. Der Clown ist kein Homo Sapiens sondern eher eine Homo Inscitus (unverständig). Aus dieser Sicht fragt der Vortragende noch einmal: „Sind wir alle Clowns?“ Und bejaht dies, unter der Voraussetzung, dass wir erkennen, dass wir es alle einmal waren. Und: „Nicht der Clown ist der Doofe, sondern der Mensch.“

Damit kommt Herr Weihe zum Schluss seines Vortrags. Er verwendet dazu die „kinetische Signatur“ des Clowns, das Stolpern. Menschen stolpern und sie stolpern unter anderem deshalb, weil sie in zwei Arten von Tempo unterwegs sind. Das Tempo des technischen Fortschritts, der Fortschritt der Menschheit (Weißer Clown), das für den Einzelnen oft zu schnell wird. Er hat die zu großen Schuhe des Roten Clowns an den Füßen und kommt nicht mit. Er stolpert und holt sich dabei die blutig, rote Nase.

Fazit

Zu den Schlussfolgerungen, was diese Einsichten mit „Körper – Seele – Geist“ zu tun haben schweigt sich Herr Weihe aus. Ich kann hier also nur meine eigenen Gedanken anbieten.
Der Clown ist ein Spiegel des Menschen, insofern er uns das zeigen kann, was wir an uns nicht mögen, unser Scheitern, unser Unverständnis und unsere Begrenztheit.
Der Clown bietet uns an dieser Stelle eine Versöhnung mit diesen ungeliebten Eigenschaften an. Die Möglichkeit, über uns selbst zu lachen (ein Merkmal übrigens, das für Victor Frankl den Menschen überhaupt erst ausmacht).
Der Clown ist eine „Landkarte“ des Inneren des Menschen. Die Über-Ich Figur des Weißen Clowns versucht mit Strenge die Es-Figur des schusseligen Roten Clowns zum richtigen Verhalten zu erziehen, und scheitert regelmäßig damit. Für mich eine Aufforderung, nicht allzu streng mit sich selbst zu sein, sich das Recht zu nehmen, Regeln selbst zu überprüfen und Spaß und Neugier nicht zu kurz kommen zu lassen. (Denn bei zu viel Frust bekommt womöglich der Schwarze Clown seinen Auftritt).
Der Clown weist uns auf die Widersprüchlichkeiten des Lebens hin, und dass diese Widersprüche sich auch immer wieder miteinander versöhnen, und ineinander übergehen können. Albernheit kann in Ernst umschlagen, Schnelligkeit in Langsamkeit, Grenzen sind variabel u.v.m. Widersprüche sind also keine Gegensätze, die sich ausschließen sondern zwei Pole, die einander ergänzen und erst gemeinsam ein stimmiges Bild ergeben.

Psychotherapie für Freiberufler und Studenten

Für wen kann es sinnvoll sein, seine Psychotherapie selbst zu bezahlen? Freiberufler*innen und Selbstständige unterliegen oft besonderen beruflichen Belastungen. Zeitaufwand und Einsatz lassen sich nicht gut planen und der Beruf dringt mitunter tief in die Privatsphäre ein. Diese Belastung kann, besonders bei Rückschlägen oder ausbleibendem Erfolg, zu schwierigen Gemütslagen führen, die sich evtl. zu einer depressiven Verstimmung vertiefen.
Alle Statistiken weisen darauf hin, dass Depressionen, das Burn-out Syndrom und andere psychische Erkrankungen ein ständig anwachsendes Phänomen darstellen. Dadurch ist die Grundversorgung durch Psychotherapeut*innen in einigen städtischen Räumen nur noch notdürftig und z. T. nur mit erheblichen Wartezeiten gewährleistet.

Privat versichert – ein Vorteil?


Selbstständige und Freiberufler*innen sind häufig privat krankenversichert. Das heißt zunächst, dass sie es leichter haben, einen freien Therapieplatz zu bekommen. Was allerdings die wenigsten wissen, ist, dass damit auch ein gewisses Zukunftsrisiko verbunden ist. Dieses besteht darin, dass sie bei einem Kassenwechsel entweder von der neuen Kasse gar nicht mehr aufgenommen werden oder einen erheblichen Risikozuschlag dafür bezahlen müssten. Eine kassenbezahlte Psychotherapie ist in der Krankenakte niedergelegt.
Es erscheint ein wenig verrückt – Menschen, die sich um ihre Gesundheit kümmern, werden von den Krankenkassen dafür bestraft! Auch wenn erwiesen ist, dass Menschen, die erfolgreich eine Psychotherapie abgeschlossen haben, eine messbar gesündere und zufriedenere Zukunft vor sich haben.

Diese Problematik kann natürlich auch Student*innen betreffen, für die noch ein weiteres Risiko problematisch werden kann. Falls sie nämlich eine Beamt*innen Laufbahn einschlagen möchten, habe sie nach einer „Kassentherapie“ damit evtl. Probleme.

Psychotherapie als Makel

Die Entscheidung, sich auf eine Psychotherapie einzulassen, fällt wohl den wenigsten Menschen leicht. Immer noch sind seelische Erkrankungen mit zahlreichen Vorurteilen und Ängsten belastet. Viele Betroffene versuchen es ohne Therapie und riskieren dabei Zusatzbelastungen wie Alkohol-, Sport-, Spiel- Sex- oder Medikamentensucht. Das Leiden vertieft sich und der Weg in eine Therapie erscheint immer schwieriger. Die allerwenigsten psychischen Erkrankungen erledigen sich aber von selbst.
Wenn sich ein Mensch nach vielen inneren Kämpfen dann doch zu einer Therapie entschließt, sucht er/sie natürlich zunächst die dafür zuständigen Institutionen auf – Ärzt*innen, Kliniken, Psychiater*innen, Psychologische Psychotherapeut*innen. Hier wissen wenige Betroffene, dass es auch alternative Angebote gibt. Es gibt zahlreiche hochprofessionelle Psychotherapeut*innen, die auch in Berufsorganisationen gelistet sind, die aber keine Kassenzulassung besitzen.

Wer macht Psychotherapie ohne Kassenzulassung?

Der Grund dafür ist das deutsche Psychotherapiegesetz, das nur ganz bestimmte Methoden als wissenschaftlich anerkennt, für die die Kassen auch bereit sind zu bezahlen. Die wissenschaftliche Anerkennung endet an der Landesgrenze und zahlreiche Methoden sind in anderen Ländern durchaus wissenschaftlich anerkannt und besitzen dort sogar eine Kassenzulassung.
Ebenfalls wenig bekannt ist der Umstand, dass Psychotherapien unabhängig vom angewandten Verfahren wirksam sind. Es gibt nach dem derzeitigen Stand der Psychotherapieforschung keine messbaren Unterschiede zwischen kassenanerkannten und nicht anerkannten Therapiemethoden.
Es sprechen also gute Gründe dafür, eine selbst bezahlte Psychotherapie in Erwägung zu ziehen.


• Die Wartezeit auf einen Therapieplatz ist in der Regel kurz
• Die Auswahl an möglichen Therapeut*innen ist sehr viel größer
• Die Behandlung wird nicht in die offizielle Krankengeschichte aufgenommen

Wie gesagt, die Qualität der Therapie ist gleichwertig, falls der/die Therapeut*in Mitglied eines Fachverbandes ist, der auf geregelte und umfangreiche Ausbildung und Supervision achtet.
Der finanzielle Aufwand einer PT ist nicht unerheblich, aber auf keinen Fall unermesslich. Eine gelungene Psychotherapie ist ihr Geld unbedingt wert, denn wenn die Seele leidet, ist das Leben allzu schwer.

Ein Körper in der Psychotherapie?

Körperorientierte Psychotherapie kann auf eine recht lange Geschichte zurückblicken. In ihrer modernen Form schlug sie als „Seitentrieb“ der Psychoanalyse aus. Dies geschah bereits in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Von da an verzweigte sie sich dann rasch in verschiedene Seitenäste, die großteils noch heute Bestand haben.

Die wilden Anfangsjahre

In den wilden Achtundsechzigern erfreuten sich die energetischen Übungen und die Betonung des emotionalen Ausdrucks besonders großer Beliebtheit. Dies richtete sich auch und gerade gegen die als patriarchal und autoritär angesehene Psychoanalyse.Danach beruhigte sich die „Körperszene“ etwas und etliche einzelne Schulen begannen sich als „quasi hermetische Verfahren“ gegeneinander abzugrenzen. Ein Umstand, der die ohnehin geringe Anerkennung durch den psychotherapeutischen Mainstream noch vertiefte.Die Hypothesen und Modelle der meisten Schulen beriefen sich auf klinische Erfahrungen, Einzelfallstudien und tiefenpsychologische Theorien. Diese wurden oft angereichert um energetische Vorstellungen aus der indischen Tradition. Das lag an der Energie Metapher, die mit der KPT kompatibel erschienen. Leider klang (und klingt) das einfach wenig seriös.

Neue Entwicklungen

Erst als gegen Ende des letzten Jahrhunderts aus den Einsichten, die aus der Baby- und Kleinkindforschung und der Bindungstheorie gewonnen wurden, als auch verschiedene neue neurologische Kenntnisse erreicht wurden, gewann die KPT wieder etwas mehr Renommee. Auch die verschiedenen Schulen hatten sich wieder einander zugewandt und tauschten sich mehr über ihre Erkenntnisse, Techniken und Prinzipien aus. In Deutschland gründete sich die „Deutsche Gesellschaft für Körperpsychotherapie“.

Ohne Körper keine Psyche


Was hat es nun auf sich mit dem Körper in der Psychotherapie? Zunächst einmal gilt es festzustellen, dass wir so etwas wie psychisches Erleben ohne einen Körper gar nicht haben könnten. Die körperliche Existenz und deren reale biologischen Prozesse stellen die Grundlage von allen höheren Funktionen der Psyche dar. Das gilt gleichermaßen für die sog. normalen/gesunden bist zu den sog. kranken Erscheinungen.
Der ganze Prozess der psychischen Funktionen, einschließlich der „bewusst“ genannten, ist immer ein Dreiklang von körperlicher Organisation, emotionaler Bewertung und kognitiver Benennung. Man könnte auch sagen, dass, wenn zwischen diesen drei Aspekten ein Missklang entsteht, so etwas wie ein Symptom beobachtbar ist, bzw. erlebt wird.
Die Geschichte dieser psychischen Organisation ist die Biografie eines Menschen und zwar ab dem Beginn der körperlichen Existenz. Bereits im Mutterleib und noch mehr in der vorsprachlichen Zeit der Bindungsprägung sprießen die zarten Wurzeln dessen, was wir später psychisches Erleben nennen, die Grundlagen unseres Selbst- und Welterlebens. Das ist die Geschichte, die wir uns und anderen darüber erzählen, wer und wie wir sind. Auf diesen Grundlagen verläuft der Weg, der weiteren Entwicklungs- und Reifungsschritte bis zum Erwachsen-Sein.

Besondere Qualität der KPT


Es hat sich herausgestellt, dass zahlreiche Hypothesen der „älteren“ KPT zutreffend sind und sich heute empirisch gut belegen lassen.
Die ersten Stufen der psychischen Entwicklung sind vorsprachlich, aber in Handlungs- und Beziehungsroutinen durchaus noch erreichbar. Genau hier liegen die besonderen Möglichkeiten von körperorientierter Psychotherapie. Mit ihnen kann das Erleben und die Erfahrungen dieser Zeit erreicht werden und in der therapeutischen Beziehung, können neue Lernerfahrungen entstehen.
Dadurch wird die KPT nicht zur „Wundermethode“. Was sie zur Verfügung stellen kann, ist ein tiefes Verständnis der vorsprachlichen Entwicklungen. Diese sind häufig ein Anlass für spätere Störungen. Allerdings haben die Betroffenen bereits ihren Umgang damit gefunden und das alleinige Wissen um z.B. einen beeinträchtigten Berührungsdialog führt noch nicht automatisch zu einer Verbesserung des Befindens.
Deshalb sind die Verfahren der Körperpsychotherapie in aller Regel Langzeittherapien. Auch damit entsprechen sie dem Stand der aktuellen Psychotherapieforschung, die unter anderem zur Erkenntnis gekommen ist, dass die Rückfallquote von kürzeren Therapien enorm hoch ist.


Eine Körperorientierte Psychotherapie ist also besonders dann geeignet, wenn Betroffene mit rein sprachlichen Methoden nicht weiterkommen. Wenn das Gefühl vorherrscht, mit dem eigenen Körper nicht zurechtzukommen. Wenn es keine Wahrnehmung der Körpersignale gibt oder diese nicht verwertbar erscheinen. KPT kann die Verbindungen zwischen Empfindungen, Gefühlen und Bewusstsein unterstützten und die biografischen Erfahrungen zu einer stimmigen Geschichte des Selbst integrieren.

Mehr zum Thema gibt es hier und hier

Das entfremdete Selbst

Selbstentfremdung

Bericht vom Dienstagskolloquium „Seele – Körper – Geist“ vom 04.12.18 von Prof. Dr. Matthias Michal:
„Das entfremdete Selbst: Depersonalisation und Derealisation“

In der Anmoderation berichtet uns Carl Eduard Scheidt davon, dass die Entstehung von DP/DR etwas geheimnisvoll sei. Schon lange bekannt, tauche sie im Zusammenhang von Trauma Forschung und Depression wieder verstärkt auf.
Herr Michal beginnt seinen Vortrag damit, dass er die Redensart: „Ich glaube ich stehe neben mir“ als eine alltägliche und häufig vorkommende Art von DP/DR vorstellt. In den meisten Fällen seien das kurzfristige Zustände, die im Lebenslauf fast jeder Mensch einmal erlebt. Allerdings gibt es Menschen, die über Monate und Jahre in solchen Zuständen verbringen.

Symptome

Die Symptome von Depersonalisation (DP) sind: Das Gefühl von Abtrennung von der eigenen Person, wie ein außenstehender Beobachter gegenüber den eigenen Gefühlen, Gedanken, Erinnerungen, Verhalten und Körper – wie im Traum, wie unter Drogen, wie nicht da sein.
Derealisation (DR) wird als Unwirklichkeitsgefühl in Bezug auf die Umwelt erlebt. Die Umwelt erscheint unwirklich, unecht, kulissenhaft – wie hinter einem Nebelschleier, wie hinter einer Glaswand, leblos, verzerrt, weit weg.
Wir lernen etwas über die Geschichte der Krankheit, die bereits 1845 beschrieben wurde und 1898 von einem Betroffenen ihre Benennung erhielt.

Krankheitsbild

Dann folgt ein erster Abschnitt für die Differenzialdiagnose, in der Herr Michal herausarbeitet, dass DP/DR keine Psychose ist, aber oft mit einer verwechselt wird. Typisch für DP/DR ist die Schilderung der Betroffenen – der „als ob“ Modus, in dem sie ihren Zustand beschreiben.

Diagnose und Differentialdiagnose

Für eine positive Diagnose gelten folgende Merkmale:
Erfahrung von Unwirklichkeit der eigenen Person oder der Umwelt. Die Realitätsprüfung bleibt intakt – die Menschen wissen wer und wo sie sind.

Die Symptome sind eine Quelle von Leid und Beeinträchtigung. Sie lassen sich nicht auf Drogen oder andere Krankheitsbilder zurückführen und es gibt keine andere Erkrankung, die die Symptome besser erklären kann.

Die häufigste Gegenübertragung (das Selbsterleben des Therapeuten mit dem Patienten) ist, dass die Therapeuten einschlafen. Es entwickelt sich keine Beziehung – „es springt kein Funke über“.

Das Leiden an DP/DR

Das Leiden der Patienten besteht darin, dass sie Angst haben, verrückt zu werden. Sie haben quälende Gefühle von Isolation und Einsamkeit, sowie das Gefühl, ihr Leben zu verpassen. Weiter schildern sie Konzentrationsstörungen (die nicht objektivierbar sind).

Der Behandler erlebt häufig eine Diskrepanz zwischen dem scheinbar ungerührten Verhalten der Betroffenen und ihrer ausgeprägten Verzweiflung, Angst und Not.

Krankheitsverlauf

Typisch für DP/DR ist, dass sie meist vor dem 25 Lebensjahr erstmals auftritt. Männer sind häufiger als Frauen betroffen (3 zu 2). Der Verlauf ist häufig chronisch und es dauert im Schnitt sieben Jahre bis eine korrekte Diagnose gestellt wird. Die Patienten schildern Ängste, die hypochondrisch wirken, dabei haben sie Schwierigkeiten, sich lebhaft an etwas zu erinnern. Sie schildern auch diffuse Symptome wie Kopfdruck, Kribbeln, Schwindel oder Benommenheit und sie grübeln fast zwanghaft über ihre Symptome worüber sie häufig weitere Krankheiten entwickeln.

Häufigkeit

Die Krankheit ist das dritthäufigste Syndrom nach Angst und Depression bei psychiatrischen Patienten. Schätzungen gehen von 5-10% der Patienten aus.

Auch Sozialpsychologisch wurde schon an DP/DR geforscht. Das Ergebnis besagt, dass sie in Individualistischen Gesellschaften häufiger vorkommt als in Kollektivistischen.

Ätiologie

Zur Entwicklung der Krankheit ist derzeit wenig bekannt. Das typischste Vorzeichen wäre eine besondere Ängstlichkeit im 13ten Lebensjahr und eine Erfahrung von Mangel an emotionaler Zuwendung und/oder Demütigung. Ein spezifischer Trauma-Bezug konnte nicht festgestellt werden.
Neurobiologische Befunde zeigen, dass DP/DR Patienten viele unspezifische Veränderungen in ihren „Hirn-Scans“ aufweisen.

Versorgungsprobleme

Herr Michal berichtet uns nun eine Fallgeschichte von einem zwanzigjährigen Betroffenen.  Durch eine erotische Versuchungssituation gerät der Patient in die Symptomatik. Ein Jahr später berichtet er seiner Mutter davon, die mit ihm zum Arzt geht. Dieser erstellt zwar eine vorbildliche Anamnese, schließt diese allerdings mit der Fehldiagnose „Paranoide Psychose“ ab. Der Patient wird also falsch und wirkungslos behandelt. Erst Jahre später taucht er nach eigenen Recherchen bei Herrn Michal auf, und kann dann von diesem passend und recht erfolgreich behandelt werden.

Störungsmodelle

Nun erfahren wir etwas über die „Störungsmodelle“, die von Verhaltenstherapeuten und Psychodynamischen Schulen entwickelt wurden. Verhaltenstherapeutisch betrachtet entsteht ein Teufelskreis, weil eine „normale“ DP/DR Erfahrung katastrophal bewertet wird, daraus Angst entsteht, die wiederum das DP/DR Empfinden weiter anheizt usf.

In psychodynamischer Betrachtung geht es um den Gefühlshaushalt. Die Beobachtung, das am Beginn der DP meist ein unerträgliches Gefühl oder eine ebensolche Erregung vorausgeht, wird als Flucht vor dem vollen Erleben der Wirklichkeit – dem „Beobachten statt erleben“ verstanden. Damit wird DP/DR zu einer Affektabwehr.

Die Rolle der Gefühle

In neuerer Terminologie würde das bedeuten, dass die „Affekttoleranz“ über ihre Leistungsschwelle getrieben wird und nur noch das Abstumpfen durch DP/DR zur Verfügung steht.

Was einem Menschen fehlt, der keinen Kontakt mehr zu seinen Affekten, Emotionen und Gefühlen hat, mach eine weitere Folie deutlich. Affekte sind das primäre, angeborene Motivationssystem des Menschen. Sie gehen stets allen Kognitionen voraus. Mit seinen Affekten im Kontakt zu sein ,vermittelt Lebendigkeit und weiter bieten sie uns Orientierung und Identitätsgefühl. Einen passenden Ausdruck für sie zur Verfügung zu haben, stellt eine Verbundenheit mit den Mitmenschen her.

In der Definition von „Seelischer Gesundheit“ des DSM-5 heißt es: „… fähig die ganze Breite der Emotionen zu erleben, auszuhalten und zu regulieren“

Sehr häufig finden sich konflikthafte Affekte bei den Themen: Ärger und Selbstbehauptung; Trauer und seelischer Schmerz; Nähe und Zärtlichkeit. Herausfordernd können auch Themen der Fürsorge und der Liebe sein. Sogar positive Selbstgefühle wie Selbstvertrauen, Selbstfürsorge, Würde können Anlässe für konflikthaftes Erleben sein.
Damit wird der Blick frei auf diese DP/DR als „Affektphobien“ – als die Angst vor Affekten.

DP/DR und Bindung

Als Beispiel verwendet Herr Michal die Bindungstraumatisierung. Die größte Angst eines Kindes ist, dass die Bindung verloren gehen könnte. Das kann in ein schreckliches Dilemma münden, wenn das Kind Ärger, womöglich Hass auf eine Bindungsfigur empfindet. Es bekommt Angst vor seinem Gefühl und diese Angst wirkt auf das „Angst – Furchtsystem“, das fernab des Bewusstseins neuro-hormonell mit der Angst umgeht.

In der ersten Stufe noch durch Aktivierung der Bewegungsmuskulatur, in der zweiten bereits mit Erregung der glatten Muskulatur (z.B. des Darms) und in der dritten Stufe dann mit Panik/DP/DR.

Wir lernen dann noch ein Modell, das uns sowohl ein Verständnis als auch einen Leitfaden für die therapeutische Intervention an die Hand gibt. Es sind das, das „Konfliktdreieck“ und das „Personendreieck“. Es ist eine Betrachtung, die Vergangenheit, Gegenwart der Alltagswelt und Gegenwart des Therapeuten zusammen betrachtet und die Verbindungen dazwischen deutlich macht.

Am Beispiel eines Romanauszugs (von Haruki Murakami „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“) verdeutlicht uns Herr Michal die Anwendung der Dreiecke. Aus einem Anlass (Stimulus) von erfahrener Zurückweisung entsteht ein Gefühl samt Impuls (Ärger, Selbstbehauptung, Schmerz). Diese Gefühle werden mit Angst erlebt, die nun ihrerseits die körperlichen Folgen mit sich bringt (Anspannung, Nervosität, Bauchweh, Schwindel etc.).

Therapeutische Möglichkeiten

Herrn Michals bevorzugte Methode der Behandlung heißt: „Intensive psychodynamische Kurzzeitpsychotherapie nach Davanloo (ISTDP)“. Sie nimmt in den Fokus, dass bei DP/DR eine massive Angst im Vordergrund steht und dass die Affekttoleranz beeinträchtig ist. Deshalb muss der Grad der Angst in jedem Moment möglichst genau erfasst werden, damit der Patient die Angst zwar spüren kann, aber nicht von ihr überwältigt wird. Das geschieht dadurch, dass die Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper gelenkt wird; dass die Angstsymptome als solche benannt werden; dass die Ursachen der Angst identifiziert werden und dass der Therapeut sich immer wieder als Begleiter und Verbündeter in Erinnerung bringt.

Zum Abschluss berichtet Herr Michal noch einmal aus einer Behandlung. Als Therapeut konfrontiert und fokussiert er sowohl auf das Erleben, als auch auf das Verhalten (Vermeiden von Augenkontakt, Räuspern). Die (typischerweise) abwehrende Haltung des Patienten wird nach und nach brüchiger, bis er den Impuls wahrnimmt, den Therapeuten mit einem Baseballschläger verprügeln zu wollen. In der fantasierten Ausführung des Impulses findet er seinen tiefen Hass auf die Mutter. Über diese Erfahrung findet der Patient Sinn und Verständnis für sich und sein Erleben.

In seinem Fazit fordert uns Herr Michal auf, genauer bei Patientinnen und Patienten nachzufragen, was sie fühlen und empfiehlt uns ein Handout über die Symptomatik von DP/DR.